Gewichtung: Promotion, Berufserfahrung und Lehrerfahrung

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echolot
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Re: Gewichtung: Promotion, Berufserfahrung und Lehrerfahrung

Beitrag von echolot »

Ich glaube, man muss hier zwischen der schriftlichen Bewerbung und dem Probevortrag unterscheiden. Ich habe noch kein Verfahren gesehen, bei dem jemand wegen zu wenig Lehrerfahrung nicht eingeladen wurde, wenn sonst alles andere überzeugt. Allerdings kann man umgekehrt bei viel Lehrerfahrung (und beliegenden Evaluationen!) von einer hohen Motivation und Eignung für die Stelle ausgehen. Das reduziert das Risiko, das jemand berufen wird, der dann nach ein paar Monaten wieder geht, weil er/sie sich die Tätigkeit als Hochschullehrer ganz anders vorgestellt hat.

Am Ende ist die Nagelprobe für die Lehrerfahrung aber die Probevorlesung, bei der man dann relativ schnell einen Eindruck bekommt, ob jemand didaktisch etwas kann und Freude am Lehren hat. Darauf legen insbesondere die studentischen Vertreter in den Kommissionen zu Recht viel Wert. Daher würde ich "mehr" Lehrerfahrung durchaus als Entwicklungspotenzial nicht unterschätzen. Mit Lehraufträgen baut man didaktische Erfahrung auf, kennt die Abläufe an der Hochschule besser und vermeidet den Eindruck, dass man nur den Titel haben will. Wenn man es strategisch klug anstellt, dann macht man den Lehrauftrag gleich an der Wunschhochschule, das hilft bei der Bewerbung auf jeden Fall.

Zu den anderen Punkten: Publikationen werden positiv bewertet, insbesondere wenn sie sehr gut zum ausgeschriebenen Fachgebiet passen. Kriegsentscheidend sind sie sicher nicht. Promotion ist sowieso Pflicht, sollte aber magna / summa sein. Industrieerfahrung auch essenziell, man sollte idealerweise "nicht gerade so" auf die drei Jahre außerhalb der HS kommen, sondern gerne ein paar Jahre mehr. Zum Teil wird hier auch genauer geschaut, wie reichhaltig die Industrieerfahrung als Grundlage für geeignete Fallbeispiele und/oder Netzwerk (Gastvorträge, gemeinsame Abschlussarbeiten) sind. Hängt aber m.E. vom Fach und v.a. der Bewerberlage ab.
Wierus
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Re: Gewichtung: Promotion, Berufserfahrung und Lehrerfahrung

Beitrag von Wierus »

felix hat geschrieben: ↑09.04.2022, 22:06Was ich interessant finde ist, dass Lehrerfahrung laut der Diskussion eher eine kleine Rolle spielt. Ich hätte intuitiv irgendwie erwartet, dass das anders ist, da das ja ein großer Teil des zukünftigen Jobs ist.
Das ist er auch, nur muss man hier aufgrund der Eigenheiten des Systems 'Wissenschaft' differenzieren.

Anders als der Schullehrer, hat der Hochschullehrer keineswegs nur Fremdmeinungen bzw. ein per Lehrplan fixiertes Wissen vorzutragen. Wichtig ist, dass seine Lehrinhalte zu einem guten Teil auf selbst erbrachter Forschung beruhen. Es gibt einen hartnäckigen Irrglauben unter Jungakademikern, den ich hier und im RL bimmer wieder beobachte, der darin besteht, Forschung und Lehre als zwei gleichwertige Bestandteile des Berufes 'Professor' aufzufassen.

Das erklärt auch folgende Beobachtung des Vorposters/der Vorposterin:
echolot hat geschrieben: ↑10.04.2022, 10:37Ich habe noch kein Verfahren gesehen, bei dem jemand wegen zu wenig Lehrerfahrung nicht eingeladen wurde, wenn sonst alles andere überzeugt.
Das kommt wohl hauptsächlich daher, weil Lehrinhalte im Idealfall der eigenen Forschung entstammen bzw. die Forschungsergebnisse didaktisch aufbereitet vermitteln.

Professoren an Unis und FHs unterscheidet höchstens die an Uni-Professoren herangetragene Erwartung, nach der Berufung zugleich in größerem Umfang weiter eigene Forschung zu betreiben. Aber den Weg zur Berufung haben in beiden Fällen nennenswerte Erträge aus selbständiger Forschung geebnet.
johndoe
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Re: Gewichtung: Promotion, Berufserfahrung und Lehrerfahrung

Beitrag von johndoe »

Wierus hat geschrieben: ↑10.04.2022, 12:56 . Es gibt einen hartnäckigen Irrglauben unter Jungakademikern, den ich hier und im RL bimmer wieder beobachte, der darin besteht, Forschung und Lehre als zwei gleichwertige Bestandteile des Berufes 'Professor' aufzufassen.
Wobei das Verhältnis von der Hochschulform abhängt. Ein FH-Prof als Einzelkämpfer mit 18 sws Lehrdeputat hat notgedrungen weniger Zeit für Forschung, während der Uni-Prof mit 9 sws und Mitarbeiterstab viel mehr Möglichkeiten hat. Zumindest im Mittel. Variationen gibt es auf beiden Seiten.

Aber ich stimme zu, dass Hochschullehre nicht rein von Didaktik lebt, sondern insb. von der eigenen Content Creation, mit der man dem Fach, dem Studiengang und vll auch der Hochschule einen bestimmten Anstrich verleiht, den man anderswo in der Weise eben nicht findet. Und dafür braucht man Futter, entweder durch Forschung oder durch Praxisprojekte oder beides.
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