Doktor und inkompetent?

Irgendwann ist jeder fertig. Und dann darf er sich hier austoben :-)
Antiidiotika

Doktor und inkompetent?

Beitrag von Antiidiotika »

Hallo zusammen,

ich glaube, hier bin ich eigentlich gar nicht so ganz richtig. Doch es geht für mich um die Zeit nach dem Erwerb des Titels, den auch ich kurzfristig in der Tasche haben sollte (eingereicht ist die Diss)...

Wenn ich mir den typischen Werdegang eines Doktoranden ansehe, dann muss ich feststellen, dass dieser Kompetenzen erworben hat, die ich in der Form nicht ausbilden konnte. I.d.R. gehört ein Doktorand einer Forschungsgruppe an. Es finden regelmäßige Treffen und inhaltliche Besprechungen statt, oftmals handelt es sich um ein internationales Team in dem ein "verhandlungssicheres" Englisch erworben wird und man ist auch an der Veröffentlichung von Artikeln beteiligt, optimalerweise sogar auch mal als Erstautor. Wie ist es bei mir?

Ich sitze allein im "stillen Kämmerlien", bearbeite quasi ohne Betreuung mein Thema, kann mich nicht mit Kollegen austauschen, ergo findet auch keine Diskussion oder gar ein Kolloquium statt. Englische Texte kann ich natürlich verstehen, aber selber fließend sprechen? Forschungsmethoden lese ich mir an und wende sie auf gut dünken an; Typische Projektkoordination oder gar -management wende ich nur marginal auf privater Ebene für meine eigene Planung an. Typische Projektphasen, wie sie üblicherweise definiert werden, kenne ich also auch nicht. Artikel schreiben oder veröffentlichen? Das übliche Prozedere von Einreichen eines Textes über Experten Review o.ä. bis zur Veröffentlichung in Fachzeitschriften durchgehen? Schön wär´s!

So, und nun sitze ich hier, warte auf meine Gutachten (die inzwischen überfällig sind) und möchte mich natürlich schon bewerben. Ich fühle mich aber unheimlich gehemmt, wenn ich mich auf Stellenanzeigen, wie sie bei Jobvector, Academics o.ä. dargestellt bewerben möchte. Ich kann doch gar nichts, nichtmal die Basics, die man allgemein von Doktoren erwartet (wenn sie schon als Theoretiker ohne Berufserfahrung "beschimpft" werden...).

Geht es vielleicht jemanden ähnlich? Fühlt ihr euch als Post-doc total sicher und kompetent? Oder zögert ihr keinen Moment euch auf anspruchsvolle Stellen zu bewerben, weil ihr einen realistischen Einblick in wissenschaftliche Prozesse und Studienabläufe bekommen habt? Oder sehe ich das zu eng und so untypisch sind meine Umstände doch nicht? Ich denke da v.a. an Geisteswissenschaftler, die doch sicher auch viel in Eigenregie gearbeitet haben...

Immerhin kann ich mit reinem Gewissen behaupten, dass ich selbstständig und diszipliniert arbeiten kann, Organisationsgeschick beweise und Durchhaltevermögen habe. Das sollte doch auch was sein... oder...?

Danke fürs Lesen!

Antiidiotika
algol
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Re: Doktor und inkompetent?

Beitrag von algol »

Woher kommt denn Dein Bild von dem "typischen Werdegang"?

Ich kenne persönlich niemanden, der so promoviert hat. d.h. es gibt bestimmt solche Leute, das hängt vermutlich auch vom Fachbereich ab. Oder entspricht einfach wirklich nicht DER Norm.
Antiidiotika

Re: Doktor und inkompetent?

Beitrag von Antiidiotika »

Danke für deine Antwort!

Tja, so habe ich es von Freunden und Kollegen mitbekommen. Ich habe mich zudem kürzlich mal beworben und da war es ganz genau so: Eine internationale Forschergruppe, die regelmäßige Team-Besprechungen hatte und regelmäßig Artikel veröffentlichte.

Ich fände es sehr beruhigend zu wissen, wenn ich mir ein falsches Bild ausgemalt hätte! Aber mir wurde aufgrund meiner WiMi-Tätigkeit z.B. schon wie selbstverständlich unterstellt, dass ich perfekt englisch sprechen würde. Das tue ich leider nicht und all das verunsichert mich halt - was natürlich auch das eigentliche Problem sein könnte :roll:

Antiidiotika
algol
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Re: Doktor und inkompetent?

