Hochschulen: Sinkendes Niveau durch Privatisierung?

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Wierus
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Hochschulen: Sinkendes Niveau durch Privatisierung?

Beitrag von Wierus »

Hallo liebes Forum!

Da in einem anderen aktuellen Thread so engagiert über die offenbar argen Zustände an deutschen FHs diskutiert wird, möchte ich die dortige Diskussion etwas ergänzen und die Perspektive mit einem ähnlich gelagerten Thread korrigierend erweitern.

Über die sinkende Qualität der Lehre, sowie über Motivation, Engagement und Vorwissen der Studenten wird geklagt. Weißt man aber darauf hin, dass seit 15-20 Jahren private Hochschulen wie Pilze aus dem Boden sprießen und ein allgemeiner Privatisierungsschub im tertiären Bildungssektor eingesetzt hat, dann wird man schnell zurechtgewiesen: Es gehe ausschließlich um staatliche FHs und man solle doch bitte beim Thema bleiben.

Dabei sprechen die Zahlen für sich:

(1) Zunahme der Studentenzahlen an privaten Hochschulen
https://www.destatis.de/DE/Presse/Press ... 54_21.html
https://de.statista.com/statistik/daten ... utschland/

(2) Zunahme der Anzahl privater Hochschulen
"Von den insgesamt 423 Hochschulen in Deutschland (Stand: Dezember 2024) befinden sich 26 Prozent in privater Trägerschaft, während 65 Prozent staatlich und 9 Prozent kirchlich organisiert sind. Während die staatlichen und kirchlichen Hochschulen häufig auf eine lange Tradition zurückblicken können, ist die Entwicklung der privaten Hochschulen jünger. 71 der 110 erfassten privaten Hochschulen wurden erst nach dem Jahr 2000 gegründet.."
https://www.bildungsspiegel.de/news/stu ... -wachstum/
https://www.forschung-und-lehre.de/deta ... ebter-5970

Gehen wir einige der genannten Probleme durch:
mga hat geschrieben: 07.12.2024, 23:40 Meines Erachtens gibt es zu viele Hochschulen und zu wenige Bewerber.
mga hat geschrieben: 07.12.2024, 23:40Es werden neue Studiengänge mit relativ fragwürdigen Inhalten eingerichtet, um Bewerber anzuziehen.
mashdoc hat geschrieben: 08.12.2024, 07:27(...) gemessen wird die Hochschule vom Land an Studierenden- und Absolventenzahlen (bei gleichzeitiger, schwieriger Bewerbungslage). Manche wollen Prüfungsformen aufweichen, um die Durchfallerquoten zu senken (...)
johndoe hat geschrieben: 08.12.2024, 23:28Ich hab auch den Eindruck, man sollte Hochschulen konsolidieren und Kräfte besser verteilen. Wenn sich im näheren Umkreis 4 Hochschulen die weniger werdenden Studis in denselben Fächern gegenseitig wegnehmen, ist das ein Trauerspiel.
Blau hat geschrieben: 11.12.2024, 09:10Meine Beobachtung ist, dass an privaten Hochschulen oft das Niveau noch unterirdischer ist, da der Studierende als Kunde gesehen wird und man ihn auf Biegen und Brechen irgendwie mit einem Abschluss versehen möchte, schließlich zahlt er ja auch dafür.
teilchenphysik196 hat geschrieben: 13.12.2024, 00:57Bis vor 2 Jahren gab es auch eine recht anspruchsvolle Prüfung in dem Studiengang, wo ich tätig bin. Dies wurde abgeschafft. Jetzt gibt es nur noch Laborversuche, deren Protokolle man sich mit Copy Paste zusammenklicken kann. (...) Bei der einen oder anderen Feierlichkeit an der Hochschule ergaben sich Gespräche mit den Professoren. Die finden das alles okay und machen sich lediglich Sorgen, ob die Studierendenzahlen sinken.
oclock hat geschrieben: 13.02.2025, 10:54Kaum noch einheimische Studenten. Statdessen wird nach ausländischen Menschen gefischt, um die Einschreibezahlen konstant zu halten, bzw. zu steigern. Viele kommen über eine Institution zu uns, die ihnen verspricht, für Geld eine Zugangsberechtigung zu erhalten.
Biochem hat geschrieben: 17.02.2025, 09:36(...) dass man, um die Auslastung von FHs zu gewährleisten mittlerweile jeden nimmt auch wenn die Person praktisch nicht die Studierfähigkeit besitzt.
Stud3nt hat geschrieben: 14.03.2025, 08:13Unsere Hochschule verfolgt klar die Strategie, rückläufige Studierendenzahlen durch internationale Studierende zu kompensieren.
Stud3nt hat geschrieben: 14.03.2025, 08:13Mein Eindruck ist, dass es der Hochschulleitung vordergründig darum geht, dass die Einschreibezahlen stimmen (...)
Soweit, so gut.

