Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

... und die Fragen, die sich davor und dabei ergeben.
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Vinya
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Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von Vinya »

Hallo zusammen,

folgende Situation: ich hab letzte Woche meine Dissertation erfolgreich verteidigt. Die Abschlussfeier danach war wirklich schön und ich bin mit meiner Diss und dem Ergebnis (magna) auch wirklich zufrieden.

Allerdings waren die letzten Jahre die zu meiner Promotion geführt haben nicht immer schön. Ich hatte vor allem zu Beginn das Gefühl ziemlich überfordert zu sein, hab viele Fehler gemacht. Das hat mich oft ziemlich frustriert und runtergezogen und an meinem Selbstwertgefühl sehr genagt. Für mich war mein Thema zwar super interessant aber auch sehr anspruchsvoll, und bei den anderen hat immer alles so leicht gewirkt als würden sie das mit dem kleinen Finger erledigen.

Dann hatte ich oft das Gefühl von der Persönlichkeit her in vielen Punkten sehr anders zu sein wie meine Kollegen. Es gab nie Streit oder so, es war alles freundlich, aber über alltäglichen Smalltalk ging es oft nicht hinaus. Ich würde nicht sagen, dass ich wie ein Außenseiter behandelt wurde, hab mich aber öfters so gefühlt weil ich vieles einfach anders empfunden oder kommuniziert hab wie meine Kollegen.

Am Anfang meiner Promotion war Corona, wodurch ich die ersten Monate fast nur Kontakt zu meinem Prof mit 30 Jahren mehr Erfahrung hatte und so nur ihn als Vergleich. Dadurch habe ich mich oft sehr klein und eingeschüchtert gefühlt von seinem Wissen und seiner Erfahrung. Der Austausch mit anderen Doktoranden und zu sehen, dass die auch Fehler machen und nicht perfekt sind hat mir sehr gefehlt in der ersten Zeit.

Inzwischen denke ich, ich bin die ganze Sache falsch angegangen. Ich hatte oft Angst nicht gut genug zu sein, die schlechteste am Institut zu sein und bei weitem das Niveau nicht zu haben. Jeder Fehler hat mich wieder runter gezogen. Ich hätte einfach die Ruhe bewahren, aus den Fehlern lernen sollen und als Chance sehen und zuversichtlich dass ich es schaffen werde anstatt mich davon selbst verrückt machen zu lassen. Spätestens mit dem ersten veröffentlichten Paper hätte ich mit viel mehr Ruhe und Selbstbewusstsein ran gehen sollen. Und nicht davon ausgehen, dass die anderen keine Fehler machen und nicht auch kämpfen nur weil sie es nicht kommunizieren. Und es hätte mir auch einfach egal sein sollen wenn ich mich schwerer tue als die anderen, da ich ja auch Ergebnisse und Veröffentlichungen hatte.

Kurz gesagt, ja die Umstände waren nicht perfekt, aber ich habe mir durch meinen Umgang damit das Leben schwerer gemacht als es ist. Mit einer anderen Einstellung (positiver, ruhiger, konstruktiver, zuversichtlicher, mehr nach vorne und auf mich selbst konzentriert) hätte ich die Zeit mir selbst viel angenehmer gestalten können und über weite Strecken auch produktiver und konstruktiver arbeiten können. Das habe ich leider viel zu spät gelernt. Gerade da ich jetzt doch noch mein magna geschafft hab (womit ich über weiter Strecken selbst nicht gerechnet hätte) und die Abschlussfeier einfach schön war kamen jetzt die Gedanken. Es ärgert mich vor allem, dass die letzten Jahre dadurch nicht so schön geworden sind wie sie es hätten werden können mit der anderen Einstellung.

Die Frage ist, wer von euch kennt das auch? Wie würdet ihr mir empfehlen damit umzugehen?

Danke und LG
NLPDG_Guy
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Re: Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von NLPDG_Guy »

Hallo Vinya,

erstmal herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Ergebnis! :blume:

Gewisse Dinge, die du aufgezählt hast, kenne ich von mir auch.
Wie würde ich dir empfehlen, mit Vergangenem umzugehen? --> Lass es ruhen. Diese Jahre liegen hinter dir, heute bist du, wie du selbst gesagt hast, schlauer. Umgekehrt scheinst du von der Persönlichkeit her einfach so zu sein, dass du dich eben stark kritisierst, dich mit anderen Leuten vergleichst, obwohl du die ja nicht mal gut kennst, etc. Unweigerlich vergleichen wir uns mit anderen Leuten, mal mehr und mal weniger. Vielleicht hat dich aber auch gerade dieser Vergleich in der Diss vorangebracht?

