ich wundere mich immer wieder, dass bei Nachfragen nach Zeitmanagement so wenig über Scrum gesprochen und das in DoktorandInnen-Kreisen anscheinend so wenig verbreitet ist.
Klar, es ist eigentlich eine Team-Technik, aber sie lässt sich gut für Einzelarbeit anpassen. Einen (englischen) Überblick gibt es hier: Scrum in a Nutshell or 5 Minutes to Learn Scrum. Aber ich denke, ich stelle er hier mal kurz vor.
Scrum in Kürze:
- Definiere klare Teilziele (in Scrum: Stories), die dich zur fertigen Diss führen. Nimm dir viel Zeit dafür und mach es gründlich! Beispiel für ein Ziel: "Ich möchte einen kommentierten Überblick über die wissenschaftlichen Publikationen zum Thema Y von 2005 bis 2015." Wenn du Scrum sehr genau befolgst, musst du Stories nach Aufwand gewichten und jeder Story einen Aufwandswert auf einer abstrakten Skala zuordnen (Story Points).
- Unterteile wiederum jede Story in kleine Teilaufgaben, die du zeitlich gut einschätzen kannst und die auch wieder ein klares Ergebnis haben. Beispiel: "Katalogsuche nach Publikationen von 2010 nach den Stichwörtern X und Z, 8 Stunden." Für Aufgaben, die du schlecht zeitlich schätzen kannst, setzt du dir ein Zeitlimit (Timebox) und legst ggf. eine Folgeaufgabe an, falls du darin nicht fertig wirst. Die Stories und ihre Unteraufgaben bilden dein Backlog: eine große, vollständige Aufgabensammlung, was für die Diss zu tun ist.
- Deine Arbeitszeit teilst du in gleich lange Sprints auf. Das ist einfach ein definierter wiederkehrender Zeitraum, also eine Woche, ein Monat, 10 Tage, was immer passt.
- An jedem Sprint-Beginn nimmst du dir vor, welche Aufgaben du in diesem Sprint schaffen willst. Diese Liste ist dein Sprint Backlog.
- Jeden Tag machst du zuerst ein kurzes Meeting (Standup) mit dir selbst (oder idealerweise mit anderen, die genau so arbeiten). Dort stellst du fest, was du am letzten Tag geschafft hast und was du heute schaffen willst. Das dokumentierst du über ein Scrum-Board, das drei Felder "Offen", "In Arbeit" und "Erledigt" hat. Am Anfag hängen alle Aufgaben unter "Offen", die Tagesaufgaben hängst du in "In Arbeit" um und was du gestern geschafft hast nach "Erledigt". Das kannst du physisch mit Zetteln und Pinwand oder elektronisch etwa mit Trello machen. Umhängen macht großen Spaß.
- An jedem Sprint-Ende wertest du aus, was du geschafft hast, ob deine Sprintplanung okay war oder du dir zu viel oder zu wenig vorgenommen hast. Daraus lernst du für die nächste Sprintplanung und bist damit agil. Yeah.
- Scrum zwingt, sich genau Gedanken zu machen, was zu tun ist, wie die Dissertation und vor allem die Arbeit daran zu strukturieren ist. Was hängt wovon ab, was sind die großen Brocken etc. Kein Rumgewurschtel, kein sich selbst Belügen.
- Scrum macht gnadenlos sichtbar, wie viel du denkst, dass du schaffst, und wie viel du wirklich schaffst. Es zwingt dich permanent zu einem Realitäts-Check.
- Scrum macht dich beweglich. Du lernst immer besser, wie lange welche Aufgaben dauern und wie viel du wann schaffen kannst.
- Scrum hält dir Abende und Wochenenden frei. Alle Arbeits- und Planungszeiten sollen hart gekapselt sein: Arbeit ist Arbeit, frei ist frei, Schluss heißt Schluss für heute. Wenn du was nicht schaffst, musst du keine hektische Nachtschicht einlegen - sondern lernen, dass du dir weniger vornehmen musst.
- Letztlich gibt Scrum dir durch all das sehr bald einen genauen (und oft ernüchternden, aber heilsamen) Überblick, wie lange deine Diss noch dauern wird.
- Scrum ist für Teams gedacht. Es alleine genau durchzuziehen erfordert Disziplin und wirkt oft etwas albern.
- Scrum zieht dir - gefühlt und tatsächlich - eine Menge Zeit für Planung und Auswertung ab.
- Scrum kollidiert mit Arbeiten, die sich schlecht planen lassen, weil sie etwa von Inspiration abhängen, und mit Arbeitsstilen, die sehr unstrukturiert sind, wie unerwartete hochproduktive Nachtschichten.
- Scrum ist schlecht geeignet für Crunch Time, also sehr viel Arbeit mit einer sehr knappen Deadline. Es kann dir in dem Fall vielleicht genau zeigen, dass du es kaum oder nicht schaffen wirst. Hier kann blind durchrocken aber effektiver sein.
Bei Fragen gern fragen!