Aus obigen Zitaten wird aber eines ganz deutlich: Das große, allesbeherrschende Thema an den Fachhochschulen scheint die wachsende Sorge um sinkende Studentenzahlen zu sein. Gleichzeitig nimmt gerade die Zahl an privaten Hochschulen aber dramatisch zu.

Private Hochschulen sind profitorientierte Einrichtungen, die teilweise über die typischen Geschäftsmodelle -- Kernprinzip 'Student als zahlender Kunde' -- möglichst viele Studenten zu sich holen wollen. Hinzu kommt das typisch privatwirtschaftliche Konzept von 'Abschluss gegen Zahlung'; nicht zu vergessen der Hang, neue Trend-Fächer mit fagwürdigen Inhalten anzubieten.

Könnte die rasant zunehmende Zahl an privaten Hochschulen also in hohem Maße mitverantwortlich sein für die sich verschlechternde Situation an staatlichen Bildungseinrichtungen und letztlich für die Zustände im gesamten tertären Bildungssektor?

Oder ist vor allem der Posten "internationale Studis" an den genannten Problemen schuld, wie im anderen Thread an der einen oder anderen Stelle nahegelegt wird?
johndoe
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Re: Hochschulen: Sinkendes Niveau durch Privatisierung?

Beitrag von johndoe »

Dass fragwürdige, aber sexy klingende Studiengänge die möglicherweise guten Studenten abfangen, kann ich anekdotisch bestätigen. So war zu meiner Zeit bei einem solchen neu eingeführten Bachelor der NC irgendwo bei 1,2, während in technischen Fächern kein NC nötig war. Auch heute ist es so, dass vermeintlich soft wirkende Studiengänge besser ziehen als technische Fächer.

Allerdings weiß ich von Gesprächen mit Lehrern auch, dass dieses Problem schon vorher startet. Einerseits sinkt auch in den Schulen bereits das Niveau, andererseits werden Fächer wie Informatik in manchen Schulformen stetig reduziert. Dass dann niemand kreischend IT studiert, ist fast nachvollziehbar.
Wierus
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Re: Hochschulen: Sinkendes Niveau durch Privatisierung?

Beitrag von Wierus »

johndoe hat geschrieben: 19.03.2025, 07:57Auch heute ist es so, dass vermeintlich soft wirkende Studiengänge besser ziehen als technische Fächer.
Wobei mit "Trendfächer" nicht unbedingt "softe Studiengänge" gemeint ist. Medizin und Jura liegen seit vielen Jahrzehnten voll im Trend, sind aber alles andere als einfach.
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Re: Hochschulen: Sinkendes Niveau durch Privatisierung?

Beitrag von mm42 »

Wierus hat geschrieben: 22.03.2025, 23:33 Wobei mit "Trendfächer" nicht unbedingt "softe Studiengänge" gemeint ist. Medizin und Jura liegen seit vielen Jahrzehnten voll im Trend, sind aber alles andere als einfach.
Ist Trend nicht eher was kurzfristiges, so wie ein "Mode-Trend"?
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Re: Hochschulen: Sinkendes Niveau durch Privatisierung?

