Hallo zusammen,
ich habe letztes Jahr meine berufsbegleitende Dissertation abgegeben und in knapp drei Wochen wird meine Verteidigung stattfinden.
Darauf bereite ich mich jetzt vor.
Da ich als externer Doktorand promoviert habe, bin ich mit den Geflogenheiten am Institut wenig vertraut und habe auch ein recht distanziertes Verhältnis zu meinem Betreuer (und zu Zweitgutachter, Mitglieder der Promotionskommission erst recht).
Ich habe die beiden Gutachten vor zwei Wochen erhalten und habe mich mit der Kritik inzwischen auseinandergesetzt.
Grob kann man sagen: Die konzeptionelle Idee ist echt ganz gut gewesen, aber ich habe in der methodischen Umsetzung eine Reihe von Anfängerfehlern gemacht, die sich aufsummieren, so dass meine Ergebnisse berechtig in Frage gestellt werden. Es ist ein bisschen traurig, weil ich bei mehr Engagement / kritischer Begleitung durch den Betreuer viel verwertbarere Ergebnisse gehabt hätte, aber so ist es halt.
Ich überlege jetzt wie ich strategisch klug in die Disputation gehen kann:
- Erstmal betonen, dass die Stärke der Arbeit in der Konzeption zu sehen ist
- Entsprechend würde ich die Empirie als innovativen Versuch framen, eine anspruchsvolle theoretische Konzeption erstmals empirisch umzusetzen
- Dann würde ich Einräumen, dass ich im Prozess ärgerliche Anfängerfehler gemacht habe, dass aber trotz aller Ungenauigkeiten der Messung, der Ansatz weiterhin plausibel erscheint.
Soweit so gut.
Ich glaube die große Frage ist, wie weit ich mich aus dem Fenster lehnen will: Ich könnte einfach hingehen und erstmal meine Ergebnisse so präsentieren, wie ich es in der Dissertation gemacht habe. Dann können die Mitglieder der Promotionskommission ihre Kritik wiederholen und ich kann dazu etwas sagen. Mir erscheint das etwas redundant, aber vielleicht sollte man es so machen?
Alternativ könnte ich auch direkt die zentralen Punkte aufgreifen und skizzieren, was sich trotzdem noch rausholen lässt. Allerdings bin ich mir unsicher, ob ich in der verbleibenden Zeit durch neue Berechnungen wirklich noch etwas sinnvolles auf die Beine bekommen würde.
Ich habe heute mal die zentralen Stellen nachgerechnet und es ist leider wirklich so, dass einige Messungen statistisch unzuverlässig sind, was mit der Erhebung selbst zusammenhängt. Das heißt ich müsste den Model Scope verändern, und das ist wiederum theoretisch fragwürdig.
Daher tendiere ich dazu ganz stumpf in die Disputation reinzugehen, darauf zu verweisen dass trotz der Messungen Effekte stark genug erscheinen um Hinweise zu geben, die Fehler einzuräumen, um diese dann vor Veröffentlichung nachträglich in die Diskussion einzubauen.
Die Note ist mit "cum laude" typisch für externe Promovierende in meinem Fachbereich/Institut, es ist ein bisschen schade, aber umständehalber auch nicht peinlich. Rein formal kann sich an der Note durch die Disputation nach unten nichts ändern (außer durchfallen). Und ich bin mir nicht sicher, ob es möglich wäre mit einer "summa" in der Verteidigung tatsächlich noch auf eine Magna zu kommen (ich weiß auch nicht, welche Kriterien für eine Summa in der Disputation gelten, für die Benotung der Dissertation ist es bei uns sehr streng, da muss die Benotung muss einstimmig sein und ohne Nachbesserungsvorschläge).
Ich denke daher im Prinzip geht es jetzt hauptsächlich darum, mündlich solide vorzutragen und nicht die Nerven zu verlieren, wenn sie mich in die Mangel nehmen. Das heißt ich kann bloß versuchen ein bisschen zu steuern, welche Form von "in die Mangel nehmen" es wird.
Was denkt ihr über die Gratwanderung Kritik aus den Gutachten direkt adressieren vs. nicht aktiv thematisiere und dann redundant behandeln? Vielleicht gibt es hier ja Menschen, die im Wissenschaftsbetrieb arbeiten und mehr Erfahrung haben mit dem Format "Disputation".
