Re: FH-Professur - Erfahrungen, Bewerbungstipps und Austausch V - ab 2022
Verfasst: 09.10.2022, 22:12
mashdoc hat geschrieben:
> a) Zuallererst: hätte ich vor all den Jahren gewusst, auf welche
> Bewerbungsprozesse ich mich einlasse, hätte ich den Weg nicht
> eingeschlagen.
Dieser Beitrag hat mich persönlich angesprochen und motiviert mich nun auch hier für einen Beitrag zu registrieren - war schon oft stiller Mitleser und habe viel von den Beiträgen profitiert, daher erstmal Dank in die Runde!
Ich habe dieses ganze Abenteuer vor mehr als drei Jahren begonnen und vor kurzem (nach langer Zeit unerwartet) die Information über den 1. Listenplatz bekommen, für eine Stelle, die mir anfangs wirklich perfekt wirkte. Habe mich kurz gefreut, noch am selben Tag dankend abgesagt und hoffe, dass der Zweitplatzierte sich jetzt freut. Das Thema FH-Professur in Deutschland ist für mich beendet, war es eigentlich schon vor Monaten, aber der Schlussstrich fehlte noch.
Ich bin hier vielleicht kein ganz typischer Kandidat. Mit sehr viel Berufserfahrung in einem gefragten MINT-Fach wollte ich mich einfach verändern, weil beruflich immer mehr ausgebrannt und immer schon sehr an Lehre interessiert. Stamme nicht ursprünglich aus Deutschland und war dementsprechend null an deutschen Hochschulen vernetzt, ich hatte einfach keine Ahnung wie es dort läuft. Ich hatte das Ganze naiv auf gut Glück probiert, natürlich mit ernsthafter Vorbereitung, aber insgesamt entspannt, weil ich beruflich zwar nicht glücklich aber gut positioniert war und bin.
Über die Erfahrungen könnte ich wahrscheinlich einen Abend lang labern, aber ganz kurz gesagt: von wenigen Ausnahmen abgesehen bin ich schockiert, wie sehr ich mit dieser Beschreibung von mashdoc übereinstimme:
> Zu groß war der Frust ob des immensen Nepotismus, der Diskriminierung und der sehr vielen abgekarteten Berufungsverfahren.
Mit riesengroßer Bürokratie hatte ich gerechnet, soviel war mir schon klar, immerhin sind deutsche Hochschulen Ämter. Aber dass die so mühseligen Verfahren oft nur pro forma abgehalten wurden um Wunschbesetzungen abzustempeln hatte ich nicht erwartet, auch zumal ja dauernd gejammert wird wie schwierig es ist Professuren zu besetzen! Noch viel weniger hatte ich erwartet wie leicht man die Information darüber bekommen konnte. Sekretärinnen, Professoren, Studenten plapperten schon mal freudig drauflos, wenn man nur freundlich ins Gespräch kam. Hier nur ein paar (paraphrasierte) Zitate:
- "Die sind froh dass sie wenigstens einen Ausländer in der Liste haben, Frauen haben sich nämlich gar keine gemeldet, jetzt haben wir einen Dreiervorschlag"
- "Wir haben gar nicht erwartet dass Sie das ernsthaft wollen" (warum sollte ich mir das sonst antun?!)
- (ich fragte telefonisch nach dem Grund für eine Absage wegen "nicht ausreichender Unterlagen") - "Sie haben kein mehrseitiges Lehr- und Forschungskonzept abgegeben." - "Aha, aber das war in der Ausschreibung definitiv nicht gefragt?" - "Oh, naja, kann man nichts machen, schönen Tag noch"
- "Ihr Vortrag war super, eigentlich schade..." - (verwunderte Reaktion meinerseits) - "Ach wissen Sie nicht? Jeder hier weiß doch dass es Dr. X wird." (es wurde Dr. X)
- "Für ausländische Absolventen verlangen wir ein Anerkennungsverfahren" - (Nachfrage meinerseits, was dieses Verfahren sein soll und wie es abläuft - mein Abschluss stammt aus der EU von einer tadellosen Uni und ist ein blütenreiner Anabin-Standardfall) - "Weiß ich jetzt nicht genau, aber es ist sehr sehr aufwändig, überlegen Sie sich doch ob das lohnt". Das war *nach* dem Vorsingen!?
Weitere Highlights:
- Soweit ich sehen konnte war in meinen BKs kein einziges nichtdeutsches Mitglied (eventuell 1-2 mit "Migrationshintergrund"), egal ob an großen städtischen FHs oder solchen in der Provinz.
- "Sind Sie denn mit der Forschung von Prof. Y zu diesem Thema vertraut?" - "Nein, leider." - "Das ist aber enttäuschend, Sie hätten sich vorbereiten müssen." (Den besagten FH-Prof. Y musste ich erst nachgoogeln: er ist im Feld weithin unbekannt, hatte in den letzten zehn Jahren eine kleine Handvoll Publikationen in bestenfalls drittklassigen Journals als Zweit- oder Drittautor, und dass das für diese Stelle an einer eher provinziellen FH relevant sein sollte war nie ein Thema.)
