Dissertation um jeden Preis?

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U2OS
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Dissertation um jeden Preis?

Beitrag von U2OS »

Hallo ihr Lieben!
Ich bin verzweifelt und brauche euren Rat. Meine Situation:
Ich bin bald in meinem letzten halben Jahr meiner Doktorandenzeit als Biologin. Es ist also nicht mehr viel Zeit. :(
Eine weitere Verlängerung ist nicht möglich.

Ich habe insgesamt 2 Hauptprojekte gehabt, die zusammen gerade genug Inhalt für meine Diss geben sollten.
Das erste sieht im Moment so aus, als ob es von Anfang an von meinem Betreuer ungut geplant worden ist. Ich soll jetzt (im dritten Jahr) Experimente machen, die ich besser am Anfang gemacht hätte. Dann wäre schnell klar gewesen, dass das Projekt so keine Ergebnisse liefern kann! Leider habe ich die Infos dazu damals so nicht gehab und bin deshalb selbst nicht drauf gekommen.
Bisher sieht es so aus, das mein erstes Hauptprojekt keine wirklichen Ergebnisse liefern kann und ich auch nichts an neuen Ergkenntnissen daraus gewinnen kann. :( :( :(
Das ist auch für mich sehr enttäuschend, ich habe viel Zeit und Mühe dort hineingesteckt.

Das zweite Hauptprojekt hab ich erst in meinem zweiten Jahr angefangen und es ging einfach nicht gut voran. Es war molekularbiologisch und manchmal klappt dort auch einfach etwas nicht, da hat keiner Schuld dran. Es ist einfach manchmal nicht realisierbar. Nun habe ich dort bei einem Zwischenschritt aufgehört. Von dort aus werde ich mit dem derzeitigen Ansatz keine Ergebnisse bekommen. Da hätte ich zu einem früheren Zeipunkt, einen anderen Weg wählen müssen. Das wollte mein Betreuer aber nicht, da er es für einen zu großen Zeitverlust hielt. Ich hätte alles neu planen müssen, was durchaus ein paar Wochen in Anspruch genommen hätte.
Mein Betreuer hat kein Backup Projekt für mich, das habe ich schon mehrfach versucht in Gang zu bringen. Mein zweiter Betreuer hat es letztes Jahr auch angesprochen, doch mein erster Betreuer hat das ignoriert. Er hat wohl kein Backup Projekt....
Ein Gespräch gibt es mit meinen beiden Betreuern wohl in den nächsten Wochen nach Ostern. Darauf will ich mich gut vorbereiten und hoffe deshalb auf eure Expertise.

Ich weiß nicht, ob ich meine Dissertation beenden kann und mit den wenigen Ergebnissen überhaupt will. Ich habe viel Arbeit hineingesteckt, doch das Projekt ist nicht in der Lage genug Ergebnisse zu liefern.
Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich diese Dissertation beenden !möchte!, da die Ergebnisslage so schlecht ist und es mittlerweile einige kleine Experimente gibt, die auch nicht geklappt haben. Mein Betreuer ist leider fachfremd und somit war es manchmal etwas anstrengend, ihn davon zu überzeugen, dass die kleinen Experimente so durchgeführt nicht die Ergebnisse liefern können, die er aber trotzdem so durchgeführt haben wollte.
Es gibt nur ein paar sehr kleine Experimente, die das Hauptprojekt untermauern sollten, die gut aussahen. Das wäre aber von der Menge her eher für eine Bacheloarbeit zu gebrauchen...

Habt ihr vielleicht Tipps für mich? War jemand in einer ähnliches Situation? Könnte ich zB. in einem anderen Institut noch mal eine Dissertation starten?
Kann man eine Dissertation überhaupt machen, wenn man keine Ergebnisse hat? Nicht mal die Methoden sind in irgendeiner Weise neu... ich bin nur noch frustriert!

Viele Grüße und danke für eure Hilfe!!
:blume:
daherrdoggda
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Re: Dissertation um jeden Preis?

Beitrag von daherrdoggda »

Wie laufen denn die anderen Projekte in der Gruppe? Kannst du bei einem aussichtsreichen Projekt mithelfen und dann wenigstens als Co-Autor mit auf ein paper? So haben das Kollegen gemacht, bei denen das eigene Projekt auch nicht so gut lief wie erhofft.
johndoe
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Re: Dissertation um jeden Preis?