Beitrag von algol »

Hast Du mal überlegt, ob Deine Freunde, die in solchen Kontexten promovieren, evtl. alle aus ähnlichen Fachbereichen kommen?
Antiidiotika

Re: Doktor und inkompetent?

Beitrag von Antiidiotika »

Hallo Algol,

natürlich promovieren sie in ähnlichen Fachbereichen. Mein eigener Fachbereich gehört teilweise aber auch in diese Sparte. Und selbst am eigenen Institut wurden früher (vor meiner Zeit) regelmäßig Kolloquien mit/für Doktoranden durchgeführt. Du meinst also, dass mein wissenschaftlicher Einblick sehr einseitig ist und schon gar nicht die breite Masse repräsentiert? Das fänd ich super! Wie sieht denn dein Alltag so aus? Arbeitest du auch allein für dich und wendest Forschungsmethoden frei nach Anlesen an, ohne dass sich wirklich jemand dafür interessiert - auch nicht dein DV? Und wenn das so ist, hast du keine stillen Bedenken dich später in ganz anderen, kontrollierten Strukturen beweisen zu müssen?
algol
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Re: Doktor und inkompetent?

Beitrag von algol »

zwischen "internationaler Forschungsgruppe" und "persönlich allein anlesen" liegen Welten.

Ich verstehe Deine Frage nciht. Hattest Du während der Diss-Zeit keinen kontakt mit Deinem Prof oder andere Kontakte?
Du promovierst extern, wenn ich das richtig verstehe.
Antiidiotika

Re: Doktor und inkompetent?

Beitrag von Antiidiotika »

Ja, das ist so ein halb-halb-Ding. War vorher zwar als WiMi angestellt, aber zu der Zeit v.a. damit beschäftigt das Vorhaben überhaupt aufzubauen. Die Themenfindung und das Schreiben der Diss erfolgte dann mehr oder weniger auf eigene Faust ("extern") nachdem das Vorhaben zu Ende gegangen ist. Betreuung durch den DV? Da habe ich nur ein sehr müdes Lächeln über. Ein Austausch fand eigentlich nicht statt und die Kollegen hatten sich in der Zwischenzeit auch schon woanders hin orientiert.
Das ist sicher auch kein typischer Weg.

Aber um nochmal zum Kern meiner Frage zu kommen:

Zweifelt ihr nie an euren Kompetenzen, traut ihr euch jede Stelle zu, für die eine Promotion Voraussetzung ist, auch wenn ihr vielleicht einen untypischen Promotionsweg gegangen seid? Durch den etwas steinigen Weg, den ich gegangen bin, bleibt leider ein fader Beigeschmack, der mir sagt, ich hätte weniger Erfahrungen als andere Doktoren und könne schlechter mithalten.
Meggy

Re: Doktor und inkompetent?

Beitrag von Meggy »

Hallo,
grundsätzlich kannst Du auch und gerade einen steinigen Weg als Kompetenz verkaufen und nicht als Nachteil, das solltest Du Dir klarmachen. Du hast es TROTZ aller Widrigkeiten geschafft! (Gratulation übrigens! :dr) ) Du hast Dich nicht von Deinem Vorhaben abbringen lassen obwohl die Voraussetzungen nicht so optimal waren und Du einen steinigen Weg hattest. Du hast also unbeirrt DEIN Ziel weiterverfolgt und es geschafft. :blume:
Ich denke, den Punkt dass man an seinen Kompetenzen zweifelt wenn man sich bewirbt hat nun wirklich *jeder* einmal (bzw. es ist eher die Ausnahme wenn man völlig vor Selbstbewusstsein sprüht und sich *alles* zutraut :wink:) Ich meine, ZB aus der Sicht eines "gut betreuten" Doktoranden kann sich die Situation ja auch wieder so darstellen: "hey, die suchen jemanden mit abgeschlossener Promotion. Uff - da soll ich alleine ein großes Projekt leiten/aufziehen - interessant! - und mir dafür eigene Methodiken überlegen - ok, spannend! - habe aber noch nie richtig 'alleine' gearbeitet weil ich immer alles abgesprochen, mit DV diskutiert etc habe. Ob ich DAFÜR wohl geeignet bin?" :wink: Nur um mal EINE Möglichkeit zu nennen :wink:

Es kommt doch auch immer drauf an, auf was konkret Du Dich bewirbst. Wenn Du zB englisch gut verstehen/lesen kannst aber halt nicht fließend muttersprachlerisch diskutieren kannst - zum einen mag das nach wie vor in manchen Berufen gar nicht so sehr nötig sein. Zum anderen kann man sich das auch noch aneignen. Das heißt, es mag Doktoranden geben, die können das per se schon weil sie auf zig Konferenzen waren, haben aber vielleicht dafür ganz spezifische andere Kompetenzen nicht, die dafür DU hast. Usw.

