Naturwissenschaftl. Diss: Perfektionismus überwinden??

[Lampukistan]

Hallo Mit-Doktoranden!

Ich hoffe, hier vielleicht ein paar Tips zu bekommen, um endlich meine Diss zu Ende zu bringen. Ich klage euch mal ausführlich mein "Leid":

Wie die meisten Biologen habe ich an mein Studium eine Promotion angeschlossen. Zu meiner Betreuerin habe ich ein schlechtes Verhältnis "entwickelt", was teils an ihrer schwierigen Persönlichkeit (Workaholic etc.), aber auch an meinem nicht immer diplomatischen Verhalten liegt. Die experimentelle Phase im Labor war daher oft eine Tortur für mich und pragmatischere Menschen hätten wohl anfangs abgebrochen und eine bessere Stelle gesucht. Trotzalledem habe ich letzes Jahr die experimentelle Phase zu Ende gebracht und verwertbare Ergebnisse generiert (zwar lückenhaft und zusammengewürfelt, aber damit bin ich unter Biologen nicht allein). Seitdem (letzten Sommer) bin ich dabei meine Diss zusammenzuschreiben. Ursprünglich hoffte ich das schnell durchzuziehen um mit der Promotion endlich abschließen zu können (Institutskollegen brauchten teils nur zwei Monate zum Zusammenschreiben). Allerdings hatte anfangs viel mit Prokrastination zu kämpfen, was ich aber jetzt einigermaßen in den Griff bekommen habe mit einer Art Selbst-Überwachungssystem und dem Schreiben in einer Bibliothek. Ich habe nun ein halbes Jahr geschrieben (mit einigen Unterbrechungen), aber komm nur im Schneckentempo voran. Das liegt an mehreren Faktoren:

- äußere Faktoren (Zwangsmaßnahme vom Arbeitsamt - werde nicht mehr finanziert, Bewerbungen, etc.)
- psychisch "angeschlagen" und nicht mehr so leistungsfähig wie früher (vor der Promotion)
- daher Arbeitspensum von "nur" rund 30h tatsächlicher Arbeitszeit in der Woche
- Hintergrundliteratur habe ich mir während meiner experimentellen Phase nicht ausreichend angeeignet (teils wegen Zeitmangel, teils wegen Prokrastination), was ich jetzt zu ausschweifend mache und mich in Nebensächlichkeiten verstricke
- Schreiben auf Englisch - ich neige mich dazu wegen Formulierungen zu verzetteln
- allgemeiner Perfektionismus, Verzetteln in unwichtigen Details z.B. bei Abbildungen

Die psychische "Angeschlagenheit" nach den Problemen mit der Betreuerin und dem hohen Arbeitspensum in der experimentellen Phase gehe ich bereits an, wenn auch nicht mit professioneller Hilfe. Es geht mir bereits viel besser. Ich lebe wieder in meiner Heimatstadt, treibe regelmäßig Sport, habe eine Beziehung etc. Richtig wohl fühl ich mich aber nicht. Den Hauptgrund für meinen langsamen Fortschritt sehe ich aber in meinem unnötigen Perfektionismus. Es geht mir bei der Diss nur noch darum abzuschließen. Trotzdem hab ich einen wohl überhöhten Selbstanspruch mit der Diss etwas sehr gutes abzuliefern, obwohl das angesichts der höchstens mittelmäßigen experimentellen Daten nicht möglich ist. Hättet ihr vielleicht einen Rat, wie ich meinen Perfektionismus in den Griff bekomme? Ich habe bereits eine gute Gliederung für die Arbeit und muss hauptsächlich Abbildungen machen, Zitate/Literatur sichten/zusammensuchen und Text ausformulieren. Ich brauche für eine Seite Text momentan eine halbe bis ganze Woche Arbeitszeit. Ich habe ca. 80 Seiten geschrieben (mit Abbildungen etc.), bei dem Tempo brauche ich allerdings noch Jahre. Zusammenschreiben in der Biologie dauert normalerweise ein paar Monate.

Danke für Lesen

Lampukistan











Zurück bei meiner Familie

[Granat]

Hmm, das hört sich tatsächlich schwierig an.

Ich stehe zwar erst am Anfang, neige aber auch zu (extremem) Perfektionismus. Mir helfen da insbesondere Gespräche mit meinem Mentor an meiner vorigen Hochschule, der sich nicht scheut, mir auf die Finger zu hauen und mich auszubremsen. Dabei versucht er aber nie, mich einzuschränken oder ähnliches - und wichtig ist natürlich, dass ich seinem Urteil und seiner Einschätzung vertraue.

Kannst du dir vielleicht Leute suchen, deren Urteil du vertraust und mit denen das eine oder andere einfach mal diskutieren? Z.B. ehemalige Kommilitonen, die die Arbeit fachlich auch einschätzen können?
Vllt. gibt dir das etwas Sicherheit.

[Jin Dark]

Hallo lieber Lampukistan,

Ich habe deinen Eintrag gelesen und kann definitiv nachvollziehen wie es dir geht. Ich habe selbst Schwierigkeiten mit meinem Betreuer und das kostet sehr viel Kraft und gleichseitig macht es sehr unsicher. Ich würde dir zum Schreiben raten: Versucht dir den roten Faden durch eine Power-Point-Präsentation deutlich zu machen und dann einfach alles runter schreiben. Nach deiner Beschreibung brauchst du definitiv noch ewig und du hast dein Ziel klar definiert: Ich will einfach nur noch fertig werden. Also mach das auch. Versuch dich durch Kleingkeiten zu belohnen und großes Rumgrübeln zu vermeiden, indem du immerwieder Zeiträume an dich selnst vorgibst. Mache dir kleine Arbeitspakete für deine Kapitel und schaff dir Zeiträume für Bilder und soweiter. Wenn du dir eine Struktur schaffst geht es alles eindeutig besser.
Und zu guter Letzt: Zu dir jemanden am besten ganz viel mit deinen du reden kannst.

