Wie haltet ihr das aus?

Conchologist
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Re: Wie haltet ihr das aus?

Beitrag von Conchologist »

Vielen Dank fürdie Beiträge und die Erfahrungsberichte!
Ich sitze auch gerade in den letzten Zügen, habe noch etwa 3 Monate bis zur Abgabe. Leider muss ich noch einiges dafür tun. Recht viel schreiben und auch nochmal in Literatur rein. Während es in den ersten 2 Jahren toll war, zu promovieren, ist das letzte Jahr scheisse gewesen. Seit Februar ist es nur noch schlimm. Ich schlafe schlecht, wache morgens mit Magenkrämpfen und Ängsten, den Tag zu beginnen, auf. Mein mittlerweile allmorgendliches Mantra: "Wo die Angst ist, da gehts lang". Das ist dann der Punkt, an dem ich aufstehe, nachdem ich mich ca. 1h von rechts nach links gedreht habe, nicht aus Müdigkeit, sondern weil ich weiß, was alles auf mich wartet, wenn ich aufstehe.

Ich promoviere in einem hochinterdisziplinären Thema an einem groß angelegten DFG-Projekt. Was mir in den letzten Jahren immer wieder schon deuchte, wird jetzt manifest: eigentlich bearbeite ich ein Thema, zu dem ich nie studiert habe. Mein Thema ist eigentlich keines, für meine Fakultät, die Fachkenntnisse, die man dafür braucht, habe ich nicht und die hat auch mein Professor nicht. Ich bin interdisziplinär betreut worden und über meinen Zweitbetreuer kam ich in eine Richtung, in der ich eigentlich nichts zu suchen habe. Das merke ich jetzt, wo ich intensiv am Manuskript sitze. Lange fand ich es genial, weil ich so viel neues entdeckt hatte, so viel gelernt und verstanden hatte und so stolz auf mich war. Allerdings war das die Zeit des Lesens und Diskutierens, des Austauschs und des Gedankenspinnens - herrlich!
Jetzt merke ich, was ich alles für Fässer aufgemacht habe, die ich vermutlich nie wieder richtig zu bekomme, Einfallstore für Fehler habe, für Nachlässigkeiten und Allgemeinplätze. beim Schreiben, ist jeder Satz die Hölle. Stimmt das, was ich schreibe? Habe ich Grundlegendes übersehen? Ist es nicht eigentlich anmaßend, ein Thema zu bearbeiten, das ein fachlich anders aufgestellter Mensch nicht viel eleganter und sicherer hätte bearbeiten können? Wird man mir das später nicht mal vorwerfen? Warum wolltest Du so viel? Warum hast Du das nicht viel früher erkannt?

Mein Leben ist gerade die Hölle. Mein ganzes Umfeld redet mir gut zu, auch mein universitäres (Sie schaffen das schon). Meine Eltern schreiben mir einmal pro Woche ne karte "Halte durch, eine Promotion ist nicht das wichtigste im Leben" aber das kommt längst nicht mehr an. Ich kann denen aucht nichts Neues mehr erzählen und habe Sorge, dass die allmählich genervt sind, von meiner Jammerei.
Ich bin teilweise gelähmt vor Angst, jegliche produktive Kraft ist dahin, meine Einschätzungsfähigkeit ebenso, ich habe das Gefühl, ich stochere im Nebel und fachlich hilft man mir entweder nicht (Erstbetreuer) oder überfordert mich aus einem fachfremden Elfenbeinturm heraus (Zweitbetreuer). Die Aasgeier kommen dann, wenn der Mist fertig ist und fallen darüber her und kritisieren. Da wird keiner sagen "Mensch, Respekt, Interdisziplinarität!" sondern "Das ist ja schön und gut, aber wenn Sie hier A sagen, müssen sie schon auch B sagen, sonst bringt das nichts". Dann kommen die ganzen Kritiker aus Geschichte, Soziologie und und und. Ich bin mittlerweile in einer mäßigen bis ordentlichen Depression, da muss ich mir nichts vormachen. Seit etwa 1 Woche nehme ich jetzt ein Antidepressivum, mit der Hoffnung, auf baldige Wirkung.
Das schlimme ist, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass die Glückgefühle nicht mit der Abgabe kommen, sondern sich dann erstmal PTBS einstellt, wenn die 3,5 Jahre lang aufgebaute Struktur flöten ist. Ich hoffe, dass ich es dann schaffe, mich irgendwie aktiv zu erholen.

Ich bewundere meine KollegiatInnen, die teilweise mit einer Bierruhe und einem positiven Mindset durch ihre Promotion, die auch nicht frei von Problemen ist, kommen. Die hams gut!
Wahnsinn, was man alles über sich lernt, zB über Perfektionismus und Unsicherheiten. Die ganzen Ängste kommen nur daher. Es sind Ängste, kritisiert zu werden und das als Verletzung zu verstehen und nicht als fachliche Kritik. Die Angst, nicht wie geplant, das große tolle Superbuch abzugeben.
Wenn der ganze Mist vorbei ist, gehe ich das an und eine Uni sehe ich nie mehr von innen!

Falls Du bis hierhin durchgehalten hast, danke fürs Lesen!! Das Aufschreiben hat schonmal gut getan!
MelchiorC
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Re: Wie haltet ihr das aus?

