Interviews bearbeiten?

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snoozyandre

Interviews bearbeiten?

Beitrag von snoozyandre »

Hi,

wie transkribiert ihr eure Interviews?

-Kann ich auch unwesentliche Dinge weglassen und Sachen, die der Partner an einer bestimmten Stelle nennt an eine andere bauen, wenn eine Frage dadurch beantwortet wird.

-Senden ihr eine Einverständniserklärung an den Partner, das die Daten genutzt werden dürfen?

Ciao,

Snooze
Wissbegierige

Re: Interviews bearbeiten?

Beitrag von Wissbegierige »

Also ich habe auch manches Unwichtige weggelassen (ca. 5% in meinen Interviews, auch zum Beispiel Störungen wie Unterbrechungen durch Dritte), aber auf jeden Fall eine Paraphrasierung davon in eckigen Klammern an der Stelle eingefügt und auch wie lange diese Passage dauert. z.B.: [Interviewer erklärt den Hintergrund des Interviews] 00:01:43
Manchmal stellt sich erst im Nachhinein raus, dass das vielleicht doch wichtig war.
Auch zur Interpretation ist das vermeintlich 'Unwichtige' manchmal interessant. Es kann beispielsweise zeigen, dass dein Gesprächspartner ablenken will, weil ihm deine Frage unangenehm ist o.ä.

Ich habe keine Einverständniserklärung versandt, da ich vor dem Interview natürlich den Zweck meiner 'Datensammlung' erklärt habe. Wer mit der (anonymisierten) Nutzung nicht einverstanden ist, hätte sich ja wohl kaum interviewen lassen, oder?
HHlerin

Re: Interviews bearbeiten?

Beitrag von HHlerin »

Hinsichtlich Transkription würde ich genauso verfahren wie Wissbegierige. Auf keinen Fall einfach wild das Interview "zerstückeln" und Sachen an eine andere Stelle packen. Hat ja einen Grund, warum die Gesprächsperson erst zu einem bestimmten Zeitpunkt antwortet, zwischendurch abschweift o.ä.. Bei der Auswertung sortierst Du die passenden Textstellen ja eh bestimmten Codes/Kategorien/Themen zu, so dass eine Zusammenführung thematisch verwandter Textstellen auf der Auswertungsebene automatisch stattfindet. Aber eben zu einem anderen Zeitpunkt der Arbeit und mit anderem Grund.

Zum Thema Einverständniserklärung: Selbstverständlich benötigt man vom Gesprächspartner eine Einverständniserklärung, selbst wenn die Interview anonym geführt werden! Ohne die hat man kein Recht, das Gespräch aufzuzeichnen, auszuwerten oder gar auszugsweise irgendwo zu publizieren. Es gilt der Grundsatz des "aufgeklärten Gesprächspartners", d.h. er muss VOR dem Interview genau darüber informiert werden, was mit dem Material passiert (aufnehmen, transkribieren, auswerten, Passagen in Vorträgen und der Diss verwenden, etc.), wo und wie lange es aufbewahrt wird und so weiter. Das alles MUSS auch in der Einverständniserklärung enthalten sein! Diese muss direkt nach dem Interview unterschrieben werden (nicht vorher, sonst ist sie rechtlich nicht gültig). Was nicht in der Einverständniserklärung enthalten ist, darf mit dem Material auch nicht gemacht werden (z.B. Weiterverwendung für andere Forscher)! Zudem muss in der Einverständniserklärung ZWINGEND drinstehen, dass der Gesprächspartner sie jederzeit widerrufen kann (dazu dann Kontaktdaten angeben und Code-Nummer des Interviews nennen). Der Interviewpartner bleibt stets der "Herr über seine Daten"! Das Fehlen der Einverständniserklärungen ist nicht nur rechtlich absolut unzulässig, es kann auch dazu führen, dass die Diss nicht anerkannt wird, da sie auf unrechtmäßig erhobenen Informationen beruht. Es ist unerheblich, dass man vorher alles erklärt, ohne schriftliche Zustimmung des Interviewpartners geht nix!

LG
algol
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Re: Interviews bearbeiten?

Beitrag von algol »

Also bei der Formulierung "Sachen an anderen Stellen einbauen" sträuben sich mir etwas die Haare. Was für ein wissenschaftliches Auswertungsverfahren ist das?
Wissbegierige

Re: Interviews bearbeiten?

Beitrag von Wissbegierige »

HHlerin hat geschrieben:Das Fehlen der Einverständniserklärungen ist nicht nur rechtlich absolut unzulässig, es kann auch dazu führen, dass die Diss nicht anerkannt wird, da sie auf unrechtmäßig erhobenen Informationen beruht. Es ist unerheblich, dass man vorher alles erklärt, ohne schriftliche Zustimmung des Interviewpartners geht nix!
Mir ist nicht bekannt, dass das nur in schriftlicher Form zulässig ist. Ich kenne es aus mehreren sozialwissenschaftlichen Fächern der Uni so, dass man nach Aufklärung vorab eine mündliche Zustimmung einholt und die auch Gültigkeit hat. (So fand das auch unter der Anleitung von Profs statt.) Ich kenne bei uns keinen Fall, indem deswegen eine Diss nicht anerkannt wurde. (Aber vielleicht folgt das ja auch nur dem Prinzip "Wo kein Kläger, da kein Richter")
Außerdem gibt es auch ein praktisches Problem: ich verwende ja auch Daten aus der Feldforschung, die zum Beispiel aus 2minütigen Gesprächen nebenbei stammen. Wenn ich da jeden was unterschreiben lassen müsste...
HHlerin

Re: Interviews bearbeiten?