Habt ihr schon mal gehört von einem Fall, wo die Disputation zur besseren Note geführt hat?
Würdet ihr nochmal Kontakt aufnehmen mit dem Betreuer vorher? Ist sowas üblich? Ich habe einfach keine Ahnung, wie andere das machen, die ein engere Verhältnis zum Betreuer / zur Betreuerin haben.
Grüße euch!
Vorbereitung Disputation
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Re: Vorbereitung Disputation
Erst einmal: Glückwunsch, ein cum laude ist eine gute Leistung! Insbesondere, wenn man wie du extern promoviert und wenig Unterstützung bekommen hat.
Ob du eine Chance auf ein magna hast, hängt von der Gewichtung der Teilnoten für Dissertation und Disputation ab. Was sagt denn die Promotionsordnung der Fakultät dazu?
Ob du eine Chance auf ein magna hast, hängt von der Gewichtung der Teilnoten für Dissertation und Disputation ab. Was sagt denn die Promotionsordnung der Fakultät dazu?
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Re: Vorbereitung Disputation
Hallo Grounded,
vielen Dank für deine Rückmeldung.
Leider ist die Promotionsordnung da nicht sehr ausführlich und legt bloß fest, dass die Dissertation bei der Bestimmung der Gesamtnote "stärker gewichtet" werden muss als die Disputation. Ich verstehe das so, dass bei einer Note Unterschied zwischen Dissertation und Disputation am Ende die Note der Dissertation vergeben wird. Ob bei zwei Noten Unterschied dann die dazwischenliegende Note vergeben wird, hängt davon wohl ab, ob die Noten Summa, Magna, Cum, Rite als linear angesehen werden, so dass sich arithmetisch eine "Mittelnote" ergibt. (Falls ich also in der Disputation durch brilliante Argumentation überzeugen kann und Summa erhalte, wäre Magna die Mittelnote.)
Das Notenthema steht für mich aktuell nicht so sehr im Vordergrund, das kommt wie es kommt. Und am Ende werde ich so oder so damit gut leben können.
Wie schätzt du denn die Taktikfrage ein, ob man besser alle Kritikpunkte direkt adressieren soll, oder Punkte gezielt offen lässt, um darauf (vorraussehbar) in der Diskussion zu sprechen zu kommen?
vielen Dank für deine Rückmeldung.
Leider ist die Promotionsordnung da nicht sehr ausführlich und legt bloß fest, dass die Dissertation bei der Bestimmung der Gesamtnote "stärker gewichtet" werden muss als die Disputation. Ich verstehe das so, dass bei einer Note Unterschied zwischen Dissertation und Disputation am Ende die Note der Dissertation vergeben wird. Ob bei zwei Noten Unterschied dann die dazwischenliegende Note vergeben wird, hängt davon wohl ab, ob die Noten Summa, Magna, Cum, Rite als linear angesehen werden, so dass sich arithmetisch eine "Mittelnote" ergibt. (Falls ich also in der Disputation durch brilliante Argumentation überzeugen kann und Summa erhalte, wäre Magna die Mittelnote.)
Das Notenthema steht für mich aktuell nicht so sehr im Vordergrund, das kommt wie es kommt. Und am Ende werde ich so oder so damit gut leben können.
Wie schätzt du denn die Taktikfrage ein, ob man besser alle Kritikpunkte direkt adressieren soll, oder Punkte gezielt offen lässt, um darauf (vorraussehbar) in der Diskussion zu sprechen zu kommen?
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Re: Vorbereitung Disputation
Hallo Robert_Okey,
ich würde zunächst die Kritikpunkte aus den Gutachten aufgreifen, auf die du in deinem Vortrag eingehen kannst, ohne dass es wie eine Rechtfertigung wirkt. Vielleicht hilft hier die gute alte 80:20-Regel. Lass demnach ein paar Aspekte aus den Gutachten unadressiert, sei aber natürlich auf eine entsprechende Diskussion vorbereitet.
