Geschlechtergerechte Sprache in der Diss

Fragen aus der laufenden Arbeit an der Dissertation.
Literatursuche, Motivationsprobleme, Lehrtätigkeit, Ärger mit dem Prof u.v.m.

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Mathilda

Beitrag von Mathilda »

Hallo,
jetzt moechte ich doch noch meine meinung kundtun: das (schein;))argument der sperrigkeit / sprachstilprobleme mit dem binnen-i habe ich schon oft gehoert und ich finde es, ehrlich gesagt, laecherlich
Findest Du?

Mal aus einer PO:

"...sowie der Bestellung von Prüferinnen, Prüfern, Beisitzerinnen und Beisitzern, wirken nur die Mitglieder aus der Gruppe der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer und der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit."

Weiß nicht - mag ja sein, dass das nur Gewöhnungssache ist, aber so richtig schön ist das nicht. In diesem Fall wäre es mit Binnen-I machbar, aber es gibt auch einige Wörter, in denen das nicht geht wie z.B. eben Kunde. Zumindest ist es immer schwierig, wenn es um die Einzahl geht, dann hat man nämlich auch noch die Artikel.

Binnen-I ist von meinen Chef aus verboten, weil sprachlich unschön... Bliebe also nur die obige Variante. Wenn ich ehrlich sein soll, möchte ich auch eher meine Energie in den Inhalt und weniger in dieses Problem lenken...

Mathilda
Silvia

Beitrag von Silvia »

Ich schreibe im Fach Psychologie und ziehe es eiskalt durch in allen Fällen z.B. von Patientinnen und Patienten zu schreiben. Als ich meine Diplomarbeit im binnen i - Stil verfassen wollte, hat sich meine Betreuerin (die jetzt auch meine Diss. betreut) über diese "Zwitterversion" beschwert.

Auf die Idee jedes Geschlecht persönlich anzusprechen bin ich gekommen, nachdem ich einen wissenschaftlichen Text las, in welchem der Autor alles im generischen Maskulinum verfasst hatte. Darin war kurioserweise von "Eizellspendern" die Rede. Es gibt aber definitiv nur Eizellspenderinnen, weil Männer einfach keine Eier zum spenden haben :wink:

Auch habe ich schon häufiger in Referaten von StudentInnen die z.B. eine Studie vorstellen folgendes gehört:
Im Text ist ja meist aus Platzgründen (zu Recht) ausschliesslich der Nachname erwähnt -> z.B. Meier (2006) fand heraus.... Viele sprechen im Referat dann aber von Herrn Meier oder von ihm, auch wenn es sich um eine Frau handelt. Diesen Effekt, dass Frauen eben nicht immer mitgemeint sind, haben auch Studien nachgewiesen - z.B. fragen diese "Wer ist Dein Lieblingsschauspieler, Schriftsteller, Sänger ..." und bekamen von der Mehrzahl der Leute männliche Namen zu hören. Fragten sie dagegen ganz superkompliziert nach Liblingssängern und Lieblingssängerinnen, war das nicht der Fall.
und solange Frauen nicht mitgemeint sind, spreche ich sie extra an. So kann man auch viel präziser arbeiten. Wenn ich z.B. von Patienten rede weiss die Leserschaft auch gleich das wirklich ausschliesslich männliche Patienten gemeint sind.
viola

Unterstrich

Beitrag von viola »

hallo,

inzwischen gibt es eine neue Variante der geschlechtersensiblen Sprache, die damit begründet wird, dass das Binnen-I (wie in "StudentInnen") zwar Männer und Frauen repräsentiert, nicht aber solche Leute, die keine Männer oder Frauen sind oder sein wollen oder sein können (Intersexuelle Menschen, transgender Menschen oder inbetweens oder sonstwas). Daher gibt es in Kreisen, die keine Lust haben, solche Ausschlüsse zu produzieren, den Unterstrich (z.B. "Student_innen"). Nen ausführlichen Artikel dazu gibts hier.
Praktiziert wird diese Unterstrich-Lösung vor allem in linken Kreisen. Ich habe in meiner Diplomarbeit diese Variante verwendet und habe nach kurzer Zeit mich sowohl an das Tippen als auch an das Lesen dieser Variante gewöhnt. Wer sagt, dass dies die Lesbarkeit eines Textes verschlechtert, sucht aus meiner Sicht eine billige Ausrede. Wenn jemand mit dieser Schreibweise oder dem Binnen-I nicht klarkommt und einen Text unter solchen Umständen nicht lesen kann, so ist das deren Problem und nicht meins (und es ist in den meisten Fällen ein Problem von heterosexuellen Männern, die sich nicht mit ihrer privilegierten Position auseinandersetzen wollen)

