Sorry, super lang! Gedankenchaos und Unsicherheit

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fletti
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Sorry, super lang! Gedankenchaos und Unsicherheit

Beitrag von fletti »

Hallo zusammen,
diesen Beitrag möchte ich nutzen, um einfach mal meine Gedanken loszuwerden.
Ich spiele ich mit dem Gedanken, meine Promotion abzubrechen. Ich fühle mich in meinem Institut nicht mehr richtig aufgehoben und zweifle daran, ob ich unter diesen Umständen sinnvoll promovieren kann. Mittlerweile habe ich ein Frustrationslevel erreicht, welches seit Monaten nicht abflachen mag.
 
Zu mir und meiner Situation: Ich bin Mitte 20, befinde mich mittlerweile im fast dritten Jahr meiner Promotion und arbeite an einem naturwissenschaftlichen Institut. Mein Projekt unterscheidet sich thematisch und methodisch sehr von denen meiner Kolleg:innen. Ich bin nämlich Gesundheits-/Sozialwissenschaftlerin und habe mich damals auf ein spannendes Projekt beworben. Aufgrund der großen thematischen und methodischen Differenzen fehlt mir jedoch der nötige Austausch mit Kolleg:innen und Expert:innen. Dies habe ich bereits bei meinem DV und anderen Kolleg:innen angesprochen und auch versucht, das ganze selbst in die Hand zu nehmen. Leider habe ich keine Unterstützung erhalten und auch das individuelle Network-Gesuch hat mir kaum an den Stellen weitergeholfen, wo ich es mir gewünscht hätte. Mein Projekt läuft nur schleppend voran und ich habe ständig Angst, meine Arbeit nicht wissenschaftlich gut zu verrichten, da ich keinerlei handfestes Feedback erhalte.  

In den ersten zwei Jahren habe ich kaum an meinem Projekt gearbeitet. Stattdessen musste ich irgendeine spontane Projektidee meines DV umsetzen, die komplett gar nichts mit meiner Arbeit, meinem Projekt oder meinem Promotionsthema zu tun hatte. Aber da ich erst so kurz am Institut war, konnte und wollte ich die Idee nicht abschlagen. Die Zeit war insgesamt gar nicht schön und hat mich emotional und körperlich total ausgelaugt. Es hätte auch wahrscheinlich niemand damit gerechnet, dass eine Idee für ein „kurzes“ Projekt, solange dauern würde. Mittlerweile weiß ich aber, dass unrealistische Zeitpläne bei uns gang und gäbe sind. Am Ende ist eine Publikation dabei rumgekommen. Was eigentlich super ist, ich aber wegen sehr schwieriger Umstände irgendwie nicht wirklich annehmen kann und auch nicht stolz drauf bin.

Ich bin mittlerweile also schon lange da. Das macht die Entscheidung nicht gerade leichter – im Gegenteil. Während ich ursprünglich fürs Thema gebrannt habe, kam das andere Projekt dazwischen und mittlerweile möchte ich, ich gebe es zu, einfach nur noch den Titel und weg. Die Frage ist nur: zu welchem Preis?
Es liegt noch ein Haufen Arbeit vor mir. Dieser soll in diesem Jahr bewältigt werden. D.h. zwei Paper müssen angenommen werden, die noch lange nicht eingereicht sind. Ich kann das einfach nicht mehr als one-man-show, ohne jegliche Hilfe oder Bestätigung.
Ich fühle mich nicht danach, mit meinem DV zu sprechen. Ich habe bereits Dinge angesprochen und auch schon mal ein längeres Gespräch mit im geführt. Aber da kommt nichts an. Das Meeting wird doch beendet mit „Was sind deine neusten Resultate?“. Egal ob ich ihm meine Gedankengänge offenbare, ich ihm mein Study Design vorstelle oder mitteile, dass ich gerade mit der Auswertung nicht weiterkomme.
Ich bin unglücklich, sehr unglücklich. Ich weine mehrfach die Woche und drehe innerlich vor jedem Meeting mit dem DV total durch. Ich würde nichts lieber, als die Arbeit einfach zu Ende bringen. Jedoch glaube ich A) teilweise arbeitsunfähig zu sein und evtl. einen Burn-out zu haben und B) habe ich in allen Situationen Angst. Angst, Fehler zu machen; Angst, viele Dinge nicht zu sehen; Angst, nicht hinter meiner Doktorarbeit stehen zu können; Angst, eine Kündigung im Nachhinein zu bereuen und noch unglücklicher zu werden.
Zu allem Übel habe ich Depression und befinde mich schon seit fast zwei Jahren in Therapie. Die Doktorarbeit ist definitiv nicht der Auslöser meiner Depression, aber momentan mein stärkster Trigger.