Grundsätzlich kann das bewerben doch auch nicht schaden. Es gibt ungefähr 1.000.000 Gründe warum es mit (gerade rein wissenschaftlichen Uni) Stellen nicht klappen kann (Stelle nur pro forma ausgeschrieben. Ganz spezielle Anforderungen...). Aber aus jeder Bewerbung/Ablehnung kann man für sich doch auch wieder lernen: wo passe ich überhaupt nicht rein und warum? Gibt es Dinge/Kompetenzen, die ich mir "nebenbei" einfach schonmal anlernen könnte/sollte weil sie einfach IMMER gefordert werden, da wo ich hinwill? Etc pp.

Summa summarum: das jemand nie zweifelt, bezweifle ich. Aber der erste Schritt um überhaupt irgendwo unterzukommen bzw. zu lernen, was möglich ist und was nicht, ist die Zweifel hinten an zu stellen, sich möglichst auf das zu besinnen was man wirklich kann, das aufpolieren, und dann losbewerben (und man möge mir ebendies bitte auch deutlichst sagen, wenn ich dann mal soweit bin und sicher auch anfange zu zweifeln :mrgreen: )
Appendix1

Re: Doktor und inkompetent?

Beitrag von Appendix1 »

Hallo Antiidiotika
in welchem Fach promovierst du denn eigentlich? Ich kenne schon viele, die den von dir beschriebenen Werdegang (regelmäßige Teambesprechungen, internationale Kontakte) haben, aber das ist wirklich sehr fachspezifisch. In den experimentellen Fächern geht das gar nicht anders, denn man kann nicht bei sich zu Hause mit dem Chemiebaukasten Ergebnisse herbeizaubern :D
Ich habe angenommen, dass es in den Geisteswissenschaften der Normalfall ist, dass die Doktoranden allein im stillen Kämmerlein oder in der Bib promovieren. Außerdem weiß ich nicht, welche Stellenanzeigen dich interessieren. Wenn du Post-doc werden möchtest ist es sicher gut, in der Doktorandenzeit schon aktiv am Institut mitgewirkt zu haben. Aber wenn du eine WiMi-Stelle hattest, wo ist das Problem? Geht es um Stellen außerhalb der Uni, ist oft sowieso mehr der Titel wichtig als was du wirklich während der Promotion gemacht hast. Wer kann schon das, was er in der Promotion gemacht hat, eins zu eins im Beruf einsetzen? Da wird es den Super-Doktoranden nicht anders gehen. Was deine Qualifikationen betrifft: Im stillen Kämmerlein, ohne Druck von außen, diszipliniert arbeiten zu können, ist wirklich etwas, was nicht jeder zustande bringt.
Antiidiotika

Re: Doktor und inkompetent?

Beitrag von Antiidiotika »

Danke für eure Antworten! Und danke auch für die Gratulation, allerdings kann ich mich noch nicht freuen, da mich mein DV hängen lässt und meine eingereichte Diss nicht begutachtet (obwohl dies laut Promotionsordnung schon längst hätte erfolgen müssen).

Ich promoviere in einem Fach, indem es nicht unbedingt üblich ist. Ich möchte nicht ins Detail gehen, weil man ja nie weiß wer sich hier so tummelt... Nur soviel: man kann sich sowohl in Richtung geisteswissenschaftlicher als auch naturwissenschaftlicher Fragestellung orientieren. Ich habe Letzteres gemacht.

Ich möchte gar nichtmal in der universitären Wissenschaft bleiben, post-doc Stellen lese ich mir schon durch, stelle aber fest, dass ich mich nicht von Befristung zu Befristung hangeln möchte, nur um dann in ein paar Jahren den Schritt in die Wirtschaft schaffen zu müssen. Das möchte ich lieber schon jetzt schaffen :wink:
So richtig weiß ich also nicht wohin die Reise gehen soll, das macht es auch nicht einfacher. Und dann noch die Hemmung mich bei großen Konzernen oder auf "anspruchsvoll" klingende Stellen zu bewerben...
Das ist wohl das eigentliche Problem - mich würde nur interessieren wie andere, die das Gefühl vielleicht auch kennen, damit umgegangen sind. Habt ihr trotz aller Selbstzweifel eine tolle (und womöglich auch gut bezahlte) Stelle ergattern können und vielleicht auch schnell gemerkt, dass diese Zweifel völlig unnötig waren?

Antiidiotika
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