FH-Professur: Berufserfahrung wirklich notwendig?

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TH7

FH-Professur: Berufserfahrung wirklich notwendig?

Beitrag von TH7 »

Hallo,

bei Bewerbungen auf FH-Professuren ist ja idR eine fünfjährige Berufserfahrung, davon 3 außerhalb der Hochschule, erforderlich. Meiner persönlichen Meinung nach ist das eine sehr wenig zielführende Regelung. In meinem Umfeld habe ich schon mehrere Personen von Forschungseinrichtungen auf FH-Professuren wandern sehen. Die machen dort genau den selben Job wie Uni-beschäftigte. Nur dass Lehre wegfällt und sie somit schneller promovieren können. Besser als die meisten meiner Uni-Kollegen waren diese Leute nicht, eher im Gegenteil. Und einen Unterschied in der Praxisrelevanz sowie Praxiserfahrung konnte ich nie feststellen.

Jetzt stehe ich selbst vor der Entscheidung, ob ich mich auf eine solche Professur bewerbe. Auch dort sind 3 Jahre außerhalb der Hochschule zwingend notwendig. Meine Frage ist nun, ob das wirklich ein Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis sein muss oder auch anders erfüllbar wäre, zB:

- Selbständige Tätigkeit. Falls ja, könnte man doch einfach ein Gewerbe anmelden und hätte die Regelung umgangen.
- Fachfremde Berufserfahrung. Ich hab zB 13 Monate Zivildienst geleistet, während Schule und Studium unterschiedliche Nebenjobs gehabt, etc. Da könnte man sicher auf 3 Jahre kommen.
- Würden auch 50% Stellen reichen? Fairerweise müssten es dann aber doch 6 Jahre Berufserfahrung sein...

Man merkt vielleicht, dass ich diese Regelung für alles andere als durchdacht halte. Aber meine Frage ist eigentlich:

Wie streng wird so etwas üblicherweise gehandhabt? Was sind die Kriterien für diese "Berufserfahrung"?
Nino

Re: FH-Professur: Berufserfahrung wirklich notwendig?

Beitrag von Nino »

Hallo TH7,

so pauschal ist das - wie so oft - nicht wirklich zu beantworten.

Es hängt einerseits ab von der Bewerberlage. Dann von all dem, was Du an Leistung etc. mitbringst. Theoretisch brauchst Du aber auf jeden Fall die Berufserfahrung - es geht ja um die angewandte und weniger um die rein theoretische Wissenschaft.

Und: Nicht allein die FH ist hier der Entscheider. Klar, Du musst im Verfahren auf die Liste kommen, möglichst auf Platz eins. Aber die letzte Entscheidung trifft das Wiss.-Ministerium/Minister. Ich weiß von Fällen, bei denen das Ministerium ein "no" gegeben hat, obwohl die FH wollte - genau aufgrund mangelnder (zeitlicher) Berufserfahrung.

Wenn die FH-Professur Dein Ziel ist - was spricht dagegen, sich diese aufzubauen?
Bleistift

Re: FH-Professur: Berufserfahrung wirklich notwendig?

Beitrag von Bleistift »

TH7 hat geschrieben:Hallo,

bei Bewerbungen auf FH-Professuren ist ja idR eine fünfjährige Berufserfahrung, davon 3 außerhalb der Hochschule, erforderlich. Meiner persönlichen Meinung nach ist das eine sehr wenig zielführende Regelung.
Meiner Meinung nach geht das nicht weit genug. So sehr an der Uni die wissenschaftliche Reputation zählt (Veröffentlichungen, betreute Doktoranden, intern. Forschungsaufenthalte,...), so sehr zählt an der FH das Praxis-Knowhow. Ja, auch ich kenne diese Professoren, die eine halbgare praktische Erfahrung mitbringen... die sich dann hinter ihren Powerpoints und den dumpfen Phrasen verstecken, die sie aus diesem und jenen Buch rauskopiert haben. Das ist aber nicht Sinn und Zweck einer FH. Eine FH-Vorlesung lebt von den Erfahrungen des Professors. Wenn ich das nicht wollte, hätte ich nicht an einer FH studiert (und würde selbst nicht irgendwann als Prof dorthin zurück). All meinen Kommilitonen ging es genauso (bis auf das mit der Professur).

