Die Frage war anfangs, welche Probleme wir nach der Promotion hatten und wie wir unseren Weg gefunden haben.
Dann berichte ich mal - ich hatte vor längerer Zeit auch schonmal einen "Jammerthread" gemacht, nachdem ich direkt nach der Abgabe der Diss bei einem Mittelständler angefangen habe - das ist jetzt 2 Jahre her. Bin BWLer, der zu bestimmten branchenspezifischen Prozessen promoviert hat, die auch für die Produkte eben dieses mittelständischen Unternehmens zentral sind. Dementsprechend war auch der Bewerbungsprozess nicht so wild, da klar war, dass man das Wissen "brauchen" bzw. wirtschaftlich nutzen konnte. Ist allerdings alles recht spezifisch, mehr Details zu Branche etc. möchte ich nicht schreiben.
Schlimm war:
- Ich durfte NULL selbst entscheiden und musste jede, wirklich jede Kleinigkeit "absegnen" lassen. Extrem frustrierend. Ein eigenes Projekt am Anfang waren z.B. die Formulierung von Texten für Werbeflyer...
- Viel Kommunikation ist total an mir vorbeigelaufen, das wurde dann von den "Alteingesessenen" über die Köpfe wegentschieden.
Nunja, das hat mich so frustriert, dass ich meinen Job am liebsten gleich hingeschmissen hätte und mich auch beworben habe. Habe 6 Bewerbungen rausgeschickt, davon 1 Telefoninterview bekommen, in dem dann darauf rumgeritten wurde, warum ich so früh das Handtuch werfen will und ob ich nicht lieber wieder in die Uni will, wenn Wirtschaft nix für mich ist + ein ganz nettes Vorstellungsgespräch, nach dem mir schlussendlich eine befristete Stelle angeboten wurde ("Vorstandsentscheidung, aber es ist toooooooodsicher, dass die Stelle entfristet wird"). Na klar. Hab dann direkt selbst abgesagt und mir selbst gesagt, dass ich das jetzt noch ein wenig durchziehen muss bei dem Mittelständler.
Ich habe mir überlegt, dass eine der positiven Seiten meines Jobs ist, dass er unbefristet und recht sicher ist + Dass ich Kolleginnen/Kollegen habe, die nicht nur nett, sondern auch ziemlich kompetent sind. Also habe ich bei allem Unmut versucht wenigstens im Rahmen meines Arbeitsverhältnisses verschiedene Dinge in einem sicheren Rahmen auszuprobieren (die Verantwortung hatten ja die Alteingesessenen, da ich eh alles absegnen lassen musste). Also bin ich mit dem Vertrieb mitgefahren, habe Vorschläge für Zusatzprojekte gemacht etc.
Ergebnis - suboptimal:
Mir wurde immer von meinem Chef im letzten Moment "hineingegrätscht" oder er hat die Aufgabe übernommen, wenn sie interessant/erfolgsversprechend war.
ABER:
Ich habe in der Zeit mehr und mehr herausgefunden, was ich gut kann, nämlich als Fachexperte beim Vertrieb mitzugehen. Die Vertriebler waren happy, da die Kunden meistens auch einen Experten am Tisch sitzen haben und nun ich mich ins Gespräch einklinken konnte, wenn die Fachfragen losgingen. Zudem kam das auch bei potentiellen Kunden gut an und mir hat es Spaß gemacht, da die Kunden eigentlich immer jemanden mit an den Tisch gesetzt hatten, mit denen der fachliche Austausch anspruchsvoll und interessant war - also auch von Unterforderung auf meiner Seite keine Spur. Vielleicht nicht immer wissenschaftlich-systematisch, aber zumindest immer Austausch mit Personen, die ihr Geschäft verstehen. Und schön für das Ego ist es auch, wenn man wieder - wie früher an der Uni - merkt, dass man etwas richtig gut kann
.
Ausgehend von diesen Erfahrungen habe ich dann den Mut gefasst und mich erneut beworben. Allerdings nicht auf eine technische Vertriebsstelle (das wäre der erste Plan gewesen), sondern auf eine produktentwicklungs-nahe Stelle, auch wieder in der Branche, in der ich bereits gearbeitet hatte. Dieses Mal aber nicht bei einem Mittelständler sondern bei einem Großkonzern. Die haben sich über meine Verkaufserfahrung gefreut und mich sehr schnell eingestellt - mit einem doch ganz guten Gehaltssprung
Dementsprechend habe ich für mich selbst jetzt langfristig zwei Optionen formuliert
1. Ich versuche als nächsten Schritt, wenn ich noch tiefer im Produkt-/Prozessbereich eingearbeitet bin und noch mehr Fachwissen habe, den Sprung auf eine Führungsposition im Vertrieb - dazu muss ich jedoch auch wieder systematisch Verkaufserfahrung sammeln, was beim neuen AG ganz gut gehen sollte. Macht Spaß und sobald man eine Führungsposition hat, dürfte das finanziell auch recht interessant werden. Also mein Gehalt ist ok, aber da ist durchaus noch was drin, hoffe ich
2. Entspannt nebenher auf FH Professuren bewerben, wobei ich so dermaßen skeptisch gegenüber Berufungsverfahren bin, dass ich mir da nicht die großen Chancen ausrechne... Ich bin halt eher Generalist als Spezialist, habe kaum Publikationen und keine Drittmittelerfahrung... Dafür aber ne ganze Menge Lehrerfahrungen und sehr gute Evaluationen... Hm....
Nunja, für mich hat es sich vor allem gelohnt, außerhalb der Wissenschaft Dinge auszuprobieren und eine "Selbstfindungsphase" in einem zwar ätzenden aber sicheren Umfeld zuzulassen. Fand ich außerhalb der Uni fast fordernder als in der Wissenschaftswelt, da das Spektrum der möglichen Tätigkeiten noch viel größer ist. Das ist so mein Fazit. Mich "gefunden" habe ich noch nicht, aber ich glaube einen ganz guten Karriereplan, der mit meinem Leben, auch meinem Privatleben doch ganz vernünftig vereinbar ist und bei dem ich eben auf nicht auf eine Professur angewiesen bin, trotzdem gut über die Runden komme und Spaß am Leben habe.
Und zu guter Letzt:
Der Vertriebschef des Konzern hat meinen direkten Chef ziemlich vor anderen hohen Tieren zur Schnecke gemacht, dass er mich vergrault hat, weil jetzt keiner mehr seine Verkäufer fachlich unterstützen kann und hat dier Erstellung des Arbeitszeugnisses an sich gezogen, das sehr gut ausgefallen ist - war also eine gewisse Genugtuung für mich
. Mein direkter Chef hat mich auch mehr oder weniger ängstlich gebeten, ich solle doch bei meinem Abschlussgespräch in der Ebene über ihm nichts negatives erzählen. Habe ich auch nicht gemacht und bin so im Guten gegangen mit der Aussage im Kreuz, dass ich jederzeit zurückkommen kann, wenn ich will.
Jetzt bin ich aber tierisch (nicht nur wegen meinem Nick) gespannt, was andere berichten.