Was die Diskussion um das generische Maskulinum angeht, so ist eigentlich alles gesagt, aber ich versuch es nochmal in meinen Worten, die ich in meiner Diplomarbeit verwendete und wo ich Adrienne Rich zitiere, die das Problem sehr klar auf den Punkt bringt:

Mit dem generischen Maskulinum wird zwar mehr oder weniger explizit der Anspruch gehegt, für alle Menschen zu sprechen, aber unmittelbare Sichtbarkeit kommt darin nur Männern zu, während Frauen oder andere Geschlechterformen entweder nicht erwähnt werden oder in einer Fußnote entsorgt werden. Als Konsequenz davon bleiben häufig auch die Interessen von nicht-Männern unberücksichtigt bzw. wird die Artikulation dieser erschwert, da Artikulation Repräsentation voraussetzt. Eine solche Unsichtbarkeit hat psychische Konsequenzen, wie Adrienne Rich schreibt:

"Wenn die, welche die Macht haben, der Wirklichkeit Namen und soziale Gestalt zu verleihen, dich lieber nicht sehen oder hören, ... wenn jemand mit der Autorität eines Lehrers zum Beispiel die Welt beschreibt und du darin nicht vorkommst, dann tritt ein Moment der psychischen Gleichgewichtsstörung ein, als schautest du in einen Spiegel und sähest nichts. (Rich, 1984/1990, S. 100)

(zum nachlesen für jene, die es interessiert: Rich, A. (1990). Unsichtbarkeit in der Hochschule. In Um die Freiheit schreiben. Beiträge zur Frauenbewegung (S. 100 - 103). Frankfurt/Main: Suhrkamp. (Im Original erschienen: 1984 in Inivisibilty in Academe. In Blood, Bread, and Poetry: Selexted Prose, 1979-1985).

viele grüße,
viola, die keine Frau ist.
oclock
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Beitrag von oclock »

Was kommt als nächstes?

"Frauen fordern, daß männliche Embryos vor der Geburt genetisch verändert werden, damit sie später ebenfalls Kinder zeugen können."
Hintergrund: Frauen fühlen sich durch den Zwang den Nachwuchs austragen zu müssen erheblich diskriminiert. Ihnen entgehe dadurch wertvolle Berufserfahrung, die sie schlechter als ihre männlichen Kollegen stellen. Ein Wieder-Einstieg in das Berufsleben wird dadurch erheblich gefährdet. Auch seien die körperlichen Folgen einer Geburt für eine Frau eine zusätzliche seelische Belastung, die den Alltag beträchtlich aufgrund von Selbstzweifeln erschwert.
Die Frauenvereinigung e.V., deren Vorsitz A. Schwarzer hat, fordert daher eine Gleichstellung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen. Dazu gehört genetische Manipulation von Ungeborenen im Mutterleib.
"Wenn Männer Kinder kriegen, wäre das Leben auch für eine Frau wesentlich Lebenswerter", kommentierte Studentin Anna Fritsch die Forderungen der Frauenvereinigung e.V.. Aber auch Männer scheinen den Forderungen nicht völlig abgeneigt zu sein. "Kinder zu kriegen wäre mal eine neue Erfahrung, die meine Persönlichkeit stärken könnte.", so Hans Wurst, Student aus Frankfurt.
Die Forderungen tragen bereits Früchte. So werden derzeit Möglichkeiten unter Politiker diskutiert und Risiken eines entsprechenden Gesetzesentwurfs untersucht. Eine Entscheidung soll im kommenden jahr getroffen werden.

SCNR ;-)
acoma

Beitrag von acoma »

Schtudinki postete:
Ich bin aber auch nicht gewillt, weiter diesen albernen Zusatz "Frauen sind in den männlichen Formen selbstverständlich mitgemeint" o.ä. hinzunehmen, nur weil es eben der Lesegewohnheit entspricht und die geringsten Probleme verursacht.
Ich finde auch, das reicht nicht. So einfach sollte man sich das nicht machen.
Bessere Formulierung lautet nicht: So einfach sollte man/frau sich das nicht machen.
Sondern eine gute Lösung ist hier: So einfach sollten wir uns das nicht machen.
Bei diesem wir fällt die Geschlechterdifferenz komplett weg. Das sind die besten Lösungen meiner Meinung nach.