- In den mir bekannten Fällen erfüllten alle "Gewinner" nur mit doppeltem Augenzudrücken und viel kreativer Auslegung die Mindesterfordernis an Praxiserfahrung. Wunderte mich aber nicht, immerhin hatte ich ja schon vorher etwas recherchiert und Lebensläufe von Professoren gesehen.
- Ein Mitglied der BK wollte meine Englischfähigkeiten testen und brachte keinen einzigen halbwegs grammatischen englischen Satz heraus, vom grauenhaften Akzent mal abgesehen. Es war zum Fremdschämen.
- Ein paar Studenten kontaktierten mich nach dem Vorsingen wegen Jobs bei meinem Arbeitgeber (auf Linkedin). Das war nicht völlig überraschend und durchaus erfreulich. Etwas überraschender aber: ebenso tat es Monate später ein Professor...nämlich genau jener, der als Auskunftsperson für die Stelle diente.
Ich will die Erfahrung nicht missen, aber enttäuscht bin ich nach der ganzen Anstrengung ehrlich gesagt schon. Meine Vorstellungen von deutschen Hochschulen waren wohl verklärt. Klar, es sind "nur" FHs, aber doch...natürlich kann es großes Pech sein, ich hatte ja nur eine begrenzte Stichprobe (wenn auch halbwegs über Deutschland verteilt)...der Eindruck bleibt.
Für meine Branche frage ich mich nun noch mehr: welche Leute lehren da? Wenn man in der Privatwirtschaft (wo die Gehälter in meinem Feld weit höher sind) solche Verfahren hätte, kriegte man wirklich nur den Bodensatz der Kandidaten. Wir mühen uns die besten Leute zu locken und können uns trotz bekannter Marke nicht leisten, so mit den Bewerbern umzuspringen. Klar, wir verbeamten nicht und der Idealismus-Faktor fällt auch weg (ich hoffe doch dass viele FH-Profs ehrlich für das Thema und die Lehre brennen)...aber wie will man so wirklich gute Leute aus der Praxis reinbringen?
Ich will hier niemand demotivieren, außer vielleicht Leute die in genau meiner Situation sind und sich das zu einfach vorstellen. Man muss einfach sehr viel Zeit investieren, Networking betreiben, und sollte eine andere Karriereoption weiter pflegen. Im Laufe der Bewerbungen kann es nämlich auch so kommen, dass man die Lust auf eine FH-Professur gründlich verliert.
Ach ja, alle meine Erfahrungen beziehen sich auf staatliche FHs. Habe mich an privaten erst gar nicht beworben, keine Ahnung ob und wie es dort ist.
> a) Zuallererst: hätte ich vor all den Jahren gewusst, auf welche
> Bewerbungsprozesse ich mich einlasse, hätte ich den Weg nicht
> eingeschlagen.
Dieser Beitrag hat mich persönlich angesprochen und motiviert mich nun auch hier für einen Beitrag zu registrieren - war schon oft stiller Mitleser und habe viel von den Beiträgen profitiert, daher erstmal Dank in die Runde!
Ich habe dieses ganze Abenteuer vor mehr als drei Jahren begonnen und vor kurzem (nach langer Zeit unerwartet) die Information über den 1. Listenplatz bekommen, für eine Stelle, die mir anfangs wirklich perfekt wirkte. Habe mich kurz gefreut, noch am selben Tag dankend abgesagt und hoffe, dass der Zweitplatzierte sich jetzt freut. Das Thema FH-Professur in Deutschland ist für mich beendet, war es eigentlich schon vor Monaten, aber der Schlussstrich fehlte noch.
Ich bin hier vielleicht kein ganz typischer Kandidat. Mit sehr viel Berufserfahrung in einem gefragten MINT-Fach wollte ich mich einfach verändern, weil beruflich immer mehr ausgebrannt und immer schon sehr an Lehre interessiert. Stamme nicht ursprünglich aus Deutschland und war dementsprechend null an deutschen Hochschulen vernetzt, ich hatte einfach keine Ahnung wie es dort läuft. Ich hatte das Ganze naiv auf gut Glück probiert, natürlich mit ernsthafter Vorbereitung, aber insgesamt entspannt, weil ich beruflich zwar nicht glücklich aber gut positioniert war und bin.
Über die Erfahrungen könnte ich wahrscheinlich einen Abend lang labern, aber ganz kurz gesagt: von wenigen Ausnahmen abgesehen bin ich schockiert, wie sehr ich mit dieser Beschreibung von mashdoc übereinstimme:
> Zu groß war der Frust ob des immensen Nepotismus, der Diskriminierung und der sehr vielen abgekarteten Berufungsverfahren.
