Die Qual der Wahl: wie promovieren nach Berufseinstieg?

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lonestar

Die Qual der Wahl: wie promovieren nach Berufseinstieg?

Beitrag von lonestar »

Hallo zusammen,

schon seit einiger Zeit spiele ich mit dem Gedanken, nach meinem Start ins Berufsleben eine Promotion dranzuhängen. Ich arbeite jetzt seit gut zwei Jahren bei einem großen Automobilhersteller, ursprünglich habe ich Wirtschaftsingenieurwesen studiert.

Allerdings gibt es so viele verschiedene Möglichkeiten, dass ich mir nicht sicher bin, welche für mich jetzt die richtige wäre. So oder so wird sich eine Diss nicht ohne finanzielle Einbußen darstellen lassen, da ich mir eine Promotion parallel zu meinem Vollzeitjob absolut nicht vorstellen kann (ich reise sehr viel und bin idR nur jede 2. Woche zu Hause) Ich habe aber die Möglichkeit, mich bis zu 6 Jahre freistellen zu lassen, d.h. mein Job bleibt sicher sogar falls dann doch was schief gehen sollte mit der Promotion.

Folgende Alternativen kommen für mich in Betracht:

1) Als WiMi an einem einschlägigen Institut. Ich habe Bewerbungen auf 100%-Stellen an zwei Hochschulen laufen, die eine Promotion neben der Tätigkeit anbieten (ich weiß aber natürlich nicht, ob ich die Stellen bekommen werde). Vorteil wäre die Vergütung nach TVL 13 und natürlich die gute Anbindung an den Prof. Andererseits muss man als WiMi seine Promotion offiziell in seiner „Freizeit“ schreiben – also neben den 40h vertraglicher Arbeitszeit (sehe ich das richtig?). Also bin ich wieder bei einer Doppelbelastung zwischen Job und Promotion. Und ich bin natürlich wieder etwas weiter von der Wirtschaft weg.

2) Mit Promovierendenvertrag bei meinem aktuellen Arbeitgeber. Bei uns in der Firma gibt es sog. „Stipendien“ für Promovierende, die mit anfänglich 2.200 EUR pro Monat vergütet werden. Dafür ist man 50% seiner Woche fest in das Tagesgeschäft der Abteilung eingebunden und darf die anderen 50% an seiner Diss forschen und schreiben. Hochschule für die dort „externe“ Promotion muss man sich meines Wissens selber suchen. Vorteil: ich bleibe bei meiner Firma und nah an der Wirtschaft und bin 50% meiner Zeit offiziell für die Promotion freigestellt, die Jahre würden mir als Betriebszugehörigkeit angerechnet. Nachteil: vergleichsweise weniger Geld, externe Promotionsbedingungen an der Uni. Ich müsste für die konkrete Stelle wahrscheinlich umziehen oder 80km Pendeldistanz in Kauf nehmen.

3) Teilzeit beantragen und klassisch extern promovieren. Habe ich bislang am wenigsten überlegt. Liegt finanziell wahrscheinlich ähnlich zu 2). Ich würde nach Möglichkeit ein Teilzeitmodell wählen, bei dem ich auf 50% gehe und wochenweise arbeite, d.h. 1 Woche Firma 1 Woche Diss (lässt sich so wahrscheinlich am besten bei meinen Chefs durchboxen).

Falls ich in die glückliche Lage kommen sollte, wählen zu dürfen, wozu würdet ihr raten? Habe ich den einen oder anderen wichtigen Faktor übersehen?

Vielen vielen Dank für eure Tipps
Sabine
algol
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Re: Die Qual der Wahl: wie promovieren nach Berufseinstieg?

Beitrag von algol »

Hallo Sabine,

Du hast das schon recht gut abgecheckt.

zu 1) Bei Wings-Leuten gibt es häufig volle Stellen an den Unis. Wie viel Du von Deiner Arbeitszeit für die Diss aufwenden kannst, hängt vom Prof ab. In extremen Beispielen gar nicht ("Sie kriegen ja 1 Jahr Arbeitslosengeld, da können Sie dann Ihre Diss zusammenschreiben.") oder auch recht gute Bedingungen. Dass man die Diss voll in der Arbeitszeit unterkriegt, ist wahrscheinlich völliger Einzelfall. Ich kenne aber einen. Die meisten haben irgendwas dazwischen.
Die Frage ist auch, wie lang der Vertrag geht. In 2 Jahren ist die Diss in der Regel nebenbei nicht zu schaffen.
Kontakt zur Wirtschaft: Klar, Du bist raus. Falls Dein Prof viele Praxiskontakte hat, kannst Du vielleicht sogar auch andere Firmen punktuell kennen lernen.
Finanzierung ist bei der vollen Stelle natürlich am besten.

