JohnvanConnor hat geschrieben:Die ganze Diskussion habe ich hier nicht verfolgt, aber der ursprünglich verlinkte SZ-Artikel ist schon sehr lesenswert und treffend! Man könnte so vieles besser und gerechter machen. Wie gesagt will ich nicht auf die Diskussion eingehen, nur meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass so ein starker Drang zur Separation vorherrscht: als wären "die Gesellschaft", "die Wirtschaft" und "die Wissenschaft" (gar noch einzelne Fächer darin...) voneinander getrennte Einheiten, die sich argwöhnisch beäugen müssen.
Ja, nur komischerweise machen bestimmte meinungsbildende Medien genau das: Naturwissenschaften ständig gegen Geisteswissenschaften ausspielen.
Ein aktuelles Beispiel wäre Handelsblatt vom 6.1.2018:
Handelsblatt hat geschrieben:Wie viel Naturwissenschaft braucht die Zukunft?
Zu den großen Paradoxien unserer Zeit zählt das Phänomen, dass mit wachsendem technologischem Fortschritt auch die Opposition gegen Technologie erstarkt ist. In Talkshows erklären Theaterwissenschaftler, warum man den Verbrennungsmotor abschaffen sollte, Schauspieler warnen vor Glyphosat, Weihbischöfe wettern gegen Präimplantationsdiagnostik und Journalisten, die „Avogadro“ für einen italienischen Schlagersänger halten, erklären, wieso uns Konservierungsmittel in Jogurts alle ins Verderben stürzen werden.
Obwohl ein Großteil der Deutschen keinerlei Ahnung davon hat, was ein Gen überhaupt ist, haben geschätzte 104% eine klare Meinung dazu. Käme man auf die Idee, eine Gruppe von Chemikern mit dem Spielplan der Staatsoper zu betrauen, würde jeder entgeistert den Kopf schütteln. Geht es jedoch um gentechnisch veränderten Mais, schnattern alle mit, als ob sie kurz vor dem Nobelpreis stünden.
Einer Untersuchung der Zeitschrift Cicero zufolge befinden sich unter den 100 einflussreichsten Intellektuellen in Deutschland gerade mal zwei Naturwissenschaftler. Die Diskussion über die Chancen und Risiken von naturwissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften wird in diesem Land hauptsächlich von Geisteswissenschaftlern, Politologen, Juristen und Theologen geführt. Warum aber glaubt man, ein katholischer Abt könne zur Stammzellenforschung Profunderes beitragen als ein Biochemiker? Etwa, weil sich Mönche durch Zellteilung vermehren?
Bedauerlicherweise ignorieren viele gebildete Menschen in diesem Land, dass es gerade die Technologie war, die uns ein angenehmes Leben ermöglicht hat. Der Kunstdünger, das Insulin oder die Erdölraffinerie haben unsere Lebensqualität immens verbessert. Ohne die Erfindung der Glühbirne müssten wir sogar heute noch bei Kerzenlicht fernsehen.
Doch inmitten von Manufactum-Möbeln, nachhaltigen Fußcremes und glutenfreien Bio-Marmeladen schwärmt man von der „guten alten Zeit“ und träumt von einem ökologisch korrekten Leben. „Vorsicht, der Torben greift in die Steckdose!“ „Ach macht nix, ist doch Ökostrom ...“
Fast alle Schlachten gewonnen, Krieg verloren
Dabei sind wir alle Nutznießer von Maßnahmen, die im letzten Jahrhundert von klugen Naturwissenschaftlern und findigen Ingenieuren entwickelt wurden: allzeit verfügbare Energie, Kühlschränke, sauberes Wasser, Impfungen, Antibiotika und schmerzstillende Mittel. Dadurch hat sich unser Wohlstand und vor allem unsere Lebensqualität massiv verbessert. Vor 100 Jahren gab es so wenig 70-Jährige, weil die meisten 70-Jährigen nicht über 40 wurden.
In den vergangenen Jahrzehnten haben Wissenschaft und Technologie fast alle Schlachten gewonnen, aber den Krieg trotzdem verloren. Militante Umweltaktivisten, die Genmaisfelder verwüsten, werden bei vielen als Helden gefeiert, aber Arzneimittelforscher, die für ein vielversprechendes Parkinson-Medikament Tierversuche durchführen, werden mit Geringschätzung bestraft. Kein Wunder, dass der Chemieriese BASF vor einiger Zeit beschloss, die Forschung der grünen Gentechnik komplett aus Deutschland abzuziehen.
Wie konnte es nur dazu kommen, dass wir Deutschen so angstbesetzt wurden, was den technologischen Fortschritt angeht? Inzwischen fürchten wir uns vor fast allem, was nicht gerade mit Windrädern und Solarenergie zu tun hat: Vor Fracking, vor Elektrosmog, sogar vor Dieselmotoren. So eine Stimmung vor 500.000 Jahren, und die Sache mit dem Feuer wäre nie genehmigt worden.
Und es stimmt: Wir Deutschen sind immer noch ziemlich stark im Optimieren von bewährten Produkten. Wir sind Weltmarktführer in Betonpumpen, in Hundeleinen oder Zahnarztstühlen. Aber wenn es um umwälzende Innovationen und Megatrends wie zum Beispiel der Gentechnologie oder der Digitalisierung geht, drohen wir von der internationalen Konkurrenz abgehängt zu werden.
Stattdessen träumen wir lieber von Reduzierung und Verzicht. Eine Philosophie, die in keinster Weise Probleme löst, sondern im Grunde davon ausgeht, dass uns Menschen nichts Gescheites mehr einfällt. Aber das ist Quatsch. Wissen Sie, was vor 150 Jahren von den führenden Fachleuten als das größte Umweltproblem der Zukunft gesehen wurde? Der Pferdemist in den Großstädten. Halten Sie mich für verrückt, aber Pferdemist ist derzeit nicht unser größtes Problem.
Eine Gesellschaft, die versucht, mit einer vorindustriellen Utopie den Lauf der Welt anzuhalten, ist nicht zukunftsfähig. Denn die Zukunft findet statt. Und wenn wir sie nicht mitgestalten, überrollt sie uns.
http://www.handelsblatt.com/panorama/au ... 16582.html