Fachhochschule: Das Niveau sinkt.

Fragen und Antworten rund um die FH-Professur
Blau
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von Blau »

johndoe hat geschrieben: 11.12.2024, 11:47
Blau hat geschrieben: 11.12.2024, 09:10 Schlimm ist aber auch die Situation an den Schulen. Ich habe drei Kinder auf der Grundschule und auf dem Gymnasium, und meiner Meinung nach wird dort zu wenig brauchbarer Stoff vermittelt.
Wie brauchbar der Stoff wahrgenommen wird, ist sicher eine subjektive Geschichte. Ich erlebe das Gymnasium aus nächster Nähe eher sehr streng und filternd, also das Gegenteil vom Hochschulwesen. Vermutlich haben Schulen andere Kennzahlen als wir. Und ich lerne daraus schon, penibler zu korrigieren.
Okay, das mit dem brauchbaren Stoff bezog sich eher auf die Grundschule (wobei ich das vielleicht auch gar nicht so gut einschätzen kann, da von Pädagogik keine Ahnung), auf dem Gymnasium wird tatsächlich mit Inhalt und Tempo stark angezogen. Vom Gymnasium meines Kindes weiß ich, dass in den ersten zwei Jahren, also in Klasse 5 und 6, etwa 1/3 der Schüler herausgefiltert wird. Waren es also in der 5. Klasse noch fünf parallele Klassen mit jeweils mindestens 30 Kindern, dann sollten es in der 7. Klasse nur noch vier parallele Klassen mit jeweils 20-25 Kindern sein.
Bei uns im Studium war damals nach dem Vordiplom aber auch nur noch die Hälfte übrig.
Möglicherweise sind es auch nicht die mit dem klassischen Weg zum Abitur, die mittlerweile so erstaunlich wenig Wissen mitbringen, sondern diejenigen, die irgendwie mit Fachabi oder auf anderen Wegen ins Studium gekommen sind. Dafür fehle mir aber tiefere Einblicke, ich habe nur aus nächster Nähe einen berufsbegleitenden MBA mitbekommen, wo ich es schon echt peinlich fand, dass für so wenig Inhalt ein Master vergeben wurde, und einen Querschnitt von Leuten in einem FH-Studiengang in einem MINT-Fach. Gerade letztere wären unter den Uni-Bedingungen zu meiner Studiumszeit definitiv gescheitert, an der FH kamen sie aber alle erfolgreich zum Abschluss.
mashdoc
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von mashdoc »

Blau hat geschrieben: 11.12.2024, 15:55
Möglicherweise sind es auch nicht die mit dem klassischen Weg zum Abitur, die mittlerweile so erstaunlich wenig Wissen mitbringen, sondern diejenigen, die irgendwie mit Fachabi oder auf anderen Wegen ins Studium gekommen sind.
Da kann sehr viel dran sein.
Wierus
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von Wierus »

johndoe hat geschrieben: 11.12.2024, 11:44
Wierus hat geschrieben: 10.12.2024, 19:03
mashdoc hat geschrieben: 10.12.2024, 06:45 Wieso Privatisierung?
Außerdem lassen sich viele -- eigentlich alle -- der bisher genannten Kritikpunkte mit der Privatisierung des Hochschulwesens erklären: Dass man etwa auf Biegen und Brechen Studenten anlocken und an der eigenen FH halten muss (i.e. der Stundent als "Kunde"), ebenso der Hang zu kurzfristig lukrativen Trendfächern.
Ich bezweifle, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt zwischen Aufkommen der privaten FHs und Niveausenkung an staatlichen FHs.
Eine monokausale Erklärung wäre falsch, aber einen kausalen Zusammenhang sehe ich schon:
johndoe hat geschrieben: 08.12.2024, 23:28Ich hab auch den Eindruck, man sollte Hochschulen konsolidieren und Kräfte besser verteilen. Wenn sich im näheren Umkreis 4 Hochschulen die weniger werdenden Studis in denselben Fächern gegenseitig wegnehmen, ist das ein Trauerspiel.
Wierus hat geschrieben: 10.12.2024, 19:03Die Zahl privater Hochschulen ist in den letzten 10-15 Jahren im Vergleich zu staatlichen Hochschulen geradezu dramatisch gestiegen. Und gerade die Anzahl und Dichte von Hochschulen wurde in dieser Diskussion mehrfach kritisch hervorgehoben.

