Arbeitsaufwand für Promotion

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riggs

Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von riggs »

Ich stehe nun auch vor der Frage, ob ich eine Doktorarbeit schreiben möchte oder nicht. Über Vor- und Nachteile bin ich mir schon klar, das gab es ja hier zu genüge. Woran ich im Moment etwas scheiter ist der Arbeitsaufwand, den ich nicht abschätzen kann, und ich wollte fragen, wie das erfahrungsgemäß so aussieht. Hintergrund ist, dass ich nun nach 5 Jahren Studium + stud. Hilfskraft keine Lust mehr habe, Wochenenden und Abende fürs Arbeiten zu opfern, auch wenn mich das Thema und das Promovieren an sich sehr interessieren (eigenständiges Arbeiten, mal länger bei einem Thema bleiben, internationales Flair). Hab leider auch (wahrscheinlich durch den Stress) gesundheitliche Probleme bekommen, speziell in der Klausurenzeit, was natürlich nicht so schön ist. Ich würde also gerne wissen, wie der Arbeits-/Stressfaktor im Vergleich zur Industrie ist, bzw. ob es dem Doktorandenklischee entspricht, dass man dann die nächsten 3-4 Jahre kaum mehr Zeit für Freunde oder Hobbies hat. Wie haltet ihr das so? Rahmenbedingungen wären Fachrichtung Informatik/Bioinformatik und Promotion in der Industrie oder Vollzeit ohne Lehre. Möchte danach in die Industrie.
Laplace

Re: Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von Laplace »

Allgemein kann man das nicht sagen. Das hängt von dir selbst, deinem Thema, deinem Betreuer, deiner Universität, deinem Finanzierungmodell und vermutlich noch tausend anderen Sachen ab. Der Stressfaktor ist nicht klein. In der Industrie wird er das (je nach Aufgabenbereich, Anstellungsverhältnis, Arbeitgeber, Auftragslage, ....) auch nicht sein. Der für mich wesentliche Unterschied ist, dass ich mich gedanklich kaum von meiner Arbeit distanzieren kann. Wenn bei meiner Diss was schief läuft, will mir das grundsätzlich nicht aus dem Kopf heraus. Wenn ich an anderen Sachen arbeite, steckt weniger "Herzblut" drin. Das wegzuschieben fällt sehr viel einfacher. Damit gibt es zumindest einen "gefühlten" Stressfaktor mehr, den man meiner Meinung nach nicht unterschätzen sollte.
Poppy

Re: Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von Poppy »

Ich promoviere in der Erziehungswissenschaft mit einem Stipendium, bin also 'Vollzeitdoktorandin'.
Auf mehreren Schreibwerkstätten und verschiedenen Schreibberatern habe ich immer wieder folgende Zeitangabe gefunden, an die ich mich im Groben auch halte: Jeden Tag 4 Stunden konzentriert (!) arbeiten, mehr schafft man meistens eh nicht. Ich finde, das kommt immer ein bisschen drauf an, was man macht. Interviews transkribieren konnte ich tatsächlich nur 2 Stunden vormittags und dann nochmal 2 Stunden nachmittags. Interpretieren, schreiben, lesen kann ich meistens etwas länger, so dass meine effektive Arbeitszeit am Tag zwischen 4 und max. 6 Stunden (ist dann aber wirklich ein guter Tag, oder es muss etwas fertig werden) liegt.
Wochenenden und Hobbys finde ich ganz wichtig. Im ersten Jahr habe ich an Wochenenden so gut wie gar nicht gearbeitet, außer es musste ein Paper fertig werden o.ä. Außerdem ist man auf Tagungen gelegentlich auch am Wochenende unterwegs. Seit ein paar Monaten (Mitte des zweiten Förderjahres) arbeite ich auch am Wochenende morgens immer zwei bis drei Stunden. Im Sommer hat eine Krankheit und ein sich lang hinziehender Umzug ziemlich viel Zeit gefressen, so dass mein Zeitplan umgeworfen wurde und ich jetzt ein bisschen aufholen muss. Ich finde es aber wichtig mir auch mal in der Woche einen Nachmittag frei zu machen für gesellschaftliches Engagement oder auch einfach mal ein Kaffeetrinken mit einer Freundin, sowas MUSS einfach drin sein!
Als externe Doktorandin muss man sich komplett selber organisieren und ich mache es tatsächlich so, dass ich meine festen Arbeitszeiten habe und versuche morgens 3 Stunden und nachmittags drei Stunden zu arbeiten. Und dann ist auch Feierabend. Klar, denkt man auch abends beim Stricken auf dem Sofa über die Probleme und Themen, die einen in der Diss gerade beschäftigen, auch mal weiter, ich finde aber das ist etwas anderes als den Bildschirm anzustarren, damit man sagen kann man saß noch zwei Stunden länger am Schreibtisch.
Ich glaube dass es nächstes Jahr, im dritten Förderjahr und der anstehenden Abgabe der Diss im Herbst, nochmal was ganz anderes ist. Da werde ich sicher auch länger und sicher auch mehr am Wochenende am Schreibtisch sitzen. Endspurt ist dann halt doch was anderes. Aber bisher habe ich versucht die viel besprochene Work-Life-Balance irgendwie hinzubekommen und bin damit bisher auch ganz gut gefahren. Meine DM ist zufrieden mit meinen Fortschritten, ich hab auch das Gefühl, dass ich vorankomme, und ich habe trotzdem noch ein soziales Leben.
Unelma