Ich war mir von Anfang an bewusst, dass das kein einfacher Spaziergang sein wird und ich möchte diese Möglichkeit ungern leichtfertig aufgeben.
Wenn ich jetzt kündigen sollte, dann weiß ich nicht, ob ich dem Ganzen nochmal eine Chance geben werde oder ob ich sie überhaupt bekommen würde. Momentan weiß ich aber auch gar nicht wohin mit mir. Mir hat die wissenschaftliche Arbeit immer Spaß gemacht, aber da ich bzgl. meiner Arbeit nie in den Austausch gelange (habe wirklich unzähliges versucht), glaube ich auch gar nicht mehr an meine methodische oder wissenschaftlich gute Arbeit.  

Ich habe mir vorgenommen, bis Ende nächster Woche eine Entscheidung zu treffen. Warum bis dann? Weil die Fristen zur Kündigung sonst nur noch länger werden und mir eine Entscheidung im Anschluss nur noch schwerer fallen würde. Außerdem werde ich nächste Woche, als letzte Instanz, mit der Ombudsperson sprechen.

Bisher konnte ich keine zufriedenstellende Lösung finden und fühle mich deshalb zunehmend unsicher und unwohl. Zudem raubt mir das Hin und Her viel zu viel Kraft und Zeit.

Vielleicht wissen einige von euch Rat. Ich würde mich freuen.

Liebe Grüße und DANKE
fletti
Florina
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Re: Sorry, super lang! Gedankenchaos und Unsicherheit

Beitrag von Florina »

Hey,

fühl dich umarmt. Ich kenne diese Situation und wünschte, du müsstest das nicht ertragen.

Meine Anregungen:
Kannst du aus dem alten Projekt iwie eine Diss basteln?
Kannst du mit deinem Thema an eine andere Uni gehen?
Gibt es ein Graduiertenkolleg, ein akademisches Beratungszentrum oder eine Ombudsstelle bei dir?
Gibt es vielleicht die Möglichkeit, dass du deine Publikation in Researchgate einstellst und mal schaust, wie die Reaktion ist? Häng dir dein Master-/Diplomzeugnis an die Wand!

Ein Doktortitel ist deine Gesundheit nicht wert. Kläre für dich, ob du dich stählen und dich emotional und geistig distanzieren kannst, sodass du dein Ding an dem Institut durchziehen kannst oder ob das nicht geht. Wenn es nicht geht, dann bist du keine Versagerin und nicht weniger wert. Du bist ehrlich und nett zu dir und stark genug für dich einzustehen.

P.S. Man darf auch "nein" sagen und einfach mal krank sein.
Man muß daran glauben, für eine bestimmte Sache begabt zu sein, und diese Sache muß man erreichen, koste es, was es wolle. - Marie Curie
Vollkornpizza
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Re: Sorry, super lang! Gedankenchaos und Unsicherheit

Beitrag von Vollkornpizza »

Hallo fletti,

ich finde es gut, dass du hier alles geschildert hast. Danke für deinen Mut.

Für mich klingt es so, als brächtest du alle Voraussetzungen mit, zu promivieren, aber dass du damit einfach am falschen Ort bist.

Mein erster Gedanke war, dass ich dir raten wollte, auf extern umzusatteln, aber als ich dann gelesen habe, dass du von deinem DV auch nicht genug Unterstützung bekommst, dachte ich, dass du wahrscheinlich woanders besser aufgehoben bist.