Beitrag von johndoe »

Nüchtern betrachtet ist kein Ergebnis auch ein Ergebnis. Dh du hast wissenschaftlich demonstriert, dass mit bestimmen Methoden/Experimenten keine signifikanten neuen Zusammenhänge, Muster, Lösungen etc. Gefunden werden können. Das ist ja nicht nichts, sondern hilft anderen Forschern auch weiter.

Also einen Forschungsartikel ist es allemal wert.

Ob es allerdings konkret als Diss durchgeht und ob man nicht vermeidbare methodische Schwächen ankreiden könnte (tust du ja selbst, auch wenn wohl dein Betreuer dafür verantwortlich ist), ist eine Frage, die nur deine Fakultät beantworten kann.
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Re: Dissertation um jeden Preis?

Beitrag von Wierus »

Für eine Biologin ist der Doktorgrad schon eine beruflich äußerst entscheidende Sache, da fühle ich dir in deiner aktuellen Verzweiflungn nach.

Ich stimme johndoe zu: Viel wichtiger als die Ergebnisse ist in meinen Augen, wie du damit umgehst. Ich würde an deiner Stelle den Diskussionsteil auf ein Fünftel oder gar ein Viertel der Diss aufblähen und darin detailliert die Vor- und Nachteile bestimmter von dir verwendeter Methoden, Materialien und Forschungsansätze diskutieren.

Niemand hat dir gesagt, dass deine Versuche am Ende zu positiven Ergebnissen führen müssen, oder etwa doch?
U2OS
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Re: Dissertation um jeden Preis?

Beitrag von U2OS »

@daherrdoggda
Leider kann ich das nicht, in meiner kleinen Arbeitsgruppe läuft gerade kein Projekt wirklich gut, der andere Doktorand hat wohl ein ähnlichs Problem...wäre sonst eine gute Idee gewesen!

@johndoe
Genau das ist mein Problem. Leider glaube ich nicht, dass das Resultat Wissenschaftlern helfen wird. Es handelt sich um einen GVO, der sonst nur in einem anderen Institut (wo er auch erstellt wurde) existiert. Damit wurde zwar vor vielen Jahren sogar mal was publiziert, aber da der GVO seine eigentliche Funktion nicht mehr korrekt erfüllen kann, ist das ganze Projekt fraglich.

@Wierus
Ist in so einem Fall der Doktortitel wichtiger als die Qualität der Diss? Ich habe das gefühl, mit dem wenigen, was ich habe, nicht wirklich was Gutes zustande zu bringen.
Ich würde fast lieber eine neue Diss wo anderes anfangen, mit einem Thema, das mir besser liegt.

Vielen Dank schon mal für eure Antworten!
Wierus
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Re: Dissertation um jeden Preis?

Beitrag von Wierus »

U2OS hat geschrieben: ↑13.04.2023, 20:50@Wierus
Ist in so einem Fall der Doktortitel wichtiger als die Qualität der Diss? Ich habe das gefühl, mit dem wenigen, was ich habe, nicht wirklich was Gutes zustande zu bringen.
Ich würde fast lieber eine neue Diss wo anderes anfangen, mit einem Thema, das mir besser liegt.
Die Aufgabe jeder Dissertaion ist es, nachzuweisen, ob du selbständig wissenschaftlich arbeiten kannst. Zur Wissenschaft gehören auch ergebnislose Versuche bzw. Thesen, die sich mit bestimmten Methoden nicht bestätigen lassen. Das sauber darzulegen und Irrwege bzw. unzureichende Methoden zu diskutieren ist 'wissenschaftliche Forschung'.

Aber ja, wenn du die Möglichkeit hast, Betreuer+Thema zu wechseln, um ein Projekt zu starten das mit großer Wahrsscheinlichkeit bessere Ergebnisse erzielen wird, dann mach das. Es ist ja nicht gesagt, dass dein jetziger DV so ein hehres Wissenschaftsverständnis hat, wie ich es oben skizziert habe.
Anira
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Re: Dissertation um jeden Preis?