Ich bin mir ziemlich sicher, dir wird es bei deiner nächsten Stelle ähnlich ergehen. Das mit dem Smalltalk ist schwierig. Vielleicht wirkst du für die Leute etwas unnahbar? Vielleicht gab es aber auch einfach nicht mehr zu erzählen, als Smalltalk? Ich weiß es nicht. Auf der anderen Seite sind deine Kollegen nicht deine Freunde, sondern eben genau das: Kollegen. Es können sich zwar Freundschaften entwickeln, oder mal ein etwas tiefsinnigeres Gespräch, aber das ist selten. Auch darüber würde ich mir an deiner Stelle nicht den Kopf zerbrechen. Und verbiegen solltest du dich deshalb auch nicht.

Viele Grüße
Maik
03.11.2023: Offiziell Doktorand - Wohoooo! :prost:
Bobo87
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Re: Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von Bobo87 »

Ich würde auch empfehlen, es ruhen zu lassen. Was bringt es dir, darüber nachzudenken? Falls das nicht geht oder du ähnliche innerliche Probleme auch anderswo hast --> ggf. über Psychotherapie nachdenken.

Generell ist aber natürlich die Promotionsphase ideal für solche Gedanken. Es geht ja viel darum, hervorzustechen, sich zu präsentieren etc. Viele nehmen ihr Thema sehr wichtig und man selbst ist dann eingeschüchtert. Und als (oft unbewusste) Gegenwehr baut man dann einen inneren Panzer auf und setzt sich von den anderen ab. Jetzt wo du das von dir kennst (und vl. einen Job in einem kollegialen Betrieb oder Institut bekommst), kannst du das ja in Zukunft anders machen :)
Wierus
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Re: Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von Wierus »

Vinya hat geschrieben: 11.09.2024, 16:15Inzwischen denke ich, ich bin die ganze Sache falsch angegangen. Ich hatte oft Angst nicht gut genug zu sein, die schlechteste am Institut zu sein und bei weitem das Niveau nicht zu haben. Jeder Fehler hat mich wieder runter gezogen. Ich hätte einfach die Ruhe bewahren, aus den Fehlern lernen sollen und als Chance sehen und zuversichtlich dass ich es schaffen werde anstatt mich davon selbst verrückt machen zu lassen.
Kann sein, dass ich mich hier gewaltig irre, aber das klingt nach dem klassischen Fall des "Bildungsaufsteigers" aus den unteren Schichten.

'Ruhe bewahren', 'alles auf sich zukommen lassen', das sind so Weisheiten, die nur in einer bestimmten sozialen Schicht funktionieren. Wenn man der Geburt nach ins gutbürgerliche oder ins bildungsbürgerliche Aufsteigermilieu gehört, dann kann man solche Ratschläge tatsächlich umsetzen. Das vor allem deshalb, weil man auch nach einem Promotionsabbruch nicht vor einem völligen Scherbenhaufen und dem absoluten Nichts dasteht (abgesehen vom Masterabschluss, der dann aber wohl schon mehrere Jahre zurückliegt).

Man kann also in einer sozialen Schicht -- sagen wir, ab oberer Mittelschicht -- natürlich auch während der Promotion immer locker bleiben und diese Zeit als akademisches 'Abenteuer' genießen, weil es schlicht und einfach kaum um etwas geht, denn Dank der sozialen Absicherung durch familiären Wohlstand und Dank der häufig sehr guten Beziehungen wird man wohl immer irgendwo unterkommen, z.B. in der Firma/Abteilung/Kanzlei eines guten Bekannten oder Verwandten.

Wenn man aber aus sozial absteigenden Teilen der Mittelschicht oder gar aus der Unterschicht kommt, dann ist die Promotion eben kein 'Abenteuer', das man genießen oder gar locker nehmen könnte. Dann ist der Worst Case eines Promotionsabbruchs tatsächlich katastrophal, weil man in dem Fall die wenigen vorhandenen Ressourcen -- v.a. viel Zeit und Geld -- verschwendet sowie echte Aufstiegsoptionen verloren hat.

Man darf schließlich auch nicht vergessen, dass dieses 'sich fehl am Platz Fühlen' oder 'sich unzureichend für Aufgabe XY Fühlen' ja nicht in der UNI gelernt werden, sondern im Elternhaus bzw. seit Jugendtagen durch den Vergleich mit Angehörigen höherer sozialer Schichten. Wenn man also als Unterschichtenkind ins Gymnasium kommt, beginnt eine lange Kette von Vergleichen mit anderen, die meistens negativ ausfallen. Und das setzt sich nach dem Abitur in verschärfter Weise an der Uni fort.