Beitrag von johndoe »

mm42 hat geschrieben: 23.03.2025, 09:18
Wierus hat geschrieben: 22.03.2025, 23:33 Wobei mit "Trendfächer" nicht unbedingt "softe Studiengänge" gemeint ist. Medizin und Jura liegen seit vielen Jahrzehnten voll im Trend, sind aber alles andere als einfach.
Ist Trend nicht eher was kurzfristiges, so wie ein "Mode-Trend"?
im engeren fachlichen Sinne beschreibt Trend eine Veränderung der Daten zum Ausgangspunkt in einer Zeitreihe. Dh auch eine negative Entwicklung ist ein Trend.

Was umgangssprachlich oft gemeint ist, ist wohl eher ein Peak.

Jedenfalls sind Medizin und Jura nach dieser Definition keine Trendfächer, wenn die Nachfrage dauerhaft hoch ist, eben weil es keine Veränderung gibt.
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Re: Hochschulen: Sinkendes Niveau durch Privatisierung?

Beitrag von Wierus »

johndoe hat geschrieben: 24.03.2025, 10:55
mm42 hat geschrieben: 23.03.2025, 09:18
Wierus hat geschrieben: 22.03.2025, 23:33 Wobei mit "Trendfächer" nicht unbedingt "softe Studiengänge" gemeint ist. Medizin und Jura liegen seit vielen Jahrzehnten voll im Trend, sind aber alles andere als einfach.
Ist Trend nicht eher was kurzfristiges, so wie ein "Mode-Trend"?
im engeren fachlichen Sinne beschreibt Trend eine Veränderung der Daten zum Ausgangspunkt in einer Zeitreihe. Dh auch eine negative Entwicklung ist ein Trend.
"Trend" ist für mich ganz umgangssprachlich das, was gerade angesagt ist. Und fragt man frisch gebackene Abiturienten -- wie ich vor kurzem das Vergnügen hatte -- dann sind Jura und Medizin definitiv angesagt.

Wobei dann Trendfach Nr. 1 BWL sein dürfte, geht man rein nach den Studierenden-Statistiken.
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Re: Hochschulen: Sinkendes Niveau durch Privatisierung?

Beitrag von Wierus »

Weil es zum Thema passt:
Wirtschaft beeinflusst Hochschulreformen

Der Publizist und langjährige Wissenschaftspolitiker Wolfgang Lieb sieht in diesen Entwicklungen eine »funktionelle Privatisierung« der öffentlichen und überwiegend staatlich finanzierten Hochschulen. Als ein Kernelement macht er dabei die seit Ende der 1990er Jahre stattfindende Implementierung von Hochschulräten aus. Die Mitglieder dieser Räte sind größtenteils hochschulexterne InteressenvertreterInnen, darunter viele ManagerInnen aus der Wirtschaft. Die Aufgaben der Hochschulräte sollen sich an den Funktionen eines Aufsichtsrates von Aktiengesellschaften orientieren. Die Einführung solcher quasi-privatwirtschaftlicher Kontrollgremien für Hochschulen steht ebenfalls im Kontext des New Public Managements und wurde insbesondere von VertreterInnen der Wirtschaft gefordert. Unterstützt wurden sie dabei von den bereits erwähnten CHE der Bertelsmann Stiftung sowie vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.

