Resignation und Frust

Wierus
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Re: Resignation und Frust

Beitrag von Wierus »

Prinzenrolle hat geschrieben: ↑12.04.2021, 10:38Egal mit wem ich spreche (im privaten Kreis), alle raten mir zu kündigen, sich das Jahr für die Diss zu nehmen und dann Glücklich mit einem Job in der Wirtschaft zu werden. Ich neige immer mehr dazu, trotz der Sorgen, ob ich mit mehr Freiraum überhaupt eine Diss fertigbringen würde. Aber wenn ich das selbst im "Schnelldurchgang" und 100% meiner Zeit nicht schaffe, würde ich es ja auch nicht in 100 Jahren am Lehrstuhl schaffen - die Erkenntnis käme nun - wenn auch sowieso sehr spät - durch eine Kündigung früher. Dabei hab ich aber auch Sorge irgendwas zu übersehen, wie bspw. neue Steine die ich durch eine Kündigung mir selbst in den Weg lege.. sei es durch meinen Doktorvater, der dann evtl. noch schlechter erreichbar wäre, verwässernde Kontakte, Probleme als "Otto Normal" passende Unternehmen zur Validierung zu finden, etc.
Welches Bauchgefühl hast du denn, wenn dir deine Freunde und Bekannten zur Kündigung raten? Wenn du dich lange genug ohne diesen Job finanzieren kannst oder gar rundweg finanziell abgesichert bist, dann mach das, um deine Diss in Ruhe fertig zu stellen.

Mein Rat an dich: Mach die Diss zum absoluten Mittelpunkt deines Forscherdaseins, lass alles andere (außer dem regelmäßigen Sport vielleicht) weit in den Hintergrund treten. Denn immerhin hast du ja genug berufliche Referenzen/praktische Erfahrung angesammelt, kannst dich jetzt also frohen Mutes für 2-3 Jahre voll auf den Abschluss deiner Promotion konzentrieren.
Denkerin
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Re: Resignation und Frust

Beitrag von Denkerin »

Mir hat es (auf die Diss bezogen aber auch eigentlich auf alles andere im Leben) geholfen, daran zu denken, dass die allerwenigsten Entscheidungen wirklich irreversibel sind. Man denkt ja zuerst immer erstmal: Oh Gott, wenn ich das jetzt mache und sich das dann später als falsch rausstellt, dann habe ich mein ganzes Leben versaut! (oder so ähnlich). Aber das ist es ja ganz selten. Klar sollte man seine Entscheidungen gut abwägen, aber irgendwann hat man ja alle rationalen Fakten schon aufgezählt und manchmal halten sich pro und contra die Waage. Dann muss man in sich reinhören und nach Gefühl entscheiden. Jede Entscheidung bringt auch was Gutes mit sich.

Jetzt mal anhand deiner Situation (also nur meine Meinung): Du hast ja deutlich gemacht, dass du dich im Kern gerne mit deiner Diss beschäftigst und einfach das Gefühl hast, mehr Zeit ungestört mit ihr verbringen zu müssen, damit du sie schaffst. Die Finanzierung im Hintergrund (deine bessere Hälfte) wäre gesichert. Dann versuche es doch mal. Kündige deinen Job und schau, ob es dir gut tut. Das war ja auch deine erste Intention, wenn ich das richtig verstanden habe. Erst danach kommen die Zweifel (die ich und viele hier sicher auch super gut kennen): Was, wenn es eigentlich nicht an der fehlenden Zeit liegt, sondern daran, dass ich zu faul/zu dumm/das Thema nicht Diss-würdig ist? Ich würde jetzt mal vermuten, dass es nicht an diesen Sachen liegt, sondern dass dein erstes Gefühl schon richtig war (die ersten Gefühle sind meistens die richtigen). Mir würde es in deiner Situation auch helfen, mir zu sagen: Wenn es doch aus irgendeinem Grund dann in der Vollzeit-Promotion nicht klappt, kannst du dir immer noch einen Job in Teilzeit in der Wirtschaft suchen o.Ä. Da hast du dir dann keine Tür unwiderruflich zugeschlagen!