So betrachtet hättest du eigentlich wenig anders machen können. Diese 'schlechte Zeit' die man hatte, etwa durch permanente Unzulänglichkeitsgefühle, Versagensängste oder das "Hochstaplersyndrom", sind einfach der Preis, denn viele -- die meisten? -- Bildungsaufsteiger in einer immer undurchlässiger werdenden sogenannten "Leistungsgesellschaft" zahlen müssen, um allein schon durch formale Bildungstitel auch nur ein kleines bisschen voranzukommen.
Vinya
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Re: Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von Vinya »

Vielen Dank für die bisherigen Antworten!

Das mit dem mich selbst kritisieren und vergleichen ist tatsächlich erst in der Promotion so aufgetaucht.

Der Anfang der Promotion war ziemlich hart für mich. Der Inhalt war für mich sehr komplex und sehr umfangreich, es war für mich ein sehr sehr großer Sprung im Vergleich zum Master. Ich habe bei weitem nicht die Zeit bekommen die ich gebraucht hätte das zu verarbeiten. Ich habe leider lange keinen konstruktiven Weg gefunden mit der Überforderung umzugehen aber auch nicht den Mut dann abzubrechen. Ich hab mich glaube ich während der Promotion nie so richtig von diesem Gefühl der völligen Überforderung und dass meine Leistung nicht den Erwartungen entspricht erholt.

Auch wenn ich was gearbeitet habe und es meinem Betreuer gegeben habe, hat er oft so viele Fehler entdeckt oder so viele meiner Formulierungen geändert, dass ich mich gefragt habe ob meine Arbeit überhaupt einen Wert hat. Es kam von ihm nie eine Bewertung, weder positiv noch negativ, sondern nur ganz neutral die Liste mit meinem Fehlern und überarbeiteten Formulierungen. Insbesondere am Anfang hab ich danach meine Arbeit oft nicht mehr wiedererkannt. Das hat mich meistens ziemlich getroffen und verunsichert, weil ich dachte in der Promotion geht es um eigene Forschungsleistung und meine wird so zerlegt. Das wurde mit der Zeit besser, aber auch nie so dass er einen Abschnitt in einem Paper von mir einfach mal so lassen konnte wie ich ihn geschrieben hatte. Es hat ihm nie so gepasst.

Durch dieses Erlebnis hat mir dann auch völlig die Orientierung gefehlt ob das was werden kann mit der Promotion, ob das normal ist, wo ich bin. Das Studium war für mich am Anfang auch schwer, aber da ging es meinen Kommilitonen genauso, und ich hatte ungefähr die Orientierung was ich können muss um das zu schaffen. Diese Orientierung hat mir in der Promotion völlig gefehlt.

Meinen Kollegen ist die Promotion deutlich leichter gefallen wie mir. Ich hatte dort niemand, der auch gekämpft hat und mit dem ich mich hätte austauschen können. Die abdereb konnten nach einem Vortrag oder auch beim Mittagessen locker über komplexe Sachverhalte diskutieren, für die ich erstmal Verarbeitungszeit und Ruhe für mich gebraucht hätte. Die haben auch regelmäßig Dinge gesehen, auf die ich nie gekommen wäre.
Es ist klar, dass man beim promovieren Leute trifft die deutlich besser sind als man selbst. Aber wenn es das komplette Institut ist, das war schon belastend für mich und hat mir oft das Gefühl gegeben mehr eine Belastung als Hilfe zu sein mit meinem Tempo und den Fehlern die mir passiert sind. Auch die Art wie mein Betreuer überrascht war wenn ich wieder was nicht wusste oder was er erzählt hat nicht sofort verstanden habe. Es wurde von den anderen auch regelmäßig kommuniziert wie spaßig und entspannt und locker doch alles hier ist. Es hätte mir schon sehr geholfen nur eine Person am Institut zu haben für die das ganze nicht so ist und mit der ich mich austauschen kann.

Mein Betreuer hat mir in einem längeren Gespräch diese Woche auch bestätigt, dass er auch den Eindruck hatte dass ich mir deutlich schwerer getan habe als die bisherigen Doktoranden.