Beitrag von HHlerin »

Auch wenn das unter Anleitung eines Profs stattfand: Es stimmt nur sehr begrenzt. Natürlich kann man sein Einverständnis auch mündlich geben, da DU später aber in der Lage sein musst, zu beweisen, dass Du mit Zustimmung gehandelt hast, solltest Du darauf keinesfalls verzichten. Einzige taugliche Alternative ist aus meiner Sicht, die entsprechenden Inhalte bei laufendem Tonband mit dem Interviewpartner zu besprechen und dann ganz offiziell zu fragen, ob er zu all dem seine Zustimmung gibt. Dann musst Du allerdings die Tonbänder entsprechend lange aufbewahren, denn ein Transkript genügt in diesem Fall nicht.

In der Praxis wirst Du natürlich recht haben mit dem "Wo kein Kläger, da kein Richter", aber im Zweifelsfall/Ernstfall liegt die Beweislast bei Dir, d.h. wenn Dir jemand blöd will und nachfragt, musst Du beweisen, dass Du das Material rechtmäßig verwendest. Und wenn es mal einen Disput mit dem Doktorvater, Zweitgutachter oder sonstwem geben sollte, kann Dir das Fehlen von Einverständniserklärungen echte Probleme machen. Das so ein Fall ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

Bei der Feldforschung gilt im Übrigen meiner Ansicht nach entsprechendes: Du musst Dir vorher die Zustimmungen geben lassen, Äußerungen u.a. zu verwenden und auszuwerten. Wenn Du "geheime" Feldforschung machst (also als Spitzel die Strukturen der Hells Angels untersuchst oder so), dann müsstest Du Dein Vorgehen mit einer Ethikkomission oder dem zuständigen Datenschutzbeauftragten abklären und genehmigen lassen.
Klaus Unruh
Beiträge: 180
Registriert: 09.12.2009, 11:23
Status: Post-Doc

Re: Interviews bearbeiten?

Beitrag von Klaus Unruh »

Dann musst Du allerdings die Tonbänder entsprechend lange aufbewahren, denn ein Transkript genügt in diesem Fall nicht.
Wo steht das denn? Es ist doch durchaus auch sinnvoll dass die Tonbänder und / oder Transkripte nach Beendigung der Forschung zerstört werden. So ist dann eine Anonymität der Teilnehmenden gesichert. Ich kenne kein Gesetz, keine Verordnung und auch keine Promotionsordnung, dass eine zeitlich befristete Aufbewahrungspflicht vorsieht.

Oder bin ich da einfach nur blöd und mich hat nie jemand auf dieses Problem hingewiesen?

Gruß,

Klaus
HHlerin

Re: Interviews bearbeiten?

Beitrag von HHlerin »

In einer Promotionsordnung wird das so natürlich nicht drinstehen, weil es darin ja nur um die Formalien zur Anfertigung der Diss geht...
Grundsätzlich sind Aufnahmen zu löschen, sobald sie für die Forschung nicht mehr benötigt werden, also möglichst schnell. Dies kollidiert mit den Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, nach der Daten 10 Jahre aufgehoben werden sollten (damit später die Ergebnisse überprüfbar sind). Ich bin auch dafür, die Bänder möglichst schnell zu löschen, es ging ja in meinem Beispiel nur um den Ausnahmefall, wo auf dem Tonband die Einwilligung des Interviewpartners drauf ist. Hier nochmal zwei lesenwerte Dokumente zum Thema Datenschutz:
- http://www.suz.uzh.ch/vorheyer/lehre/06 ... sation.pdf (von Cornelia Helfferich, 2009)
- http://www.datenschutz.hessen.de/downlo ... load_ID=61 (für Hessen, Grundlage ist aber auch hier natürlich das Bundesdatenschutzgesetz, die Regelungen unterscheiden sich in den Bundesländern diesbezüglich nicht wirklich, so dass man sich auch als nicht-Hesse daran orientieren kann)

Es geht wie schon gesagt darum, dass der Forscher im Streitfall in der Beweispflicht ist und dann natürlich eine mündliche Zustimmung (die möglich ist) nicht zu beweisen ist. Es geht also zum einen darum, dem Interviewpartner seine Rechte deutlich zu machen und dies schriftlich festzuhalten und zum anderen darum, für sich (Rechts-)Sicherheit herzustellen, auf die man sich im Fall der Fälle berufen kann.

LG
Gesperrt
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