Irgendwie haben viele von uns nur verlernt, auf unsere Gefühle zu hören...
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Re: Resignation und Frust

Beitrag von Prinzenrolle »

Hallo zusammen,

nochmal vielen Dank für Eure Ratschläge. Ich hatte mich mit meinem Doktorvater ausgetauscht und eine längere Zeit nur für meine Doktorarbeit freigesprochen bekommen. Damals hatte ich mir gesagt, dass ich diesen Zeitraum für mich nutze, um Klarheit zu bekommen, meine Diss zu strukturieren, Text zu verfassen und danach zu schauen, wie ich voran gekommen bin.

Und so war es auch - ich habe die Zeit gut nutzen können, um nun genau zu wissen was noch ansteht. Viel Fleißarbeit und einige noch "offene" Punkte in die ich Hirnschmalz investieren muss, aber nichts, was nicht zu schaffen wäre. Außer: Die Arbeit.

Nach meinem Gespräch mit meinem Doktorvater hatte ich die Hoffnung, dass ich nun gut mein Alltagsgeschäft mit der Diss verbinden könnte. Ich habe ihm sogar erzählt, dass ich stressbedingt in der ersten Jahreshälfte für ein paar Tage ins Krankenhaus musste. Und nun kam letzte Woche plötzlich die Anfrage, ob ich für ein "sehr wichtiges, für unseren Standort sehr bedeutsamen" Projektantrag mitwirken könnte. Ich kenne mich ja nun aus und übersetzt heisst das für mich, dass ich bis Anfang 2022 meine Diss fast vergessen kann. Zugegeben fällt es mir oft auch noch schwer von solchen Projekten loszulassen bzw. ich bin dann mit dem Kopf immer bei dem Antrag und schaff es nicht so gut dann zu switchen, um für die Diss was zu machen. Dieses zwischen den Stühlen sitzen macht mich ganz kirre und an manchen Tagen werde ich dadurch super unproduktiv, weil ich dann gar nichts richtig anfange, sondern nur ein wenig Tagesgeschäft abarbeite. Diese neuen Anträge interessieren mich auch null. Es macht mir keinen Spaß, falls der Antrag bewilligt werden sollte, habe ich eh nix davon und ich muss mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten, mit denen ich themenbedingt selten Kontakt hatte und die ich auch einfach persönlich nicht leiden kann.
Diese parallelen Mammut-Projekte fressen mich auf, zumal eines davon ja mein privates Projekt ist, das ich unbedingt schaffen will.

Und neben diesem Antrag laufen noch zwei andere in die ich irgendwie reingerutscht bin, weil ich ja so erfahren bin und die Neulinge da einarbeiten muss. Oft ist es aber auch so, dass wenn ich mich aktiv abgrenze, einfach zusehen muss wie andere Anträge, die ich wirklich cool finde, dann nicht laufen und dann hänge ich doch wieder drin - da sehe ich bei mir persönlich auch noch einen Abnabelungsprozess vor mir - nur muss ich den jetzt unbedingt durchziehen zu Lasten meiner Diss? Oder im neuen Job dann weiter an mir arbeiten, aber sicherlich zufriedener?

Zu diesem Prozess gehört wahrscheinlich auch, dass ich nun kündigen sollte. Ich will nicht wieder Monate warten, weil "nach diesen Anträgen habe ich dann bestimmt Zeit". Das klappt ja nie. Ich habe schon nach Kündigungsfristen gegoogelt und überlege ernsthaft, wie ich das meinem Doktorvater erzählen soll, wo er mich ja gerade für ein "sehr wichtiges" Projekt einsetzen wollte. Er ist eigentlich sehr fair und wenn ich mit ihm darüber spreche, gäbe es bestimmt Lösungen. Aber die sind nach ein paar Wochen sowieso wieder vergessen.

Hat jemand Erfahrungen mit solchen Gesprächen mit dem Doktorvater? Ich sorge mich, dass ich später Nachteile dadurch habe bei der Prüfung bzw. Benotung - auch wenn dies vielleicht nur unbewusst passiert. Und gleichzeitig fühle ich mich schlecht, weil ein Teil sicherlich auch an mir liegt, da ich mich nicht richtig abgrenzen kann und diese Unzulänglichkeit auf den Lehrstuhl schiebe..

Liebe Grüße
Prinzenrolle
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