Bildungsaufsteiger bin ich tatsächlich nicht. Meine Eltern haben beide (dual) studiert. Insbesondere mein Vater ist der Meinung, mit einem so guten Abi wie meinem müsste man ja promovieren, sonst hätte man sein Potenzial verschwendet. Das war tatsächlich nicht meine Motivation anzufangen, als ich angefangen habe war ich total begeistert für die Wissenschaft. Aber für mein Vater ist es eine Katastrophe dass ich sage ich würde heute nicht nochmal promovieren.
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Re: Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von Wierus »

Ok, hmm... dann lag ich mit meinen Vermutungen offensichtlich völlig daneben. :?
Vinya hat geschrieben: 13.09.2024, 08:03Es wurde von den anderen auch regelmäßig kommuniziert wie spaßig und entspannt und locker doch alles hier ist. Es hätte mir schon sehr geholfen nur eine Person am Institut zu haben für die das ganze nicht so ist und mit der ich mich austauschen kann.

Mein Betreuer hat mir in einem längeren Gespräch diese Woche auch bestätigt, dass er auch den Eindruck hatte dass ich mir deutlich schwerer getan habe als die bisherigen Doktoranden.
Das liest sich schon etwas seltsam. Denn nach allem, was ich fakultätsübergreifend in persönlichen Gesprächen mit Doktoranden, Promotionsabbrechern und Promovierten mitbekommen habe, ist bzw. war die Promotion für alle eine große Herausforderung.

Entweder ist das Institut deines DV eine echte Oase oder er hat sich dort eine Art 'Kult' aufgebaut in den du nicht eingeweiht warst... :mrgreen:
Bobo87
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Re: Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von Bobo87 »

Und generell gilt natürlich auch hier, wie überall im Leben: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ich habe einige Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, die in den Kolloquien geglänzt haben und ihre Nervenzusammenbrüche und Weinkrämpfe dann abends zu Hause kultivierten. Meiner Erfahrung nach ist die Promotion für die allermeisten mindestens eine Last, wenn nicht eine absolute Tortur. Von daher finde ich die Schilderungen von deinem Institut auch eher ungewöhnlich...
GeorgHerbert
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Re: Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von GeorgHerbert »

Es kam von ihm nie eine Bewertung, weder positiv noch negativ, sondern nur ganz neutral die Liste mit meinem Fehlern und überarbeiteten Formulierungen. Insbesondere am Anfang hab ich danach meine Arbeit oft nicht mehr wiedererkannt.
Auch die Art wie mein Betreuer überrascht war wenn ich wieder was nicht wusste oder was er erzählt hat nicht sofort verstanden habe.
hat mir oft das Gefühl gegeben mehr eine Belastung als Hilfe zu sein
Kurz gesagt, ja die Umstände waren nicht perfekt, aber ich habe mir durch meinen Umgang damit das Leben schwerer gemacht als es ist. Mit einer anderen Einstellung (positiver, ruhiger, konstruktiver, zuversichtlicher, mehr nach vorne und auf mich selbst konzentriert) hätte ich die Zeit mir selbst viel angenehmer gestalten können und über weite Strecken auch produktiver und konstruktiver arbeiten können. Das habe ich leider viel zu spät gelernt. Gerade da ich jetzt doch noch mein magna geschafft hab (womit ich über weiter Strecken selbst nicht gerechnet hätte) und die Abschlussfeier einfach schön war kamen jetzt die Gedanken. Es ärgert mich vor allem, dass die letzten Jahre dadurch nicht so schön geworden sind wie sie es hätten werden können mit der anderen Einstellung.
Diese "andere Einstellung" ist natürlich erstrebenswert - aber woher nehmen und nicht stehlen? Es ist leicht gesagt, man müsse die Dinge nur anders sehen. Für mich lesen sich diese Beiträge aber so, als hättest du, gelinde gesagt, nicht die einfühlsamste Betreuung gehabt - und dann noch Corona obendrauf. Natürlich sind Professoren keine Therapeuten und sollen nicht rund um die Uhr Händchen halten. Aber wie in jedem Arbeitskontext ist eine Wertschätzung des Vorgesetzten wichtig und wenn die ausbleibt und man selbst nicht mit einem strotzenden Selbstbewusstsein gesegnet ist, kann das sehr viel verderben. Wenn Du Dich mehr als Belastung denn als Hilfe gefühlt hast, legt das auch nahe, dass Dir nicht oder nur sehr selten suggeriert wurde, eine Hilfe zu sein.
Die Frage ist, wer von euch kennt das auch? Wie würdet ihr mir empfehlen damit umzugehen?
Ich kenne solche Konstellationen auch. Und mittlerweile bin ich der Überzeugung: Es ergibt keinen Sinn, die Schuld bei sich zu suchen und sich eine andere Einstellung vorzunehmen. Ob man diese andere Einstellung haben kann, hängt nämlich auch ganz entscheidend vom Arbeitsklima ab. Es gibt Kontexte, in denen man als etwas "hinterherhinkender" Kollege sehr gut arbeiten kann, weil man trotzdem wertgeschätzt und vor allem der eigene Arbeitseinsatz gewürdigt wird. Dann muss man daran nicht verzweifeln.
Ich würde mir, wenn ich mich noch einmal so schlecht fühle, immer die Frage stellen, ob es auch am Umfeld (mit)liegen könnte. Das hat nichts mit Schuldzuschreibung zu tun o.ä. - die Leute haben sicher keine Pläne geschmiedet, um Dich zu verunsichern -, aber auch ein Arbeitsklima, das Dich absichtslos extrem verunsichert und demotiviert, ist schlecht. Und es ist keine Schande, sich an einem Ort unwohl zu fühlen, auch wenn die Menschen vorneheraus freundlich sind. Dann stimmt eben die Chemie nicht. Und dann darf man auch gehen. Ist in der Promotion natürlich schwer, genauso wie im weiteren Berufsleben - aber an diese Option sollte man auch denken, wenn es schlecht läuft, nicht nur an Selbstoptimierung.
Zitationswolke
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Re: Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von Zitationswolke »

Herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Abschluss, eine tolle Leistung, gerade unter den von dir beschriebenen Umständen!

Allgemein gehst Du einen sinnvollen Weg: Du reflektierst deine Erfahrungen und suchst nach Verbesserungsmöglichkeiten. Ob und wie lange Du dich mit deinen Diss-Erfahrungen und Einsichten weiter beschäftigen sollst, darüber gibt es hier ja scheinbar unterschiedliche Ansichten. Ich für meinen Teil würde es davon abhängig machen, ob Du denkst, dass es sich um tiefergehende Charakter-/Verhaltensmuster handelt, die dich auch zukünftig, z.B. in einem neuen Arbeits-Setting, betreffen (und belasten) werden. Wie stark ist dein Wunsch, diese Sache tiefergehend aufzuarbeiten? Vielleicht ist ein Coaching eine Idee. Vll. hilft es dir auch, über diese Art der der Emotionen einfach etwas mehr zu lesen? Meine Spontanrecherche hat ein auf Studien basierendes Buch von Sabine Magnet zu Tage befördert: "Und was, wenn alle merken, dass ich gar nichts kann?: Über die Angst, nicht gut genug zu sein. Das Impostor-Phänomen." Im gut sortierten Fachhandel gibt es sicherlich noch weitere Ratgeberliteratur zum Thema (die oftmals auch Tipps zum Umgang beinhaltet). Alles Gute!
Vinya
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Re: Hab ich mir selbst meine Promotion schwer gemacht?

Beitrag von Vinya »

Vielen Dank für die bisherigen Antworten!



Ich hatte auch schon an das Imposter-Syndrom gedacht. Allerdings hatte ich vor meiner Promotion dieses Problem nicht, und bei Dingen außerhalb der Promotion wie bei Erfolgen in Sport oder Musik auch nicht. Da konnte ich immer stolz und zufrieden sein auf meine Erfolge.

Inzwischen arbeite ich seit 2 Wochen in meinem neuen Job außerhalb des universitären Umfelds. Und das Gefühl nicht gut genug zu sein, abgehängt zu sein, zu schlecht zu sein, es ist einfach weg. Ich war auch schon paar Mal stolz auf mich wenn ich bei einem Thema schnell verstanden habe worauf es hier ankommt.

Mein neuer Chef und die neuen Kollegen, das ganze Arbeitsklima ist ein ganz anderes. Sie vermitteln mir ihre Erfahrungen und das Wissen ohne mir das Gefühl zu geben doof zu sein weil ich etwas nicht weiß, ich fühle mich wertgeschätzt, und sie sagen ganz offen dass es normal ist wenn man am Anfang erst reinwachsen muss und dass sie selbst auch nicht alles wissen und täglich was neu lernen müssen. Es ist einfach völlig anders. Was auch super angenehm ist, es ist jeder ein bisschen anders. An der Uni war mein Gefühl die Kollegen sind alle ziemlich ähnlich und ich bin die seltsame. Hier ist jeder bisschen anders und die Leute auch irgendwie normal, auf dem Boden geblieben.

Allerdings denke ich seitdem noch mehr dass ich die Promotion nicht hätte machen sollen, weil ich nun merke wie riesig der Unterschied ist wenn man in einem wertschätzenden, heterogenen Umfeld arbeitet. Ich weiß echt nicht ob der Titel 5 Jahre deutlich schlechtere Lebensqualität wirklich wert war. Aber da ich die meiste Zeit mit meinem neuen Job abgelenkt bin denke ich darüber nur selten nach.

Viele Grüße
Antworten