Beitrag von Anira »

Hallo U2OS,
Ich kann dich sehr gut verstehen. Wir kommen aus einem ähnlichen Gebiet und ich hatte auch sehr sehr ähnliche Probleme und kein so richtiges Projekt und überhaupt. Auch meine Betreuungslage war häufig schwierig, da der eine auch nicht so viel Expertise hatte. Ich hatte sehr viele ähnliche Gedanken wie du.
Letztlich habe ich es aber trotzdem irgendwie geschafft, mit meinen grottigen Daten akzeptabel zu publizieren und es dann schließlich auch geschafft, eine Dissertation draus zu schreiben und abzugeben.
Die Verteidigung steht noch aus.
Ich finde meine Diss nicht gut und ehrlich gesagt hatte ich auch echt Angst, durchzufallen. Bin ich aber offenbar nicht, denn ich wurde zur Verteidigung eingeladen. Die Gutachten durfte ich leider noch nicht sehen.
Ich verstehe, dass du eigentlich gar nicht abgegeben möchtest. Wollte ich auch nicht, weil es halt echt nicht gut ist.
Nochmal neu anfangen hätte ich ganz sicher aber auch nicht gewollt! Ich war und bin also irgendwann an einem Punkt gewesen, wo ich einfach nur irgendwas abgegeben wollte. So viele Jahre für gar nichts, nicht mal den Titel, fand ich dann auch blöd. Also hoffe ich jetzt, dass ich mir demnächst zumindest den Titel abholen darf und dann hoffe ich, dass niemand mehr mein Paper oder meine Diss liest. Ich tröste mich damit, dass es auch andere schlechte Paper gibt.
Frustrierend ist es natürlich schon, denn auch ich habe viel Arbeit und auch mal Herzblut reingesteckt.
Und auch die Vorbereitung der Verteidigung ist absolut kein Zuckerschlecken wenn man so unzufrieden mit dem Ergebnis ist. Aber ich muss es irgendwie hinkriegen, auch wenn mir die gleichen Zweifel wie damals beim Schreiben wieder hochkommen und ich mich ziemlich mies fühle, sowas schlechtes als Diss zu verkaufen.
Würdest du denn wirklich nochmal von vorn anfangen wollen? Es garantiert dir ja auch niemand, dass es dann besser wird! Ich hätte das sicher nicht gewollt, sondern hätte dann halt die Hoffnung auf einen Dr. an den Nagel gehängt. Gibt auch schlimmeres. Auch in der Biologie ist eine Promotion keine "Pflicht" und ich hatte viele Vorstellungsgespräche, bei denen meine Promotion eigentlich gar nicht so gut ankam. Und natürlich hatte ich auch Gespräche, die eigentlich jemanden mit schon richtiger Post Doc-Erfahrung wollten (und die selbstverständlich auch besser bezahlt hätten, klar).
Ich weiß nicht, ob das deine große Angst ist und sicher ist in dem Bereich die Jobsuche üblicherweise frustrierender als z.B. in der IT, aber nach einigen Bewerbungen und Gesprächen hatte schlussendlich auch ich zwei akzeptable unbefristete Angebote. Die Stellen, wo eigentlich noch Post Doc-Erfahrung gewünscht war, wären sicher spannender und auch besser bezahlt gewesen, aber ein Post Doc wollte ich nach dieser furchtbaren Erfahrung in der Doktorarbeit nun echt nicht mehr anschließen!
Ich denke daher, dass es am sinnvollsten ist, deinen Kram einfach irgendwie zusammenzuschreiben, sofern das hoffentlich möglich ist, dir zumindest noch den Titel zu holen (und sei es nur ein rite) und dir dann einen Job möglichst außerhalb der Wissenschaft zu suchen, wo der Inhalt deiner Arbeit weniger wichtig ist. Ich hoffe einfach, dass in spätestens 3 Jahren kein Hahn mehr nach den genauen Inhalten kräht, aber den Titel zu haben, schadet auch eher nichts. Insbesondere wenn man ja viel Zeit reingesteckt hat.
Auch wenn ich verstehe, dass auch das Zusammensvhreiben mit schlechten, inkonsistenten Ergebnissen und kritikwürdigen Methoden keinen Spaß macht und auch bei der Vorbereitung der Verteidigung man einfach schier verzweifelt.
Viel Erfolg dir, egal welche Entscheidung du triffst!
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