HAW Lehre vs. Uni Lehre

Fragen und Antworten rund um die FH-Professur
puderquaste
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HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von puderquaste »

Hallo ihr alle, ich wollte mal nach euren Erfahrungen bzgl. der Lehrgestaltung an der HAW/FH fragen. Ich bin seit Beginn des Jahres Prof an einer FH und entspreche nicht wirklich dem klassischen Profil (fast ausschließlich akademischer Hintergrund, Berufserfahrung über Promotion an außeruniversitärem Forschungszentrum). Daher ist meine Lehre sehr geprägt durch die Uni und ich baue diese bisher ähnlich auf. D.h. wenn ich bspw. 2V/2Ü habe, dann zeige ich in den 2V theoretische Konzepte und in den 2Ü vertiefen wir diese praktisch.

Mein Problem bzw. meine Erkenntnis bisher: es gibt nahezu kein Interesse an dem Stoff der Vorlesungen im Vergleich zu den Übungen und Praktika. Selbst wenn die Prüfungsformate mündliche oder schriftliche Prüfungen sind, gibt es nie Rückfragen zur Theorie, Recaps jede Woche gehen völlig ins Leere und das Niveau ist (nach meinem Empfinden) niedriger. Ich bin derzeit sehr ernüchtert, nachdem meine Lehrerfahrung an der Uni doch recht positiv war. Bisher habe ich das Gefühl, dass der Unterschied zwischen FH und Uni - zumindest in der Art der Ausbildung - doch größer ist, als ich anfangs dachte.

Wie sind eure Erfahrungen? Vermittelt ihr generell noch Theorie in klassischer Vorlesungsform oder ist generell alles mit praktischem Bezug?
johndoe
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Re: HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von johndoe »

Meine bisherige Erfahrung zeigt mir, dass zumindest ich keinen Spannungsbogen über 3 Stunden halten kann und mich das auch als Entertainer zu sehr fordert. Entsprechend baue ich gerade alles um auf 2vl/2ü, und kann mich im zweiten Teil etwas rausnehmen. Und ja, reine Theorie-Vorlesungen finden kaum Anklang. Ich versuche, möglichst viel Interaktion und Praxisbeispiele in die VL einzubauen, das gelingt mal besser, mal schlechter. Seit meinem Didaktikkurs versuche ich auch, das AVIVA Modell in jeder Veranstaltung anzuwenden, was, so zumindest meine persönliche Erkenntnis, unterm Strich zu weniger Input und mehr Fokus auf Verständnis führt. Ich habe das Gefühl, dass die VLs damit besser laufen.
klingklong
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Re: HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von klingklong »

Super Thread. Geht mir genauso, wobei ich schon länger nichts mehr in der Lehre gemacht hatte. Und die verpflichtenden Didaktikseminare hab ich noch vor mir.

Das mit den Vorlesungen bzw. Theorieteilen beobachte ich auch. Die wollen das nicht, vor allem die in den ersten Semestern. Habe auch Feedback (in einer anonymen Zwischenbewertung) bekommen, dass Theorie unnötig ist: "kann ich auch aus dem Skriptum lernen". Was ich für eine Fehleinschätzung halte. Besonders die Erstsemester sind hier erstaunlich selbstbewusst: haben zwar keine Ahnung was auf sie in der Prüfung zukommt, aber sie glauben zu wissen, was sie brauchen.

Anyway, bisher gelernt:
  • Ich streue in meine Theorieteile immer viele praktische Anekdoten ein. Das führt zwar zu mehr Aufmerksamkeit, aber bei manchen ist das nur lästige Ablenkung: die wollen immer nur wissen, was in der Prüfung gebraucht wird. Lernen fürs Leben ist wohl kein Thema...ich mach's trotzdem. Ich habe genug Praxiserfahrung gesammelt, um einen großen Fundus zu haben. Das ist doch die Idee der FHs!
  • Mut zur Lücke! Ich habe immer den Drang, jede Minute der Vorlesung zu füllen. Sonst habe ich das Gefühl, nicht richtig vorbereitet zu sein. Das stimmt aber nicht - man muss wiederholen, man muss Fragen beantworten, und ...
  • Die Studis sollen gefälligst auch selber was tun. Probleme in den Raum werfen, Aufgaben geben. Anfangs schwierig, weil dann das betretene Schweigen und der typische "schau mich bitte nicht an"-Blick kommt. Aber sie tauen irgendwann auf. Macht dann für alle mehr Spaß und ist weniger mühsam für mich.
Von AVIVA hab ich soeben das erste Mal gehört...das ist zumindest mal ein guter Rahmen, auch wenn es nicht in jeder Situation gut anwendbar sein dürfte? Wie gesagt, die Didaktikseminare muss ich noch erledigen. :D

