Fachhochschule: Das Niveau sinkt.

Fragen und Antworten rund um die Professur an Fachhochschule (FH) bzw. Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW)
Grounded
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Re: Fachhochschule: Das Niveau sinkt.

Beitrag von Grounded »

mm42 hat geschrieben: 22.03.2025, 10:54
Stud3nt hat geschrieben: 14.03.2025, 08:13 Ich habe im ersten Semester eines MINT-Studiengangs die Vorlesung Strömungsmechanik gehalten. Eine der Standardaufgaben dort: Den Druckverlust einer Rohrleitungen berechnen. In der Prüfung habe ich eine Aufgabe gestellt, die fast identisch mit einer Übungsaufgabe war – mit dem einzigen Unterschied, dass ich dort nicht die Strömungsgeschwindigkeit v gegeben hatte (wie in der Übungsaufgabe), sondern Volumenstrom und Rohrdurchmesser (für alle nicht Nicht-Ingenieure unter euch: Um mit diesen beiden Angaben die Strömungsgeschwindigkeit zu ermitteln, muss man den gegebenen Volumenstrom V̇ durch die Querschnittsfläche des Rohres teilen muss). Das Ergebnis: Knapp 20 % (!) der Studierenden scheiterten bereits daran, bei gegebenem Durchmesser die Querschnittsfläche eines kreisrunden Rohres (d²⋅π/4 oder r²⋅π) zu berechnen. Das hat mich ehrlich gesagt ein Stück weit fassungslos zurückgelassen, da die Berechnung einer Kreisfläche überhaupt nichts mit dem Fach an sich zu tun hat sondern eigentlich seit der Mittelstufe bekannt sein sollte.
Ja, was die Erstsemester so abliefern, ist teilweise besonders gruselig. Ich habe den Eindruck, dass sich manche Studis erst mal an das Niveau/Arbeitsweise an der Hochschule gewöhnen müssen.

Berechnung Kreisfläche hat man zu meiner Zeit noch in der Hauptschule gelernt. Hatten die Studis während der Klausur eine Formelsammlung zur Verfügung, in der sie die Kreisflächenformel hätten nachschlagen können?
Ich denke, dass es hier nicht am Wissen scheitert. Die Studierenden scheinen das Wissen vielmehr nicht auf das Problem zu übertragen. Ich vermute, dass dieser Anwendungsbezug in der Schule zu kurz kommt und sich das dann im Studium bemerkbar macht.
Blau
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Re: Fachhochschule: Das Niveau sinkt.

Beitrag von Blau »

mm42 hat geschrieben: 22.03.2025, 10:54 Berechnung Kreisfläche hat man zu meiner Zeit noch in der Hauptschule gelernt. Hatten die Studis während der Klausur eine Formelsammlung zur Verfügung, in der sie die Kreisflächenformel hätten nachschlagen können?
Ich hätte das jetzt auch eher in Mittelstufen-Mathematik in der Schulzeit einsortiert. Bei uns gab es an der Uni Zusatz-Mathekurse, um in den ersten beiden Semester alle auf ein Niveau zu bringen. Ich hatte da mit BW-Abi gegenüber meinen Kommilitonen aus NRW einen klaren Vorteil und konnte mir die Kurse sparen. Gewisse Grundlagen aber haben alle durchgehend aus der Schule mitgebracht, was anscheinend heute nicht mehr unbedingt gegeben ist:
. die uneingeschränkte korrekte Anwendung von Regeln der Rechtschreibung und Grammatik
- grundlegende Höflichkeitsformen sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Kommunikation
- Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit (zumindest bei den meisten ;) )
- Fähigkeit zur Selbstorganisation
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Re: Fachhochschule: Das Niveau sinkt.