zu 2) und 3) Hat natürlich den Charme, dass Du in Deinem Unternehmen bleibst. Vielleicht kannst Du vorher etwas Geld sparen.
Knackpunkt: Sind die 50% auch einigermaßen 50%?
Wie stark beschäftigt Dich der Job auch weiter im Kopf? Könntest Du einfach umschalten?
Positiv ist, dass Du Dir den Prof selbst suchen kannst. Musst Du im Unternehmen schreiben? Die Für und Wider hatten wir hier im Forum schon ein paar Mal.
Kannst Du hierher (nach einer unbekannten Zeit) wieder voll einsteigen?
80 km - wäre das zu einer anderen Niederlassung an der Firma? Falls Du wochenweise arbeitest, geht es sicher.
Knackpunkt: Kontakt zur Uni. Du bist dann ziemlich extern und hast an der Uni auch kein Netzwerk aus einer bisherigen Tätigkeit.
Das sollte man nicht unterschätzen. Du musst ja auhc in den Wissenschaftskram reinkommen. Da müsstest Du stark eigeninitiativ werden, Dir Kontakte zu suchen.

Ansonsten: Hast Du überlegt, Dich für ein Graduiertenkolleg zu bewerben? Es gibt auch so assoziierte Stellen für Leute, die eigentlich eine andere Finanzierung haben.

Hilft Dir das weiter?

Viele Grüße

algol
Fletcher84

Re: Die Qual der Wahl: wie promovieren nach Berufseinstieg?

Beitrag von Fletcher84 »

Liebe Sabine,

da du schon in einem großen Unternehmen bist und voraussichtlich auch nach deiner Promotion in die Industrie zurückkehren möchtest, würde ich dir zu Variante 2 oder 3 raten. Bei Variante zwei ist es wirklich wichtig, dass du nicht mehr als die 50% ins Tagesgeschäft eingebunden wirst. Das hängt sehr viel von deinem Betreuer im Unternehmen ab. Allerdings finde ich so ein Stipendium schon einmal nicht schlecht.

Eine seltene, aber durchaus mögliche Variante ist, dass du vielleicht nur in eine niedrigere Tarifstufe versetzt wirst und dennoch genügend Zeit für die Promotion bleibt. Am Ende der drei Jahre wird man dann komplett freigestellt und bekommt nur das normale Promotionsgehalt. Ein Freund von mir, hat das so gemacht, allerdings hatte er gute Argumente:
1) Familie mit zwei Kindern
2) Langjährig in der Firma
3) sehr gutes Expose

Hast du schon eine konkrete Vorstellung von deinem Thema?

Viele Grüße
Fletcher
lonestar

Re: Die Qual der Wahl: wie promovieren nach Berufseinstieg?

Beitrag von lonestar »

Erst mal Danke euch beiden für die Antworten. Ich habe nächste Woche Vorstellungsgespräche für 1) und 2). Hoffen mir mal, dass ich es mir wirklich aussuchen kann ;)

Gefühlsmäßig tendiere ich im Moment dazu, an die Uni zu gehen. Mir gefällt vor allem die Vorstellung, über die Tätigkeiten am Lehrstuhl eben "intern" zu sein sein und die kurzen Wege zu nutzen. Meine aktuelle Tätigkeit und das Promotionsthema wäre eng verbunden, ich arbeite im entsprechenden Bereich in der Firma und betrachte die Zeit daher nicht als "Verlust" von Praxiserfahrung sondern als "Weiterbildung" auf meinem beruflichen Gebiet, vor allem, da das Thema auch in der Firma sehr theoretisch betrachtet wird.

Allerdings frage ich mich, ob man mit 28 und Berufserfahrung am Lehrstuhl von den Kollegen vielleicht schon etwas kritisch beäugt wird? Letztes habe ich eine wissenschaftliche Mitarbeiterin getroffen, die mit 23 kurz nach dem Bachelor schon am Lehrstuhl angefangen hat. Das war im Bereich Psychologie. Ist das in den Ingenierwissenschaften auch zu erwarten?

Interessant fand ich den Vorschlag mir mal einen Graduiertenkolleg anzuschauen. Ich habe zwar kein schlechtes Diplom, aber unter die Top-10%-Absolventen des Jahrgangs komme ich wohl auch kaum. Ich habe ein bisschen gegoogelt, finde die Infos aber eher dürftig. Muss ich mir mal hier im Forum anschauen.

Die Variante sich "runterstufen" zu lassen und im Gegenzug später freigestellt zu werden kenne ich bisher nur von den Beratungen. Per se gibt es ein solches Angebot bei uns im Haus nicht. Ich weiß im Moment nicht, ob das ein Vorteil gegenüber Teilzeit wäre. Ich müsste innerhalb der Firma des Job wechseln, mit dem aktuellen ist eine Promotion nicht zu verbinden. In einen neuen Job zu wechseln und gleich solche Forderungen aufzustellen... stelle ich mir äußerst schwer vor.

Ein konkretes Thema habe ich noch nicht. Das Gebiet ist eingegrenzt, das ist aber auch alles.
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