Meine erfahrenen Kollegen jammern jedenfalls, dass das Niveau der Erstsemester seit Jahren sinkt. Ich weiß nicht, wieviel davon das routinemäßige Wehklagen älterer Menschen ist ("die Jugend von heute"), aber ich bin da auch sehr ernüchtert worden.
mashdoc
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Re: HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von mashdoc »

Beobachte ich ebenfalls. Das Niveau ist deutlich gesunken. Was auch ein Grund ist, warum ich mich zwar um didaktische Abwechslung in der LV bemühe, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Das Niveau der LV bleibt bestehen und senkt sich nicht mit ab.
Nordisc
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Re: HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von Nordisc »

Die Lehre an HAW ist per Definition anders aufgebaut. Die Aufgabe ist primär, die Absolventen auf die berufliche Tätigkeit vorzubereiten. Je nach Modul ist das mit 90 Minuten Theoriemonolog plus 90 Minuten Übung schwierig. Gilt nicht für alle Module, aber mache in der V einen Mix aus Einführen, Praxisbeispielen, Miniaufgaben und Diskussionen und konkreten Aufgaben aus dem Unternehmenskontext. Nicht detailliert wie in der Übung, sondern kleine Nuggets. Permanent das Medium wechseln oder die Art der Veranstaltung. Ich rede nicht mehr als 10 Minuten am Stück, dann gibt es Fragen, Miniaufgaben, Diskussionen. Das macht die Veranstaltung abwechslungsreich. In der Übung wird vertieft, gerechnet, Deep Dives gemacht. Die Evaluationen sind seit Jahren extrem gut.

Wir haben eine Kollegin mit stark forschungsakademischem Hintergrund und die Studierenden beschweren sich über trocken langweilige Veranstaltungen, weil sie den Connect in ihre späte berufliche Zukunft nicht finden. Beides hat seine Berechtigung. Ich halte auch Vorlesungen an einer Uni und dort baue ich das schon anders auf.
johndoe
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Re: HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von johndoe »

klingklong hat geschrieben: ↑22.04.2024, 08:43
Von AVIVA hab ich soeben das erste Mal gehört...das ist zumindest mal ein guter Rahmen, auch wenn es nicht in jeder Situation gut anwendbar sein dürfte? Wie gesagt, die Didaktikseminare muss ich noch erledigen. :D
Ich wende das auch nicht dogmatisch an und die Anteile pro Phase wechseln je nach Thema. Aber ich sehe das als ne Art Checkliste, um das Verständnis zu fördern. Denn tatsächlich neige ich dazu, die Studis mit meinen Inputs zu fluten, und dieses Modell plus die Reduktion auf 2 sws (weil Rest Übung) stellen für mich gute Leitplanken dar :D

Ja, über sinkendes Niveau beschweren sich bei uns auch viele. Mich belasten aber eher die heterogenen Fähigkeiten der internationalen Studis...
puderquaste
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Re: HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von puderquaste »

Vielen Dank für die interessanten Inputs. Ich wollte tatsächlich nicht gegen das Niveau an sich an HAWs wettern, sondern vor allem auf die Diskrepanz zwischen der Art und Weise von Uni- und HAW-Lehre hinaus, was mich als Uni-Nase sehr beschäfigt.
Nordisc hat geschrieben: ↑23.04.2024, 20:48 Die Lehre an HAW ist per Definition anders aufgebaut. Die Aufgabe ist primär, die Absolventen auf die berufliche Tätigkeit vorzubereiten. Je nach Modul ist das mit 90 Minuten Theoriemonolog plus 90 Minuten Übung schwierig. Gilt nicht für alle Module, aber mache in der V einen Mix aus Einführen, Praxisbeispielen, Miniaufgaben und Diskussionen und konkreten Aufgaben aus dem Unternehmenskontext. Nicht detailliert wie in der Übung, sondern kleine Nuggets. Permanent das Medium wechseln oder die Art der Veranstaltung. Ich rede nicht mehr als 10 Minuten am Stück, dann gibt es Fragen, Miniaufgaben, Diskussionen. Das macht die Veranstaltung abwechslungsreich. In der Übung wird vertieft, gerechnet, Deep Dives gemacht. Die Evaluationen sind seit Jahren extrem gut.

