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Brauche dringend euren Rat und Einschätzung …

Verfasst: 18.07.2025, 20:31
von Mimi97
Hallo zusammen,
ich promoviere seit gut 1,5 Jahren und bin aktuell in Elternzeit. Ich wende mich an euch, weil ich unsicher bin, wie ich meine aktuelle Situation einschätzen und damit umgehen soll. Kurz: Ich fühle mich gerade ziemlich verloren. :‘(
Ich habe während meiner Promotionszeit eine eigene Studie konzipiert und durchgeführt, inklusive Koordination, Datenerhebung, Auswertung und Manuskripten. An meiner Professur habe ich zunächst ohne Ausnahme gerne gearbeitet, mit den Kolleg:innen verstand ich mich gut. Zu einem Kollegen hatte ich auch privat schon früher Kontakt.
Im Laufe des letzten Jahres kippte das Verhältnis zu diesem Kollegen jedoch abrupt. Ich wurde angewiesen, ihn in mein Projekt einzubinden, was ich auch tat. Er drängte mich aber zunehmend aus der technischen Arbeit an „meiner“ Erhebung heraus, erklärte die Studie gegenüber Dritten als seine, unterbrach mich regelmäßig, äußerte verletzende Kommentare und griff mich in Meetings persönlich an (mit z.T. sehr unangemessenen Bemerkungen). Mein Betreuer reagierte darauf nur sehr zurückhaltend und entschuldigte sein Verhalten, während er mich in der Verantwortung sah den „Konflikt“ zu lösen…
Parallel dazu entschied mein Betreuer ohne mein Einverständnis, dass dieser Kollege eine Abschlussarbeit über meine Daten schreibt und nun auch meine Elternzeitvertretung übernimmt – und nach meiner Rückkehr weiter im Team bleiben soll, weshalb es auch zur Stellenreduktion kam. Mein Betreuer ignoriert meine Gesprächsanfragen wegen meiner Diss ab bzw reagiert nicht darauf (das geht seit Monaten so… begann kurz vor meinem Mutterschutz); ich bekomme nur Termine zu dritt mit dem Kollegen zusammen. Auf meine Anfragen, mein ursprüngliches Dissertationskonzept weiterverfolgen zu können und wieder mehr Eigenständigkeit zu bekommen, wurde bisher nicht eingegangen. Stattdessen scheint mein Betreuer seinen eigenen Plan zu verfolgen… i S von macht beide die Erhebung und Auswertung zusammen, schreibt jeweils zwei Paper mit Koautor des anderen fertig ist eure Dissertation. Was so niemals abgemacht war. Und auch nicht zu meinen Zielen passt. Er verlangt auch das der Kollege, der die technische Planung des Messsystems übernahm, Koautor sein wird. Ich sehe das aber anders (gem. der gängigen ICMJE-Kriterien). Jetzt sitze ich hier in Elternzeit - völlig lost - hab 2 Manuskripte fertig, wollte mein Review noch beenden und die nächste Erhebung vorbereiten… und bekomme keine Möglichkeit mit meinem Doktorvater zu sprechen. Und hab die Befürchtung das ist der Knick in der Karriere nach der Geburt eines Kindes und die Befürchtung mein Doktorvater hat kein Interesse mehr an meiner Forschung :(

Für mich ist klar:

Ich möchte meine Dissertation nach dem ursprünglich abgesprochenen Konzept zu Ende bringen.

Ich möchte mit den Daten arbeiten, die ich selbst erhoben, verstanden und analysiert habe.

Ich möchte nicht gezwungen werden, eng mit jemandem zusammenzuarbeiten, der mich wiederholt persönlich im Arbeitskontext und vor anderen angegriffen hat.

Ich möchte die Promotion professionell und auf qualitativ hohem Niveau abschließen, da ich mit Herz und Seele Wissenschaftlerin bin und auch bleiben möchte…

Meine Fragen:

A. Ist das Verhalten meines Betreuers in einer Promotion „normal“?

B. Wie kann ich mich in so einer Situation am besten positionieren, um professionell zu bleiben, meine Leistung sichtbar zu machen und die Promotion gut abzuschließen?

