Hallo zusammen,
nachdem ich schon lange stiller Mitleser dieses großartigen Forums bin, habe ich mich anlässlich dieses Themas nun endlich dazu durchgerungen, mich anzumelden und meine Erfahrungen mit euch zu teilen.
Kurz zu mir: Ich bin seit gut einem halben Jahr Professor an einer staatlichen Hochschule in Süddeutschland und – wie wohl einige von euch auch – sehr irritiert über das Niveau, das ich im letzten Semester erlebt habe.
Ein Beispiel: Ich habe im ersten Semester eines MINT-Studiengangs die Vorlesung Strömungsmechanik gehalten. Eine der Standardaufgaben dort: Den Druckverlust einer Rohrleitungen berechnen. In der Prüfung habe ich eine Aufgabe gestellt, die fast identisch mit einer Übungsaufgabe war – mit dem einzigen Unterschied, dass ich dort nicht die Strömungsgeschwindigkeit v gegeben hatte (wie in der Übungsaufgabe), sondern Volumenstrom und Rohrdurchmesser (für alle nicht Nicht-Ingenieure unter euch: Um mit diesen beiden Angaben die Strömungsgeschwindigkeit zu ermitteln, muss man den gegebenen Volumenstrom V̇ durch die Querschnittsfläche des Rohres teilen muss). Das Ergebnis: Knapp 20 % (!) der Studierenden scheiterten bereits daran, bei gegebenem Durchmesser die Querschnittsfläche eines kreisrunden Rohres (d²⋅π/4 oder r²⋅π) zu berechnen. Das hat mich ehrlich gesagt ein Stück weit fassungslos zurückgelassen, da die Berechnung einer Kreisfläche überhaupt nichts mit dem Fach an sich zu tun hat sondern eigentlich seit der Mittelstufe bekannt sein sollte.
Auch bei der Korrektur meiner ersten Bachelorarbeiten (bzw. der Vorab-Versionen, die mir zur Rückmeldung geschickt wurden), war ich teils sehr irritiert. "Recherchieren" wird von vielen Studierenden offenbar als Synonym für "googeln" verstanden. In den bisher von mir betreuten drei Arbeiten waren alle(!) Quellen Internetquellen. Auf meinen Hinweis hin, dass eine wissenschaftliche Arbeit nicht auf Blog-Artikeln und Webseiten basieren sollte, kam die ernüchternde Antwort: "Wir wissen nicht, wie man andere Quellen findet." Begriffe wie Literaturverwaltung, Citavi, Zotero – völlige Fremdwörter.
Was mich aber fast noch mehr irritiert hat, war die Art und Weise, wie diese Arbeiten geschrieben waren: Es waren durchweg Projektberichte, keine wissenschaftlichen Arbeiten. Es gab keine Reflexion darüber, warum man eine bestimmte Methodik gewählt hat, kein Bezug zu bestehender Literatur – nichts. Ich bin an dieser Stelle auch hin- und hergerissen: Einerseits sollen wir praxisorientiert ausbilden. In der Berufspraxis wird ein Absolvent wohl häufiger Berichte als wissenschaftliche Arbeiten schreiben. Gleichzeitig erhalten die Studierenden für die Bachelorarbeit verhältnismäßig wenige ECTS-Punkte, bei meiner Diplomarbeit damals hatte diese Note einen relativ großen Anteil an der Gesamtnote.
Generell ist das sprachliche Niveau (in Berichten, E-Mail, vor allem aber auch persönlichen Gespräch mit ihnen und untereinander) – besonders in den unteren Semestern – besorgniserregend: Der Ton unter den Studierenden ist teils so, dass ich mich frage, ob der gesellschaftliche Diskurs zu Pronomina überhaupt ist, wenn sich ohnehin alle nur noch mit "Alter" oder "Digga" ansprechen. Auch E-Mails an mich als Dozent sind ein Kapitel für sich: Ich habe längst aufgehört, Anreden wie "Sehr geehrter Herr Professor X" zu erwarten – ich bin inzwischen schon froh, wenn überhaupt eine vorhanden ist, hier habe ich bisher schon ein breites Spektrum erlebt ( "Servus" gehört hier noch zu den über die man wenigstens schmunzeln kann

).