Re: Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von Unelma »

Poppys Beitrag hat mich sehr beruhigt. :) Ich bin auch "Vollzeitdoktorandin" mit einem Stipendium und die erste Version der Diss ist inzwischen fertig (wird gerade von meiner DM begutachtet), aber ich wurde die ganze Zeit von meinem schlechten Gewissen geplagt, da ich tatsächlich im Durchschnitt nicht mehr als 4 oder 5 Stunden am Tag geschafft habe. Ganz selten und bei starker (intrinsischer oder extrinsischer) Motivation waren es 8-10 Stunden, aber es gab auch mal Tage, wo ich nur 2-3 Stunden arbeiten konnte oder gar nicht, z.B. wegen äußerer Umstände oder weil etwas noch "reifen" musste. An Wochenenden habe ich fast nie gearbeitet, nur wenn ich zu sehr im Thema drin war und es mir Spaß machte, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei fehlender Entspannung die nächste Arbeitswoche in der Regel drunter zu leiden hat. Mit großzügigen Urlaubszeiten und wie Poppy es treffend beschrieben hat, Zeit für ein Privatleben hat sich das Ganze schon fast 3 Jahre hingezogen - bis die Diss ganz abgabefertig ist, werden es vermutlich tatsächlich volle 3 Jahre sein.
Poppy

Re: Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von Poppy »

Ich hab auch Tage, an denen gar nichts geht. Zur Zeit kann ich mir auch leisten dann zu sagen: Okay, dann eben erst morgen wieder. Meistens klappt es dann am nächsten Tag gut wieder einzusteigen. Und ich finde es bringt auch nichts, wenn man zwar den halben Tag am Schreibtisch sitzt, aber tatsächlich nur den Bildschirm anstarrt (hatte ich wirklich schon).
Meine Erfahrung ist auch, dass ich mich nach einem freien Wochenende Montag Morgen auch wieder gern an den Schreibtisch gesetzt habe. Oft habe ich Sonntag Abend dann schon in Gedanken den Tag geplant und überlegt, wo ich weitermache oder was ich noch recherchieren will etc. Das ist viel Wert! Ich kenne Doktoranden, die quasi 24/7 an der Diss arbeiten und nur noch genervt sind. Und ein bisschen freude sollte man an der Arbeit schon noch haben, finde ich.
In den beiden Schreibwerkstätten, die ich besucht habe, wurde auch sehr eindrücklich darauf hingewiesen, dass Pausen sehr wichtig sind und man auch diese kurzen Pausen zwischendurch nicht unterschätzen sollte. Ich mache mittlerweile fast 2 Stunden Mittagspause und merke, dass ich viel frischer am Nachmittag wieder an die Arbeit gehe als wenn ich nur schnell was am Schreibtisch gegessen habe.
holladiewaldfee