Beitrag von dns »

Als noch relativ frischer HAW-Prof beschäftigt mich das Thema derzeit auch ziemlich. Zwei Beobachtungen dazu aus meiner bisherigen Praxis:

- Die Studis sind alle in ihrer Schullaufbahn jahrelang darauf trainiert wurden, _Noten_ zu optimieren. Noten sind das Ziel. Ihre Vorstellung ist, dass die Hochschule nur dazu dient, ein Abschlusszeugnis zu bekommen. Dieses Abschlusszeugnis ist der Schlüssel zur tollen Zukunft. Je besser die Noten darauf, desto toller die Zukunft. _Wie_ man zu diesen Noten kommt, ob man auf dem Weg auch wirklich etwas lernt, ist völlig unwichtig. Rational ist es daher, mit möglichst geringem Aufwand ein möglichst gutes Abschlusszeugnis zu bekommen. Und so wird dann auch gelernt. Und wenn die Note nicht passt, kann man ja vielleicht noch ein bisschen was bei der Einsichtnahme herausverhandeln. Ja, es gibt immer eine Handvoll Ausnahmen, aber genau diese Studis werden nicht ausreichend gefördert.

- Der naive Glaube an ChatGPT und GenAI allgemein hat dramatische Auswirkungen. Ich muss das nicht lernen, macht doch ChatGPT! Die Studis laden allesamt ihre Skripten etc. in ChatGPT rauf (Urheberrecht und Datenschutz kratzen niemanden) und lassen sich dann für die Prüfung mundgerecht berieseln. Niemand liest das Originaldokument! Das führt teilweise zu erschreckendem Viertel- bis Halbwissen, weil diese LLMs zwar beeindruckende Zusammenfassungen liefern, aber nicht zuverlässig unterscheiden, was wichtig und was weniger wichtig ist. Genau die begehrte "Transferfähigkeit" geht so komplett verloren: die wird ins Modell ausgelagert. Modul- und Abschlussarbeiten werden sowieso flächendeckend mit ChatGPT geschrieben. Viele Studis erzählen mir geradezu stolz, wie toll sie dieses und jenes Problem mit ChatGPT gelöst hätten. Fragt man sie dazu irgendwas, haben sie absolut keine Ahnung. Auf meine Frage, warum sie ein Arbeitgeber für das Verfassen von simplen ChatGPT-Prompts wie teure Ingenieure bezahlen soll, kommt meistens nur ein verständnisloser "OK, Boomer"-Blick. Hier verspreche ich mir für die Zukunft einiges von mündlichen Prüfungen: in der Arbeitswelt ist es ja auch nicht so, dass man eine Arbeit abliefert, eine Note bekommt und niemals dazu befragt wird. Generell sollte man die Fähigkeit zur inhaltlichen Debatte fordern und fördern, was aus meiner Sicht derzeit zu kurz kommt.

Ich habe das Glück an einer HAW in einer Studienrichtung zu lehren, die noch lange keinen Mangel an Bewerbern hat. Wir "dürfen" in den ersten Semestern auch hohe Durchfallraten haben, ohne dass gleich irgendwo gemurrt wird. Aber das ist auch nicht die Lösung.
dns
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Re: Fachhochschule: Das Niveau sinkt.

Beitrag von dns »

Eine Meldung, die m.E. zur Diskussion passt:
Reform an Europa-Universität: Runde Tische statt Vorlesungen an der Universität Viadrina
...
Ein Reformkonzept der Universität im Grenzgebiet zu Polen soll bis Anfang Juli stehen und dann dem Wissenschaftsministerium vorgestellt werden. Die Zahl der Studierenden lag im Wintersemester 2018/19 laut Hochschule auf dem Niveau um 6.500. Derzeit sind rund 3.700 Menschen eingeschrieben. Auch an anderen deutschen Hochschul-Standort sind die Studentenzahlen gesunken.
...
Von ihren Studenten erwartet die Universität künftig mehr Ernsthaftigkeit im Studium. Lehrveranstaltungen seien kein „optionales Unterhaltungsprogramm“, sagte der Viadrina-Vizepräsident für Lehre und Studium, Christoph Brömmelmeyer, der selber Wirtschaftsrecht lehrt. Er sei kein Entertainer und könne Studierende nicht nur damit gewinnen, dass er sehr unterhaltsam sei. „Ich bin nicht Jan Böhmermann.“

Die Hochschule will wieder eine „Kultur der Verbindlichkeit“ etablieren, so dass die Studenten wirklich an wichtigen Lehrveranstaltungen teilnehmen. „Man muss sich ernsthaft mit Themen auseinandersetzen“, sagte Brömmelmeyer.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/refo ... 91881.html
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