C. Würdet ihr noch einmal aktiv das Gespräch suchen – oder euch anderweitig umsehen?

D. Gibt es Strategien, mit denen ich die Situation konstruktiv lösen und meine Arbeit dennoch erfolgreich abschließen kann?
Mir ist wichtig, meine Promotion gut und integer zu beenden, aber momentan habe ich das Gefühl, als Störfaktor (und Ursache für das Verhalten des Kollegen* mir ggü) gesehen zu werden statt als Teil der Lösung.

*mittlerweile haben auch anderen an der Professur Probleme und Konflikte mit dem Kollegen, aber der Chef steht total auf der Seite des Kollegen [mehr kann ich an dieser Stelle aus Gründen der Anonymität nicht sagen]

Vielen Dank für eure Einschätzungen und Tipps!

Viele Grüße

Mimi

Re: Brauche dringend euren Rat und Einschätzung …

Verfasst: 19.07.2025, 11:55
von Aguti
Das tut mir von Herzen leid für dich!

Ist leider, leider gar nicht so selten, dass solcher Mist passiert und Macht so ausgenutzt wird.

Du könntest mal mit der Gleichstellungsbeauftragten sprechen und dort um Rat fragen. Ggf. auch mit der Ombudsperson für GWP an eurer Uni.

Parallel vielleicht mal überlegen, ob es für deine Arbeit eine andere potentielle Betreuungsperson gibt.

Und falls du für dich selbst Hilfe beim Sortieren brauchst, dir evtl ein Promotionscoaching suchen.

Re: Brauche dringend euren Rat und Einschätzung …

Verfasst: 20.07.2025, 02:55
von deen_everstin
Hallo Mimi,

danke fürs Teilen deiner aktuellen Erfahrungen. Das hört sich echt nach einer sehr, sehr schwierigen Situation an und es tut mir total leid zu hören, dass du in dieser eigentlich schönen Phase als junge Mama (herzlichen Glückwunsch dazu!) derzeit so viel Energie und Ärger für andere Dinge aufwenden musst. Du hast ja einige Fragen gestellt und ich versuche mich daran, dir meine Einschätzungen dazu mitzugeben.

A.) Ich würde dieses Verhalten nicht als "normal", gleichzeitig leider jedoch auch nicht als ungewöhnlich beschreiben. Eigentlich sollte er in seiner Funktion über ausreichend Kompetenzen verfügen, um dich der Situation angemessen zu betreuen, statt dich zu ghosten bzw. sich in konfliktbehafteten Settings nach Möglichkeit bedeckt zu halten. In der Realität kommt es wohl aber nicht so selten vor, dass man alleine dasteht, wenn es brenzlig wird.

B.) Das ist eine sehr spezielle Frage, die von einigen Faktoren abhängt, die ich als Außenstehender nicht beurteilen kann. Prinzipiell machst du anhand deiner Schilderungen schon viele Dinge genau richtig. Du hast den Kontakt zu deinem Betreuer gesucht und den Konflikt mit deinem Kollegen angesprochen. Es wäre eigentlich an ihm, dir den Raum für ein Vier-Augen-Gespräch zu geben, statt unverblümt eben jenen Kollegen mit in Gesprächstermine zu holen. Das unterstreicht (leider), dass die beiden ein gutes Verhältnis miteinander haben und dein Kollege das Narrativ maßgeblich mitbestimmt. Dagegen anzukommen, wird nicht leicht. Du hast die Möglichkeit, dir anderweitig in der Uni Unterstützung zu suchen. Beispielsweise im Kollegium. Du hast ja angedeutet, dass auch andere sich in jüngerer Zeit an dem besagten Kollegen gestört haben und vielleicht kannst du dich mit diesen austauschen und im Zweifel gemeinsam mit denen das Gespräch zu deinem Betreuer suchen. Dadurch ergibt sich eine andere Dynamik. Sollte sich dein Betreuer dagegen verwehren, gibt es die Möglichkeit, sich an das Dekanat zu wenden bzw. wie Aguti es vorgeschlagen hat, sich an Stellen wie die Gleichstellungsbeauftragte oder den Personalrat zu wenden und im Rahmen dessen deine weiteren Schritte abzustimmen.