Liebe Grüße und Viel Erfolg
Jin

[Lampukistan]

Danke für eure Antworten.

@ Granat

Du hast recht. Ich habe keinen fachlich versierten Ansprechpartner und weiß auch nicht, ob das, was ich bis jetzt fabriziert habe, was taugt. Ich werde einmal versuchen, eine Instituts-Kollegin zu kontaktieren, allerdings ist sie gerade selbst beim Zusammenschreiben und im Stress.

@ Jin

Ja, einen groben Faden habe ich schon festgelegt, aber es wäre vielleicht besser, das noch weiter zu konkretisieren. Mein Problem ist, dass "Unvorgesehnes" in meiner Planung mich immer aus der Bahn wirft z.B. wenn ich die Daten falsch in Erinnerung habe und sie dann meine Schlussfolgerungen nicht mehr passen. Mir kommen in solchen Fällen immense Selbstzweifel.

Struktur habe ich schon etwas durch mein "Selbstüberwachungs-System". Ich definiere mir immer Wochen- und Tagesziele und gebe grob die Schritte dafür stundenweise vor. Nur schaff ich sehr oft nicht, meine eigenen Vorgaben einzuhalten. Ich werde versuchen, ob ich das optimieren kann.

[bbb]

@Lampukistan:
Perfektionismus kann eine Diss in die Ewigkeit ausdehnen. (Ich weiß, wovon ich spreche ).

Insofern ist es schon mal sehr gut, dass Du das Problem erkannt hast und Deine Ansätze, die Prokrastination zu vermeiden, klingen schon mal ziemlich gut und wirksam.
Jetzt musst Du noch schauen, dass Du Dich in Deiner wertvollen Arbeitszeit auf das Wesentliche fokussierst.
(Das schrieb sich ganz leicht, in der Umsetzung können aber riesige Schwierigkeiten entstehen, das hast Du ja auch schon gemerkt.)

Was ich persönlich hilfreich finde:

• Zeiterfassung - schauen, wie lange etwas gedauert hat.
• evtl. Zeitkontingente: wenn Du weißt, dass Du Dich bei Fachliteratur gerne "verrennst", dann könntest Du versuchen, Dir ein Zeitlimit für das Durcharbeiten bestimmter Literatur zu setzen. Wenn das Zeitbudget erschöpft ist, solltest Du möglichst mit etwas anderen weitermachen.
  Mit der laufenden Uhr im Blick arbeitet man oft doch etwas gezielter.
• Mut zur Lücke - für einen Perfektionisten natürlich die große Herausforderung schlechthin... Patentrezept habe ich keins und tue mich auch nach wie vor schwer damit, aber hier muss man wirklich das Loslassen lernen und auch teilweise bewusst üben
  -> "das ist jetzt gut genug!"

Vermutlich wäre es auch interessant zu wissen, woher Dein Perfektionismus kommt. Ein Coach oder Psychologe könnte hier eventuell helfen, die eigentlichen Ursachen aufzudecken, die zu diesem Verhaltensmuster führen.
Wenn man erst mal verstanden hat, warum man sich manchmal so benimmt, wie man es tut, ist es u. U. viel leichter, das störende Verhalten zu ändern/aufzugeben.

Ein kurzer, interessanter Artikel: "4 Simple Principles of Getting to Completion"
1. Keep the scope as simple as possible.
-> Brauchst Du wirklich alle Ergebnisse/Aspekte in der Diss?
Weniger ist manchmal mehr (und macht ggf. auch weniger Arbeit!)

2. Practice ‘Good Enough’.
(hatten wir oben schon: Mut zur Lücke, was Qualität angeht - natürlich nur im moralisch, ethisch, fachlich und wissenschaftlich vertretbaren Maße!) - es muss nicht jede Formulierung perfekt sein!

3. Kill extra features
weniger ist mehr!

4. Make it public, quick
hm, ist ja auch das Ziel der Dissertation
Ein Gesprächspartner, mit dem Du fachlich (oder vielleicht sogar fachfremd) ab und zu den Stand Deiner Arbeit diskutierst, bringt Dich sicherlich sehr weiter.

Viel Glück!

BBB

[Amalia]

Aus diesem Buch habe ich folgenden Tipp:
http://www.amazon.de/Dinge-geregelt-kri ... lt+kriegen

Überweise eine Summe, die dich zwar nicht ruiniert, dir aber wehtut an eine Person deines Vertrauens. Weise sie an, den Betrag an eine von dir verhasste Organisation zu überweisen (z.B. Pegida, AfD), wenn du bis zu einem von dir festgelegten Datum die Diss nicht abgegeben hast. Hältst Du Dein Versprechen und hast die Diss abgegeben gibt’s das Geld zurück und Du machst damit etwas schönes.
Das Buch ist übrigens kein Ratgeber, es lohnt sich aber trotzdem es zu lesen und Spaß macht es auch noch.

[Lampukistan]

Danke für die weiteren Antworten. Ich werde sie versuchen anzuwenden. Die Situation hat sich ausgerechnet heute auch noch immens verschärft, weil meine Betreuerin heute in einer Email verlangt hat, dass ich bis maximal Ende Mai mit der Rohfasssung fertig sein soll. Einerseits habe ich jetzt den Druck, der mir vielleicht gefehlt hätte. Andererseits stehen mir wohl ein paar Monate Extremarbeit bevor, was ich eigentlich anfangs vermeiden wollte.

[Jin Dark]

Dann sag ich jetzt mal.. Tschaka du schaffst das!!