Bei diesem Thread fällt mir auf, daß Ihr vornehmlich Euch darum kümmert, was Ihr
selber für richtig haltet. Ich finde, das ist eine falsche Einstellung.

Die Publikation ist für die Leser und Leserinnen da. Wenn es Leserinnen gibt, die
mit Leserin angesprochen werden möchten, [dann sollt man dem entsprechen] -
besser: Dann sollte dem entsprochen werden.

Auch hier wieder, bei dieser Passivform, fällt die Geschlechterdifferenz komplett weg.
Es ist nicht schwierig, sich in dieser Richtung einen verbesserten Stil anzugewöhnen.

Wegen der vielen Leserinnen, die empfindlich reagieren, versuche ich Rücksicht
zu nehmen, und baue gelegentlich auch die weibliche statt der männlichen Form ein.
Manchmal taucht auch das große I auf, aber nur gelegentlich, gewissermaßen zur
Beschwichtigung, oder ich sage liebe Leser und Leserinnen. Bei den nächsten Malen
steht dann aber wieder nur Leser, aber dann taucht auch wieder Leserin auf.

Das alles läßt sich mit stylistischer Eleganz durchaus vereinbaren.
Der Kaufmann bzw. die Kauffrau, die wissen, daß der Kunde gerne als Kundin
angesprochen werden möchte, entsprechen dem aus gutem Grund. Ähnliches
gilt für Publikationen (oder bei Vortrag).

Rücksichtnahme, die Anerkennung des "Problems", halte ich für wichtig. Es ist gar
nicht nötig, den Text durchgehend korrekt zu gestalten, es genügt, zum Ausdruck
zu bringen, daß die Norm, eine "geschlechtergerechte oder geschlechtsneutrale
Sprache nach Möglichkeit zu sprechen/schreiben", anerkennt wird. Dafür reicht
der oben genannte "alberne Zusatz" nicht aus.
acoma

Beitrag von acoma »

Ich korrigiere mich.

Schtudinki hatte schon gepostet:
Ich kam übrigens heute zu der Erkenntniss, dass sich die Veränderung im Schreibstil sicher auch massiv am Publikum orientiert. In etlichen Geisteswissenschaftlichen Bereichen ist der Aufschrei sicher größer, weil wir mehr Mädels haben die 1. die Texte schreiben und 2. die Texte Lesen.
Das seh ich auch so.
kivio

Zitiererei

Beitrag von kivio »

Eine jetzt eher scherzhafte Antwort auf Silvias Beitrag:

Das mit der Zitiererei ist ggf. ein massives Problem, man nehme zum Beispiel Bruggemann et al (197paarnsiebzmich). Bruggeman (Agnes) war/ist eine Frau, über den Rest des Forscherteams weiß man aber, dass es Herren waren. Was mach ich denn dann, außer acomas Passiv benutzen?

Auch kleine Teams machen da schon Sorgen, sprich ein Herr und eine Dame haben zusammen den Artikel verfasst, da bleibt mir nichts anderes übrig als zu zitieren "Schon X &Y stellten fest blabla..." gelegentlich gehts halt nicht anders.

Wenn ich mir meine Texte übrigens so anschaue, dann hab ich immer so geschrieben, dass ich genau dieses Problem einigermaßen elegant umgehen konnte.

Dazu übrigens auch ein Nachsatz aus meiner Forschungsarbeit, weder mein Doktorvater noch mein betreuuender Prof an der Hochschule wären begeistert gewesen, so Mammutsätze zu lesen, wie sie Mathilda vorgestellt hat. Ich denke auch, man sollte sich am Besten der jeweiligen Zielgruppe anpassen. Wenn Marylin French meine Diss lesen soll, werde ich radikal geschlechterspezifisch schreiben, wenn allerdings die honours der Lesetätigkeit an Rita Mae Brown gehen, brauch ich das nicht, denn die ist da schon rausgewachsen ;-).

Vergnügte kivi*Grüße zum Wochenende
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