Öffentliche Hochschulen werden gewissermaßen von innen heraus privatisiert. Nachdem der Aufbau und Erfolg von privaten Hochschulen in Deutschland vor allem im Hinblick auf die Qualität der Forschung relativ bescheiden geblieben ist, werden von den BefürworterInnen der unternehmerischen Hochschule die staatlichen Hochschulen ins Visier genommen. Der zentrale Ansatzpunkt dabei ist die »Verbetriebswirtschaftlichung« der Handlungs-, Entscheidungs- und Steuerungsprozesse in den Hochschulen. Die Versuche, unter dem Titel der Governance die traditionellen Selbstverwaltungsmodelle der Universitäten durch Managementmodelle abzulösen, sind in diesem Kontext zu sehen. Gleiches gilt für die angestrebte Professionalisierung des Hochschulpersonals auf allen Managementstufen. Dies zielt insbesondere auf eine stärkere Stellung der Leitungsfunktionen, also der Dekane, Präsidenten und Rektoren – dies sind überwiegend Männer. Mancherorts sind Universitäts-Präsidenten bereits mit einer Machtfülle ausgestattet, die der von Vorstandsvorsitzenden ähnelt. Dazu passt, dass Hochschulen sich zunehmend als Marke verstehen, die es im internationalen Wettbewerb um kluge Köpfe strategisch zu positionieren gilt.

Unter dem Vorzeichen einer vermeintlichen Stärkung der Hochschulautonomie wurden zudem fast flächendeckend neue Steuerungsinstrumente wie Globalhaushalte, eigenes Berufungsrecht, Zielvereinbarungen, Qualitätsmanagement sowie die eigenständige Auflegung von Studiengängen eingeführt. Die Handlungskompetenz und -verantwortung verschoben sich damit nachhaltig von der staatlich-ministeriellen Seite zu den Hochschulen beziehungsweise ihren Leitungen.

Dem Leitbild einer unternehmerischen Hochschule setzen die Gewerkschaften das Konzept einer demokratischen und sozialen Hochschule entgegen. Es entspricht im Kern dem wissenschaftspolitischen Programm der GEW von 2009 sowie dem hochschulpolitischen Programm des DGB von 2012. Beide Programme zielen statt auf Wettbewerb und Deregulierung auf die Demokratisierung der Wissenschaft, die soziale Öffnung der Hochschulen, die Realisierung von Geschlechtergerechtigkeit sowie auf gute und faire Arbeits- und Studienbedingungen in der Wissenschaft mit planbaren und verlässlichen Berufs- und Karriereperspektiven. Diese programmatischen Eckpunkte wurden 2010 von der GEW im Rahmen des »Templiner Manifestes« zu einem 10-Punkte-Programm zur Reform der Personalstrukturen und Berufswege in Hochschule und Forschung gebündelt. Nicht zuletzt die inhaltliche Ausstrahlung dieser Programme schaffte – neben dem Engagement der vielen beteiligten KollegInnen – eine wichtige Grundlage für die erfolgreiche Durchführung der Aktionswoche zum »Traumjob Wissenschaft« im letzten Monat.

Aus dem Artikel von Michael Frey, "Privatisierung von Innen" (GEW 2015)
https://www.gew-berlin.de/aktuelles/det ... -von-innen
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Re: Hochschulen: Sinkendes Niveau durch Privatisierung?

Beitrag von Wierus »

Interessanter und vor allem aktueller Beitrag zum Thema:

https://www.agj.de/fileadmin/files/posi ... ierung.pdf
AGJ 2022 hat geschrieben:Wie entlang der ausgewiesenen Zahlen deutlich wird, muss insgesamt festgestellt werden,
dass der Anteil privater Hochschulen extrem schnell wächst (...)

Bezüglich der Ressourcenausstattung ist trotz der vorhandenen Kriterien zur Prüfung – im
Anerkennungs- wie Akkreditierungsprozess – zu beobachten, dass die jeweiligen Standorte
privater Hochschulen teils über keine oder zumindest eine nicht ausreichende Infrastruktur
verfügen. Studierende privater Hochschulen greifen somit häufig über verschiedene Wege auf
die Infrastruktur (z. B. Bibliotheken) staatlicher Hochschulen zurück, in Folge dessen es zu
einer Überlast dieser Infrastruktur sowie zu Verteilungskonflikten kommt.
Die Privatisierung des deutschen Hochschulwesens bezahlt die Allgemeinheit doppelt und dreifach. Da bleibt die Frage - wozu das alles?
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