Ich habe ein paar Fragen an dich:

Bist du für deine Arbeit auf irgendeine besondere Infrastruktur angewiesen oder könntest du sie theoretisch "überall" andocken?

Siehst du dich langfristig in der Forschung/Akademie?

Warst du schon zu Studienzeiten an der selben Uni oder bist du dahin gewechselt?

Viele Grüße
VP
fletti
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Re: Sorry, super lang! Gedankenchaos und Unsicherheit

Beitrag von fletti »

Hallo ihr beiden,

herzlichen Dank für eure super lieben Kommentare. Allein das tut mir schon super gut.

Hi Florina, die ersten beiden Punkte schließe ich aus bzw. kann und möchte ich nicht umsetzen.
Mein Paper ist bereits auf ResearchGate. Da das Thema des Papers in gewisser Weise umstritten ist, war die bisherige Reaktion das teilweise auch. Ich muss halt ehrlich sagen, dass ich mich dem ganzen emotional nicht entfernen kann, um mit diesem Thema mit gutem Gefühl promovieren zu wollen. Ich komme nicht in diese „sch***-egal Haltung“, die mir vielleicht den nötigen Push verschaffen würde. Zu sehr zweifle ich an mir und mittlerweile auch an meiner Arbeit. Ich glaube, mein Körper ist mittlerweile so kraftlos, dass ich an jegliche Aufgabe mit dem Gefühl trete, mich sowieso zu enttäuschen.
An die Ombudsstelle habe ich mich bereits gewandt und habe nächste Woche ein erstes Gespräch. Ich weiß noch gar nicht wirklich, was mich erwartet, freue mich aber auf den distanzierten und ungebiasten Blick auf meine Situation.

Hi Vollkornpizza, ich glaube der Ursprung allen Übels ist tatsächlich das Arbeitsumfeld. Forschung lebt vom Austausch und den habe ich gar nicht.
Theoretisch könnte ich meine Arbeit von überall verrichten. Mein Chef (=DV) erlaubt es uns aber nicht mal im Home Office zu arbeiten. Super duper nervig und komplett überholt. Worauf genau möchtest du mit dieser Frage hinaus?
Ich habe mich ursprünglich in der Forschung gesehen. Mittlerweile habe ich mich von dem Gedanken entfernt. Wäre ich an einem anderen Institut, mit ein paar Gleichgesinnten, sähe es vielleicht anders aus. Ich denke auch nicht, dass der Dr. Titel unbedingt notwendig ist. Bei vielen interessanten Jobs wird idR „lediglich“ nach einem Master gefragt.
Die Uni und die Stadt sind neu. Ich bin zwar in der Nähe aufgewachsen, habe aber keine Kontakte an dieser Uni.

Ich glaube, das Problem liegt auch darin, dass ich momentan nicht mehr mal an mich selber glaube. Ich sitze vor den Daten und habe Angst alles Mögliche falsch zu machen und mache stattdessen gar nichts. In meinem Kopf ist alles so chaotisch, schrecklich.
Ich bin glaube ich gefühlt geschädigt von dem letzten Projekt an dem ich gearbeitet habe, an dem mein DV mich täglich, egal zu welcher Uhrzeit, kontrolliert hat. Das lag auch nur daran, dass er das Thema super spitze fand, mMn aber wenig Ahnung von der Methodik selbst hatte (aber das ist ein anderes Thema).
Es ging ihm alles nicht schnell genug und er hat mir nicht den Raum gegeben, einfach mal nachzudenken und das Ganze in Ruhe anzugehen. Ich stand 2 Jahre unter Dauerstress und bin jetzt völlig ausgelaugt und schaffe hingegen kaum noch etwas. Weder habe ich dafür das richtige Mindset noch die nötige körperliche Power. Ich traue mir mittlerweile nichts mehr zu und komme nicht mehr „auf die richtige Bahn“. Die Frage ist halt, wie Florina das schon schreibt, ob ich es schaffe, mich davon emotional zu distanzieren. Da ich die Kündigungsgedanken und Sorgen schon seit fast drei Jahren mit mir rumschleppe, glaube ich fast nicht mehr daran…

