vielen Dank für diese wirklich interessante Diskussion, die ich mit großem Interesse verfolge! Ich bin zwar kein regelmäßiger Leser dieses Forums, aber immer wenn ich dann doch wieder vorbeischaue, bin ich begeistert davon, dass hier viele der Themen, die mich beschäftigen, offenbar auch (einige von) euch bewegen.
Ich hatte zuletzt in einem anderen Thread einen längeren Beitrag geschrieben, in dem ich schon ein Stück weit meinen Frust über das Niveau vieler Studierender geschildert habe. Gerne möchte ich nun meine erweiterten Gedanken zum Themenkomplex Professur mit euch teilen.
Ich bin in den vergangenen Monaten tatsächlich zu dem Schluss gekommen, dass ich die Entscheidung, den Ruf auf meine jetzige Professur anzunehmen, bereue. Das fällt mir nicht leicht auszusprechen und traue ich mich ehrlicherweise auch nur hier in diesem anonymen Rahmen. In meinem Umfeld gibt es derzeit viele Menschen, die angesichts der wirtschaftlichen Gesamtsituation ganz andere Sorgen haben (Kurzarbeit, drohender Arbeitsplatzverlust, Immobilienkredit usw.). Gerade vor diesem Hintergrund weiß ich die finanzielle Sicherheit, die meine mir Professur bietet, sehr zu schätzen. Und mit Blick auf meine familiäre Situation (ich bin Vater von drei kleinen Kindern) verbiete ich mir selbst, konkrete Schritte in andere berufliche Richtungen überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Abgesehen von dieser finanziellen Sicherheit gibt es allerdings wenig, was ich persönlich darüber hinaus Positives berichten kann.
Das Thema Gehalt wurde hier ja bereits angesprochen. Auch bei mir ist es so, dass ich – rein auf das aktuelle Einkommen bezogen, also ohne spätere Pensionsansprüche zu berücksichtigen – finanziell deutlich schlechter gestellt bin als zuvor. Hinzu kommt, dass mich die aktuellen politischen Diskussionen (Abschaffung des Beamtentums, Überführung in gesetzliche Krankenversicherung oder Rentensystem etc.) verunsichern. Ich frage mich, ob die genannten Sicherheiten, die ja das geringere Einkommen rechtfertigen sollen, überhaupt bis zu meiner Pensionierung Bestand haben werden.
Erschwerend kommt die mangelnde Flexibilität durch den Vorlesungsbetrieb hinzu, die mich – insbesondere mit drei kleinen Kindern und einer gewissen Pendeldistanz zur Hochschule – stark belastet. Ich möchte diesem Punkt nicht zu viel Gewicht geben, da es ja meine eigene Entscheidung ist, in dieser Distanz zu leben, dennoch ist die Organisation des Gleichgewichts zwischen Familie und Beruf deutlich schwieriger geworden als es bisher war. Und ja, derartige Verpflichtungen habe ich zwar in der vorlesungsfreien Zeit nicht, Urlaub habe ich (bis auf ca. 4 Wochen pro Jahr) aber hier auch nicht, da ich in dieser zeit Vorlesungen vorbereiten / überarbeiten muss, Abschlussarbeiten betreuen darf etc.
Was mich jedoch am meisten trifft, ist die fehlende Teamkultur. An unserer Fakultät agiert man so gut wie gar nicht als Team. Natürlich war mir im Vorfeld klar, dass man Vorlesungen allein vorbereitet und hält, dennoch habe ich mich in meinem gesamten Berufsleben noch nie so einsam gefühlt wie jetzt.
Die Studierenden suchen zwar durchaus den Kontakt, aber ihre Lebensrealität unterscheidet sich naturgemäß stark von meiner eigenen. Zuvor habe ich in einem sehr inspirierenden Umfeld mit vielen promovierten Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen gearbeitet. Ich erinnere mich an die guten, inspirierenden Gespräche beim Mittagessen, genau diese Inspiration fehlt mir heute sehr bzw. habe den Eindruck, nicht wirklich neuen Input (egal aus welcher Richtung) zu bekommen.