Beitrag von MelchiorC »

Eigentlich war das gar keine schlechte Idee, als ich im Dezember beschlossen habe, zum Anfang des SoSe meine Diss einzureichen.
Die letzten Wochen an der Arbeit waren stressig und ich war heilfroh, dann im März doch noch paar Tage freizubekommen, um das Ding fertig zu bekommen.
Naja, und dann kam Corona. Und damit die Panik. Ausgangsbeschränkungen. Wo soll ich denn meine Arbeit drucken lassen, wenn ich das Haus nicht mehr verlassen darf? Und vor allem: Wie soll ich das Ding an der Uni einreichen?
Ich musste dann noch mein Führungszeugnis beantragen (das durfte ja nicht älter als 3 Monate sein, konnte ich also erst relativ knapp vorm Einreichen beantragen). In der Zeitung stand, das Rathaus ist dicht, aber mit Termin kommt man rein. Also angerufen, Termin für morgen gemacht, alles klar. Am nächsten Tag hin. Alle Türen verschlossen, am Fenster eine höchst unfreundliche Dame, die mir mitteilte, dass niemand rein darf. Dass ich noch gestern einen Termin gemacht hab und dass ich das ziemlich unverschämt finde, half nicht weiter. Zurück zum Auto. Nochmal im Rathaus angerufen: Ja klar dürfen Sie rein, wir holen Sie an der Tür ab. Führungszeugnis: Check!
Anfrage bei einer heimischen Druckerei: Klar machen wir das - schicken Sie uns die Datei. PDF geschickt. Rückmeldung: Ups, aber 500 Seiten können wir nicht binden. Also weitergesucht.
Diss irgendwo in nem Copyshop drucken lassen - alles online geregelt: Check!
Anfrage beim Dekanat: Schicken Sie uns die Sachen per Post. Cool.
Alles ins Paket, zur Post gebracht. Sendungsverfolgung: Paket wurde fehlgeleitet. Sch****. Gedankenkarussell: Was, wenn das Paket verlorengegangen ist?! Am nächsten Tag: Zustellung erfolgt. Check!
Nahm dann Gott sei Dank alles seinen Gang, Verfahren wurde eröffnet, Gutachten sind in Arbeit.
Tja, und dann kam die Zeit nach der Diss. Eigentlich wollte ich danach mal hübsch in Urlaub fahren und einfach mal ne Woche wandern gehen. War dann leider durch Corona nicht möglich.
Ich muss sagen, ich bin relativ ohne Blessuren durch die Diss-Zeit gekommen. Aber nach der Abgabe nahm das Ganze dann seinen Lauf: Ich bin seit ca. 2 Monaten ständig krank und völlig ohne Energie. Ich hab das Gefühl, seit der Druck weg ist, kommt alles durch, was ich die letzten Wochen gut verdrängt hatte. Tja, der Körper verzeiht eben einem dann doch nichts... Ich hätte nie gedacht, dass die Zeit danach so brutal wird. Aber irgendwie bekommt man danach dann das zu spüren, was man sich die ganze Zeit über angetan hat. Und das ist heftig.
Ich konnte die letzten 3 Jahre mit dem ganzen Druck relativ gut umgehen (klar, stressige Zeiten gabs immer), aber das ganze Drumrum um die Abgabe haben mich echt fertig gemacht.
Also liebe Leute, mein Tipp: Plant nie, Eure Arbeit während ner Pandemie einzureichen!
Wierus
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Re: Wie haltet ihr das aus?

Beitrag von Wierus »

MelchiorC hat geschrieben: ↑09.06.2020, 12:07Verfahren wurde eröffnet, Gutachten sind in Arbeit.
Tja, und dann kam die Zeit nach der Diss. Eigentlich wollte ich danach mal hübsch in Urlaub fahren und einfach mal ne Woche wandern gehen. War dann leider durch Corona nicht möglich.
Ich muss sagen, ich bin relativ ohne Blessuren durch die Diss-Zeit gekommen.
Inwieweit lassen deine Gutachter denn bisher durchblicken, ob und wenn ja, was genau verbessert bzw. gekürzt werden muss?

Fertig ist man meiner Erfahrung nach wirklich erst dann, wenn man die Urkunde endlich aus dem Briefkasten gefischt hat. :mrgreen:
MelchiorC
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Re: Wie haltet ihr das aus?

Beitrag von MelchiorC »

Wierus hat geschrieben: ↑11.06.2020, 18:01 Inwieweit lassen deine Gutachter denn bisher durchblicken, ob und wenn ja, was genau verbessert bzw. gekürzt werden muss?

Fertig ist man meiner Erfahrung nach wirklich erst dann, wenn man die Urkunde endlich aus dem Briefkasten gefischt hat. :mrgreen:
Bis jetzt weiß ich nur, dass die Gutachten positiv sind und ich wohl promoviert werde :D Aber ich hatte bis jetzt auch nur zwischen Tür und Angel Kontakt zu meiner DM. Wollen uns demnächst mal treffen und dann werd ich wohl auch ausführlicheres erfahren.

Tja, mittlerweile hab ich erfahren, dass das Verfahren erst im WiSe durchgeht. Dann zieht sich das fetigwerden also doch noch ein bisschen hin
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Re: Wie haltet ihr das aus?

Beitrag von Prinzenrolle »

Hallo Meh-Drescher und an alle, die hier kommentiert haben,
ich kann die Problematik sehr gut nachvollziehen und stecke aktuell in einer ähnlichen Situation. Zwar ohne Antidepressiva, aber unter therapeutischer Begleitung, weil ich von Selbstzweifeln und Unsicherheiten sonst zerfressen werde. Ich lebe auch nicht alleine wie Du, sondern gemeinsam mit meiner Frau in einer sehr schönen Wohnung. Meine Situation belastet unsere Ehe aber extremst, sodass das Thema Diss omnipräsent ist, wodurch ich selten abschalten kann und das stört auf lange Sicht auch unsere Beziehung.

Nun ist Dein Post ja aus 2019 - wie ist es Dir ergangen? Hast Du die Diss fertiggestellt? Ich wünsche es Dir!

Viele Grüße
Prinzenrolle
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