Gutachter:innen möchten in der Disputation auf keinen Fall Ablehnung gegenüber ihren Kritikpunkten spüren. Demgegenüber fühlt es sich gut für eine:n Gutachter:in an, wenn im Vortrag schon erkennbar ist, dass du dich mit der Kritik auseinandergesetzt hast – nicht unterwürfig, aber schon wertschätzend, so dass du anerkennst, dass da was dran sein könnte oder sogar ist. Wenn du dich da also "einsichtig" oder zumindest "anerkennend kompromissbereit" zeigst, könnte die Diskussion mit weniger Schärfe geführt werden.
Also: Nicht alle Punkte aufgreifen, aber die wichtigsten. Das wäre mein Tipp.
Viele Grüße
Thorsten
ich würde zunächst die Kritikpunkte aus den Gutachten aufgreifen, auf die du in deinem Vortrag eingehen kannst, ohne dass es wie eine Rechtfertigung wirkt. Vielleicht hilft hier die gute alte 80:20-Regel. Lass demnach ein paar Aspekte aus den Gutachten unadressiert, sei aber natürlich auf eine entsprechende Diskussion vorbereitet.
Gutachter:innen möchten in der Disputation auf keinen Fall Ablehnung gegenüber ihren Kritikpunkten spüren. Demgegenüber fühlt es sich gut für eine:n Gutachter:in an, wenn im Vortrag schon erkennbar ist, dass du dich mit der Kritik auseinandergesetzt hast – nicht unterwürfig, aber schon wertschätzend, so dass du anerkennst, dass da was dran sein könnte oder sogar ist. Wenn du dich da also "einsichtig" oder zumindest "anerkennend kompromissbereit" zeigst, könnte die Diskussion mit weniger Schärfe geführt werden.
Also: Nicht alle Punkte aufgreifen, aber die wichtigsten. Das wäre mein Tipp.
Viele Grüße
Thorsten
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Re: Vorbereitung Disputation
Ob du alle Kritikpunkte ansprichst, hängt auch davon ab, ob du überhaupt genügend Zeit dafür hast. Hier ein Beispiel für die Struktur:Robert_Okey hat geschrieben: 26.03.2025, 10:36 Wie schätzt du denn die Taktikfrage ein, ob man besser alle Kritikpunkte direkt adressieren soll, oder Punkte gezielt offen lässt, um darauf (vorraussehbar) in der Diskussion zu sprechen zu kommen?
1. Einleitung (ca. 3 Minuten): Forschungsfrage, Relevanz des Themas, breiterer Kontext usw.
2. Theoretischer Hintergrund (5-10 Minuten)
3. Hauptteil (10-15 Minuten)
4. Diskussion/Zusammenfassung (... Minuten)
Außerdem solltest du die Kritik nicht lediglich ansprechen, du solltest sie vielmehr ausführlich würdigen: Wenn du ein Argument einer anderen Person wiedergibst, solltest du immer versuchen, das Argument als sinnvoll und stark darzustellen. Du solltst versuchen, die Position der Zielperson so klar, anschaulich und fair wiederzugeben, dass deine Zielperson sagt: "Danke, so hätte ich es auch gern formuliert". Du solltest alle Punkte auflisten, in denen du mit der Position übereinstimmst. Dann kannst du die Position kritisieren oder widerlegen. Auch dieses Vorgehen erfordert ausreichend Zeit.
Daher empfehle ich, dass du nur die zentralen Argumente ansprichst.
Gibt es an deiner Uni ein Disputationstraining? Dann kann ich dir nur empfehlen, daran teilzunehmen. Ich fand es damals enorm hilfreich.
Zuletzt geändert von Grounded am 06.04.2025, 17:07, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Vorbereitung Disputation
Hallo zusammen, danke euch für Eure Impulse.
Ich habe es inzwischen hinter mir – und es lief ohne Komplikationen.
Ich habe meine Ergebnisse als Arbeitsergebnisse präsentiert und entsprechend der Kritikpunkte relativiert wo nötig.
Und ich bin jetzt vor allem froh, dass ich das Kapitel jetzt wirklich bald abschließen kann.
Alles Gute euch auch auf eurem weiteren Weg!
Ich habe es inzwischen hinter mir – und es lief ohne Komplikationen.
Ich habe meine Ergebnisse als Arbeitsergebnisse präsentiert und entsprechend der Kritikpunkte relativiert wo nötig.
Und ich bin jetzt vor allem froh, dass ich das Kapitel jetzt wirklich bald abschließen kann.
Alles Gute euch auch auf eurem weiteren Weg!
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