Re: Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von holladiewaldfee »

Ich kann das meiste, was Poppy schreibt, voll und ganz bestaetigen. Bin im gleichen Fach unterwegs wie Du (Bioinformatik), auf mehr als 4-5 Stunden effektives Arbeiten pro Tag komme ich sehr, sehr selten. Vielleicht mal vor einer Paper-Deadline, aber das ist nicht die Regel.

Vorher war ich in der Industrie - der Stressfaktor war in etwa aehnlich. Allerdings kann ich bestaetigen, was Laplace schreibt:
Der für mich wesentliche Unterschied ist, dass ich mich gedanklich kaum von meiner Arbeit distanzieren kann.
Bei einem Buerojob ist es leichter, am Freitag zu sagen: So, Wochenende! - waehrend man bei der Diss oft ein latent schlechtes Gewissen hat. Aber auch da gibt es sicherlich Strategien..

Uebrigens: Ich habe viel mehr Freizeit und v.a. Freiheit als in den Jahren als Angestellte. (Promoviere kumulativ, Vollzeit ohne Lehre.) So gesehen bin ich wieder zurueck im Studi-Modus. Aber man sollte nicht unterschaetzen, was fuer eine Belastung ein riesiges Projekt wie eine Diss ist - auch gesundheitlich.

Alles Gute fuer die Entscheidung!
riggs

Re: Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von riggs »

Danke für die ganzen Erfahrungen, Laplace, Poppy, Unelma und holladiewaldfee.

Dein Posting, Laplace, trifft es wohl ziemlich genau. Das es einen (mich) nicht loslässt und man (ich) dann schwer davon entspannen kann (schlechtes Gewissen, weil man könnte ja noch ein bisschen mehr und so). Ist ja fast wie ein Kind kriegen, nur anders ;-) Einerseits schön, aber auch kräfteraubend. Ich erinner mich auch noch an meine Zeit, wo ich ganz in der IT gearbeitet habe - Deadlines mussten eingehalten werden und dann wurde zeitweise 12-13 Stunden in der Firma durchgeknüppelt (jetzt fragt nicht, wieviel davon wirklich produktiv waren). Auch wenns nicht das eigene Herzblut war, war es nicht sonderlich angenehm. Ich denke, ich werd Beamter :-D
Elenor

Re: Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von Elenor »

Also ich sehe meine Promotion als Vollzeitjob (mit Stipendium). Ich arbeite meine 8 bis 9 Stunden pro Tag, am Wochenende nehme ich frei. Wie viel ich davon effektiv arbeite, ist Ansichtssache :D Ich habe auch in der Industrie gearbeitet, und dort war es dasselbe. Am Wochenende kann ich ganz gut abschalten.

Als ich am Lehrstuhl gearbeitet habe, sah es anders aus - da konnte ich nur abends und nachts arbeiten, das Stipendium lief weiter, Stress pur...
Laplace

Re: Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von Laplace »

Ich denke, ich werd Beamter :-D
Das klingt nach eine guten Option :mrgreen:
Sogi

Re: Arbeitsaufwand für Promotion

Beitrag von Sogi »

Hallo zusammen,

also ich beneide euch alle, dass es bei euch so gut läuft. Ich selber mache den Dr.-Ing. in einem Forschungszentrum und bei uns brauchen die Leute idr 5 Jahre, wenn sie überhaupt fertig werden. Es gibt viel Arbeit nebenbei und mein Betreuer hat eigentlich keine Zeit, mich zu betreuen. Konsequenz ist, dass ich versuche, abends und das Wochenende durchzuarbeiten und gar kein Licht am Ende des Tunnels sehe. Vielleicht wäre ein Stipendium echt die bessere Alternative ...
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