Aber ich denke, man blickt mit ganz verschiedenen ideologischen Brillen auf die realen Verhältnisse.

Etwas sehr ähnliches würde ich im übrigen auch kritisch zur Idee von @mga und @mashdoc anmerken:
Wieso sollte sich die Industrie denn bitte beim "Staat" beschweren? Gerade die wollen das doch so?! Denn je mehr Hochschulabsolventen, desto größer die Arbeitsplatz- ergo Lohnkonkurrenz. Das gesamte Trara um den sogenannten Fachkräftemangel geht doch hauptsächlich auf BDI und BDA sowie die Springerpresse zurück und dient an erster Stelle dazu, die angeblich exorbitanten deutschen Löhne in manchen Branchen (Stichwort Ingenieure) zu drücken.

Aber wie gesagt, mit einer anderen ideologischen Brille sieht die aktuelle Situation womöglich völlig anders aus und es ist dann beispielsweise der "Staat" an allem schuld.
mashdoc
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von mashdoc »

Das deckt sich nicht mit meinen Beobachtungen. Die Arbeitgeber, mit denen ich spreche, sind alles andere als amused über den zusätzlichen Weiterbildungsaufwand, den sie in frisch angeworbene Hochschulabsolventen stecken müssen.
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von daherrdoggda »

Blau hat geschrieben: 11.12.2024, 15:55 Bei uns im Studium war damals nach dem Vordiplom aber auch nur noch die Hälfte übrig.
So war es bei uns nach dem ersten Jahr
Summer_85
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von Summer_85 »

Eine sehr interessante Diskussion, die sicher die Realität beschreibt! Ich stehe aktuell kurz vor der Annahme eines Rufes an eine staatliche Hochschule. Und mich würde jetzt interessieren, wie sich dieser Faktor des sinkenden Niveaus konkret bei euch in der alltäglichen Lehre zeigt (abseits der Prüfungsergebnisse) und wie ihr insgesamt trotz dieses Faktors, eure Entscheidung für eine Professur einschätzt. Seid ihr trotzdem happy mit eurer Berufswahl oder würdet ihr euch heute anders entscheiden?
johndoe
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von johndoe »

Wierus hat geschrieben: 11.12.2024, 17:00
Eine monokausale Erklärung wäre falsch, aber einen kausalen Zusammenhang sehe ich schon:
Private FHs gibt's aber schon wesentlich länger, großflächig mindestens seit Mitte der 90 er. Und wir reden hier von Entwicklungen der letzten 5-10 Jahre. Ich sehe da keine Evidenz für eine Kausalität.

Aber wie gesagt, es gibt sicher Gründe, die beides bedingen, Niveausenkung bei den staatlichen und steigende Zahlen bei den privaten. Demographie, Corona, Bologna, Zerstörung des Ansehens von Ausbildungsberufen, Kriege, social Media, ...
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von johndoe »

Summer_85 hat geschrieben: 12.12.2024, 05:40 . Seid ihr trotzdem happy mit eurer Berufswahl oder würdet ihr euch heute anders entscheiden?
Ich würde es wieder genau so machen. Aber mit dem Wissen von heute anders rangehen, um Frust zu reduzieren.

Nicht zuletzt besteht der Job aus mehr als nur Lehre, auch wenn diese viel Raum einnimmt. Dh man kann sich auch anderweitig austoben. Ich kenne viele Kollegen, die auch jammern, aber so groß ist der Schmerz dann doch nicht, dass man zum Konzern zurück geht :lol:
mashdoc
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von mashdoc »

johndoe hat geschrieben: 12.12.2024, 09:09
Summer_85 hat geschrieben: 12.12.2024, 05:40 . Seid ihr trotzdem happy mit eurer Berufswahl oder würdet ihr euch heute anders entscheiden?
Ich würde es wieder genau so machen. Aber mit dem Wissen von heute anders rangehen, um Frust zu reduzieren.