Wir haben eine Kollegin mit stark forschungsakademischem Hintergrund und die Studierenden beschweren sich über trocken langweilige Veranstaltungen, weil sie den Connect in ihre späte berufliche Zukunft nicht finden. Beides hat seine Berechtigung. Ich halte auch Vorlesungen an einer Uni und dort baue ich das schon anders auf.
Spannender Comment, bei dem ich merke, wie weit weg ich von so einem Vorlesungstyp bin. Mir fehlt da auch einfach der Einblick, bspw. Aufgaben im Unternehmenskontext aufzubauen, weil ich die Uni-Brille aufhabe und es so gelernt habe, dass die Theorie stehen muss. Das krieg ich irgendwie nicht raus - wodurch meine LVs wahrscheinlich auch als langweilig und trocken wahrgenommen werden.
Einige meiner Kollegen legen die Lehre bei uns allerdings auch bequem für sich aus. Wenn ein Modul mit Prüfungsbeleg (bei uns fast 75%) 2V/2Ü hat, heißt das bei einigen dann: 2 SWS Vorlesung (Tools vorstellen, Input geben), 2 SWS optionale Konsultation zu Projekten (nimmt nie jemand wahr, vor allem nicht wöchentlich). D.h. auf dem Papier 4 SWS, in Realität zur Hälfte abgespeckt. Die Studis finden das gut - die erarbeiten selbstständig ihren Kram und der Prof bewertet am Ende nur die Belege. Natürlich irgendwie eine Zeitersparnis, aber auch nicht so richtig erfüllend.

Wie ihr schon geschrieben habt: es hat alles seine Berechtigung, aber ich habe starke Probleme mit der Art der Lehre an einer HAW. Einerseits, weil ich es anders kenne und mein Anspruch sich dahingehend unterscheidet. Andererseits, weil ich kaum praktische Bezugspunkte geben kann und damit auch den Studis in der Form nichts bringe. Ich glaube mittlerweile schlicht, dass ich kein passendes Profil für eine HAW-Professur habe.
mashdoc
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Re: HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von mashdoc »

Wie konntest du denn ohne prakt. Erfahrungen überhaupt berufen werden?
puderquaste
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Re: HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von puderquaste »

Ich war Doktorand an einem außeruniversitären Forschungszentrum aus der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Zeit wurde mir als praktische Erfahrung angerechnet.
johndoe
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Re: HAW Lehre vs. Uni Lehre

Beitrag von johndoe »

puderquaste hat geschrieben: ↑24.04.2024, 12:34
Einige meiner Kollegen legen die Lehre bei uns allerdings auch bequem für sich aus. Wenn ein Modul mit Prüfungsbeleg (bei uns fast 75%) 2V/2Ü hat, heißt das bei einigen dann: 2 SWS Vorlesung (Tools vorstellen, Input geben), 2 SWS optionale Konsultation zu Projekten (nimmt nie jemand wahr, vor allem nicht wöchentlich). D.h. auf dem Papier 4 SWS, in Realität zur Hälfte abgespeckt. Die Studis finden das gut - die erarbeiten selbstständig ihren Kram und der Prof bewertet am Ende nur die Belege. Natürlich irgendwie eine Zeitersparnis, aber auch nicht so richtig erfüllend.
Was natürlich an der Uni unterm Strich genauso gehandhabt wird, nur dass die Mitarbeiter die Übungen betreuen und Arbeiten korrigieren. Wofür der Uni Kollege auch noch besser bezahlt wird. Aber jeder ist seines Glückes Schmied, wie man die 18 sws füllt, solange es nicht offensichtlich gegen Deputatsregeln verstößt.
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