C.) Ja, ich würde an deiner Stelle definitiv noch einmal aktiv das Gespräch suchen. Allerdings (wie unter B. geschildert) unter anderen Voraussetzungen. Such dir geeignete Unterstützung und geh dann erneut ins Gespräch und fordere dabei ein, dass dieses Gespräch nicht im Beisein des Kollegen stattfindet. Am besten ist es, dass du das schriftlich machst, um es im Zweifel belegen zu können (für den Fall, dass der Betreuer abstreiten sollte, dass du darum gebeten hast). Sollte das Gespräch zustande kommen und dein Kollege entgegen vorheriger Absprache erneut dabei sein, würde ich entweder in der Situation konkret darauf hinweisen, dass er bitte den Raum verlassen soll bzw. das Gespräch bewusst abbrechen und gehen, weil es in dieser Konstellation offenbar keinen "common ground" für dich geben wird und alle weitere Energie vergebens ist. Da hilft dann nur die anschließende Eskalation über weitere Kanäle deiner Uni.

D.) Das hängt davon ab, wie sehr dein Kollege das Narrativ für sich und gegen dich verstetigt hat. Wenn dein DV tatsächlich total auf der Seite des Kollegen steht und eher in dir das Problem sieht, wird es schwierig, da mit konstruktiven Argumenten einen Konsens zu finden. Gleichzeitig würde ich dir aber in dieser Situation auch davon abraten, deine Forschungsergebnisse ohne finale Rücksprache ohne ihn als Ko-Autor zu veröffentlichen. Ich will da nicht zu fatalistisch denken, gleichzeitig könnte ich es mir vorstellen, dass eine Veröffentlichung deiner Manuskripte ohne ihn als Ko-Autor negativ auf dich zurückfallen könnte, falls der Kollege sich im Nachhinein (mit Unterstützung deines DV) dagegen wehren sollte. Im günstigen Fall müsstest du ihn nachträglich als Autor mit aufnehmen, in einem weniger günstigen Setting wird man dir einen Täuschungsversuch über die Urheberschaft der Forschungsleistung vorwerfen, der dann womöglich noch von deinem Betreuer bestätigt wird. Da kommt es dann weniger darauf an, was deine Perspektive ist, sondern was sich am Ende durch wen glaubhaft beweisen lässt und das könnte dann einen richtigen Knick in der Karriere geben. Da wäre dann der Weg des geringsten Widerstands, nämlich die Veröffentlichung der zwei Paper mit Ko-Autorenschaft des Kollegen und einer kumulativen Dissertation, der reibungslose Weg - auch wenn es natürlich nicht viel mit Fairness und womöglich auch nicht viel mit der Abbildung der tatsächlichen wissenschaftlichen Arbeit deines Kollegen an deiner Forschung zu tun hätte.

Zusammengefasst würde der Weg des geringsten Widerstands vermutlich damit einhergehen, dass du Kompromisse eingehen müsstest, die du nicht eingehen möchtest. Die Alternative wiederum könnte eine weitere Eskalation deiner Situation zur Folge haben, was deine Promotion erschweren oder im schlimmsten Fall gefährden könnte. Insofern schätze ich, dass du für dich abwägen musst, was dir wichtiger ist. Integer und mit Herz und Seele Wissenschaftlerin sein, aber dein aktuelles Promotionsprojekt gefährden oder aber entgegen deiner persönlichen Überzeugung einen faulen Kompromiss einschlagen, der dich dafür mutmaßlich ohne weitere Verzögerung dem erfolgreichen Abschluss deiner Forschung näher bringt.
Es gibt sicherlich noch weitere Szenarien, aber diese beiden halte ich anhand deiner bisherigen Schilderungen für die offensichtlichen Optionen.