Nicht zuletzt besteht der Job aus mehr als nur Lehre, auch wenn diese viel Raum einnimmt. Dh man kann sich auch anderweitig austoben. Ich kenne viele Kollegen, die auch jammern, aber so groß ist der Schmerz dann doch nicht, dass man zum Konzern zurück geht :lol:
Sehe ich auch so. Aber der Punkt "Erwartungshaltung" ist eben sehr relevant. Ich wusste nicht wirklich, was mich erwartet und hatte ein viel höheres Niveau erwartet.
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Re: Das Niveau sinkt.

Beitrag von teilchenphysik196 »

Hallo zusammen. Habe mit Interesse die Beiträge hier gelesen. Ich bin in der Industrie tätig und arbeite nebenbei als Lehrbeauftragte an einer FH in Süddeutschland im Fach Maschinenbau. Bin jedes Semester aufs Neue entsetzt über das, was dort vor sich geht. Es gibt ausländische Studierende, die weder Sprachkompetenz haben noch einfachstes Wissen - etwa um eine Maßzeichnung anzufertigen. Die verstehen nicht einmal die Aufgabenstellung bei einem Laborversuch. Ihre deutschen Kommilitonen haben ebensolche grundlegenden Defizite. Der Vermerk "Sprache/Abbildungsqualität entspricht nicht dem Niveau einer Hochschule" ist meine am häufigsten angebrachte Korrektur in Klausuren oder Laborberichten. In Gesprächen mit den Professoren wird stets beschwichtigt: Man habe eben "spezielle Studierende"; oder ich möge doch nicht so streng mit Frau X sein, da sie mit Kind studiert. Früher war es noch so, dass durchgefallene Studis mit mir telefonieren wollten und mich dann am Telefon aggressiv angegangen haben. Daraufhin habe ich solche Telefonate gar nicht mehr geführt. Bis vor 2 Jahren gab es auch eine recht anspruchsvolle Prüfung in dem Studiengang, wo ich tätig bin. Dies wurde abgeschafft. Jetzt gibt es nur noch Laborversuche, deren Protokolle man sich mit Copy Paste zusammenklicken kann. Ich hatte Fälle, wo die Studies ein altes Protokoll genommen haben und einfach in den Anhang ihre Meßergebnisse eingefügt haben. Daher prüfe ich immer als erstes, ob die individuellen Meßergebnisse für die Auswertung der Versuche verwendet wurden. Andere wieder kopieren Textbausteine in ihr Messprotokoll, ohne die Formatierung zu vereinheitlichen. Dann sehe ich schon anhand des Layouts, was für ein Stückwerk ich hier vorliegen habe. Was das alles mit einer Hochschulausbildung zu tun hat, ist mir schleierhaft. Aber das behalte ich schön für mich. Bei der einen oder anderen Feierlichkeit an der Hochschule ergaben sich Gespräche mit den Professoren. Die finden das alles okay und machen sich lediglich Sorgen, ob die Studierendenzahlen sinken. Viele Profs stehen kurz vor der Rente und es ist ihnen auch egal, welches Niveau an der Hochschule herrscht. Ein besonders engagierter und als streng bekannter Prof wird vom Rest der Professorenschaft als Sonderling belächelt.

An anderen Hochschulen scheint es nicht besser zu sein. Jede Abschlussarbeit, die in meiner Abteilung geschrieben wird, wandert über meinen Schreibtisch. Ich lese die alle mit Interesse und immer wieder fällt mir auf, mit wie wenig sich Hochschulen zufrieden geben. Neulich hatte ich eine Arbeit vorliegen, wo nicht mal deutlich wurde, welche Methode der Autor angewendet hat. Der Verfasser war auch nicht glücklich damit, wollte aber "einfach nur noch abgeben". Zu meiner Zeit (Mitte 1990er) wäre die Arbeit nicht akzeptiert worden. Später fragte ich den Absolventen nach seiner Note. Strahlend erzählte er mir, dass er eine 1 bekommen habe. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln.
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