Dass vereinzelt Leute wie ich - von der FH kommend - eine Promotion anstreben und sich tatsächlich tiefer gehend mit einer Disziplin auseinandersetzen wollen, ist die absolute Ausnahme. Erwarte dir da also nicht zuviel. Die meisten Studenten dort haben Interesse an der praktischen Expertise und den Connections der Dozenten. Und wenn eben jene nicht gegeben sind, weil du - wie du später sagst - sogar den Zivildienst als Berufserfahrung anrechnen lassen willst, kannst du die Studenten dort eigentlich nur enttäuschen... auch wenn du den Job vll kriegen solltest. Und letztlich bist weder du noch der Student zufrieden.

Also meine Meinung: Wenn du an einer FH langfristig erfolgreich unterrichten willst, dann verschaffe dir zunächst das nötige berufliche Fundament. Du wirst auch neben der Professur den Fuß in der Praxis halten müssen, sonst bist du bald das Gespött unter Studenten, Kollegen und Wirtschaftspartnern der Hochschule.
algol
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Re: FH-Professur: Berufserfahrung wirklich notwendig?

Beitrag von algol »

Also Leute, die sich "dann hinter ihren Powerpoints und den dumpfen Phrasen verstecken, die sie aus diesem und jenen Buch rauskopiert haben", sind überall ein Gespött. Egal ob Uni oder FH. Ich habe an beiden studiert. Ob man das so schwarz-weiß trennen kann, wage ich zu bezweifeln. Ich habe auch selbst einen Lehrauftrag gehalten. Als Praktikerin.
Als ich an der Uni studiert habe, gab es auch Kritik an einigen Dozenten, sie hätten nie die Praxis gesehen. Ebenso wurden aber auch Praktiker kritisch beäugt, die einfach aus ihren ERfahrungen plaudern. Das hat nichts mit Studium zu tun, weder an einer Uni noch an einer FH. Mit der ganzen Umstellung auf Bachelor/ Master ändert sich das ohnehin.

Ob eine FH einen Zivildienst als berufliche Praxis akzeptiert, hängt bestimmt mit der Bewerberlage zusammen. FHs in Großständten haben da oft mehr Auswahl als in der Pampa. Muss aber nicht so sein. Wie sinnig man solche Vorgaben sieht, ist eine andere Sache. In Stellenanzeigen stehen oft Anforderungen, über deren Sinn man streiten kann. Wenn man den Job haben will, muss man sich damit auseinandersetzen.
Klaus Unruh
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Re: FH-Professur: Berufserfahrung wirklich notwendig?

Beitrag von Klaus Unruh »

Ich kann zwar nicht aus eigener praktischer Erfahrung sprechen, da ich kein FH-Prof bin und auch nie an einem Berufsungsverfahren teilgenommen habe. Aber ich habe mich ein bisschen erkundigt, wie das im Bereich Soziale Arbeit ist. Inwiefern das auch für andere Bereiche übertragbar ist, weiß ich nicht.

Beim folgenden Bedenken: Ausnahmen sind immer möglich. Sowohl über den Genie-Paragraphen, als auch jeweils auf die jeweilige Stelle bezogen.

In der Regel sind es 3+2 Jahre nach dem ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss. Hierzu zählt zwar selbstständige Tätigkeit, dies ist aber nicht ganz so einfach und sollte auch in irgendeiner Form nachgewiesen werden (Referenzen von Kunden/Klienten, Leistungsverträge mit irgendwem, Leistungsbeschreibungen, Presseartikel...). Teilzeittätigkeit gilt auch als Tätigkeit, in einigen Berufungsordnungen von Fachhochschulen habe ich gelesen: soll anteilig angerechnet werden. Das wird aber wohl tendenziell nicht so irsinnig eng ausgelegt.

