Outing - Homosexualität

thilo38
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Re: Outing - Homosexualität

Beitrag von thilo38 »

Moin Nesselbaum,
das klingt etwas verkrampft. Du willst nicht herausstechen und doch ist das "Outing" so ein großes Ding. Heterosexuelle outen sich doch auch nicht. Ich lese, dass du ein Outing als "Befreiung" aber vielleicht zu brauchen scheinst.
M.E. solltest du darüber überhaupt nicht nachdenken müssen, ob du sagst, dass du am Wochenende etwas mit Freundin, Freund oder sonst wem gemacht hast. Es ist halt so, wie es ist.
Aber ich bin nicht in deiner Position. Ich arbeite nicht in einer konservativen Branche. Mir und meinen Kolleg:innen ist es vollkommen egal, welche sexuelle Orientierung jmd. hat. Dir alles Gute! :blume:
LG T
Raubtierstrassenbahn
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Re: Outing - Homosexualität

Beitrag von Raubtierstrassenbahn »

Hallo Nesselbaum,

vielleicht kann ich Dir weiterhelfen. Ich versuche es zumindest. Deine Frage und die Reaktionen zeigen, in welchem Dilemma wir uns befinden. Wir (Schwule) machen uns über einzelne Wörter und Pronomen viele Gedanken und werden von einer aufgeschlossenen und toleranten Gesellschaft um uns herum dafür beinahe belächelt oder falsch verstanden. Die Gedanken machen wir uns aber wegen der weniger toleranten Teile der Gesellschaft und da weiterhin viel Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung gibt, finde ich es auch gut, dass Du Dir diese Gedanken machst und Dich diesem Thema mit viel Vorsicht näherst.

Wenn ich Dich richtig verstanden habe, geht es nicht um das Ausbreiten Deines Privatlebens oder ein dramatisches Coming-Out vor. Es geht einfach darum, zu Dir und Deinem Leben zu stehen? Ob das sicher ist und Du keine massiven Nachteile erwarten musst, kannst nur Du einschätzen und kein Forum ;-)

Ich kann Dir schildern, wie es sich bei mir verhält. Ich bin Arzt und die Medizin ist ein ziemlich konservatives Feld. Während des letztens Abschnitts meines Studiums musste ich in die Chirurgie; dass konservativste Feld. Ich befürchtete Mobbing und Ausgrenzung und habe auf Nachfragen am OP-Tisch sogar gelogen. Aus meinem Freund wurde eine Freundin. Alles war mir maximal unangenehm. Ich war nicht ich selbst und habe mich wie ein Hochstapler gefühlt.

Seit einiger Zeit arbeite ich in einer Klinik in der Inneren Medizin und habe noch eine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für meine Promotion in einem modernen und aufgeschlossenen Lehrstuhl-Team. Ich habe mich nie geoutet. Aber die meisten Menschen mit denen ich arbeite, meine Vorgesetzten eingeschlossen wissen, dass ich mit einem Mann zusammenlebe. Ich kann selbstbewusst sagen, dass mein Freund und ich an einem Wochenende zu einer Hochzeit eingeladen sind und ich deshalb keine Dienste machen kann. Ich kann mit den Kolleginnen auswerten, wer von seinem Freund zu Weihnachten was geschenkt bekommen hat. Das ist nett und die Atmosphäre auf beiden Stellen ist gut. Meine Doktormutter sieht in meinem Freund sogar einen wichtigen Verbündeten im Kampf um meine Motivation ;-)

Bis auf das ein oder andere überraschte Gesicht habe ich bisher dabei keine bösen Überraschungen erlebt. Ich war ehrlich gesagt selbst etwas überrascht, wie unbeeindruckt die meisten einfach stehen gelassen haben, dass ich einen Freund statt einer Freundin habe. Ist halt einfach so. Übrigens weiche ich bei privaten Fragen von Patient*innen grundsätzlich aus. Da ist eine professionelle Distanz, wie ich auch als heterosexueller behalten wollen würde. Als Schwuler aber noch viel mehr. Ich möchte an Hand meiner Kompetenz beurteilt werden und Vertrauen genießen.

Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, was ich tun würde, wenn zum Beispiel meine Oberärzte sich über mich lustig oder mich gegenüber den anderen Assistenzärzten benachteilen würden. Zunächst hätte ich gekämpft im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Denn ich bin es leid ständig aufzupassen und Angst haben zu müssen. Schlussendlich hätte ich die Stelle wohl aber trotzdem aufgegeben und mir eine andere Klinik gesucht. Glücklicherweise blieben diese Gedanken theoretisch. Aber sie zeigen wieder, nichts läuft einfach inutitiv ab.

Ich möchte nie wieder mein Privatleben so aktiv verheimlichen oder sogar lügen müssen.

Vielleicht hilft Dir das, Deine eigenen Ãœberlegungen zu ordnen. Ansonsten schreib mir gern!

Liebe Grüße
Nesselbaum
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Re: Outing - Homosexualität

Beitrag von Nesselbaum »

Hallo,

@thilo38: Deine Einstellung finde ich toll! Ich wäre begeistert, würden alle Menschen so offen und locker sein.

@Raubtierstrassenbahn: Du sprichst mir aus der Seele. Deine Erfahrungen helfen mir sehr! Dankeschön! Mir geht es häufig so, dass ich versuche, alle Varianten vorher durchzuspielen, damit ich nicht von übergriffigen oder beleidigenden Aussagen überrumpelt werde. Ein lockerer Umgang im Arbeitsleben wie bei dir ist auch mein Ziel. Es scheint sich auch dahin entwickeln zu können.
Alte Reflexe und Gewohnheiten sind halt da und sind für mich auch in manchen Situationen (noch) berechtigt.
Die juristischen Möglichkeiten klingen interessant. Ich werde mich da mal einlesen. Gerade wird es wohl nicht nötig sein, aber zu wissen, dass man vom Staat nicht allein gelassen wird, ist doch schon mal etwas.

Vielen Dank dir!
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