Diese Einsamkeit wird zusätzlich überlagert von teils absurden internen Strukturen. Ein Beispiel: Bei uns ist es üblich, dass Einladungen zu Gremienterminen nicht als Outlook-Termine verschickt werden, sondern als einfache E-Mails mit Ort und Zeitangabe (dies aber wohlgemerkt mit Outlook
Ich hatte unseren Dekan einmal gefragt, warum er die Einladungen nicht direkt als Outlook-Termine verschickt oder diese seinen Einladungen nicht als ics-Dateien beifügt und ihm sogar angeboten, bei der technischen Umsetzung zu helfen. Seine Antwort: Man habe das in der Vergangenheit einmal(!) umgesetzt, damit aber damals „Sturm der Entrüstung“ provoziert, da dies von einige als übergriffig empfunden wurde.
Das Ergebnis: Rund 90 % der Empfänger übertragen die Termine nun manuell in ihren Kalender, und die übrigen 10 % lesen die Mails vermutlich gar nicht. Die dadurch entstehenden Mehrkosten durch den erhöhten Aufwand aller Personen interessieren indes niemanden, wir sind ja ohnehin alle da.
Wissenschaftsfreiheit klingt zunächst gut, wird bei uns an der Fakultät aber häufig als Begründung angeführt, warum man Dinge nicht vereinheitlichen / professionalisieren könne. Vermutlich stimmt das sogar, unser Dekan hat ja de facto keinerlei Weisungsbefugnis, dennoch empfinde ich die daraus entstehende Unprofessionalität als schwer erträglich.
Auf denselben Grund („Freiheit von Wissenschaft und Lehre“) wurde ich übrigens kurz nach meinem Amtsantritt verwiesen, als ich mich erkundigte, warum es an der Fakultät keine einheitlichen Vorgaben für E-Mail-Signaturen gibt.
Die Arbeitsbelastung empfinde ich insgesamt als deutlich höher als in meinem vorherigen Job. Gleichzeitig ist es nahezu unmöglich, sich den Pflichten der akademischen Selbstverwaltung wirklich zu entziehen. Natürlich kann man einer Sitzung fernbleiben, aber meist wird man im Nachgang um eine Stellungnahme gebeten, warum man nicht anwesend war.
Besonders speziell ist bei uns die Situation mit den sogenannten Forschungsprofessuren. Kolleginnen und Kollegen mit diesem Status erhalten eine reduzierte Lehrverpflichtung, um Zeit für Forschung zu haben, allerdings verbunden mit klaren Zielvorgaben wie Drittmitteleinwerbung oder Publikationen.
Ich habe mehrfach erlebt, wie sich genau diese Kollegen zusätzlich rechtfertigen müssen: einerseits gegenüber der Hochschulleitung hinsichtlich deren Zielerreichung (was nachvollziehbar ist), andererseits gegenüber nicht-forschenden Kollegen unserer Fakultät, weil man ihnen unterstellt, sich nicht ausreichend an der Selbstverwaltung zu beteiligen.
Ich habe mehrfach erlebt, wie diese Kolleginnen und Kollegen sehr(!) nachdrücklich gebeten wurden, bestimmte Ämter zu übernehmen, was sie dann widerwillig und unter Druck auch taten. Ich empfand diese Situationen als sehr unangenehm.
Auch das Thema Forschung insgesamt ist bei uns sehr speziell. Unser Dekan hat einmal in einer Fakultätsratssitzung ernsthaft erklärt, dass er Forschungsaktivitäten an der Fakultät in erster Linie als Problem(!) sehe, da die verbleibende Lehre ja von den nicht-forschenden Kolleginnen und Kollegen getragen werden müsse. Ich will diese Sichtweise gar nicht grundsätzlich kritisieren, ein Stück weit bzw. aus Sicht der Fakultät mag sie wohl ja auch ein Stück weit stimmen. Was mich aber stört, ist, dass mir im Berufungsprozess etwas ganz anderes vermittelt wurde. Von Seiten der Hochschulleitung wird die Wichtigkeit der Forschung (nach wie vor) betont, im Alltag wird das von Seiten der Fakultät bestenfalls toleriert, nicht jedoch unterstützt.
Ich war bisher nur an einer einzigen Hochschule Professor und kann daher nicht beurteilen, wie es anderswo ist. Für mich persönlich muss ich aber sagen: Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, hätte ich mich gegen die Professur entschieden.
Ich weiß nicht, ob mein Beitrag hier weiterhilft, aber ich wollte einfach meine Erfahrungen ergänzen und meine Sichtweise teilen. Ich werde die Diskussion jedenfalls weiterhin mit großem Interesse verfolgen.
Viele Grüße