Mit riesengroßer Bürokratie hatte ich gerechnet, soviel war mir schon klar, immerhin sind deutsche Hochschulen Ämter. Aber dass die so mühseligen Verfahren oft nur pro forma abgehalten wurden um Wunschbesetzungen abzustempeln hatte ich nicht erwartet, auch zumal ja dauernd gejammert wird wie schwierig es ist Professuren zu besetzen! Noch viel weniger hatte ich erwartet wie leicht man die Information darüber bekommen konnte. Sekretärinnen, Professoren, Studenten plapperten schon mal freudig drauflos, wenn man nur freundlich ins Gespräch kam. Hier nur ein paar (paraphrasierte) Zitate:
- "Die sind froh dass sie wenigstens einen Ausländer in der Liste haben, Frauen haben sich nämlich gar keine gemeldet, jetzt haben wir einen Dreiervorschlag"
- "Wir haben gar nicht erwartet dass Sie das ernsthaft wollen" (warum sollte ich mir das sonst antun?!)
- (ich fragte telefonisch nach dem Grund für eine Absage wegen "nicht ausreichender Unterlagen") - "Sie haben kein mehrseitiges Lehr- und Forschungskonzept abgegeben." - "Aha, aber das war in der Ausschreibung definitiv nicht gefragt?" - "Oh, naja, kann man nichts machen, schönen Tag noch"
- "Ihr Vortrag war super, eigentlich schade..." - (verwunderte Reaktion meinerseits) - "Ach wissen Sie nicht? Jeder hier weiß doch dass es Dr. X wird." (es wurde Dr. X)
- "Für ausländische Absolventen verlangen wir ein Anerkennungsverfahren" - (Nachfrage meinerseits, was dieses Verfahren sein soll und wie es abläuft - mein Abschluss stammt aus der EU von einer tadellosen Uni und ist ein blütenreiner Anabin-Standardfall) - "Weiß ich jetzt nicht genau, aber es ist sehr sehr aufwändig, überlegen Sie sich doch ob das lohnt". Das war *nach* dem Vorsingen!?
Weitere Highlights:
- Soweit ich sehen konnte war in meinen BKs kein einziges nichtdeutsches Mitglied (eventuell 1-2 mit "Migrationshintergrund"), egal ob an großen städtischen FHs oder solchen in der Provinz.
- "Sind Sie denn mit der Forschung von Prof. Y zu diesem Thema vertraut?" - "Nein, leider." - "Das ist aber enttäuschend, Sie hätten sich vorbereiten müssen." (Den besagten FH-Prof. Y musste ich erst nachgoogeln: er ist im Feld weithin unbekannt, hatte in den letzten zehn Jahren eine kleine Handvoll Publikationen in bestenfalls drittklassigen Journals als Zweit- oder Drittautor, und dass das für diese Stelle an einer eher provinziellen FH relevant sein sollte war nie ein Thema.)
- In den mir bekannten Fällen erfüllten alle "Gewinner" nur mit doppeltem Augenzudrücken und viel kreativer Auslegung die Mindesterfordernis an Praxiserfahrung. Wunderte mich aber nicht, immerhin hatte ich ja schon vorher etwas recherchiert und Lebensläufe von Professoren gesehen.
- Ein Mitglied der BK wollte meine Englischfähigkeiten testen und brachte keinen einzigen halbwegs grammatischen englischen Satz heraus, vom grauenhaften Akzent mal abgesehen. Es war zum Fremdschämen.
- Ein paar Studenten kontaktierten mich nach dem Vorsingen wegen Jobs bei meinem Arbeitgeber (auf Linkedin). Das war nicht völlig überraschend und durchaus erfreulich. Etwas überraschender aber: ebenso tat es Monate später ein Professor...nämlich genau jener, der als Auskunftsperson für die Stelle diente.
Ich will die Erfahrung nicht missen, aber enttäuscht bin ich nach der ganzen Anstrengung ehrlich gesagt schon. Meine Vorstellungen von deutschen Hochschulen waren wohl verklärt. Klar, es sind "nur" FHs, aber doch...natürlich kann es großes Pech sein, ich hatte ja nur eine begrenzte Stichprobe (wenn auch halbwegs über Deutschland verteilt)...der Eindruck bleibt.
Für meine Branche frage ich mich nun noch mehr: welche Leute lehren da? Wenn man in der Privatwirtschaft (wo die Gehälter in meinem Feld weit höher sind) solche Verfahren hätte, kriegte man wirklich nur den Bodensatz der Kandidaten. Wir mühen uns die besten Leute zu locken und können uns trotz bekannter Marke nicht leisten, so mit den Bewerbern umzuspringen. Klar, wir verbeamten nicht und der Idealismus-Faktor fällt auch weg (ich hoffe doch dass viele FH-Profs ehrlich für das Thema und die Lehre brennen)...aber wie will man so wirklich gute Leute aus der Praxis reinbringen?
Ich will hier niemand demotivieren, außer vielleicht Leute die in genau meiner Situation sind und sich das zu einfach vorstellen. Man muss einfach sehr viel Zeit investieren, Networking betreiben, und sollte eine andere Karriereoption weiter pflegen. Im Laufe der Bewerbungen kann es nämlich auch so kommen, dass man die Lust auf eine FH-Professur gründlich verliert.
Ach ja, alle meine Erfahrungen beziehen sich auf staatliche FHs. Habe mich an privaten erst gar nicht beworben, keine Ahnung ob und wie es dort ist.