Das Thema internationale Studierende wird bei uns an der Hochschule ebenfalls kontrovers diskutiert: Unsere Hochschule verfolgt klar die Strategie, rückläufige Studierendenzahlen durch internationale Studierende zu kompensieren. Meine persönlichen Erfahrungen mit diesen Studierenden sind gemischt:
Sie sind meist hoch motiviert, fleißig, strebsam und höflich – aber die fachlichen Grundlagen weichen teilweise so massiv von dem ab, was man bei uns erwarten würde, dass man auf einer ganz anderen Ebene anfangen muss. Kollegen, die hauptsächlich in internationalen Studiengängen unterrichten, berichten mir, dass ihr Ziel sei, die Studierenden bis zum dritten Semester auf Abitur-Niveau zu bringen

.
Persönlich finde ich, dass sich die Hochschule diesen Studierenden gegenüber unredlich verhält: Sie werden mit völlig falschen Vorstellungen nach Deutschland gelockt – und das oft auch noch verbunden mit erheblichen finanziellen Belastungen, die ihre Familien erst einmal aufbringen müssen.
Vor Ort folgt dann die Enttäuschung, denn die lokalen KMUs – gerade in unserem ländlich geprägten Umfeld – haben stellenweise (große) Vorbehalte gegenüber internationalen Studierenden. Mindestens aber erwarten diese Unternehmen Deutschkenntnisse, die eine grundlegende Kommunikation ermöglichen – und genau daran scheitern leider fast alle. Anstatt eines Praktikums / einer Werkstudententätigkeit bei den Mittelständlern vor Ort arbeiten die meisten bei Amazon oder fahren Essen aus.
Mein Eindruck ist, dass es der Hochschulleitung vordergründig darum geht, dass die Einschreibezahlen stimmen – wie es den Studierenden, aber auch den Kolleginnen und Kollegen, die in diesen Studiengängen unterrichten, hier wirklich geht, interessiert niemanden.
In internen Diskussionen gibt es im Grunde zwei Lager: Die Befürworter sehen in internationalen Studierenden eine Chance, den Fachkräftemangel zu lindern. Demgegenüber argumentieren die Kritiker, dass wir internationale Studierende auf Kosten des deutschen Steuerzahlers ausbilden, bevor diese wieder in ihre Heimatländer zurückkehren und dem hiesigen Arbeitsmarkt eben nicht zur Verfügung stehen. Genau zu diesem Thema wäre ich tatsächlich einmal an einer Studie / langfristigen Auswertung interessiert (so wie beispielsweise die NACAPS-Studie).
Ich denke, das Thema "Internationale Studierende" sollte man vermutlich nochmal gesondert diskutieren – daher hier nur ein kurzer Einblick in dieses komplexe und schwierige Feld.
Mich beschäftigt das Niveau an unserer Hochschule sehr – unabhängig vom nationalen oder internationalen Hintergrund der Studierenden – und ehrlich gesagt zweifle ich manchmal, ob es die richtige Entscheidung war, den Ruf anzunehmen. Ich habe den Eindruck, dass ich von einem Großteil der Studierenden eher als "harter Hund" angesehen werde, der – um ihnen das Leben besonders „schwer" zu machen – extra schwierige Aufgaben stellt. Nichts liegt mir ferner! Gleichzeitig habe ich ernsthafte Zweifel daran, dass unsere Studierenden mit derart geringen Fähigkeiten später überhaupt einen Job finden werden. Und ich rede hier nicht davon, eine Differentialgleichung aufzustellen (geschweige denn zu lösen), sondern davon, einen Text frei von Rechtschreibfehlern zu verfassen oder die Fläche eines Kreises auszurechnen.
Oft ärgere ich mich hinterher über mich selbst, dass mich das Thema emotional so mitnimmt – aber ich mache mir tatsächlich große Sorgen um die Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, wenn ich sehe, auf welchem Niveau wir im tertiären Bildungsbereich mittlerweile lehren.
Viele Grüße