Viele liebe Grüße
fletti
deen_everstin
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Re: Sorry, super lang! Gedankenchaos und Unsicherheit

Beitrag von deen_everstin »

Hi fletti,

das hört sich wirklich nach einer sehr, sehr angespannten Situation an und ich kann deinen inneren Konflikt total nachempfinden. Bestünde denn die Möglichkeit, dich für einen Zeitraum x beurlauben oder freistellen zu lassen, um erstens etwas Abstand zu der ganzen Situation zu erhalten und zweitens regenieren und deine Gedanken neuordnen zu können? Bevor du - was auch absolut verständlich wäre - die Reißleine ziehst und kündigst, würde ich dir zumindest empfehlen, diese Möglichkeit zu prüfen. Ich bin mir dessen bewusst, dass es sicherlich auch mit Herausforderungen verbunden sein wird, eine zeitlich befristete Auszeit realisieren zu können. Manchmal reichen ja auch schon zwei oder drei Monate, um den Kopf frei zu bekommen und herauszufinden, wie die Reise weitergehen soll und dafür würde sich eventuell auch eine unkomplizierte Lösung (Urlaub, Sonderurlaub, Reha, (un-)bezahlte Freistellung, mit DV abgesprochene Abwesenheit zur Neuausrichtung der eigenen Forschungsarbeit, usw.) finden.

Wichtig ist dabei natürlich trotz allem der Dialog mit deinem DV. Und wenn du merkst, dass er - solltest du das Ganze ansprechen - dir keinerlei Verständnis und Unterstützung zusagt, obwohl du ihm in ähnlicher Weise wie hier deine persönliche Perspektive mit den verbundenen Bedürfnissen aufzeigst, dann ist das auch eine Antwort. Denn in diesem Fall ist es ganz klar, dass diese Beziehung keine Zukunft hat und es im Sinne deiner eigenen Gesundheit förderlich wäre, dich umzuorientieren. Entweder indem du dein Thema an einem anderen Lehrstuhl, eventuell extern, unterbringst oder indem du das Kapitel Promotion vorerst ruhen lässt und dich anderen spannenden Aufgaben widmest.

So oder so wünsche ich dir viel Kraft für die nächsten Schritte und ich würde mich freuen, wenn du uns im Forum an deinem Entscheidungsprozess weiterhin teilhaben lässt.
Vollkornpizza
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Re: Sorry, super lang! Gedankenchaos und Unsicherheit

Beitrag von Vollkornpizza »

Hallo fletti,

danke für deine ausführliche Antwort. Meine Überlegungen gehen in eine ähnliche Richtung wie die von deen. Ich glaube, ich würde dir zu folgenden Schritten raten:

1. versuch, ersteinmal, aber schnell eine Pause zu machen: Urlaub, Krankschreibung, unbezahlter Urlub, je nachdem was in Frage kommt.

2. such dir während der "Auszeit" einen normalen Job - wenn es geht Teilzeit und wenn möglich an einem Ort, wo du mit vielen promovierenden/promovierten zu tun hast (Fach egal).

3. sag deinem DV, dass du die Promotion als externe Promotion fortsetzen möchtest. Wenn er es nicht erlaubt, such dir eine neue Betreuung.

Dahinter stehen folgende Ãœberlegungen:
Du schreibst, dass Problem ist vor allem das Arbeitsklima. Von dem schlechten Arbeitsklima solltest du weg. Das heißt aber nicht, dass du die Promotion aufgeben musst. Ich denke, es gibt gute Chancen, sie auf andere Art weiterzuführen. Du hast recht, dass die Forschung vom Austausch lebt. Aber dieser Austausch muss nicht zwangsläufig innerhalb des Lehrstuhls stattfinden. Andere Menschen mit Promotionshintergrund können auch gute Sparringpartner sein. Diese kann man entweder an einem Arbeitsplatz, oder in einer Uni-Stadt oder auf Konferenzen etc. kennenlernen.

Viele Grüße
VP
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