Allerdings sollte man sich auch nicht durch Bewerbungen, bei denen man nicht die Voraussetzungen erfüllt, verbrennen. Darüber hinaus: der hlb führt Beratungsseminare durch: http://www.hlb.de

Diese gelten aber ab Beginn der Professur. Wenn du jetzt deine 4 Jahre voll hast, dann wären die 5 Jahre ja voll, wenn das Berufungsverfahren abgeschlossen ist.

edit: Es sollen i.d.R. einschlägige Erfahrungen sein. Da kann dann ein Zivi, nach einem ersten FH-Studium absolviert, ggf. schon eine Rolle spielen und als Beleg berufspraktischer Erfahrungen dienen. Wenn man z.B. im heilpädagogischen Bereich arbeiten möchte und das auch während des Zivis gemacht hat.

Gruß,

Klaus
McB

Re: FH-Professur: Berufserfahrung wirklich notwendig?

Beitrag von McB »

Grundsätzlich ist die Berufserfahrung (5 Jahre, davon 3 außerhalb der Uni) per Gesetz zwingend notwendig. Die Hochschulgesetzte der meisten Bundesländer erlauben eigentlich nur eine einzige Alternative zur Industrie-Praxis: Eine Habilitation. Die ist dann aber in der Regel mit deutlich mehr Arbeit als die durchschnittliche "Industrieerfahrung" verbunden; eine FH-Professur kann aber eine sinnvolle Zwischenstation für jemanden sein, der letztendlich eine Uni-Professur anstrebt

Hast Du weder einschlägige Praxiserfahrung noch eine Habilitation kannst Du Dir die Bewerbung gleich sparen.

Und zum Thema Praxisbezug an den FHs: Mein Eindruck war immer, dass die sog. "Praxis" an den FHs zumindest im Grundstudium eher eine Luftnummer für Hochglanzprospekte ist. In den Vorlesungen wird der Stoff genauso gelehrt wie an den Unis.

Auch muss man bedenken, dass es das Diplom (FH) inzwischen nicht mehr gibt. Die FHs verleihen inzwischen den gleichen Bachelor wie die Unis ! Folglich kann man davon ausgehen, dass sich beide in einiger Zeit irgendwo in der Mitte treffen werden. Da werden die FHs ihr theoretisches Niveau etwas anheben müssen und die Unis etwas mehr Industriebezug anbieten müssen.

Eine gute Hochschulausbildung zeichnet sich meiner Meinung nach durch eine gesunde Mischung aus Theorie und Praxis aus. Legt man den Fokus krampfhaft zu sehr auf eines der beiden Gebiete, ist das für die Ausbildung eher negativ.

Viele Grüße

Bernd
DoneXY

Re: FH-Professur: Berufserfahrung wirklich notwendig?

Beitrag von DoneXY »

McB hat geschrieben:Auch muss man bedenken, dass es das Diplom (FH) inzwischen nicht mehr gibt. Die FHs verleihen inzwischen den gleichen Bachelor wie die Unis ! Folglich kann man davon ausgehen, dass sich beide in einiger Zeit irgendwo in der Mitte treffen werden. Da werden die FHs ihr theoretisches Niveau etwas anheben müssen und die Unis etwas mehr Industriebezug anbieten müssen.
Wieso sollten sich die Unis in Richtung der Universities of Applied Sciences, wie die FHs inzw. heißen, bewegen? Sehe ich nicht. Zumal fraglich ist, ob viele Unis nicht sogar einen stärkeren Praxisbezug haben als die UAS. Viele Forschungsprojekte an den Unis werden von privaten und öffentlichen Geldgebern sowie 'der' Industrie finanziert, da sie an den Ergebnissen ein unmittelbares Interesse haben.

Dass ein Prof. an einer UAS, der mal drei Jahre in seinem Leben in einem Unternehmen gearbeitet hat, bis zur Pensionierung von den damaligen Erfahrungen für die Lehre profitiert, wird auch in einigen/vielen Fällen mehr Wunsch als Realität sein.
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