Tandem Professur

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DrNo
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Tandem Professur

Beitrag von DrNo »

Hallo liebe Foristen,

in letzter Zeit stoße ich immer häufiger auf sog. Tandem Professuren die wie folgt aufgebaut sind: 50% Hochschule 50% Unternehmen für 3 Jahre allerdings ohne Automatismus auf eine volle Stelle nach dieser Zeit. Das ganze sieht wie ein Quereinstieg für Postdocs aus und wirkt auf mich erstmal sehr attraktiv. Ich frag mich jetzt allerdings ob die gesammelte Praxiserfahrung ausreicht um anwendungsorientiert zu Lehren und ob es ähnlich wie im Schulbereich dazu kommen wird, dass man als Professor zweiter Klasse angesehen wird und in Folge Schwierigkeiten haben wird im Anschluss eine reguläre Anstellung zu bekommen.

Da das Programm recht neu ist gibt es wahrscheinlich kaum Erfahrungsberichte deswegen freue ich mich über Einschätzungen von euch.
Nordisc
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Re: Tandem Professur

Beitrag von Nordisc »

Ich kenne das als "Landesprogramm Karriereweg FH-Professur", das bis letztes Jahr lief und in dem akademischer Nachwuchs mit Promotion die fehlende Erfahrung in der Industrie (es fehlen die berühmten drei Jahre außerhochschulische Erfahrung für die Berufungsfähigkeit für FH-Professuren) bei gleichzeitiger Stelle als Lehrkraft für Besondere Aufgaben ermöglicht werden sollte. Nach den drei Jahren sind die Kandidaten de jure voll berufungsfähig. Dieses Programm hat einen bundesweiten Nachfolger in diesem Jahr bekommen. Ziel ist es, insbesondere in Disziplinen mit schwacher Bewerberlage (MINT) die Bewerberquote zu verbessern. In diesem Programm ist man aber kein Prof., sondern nur LfBa.Klassische Tandemprofessuren, wo man als vollwertiger Prof. agiert und gleichzeitig im Unternehmen ist, kenne ich so nicht.
DrNo
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Re: Tandem Professur

Beitrag von DrNo »

Genau um diesen Nachfolger handelt es sich; heißt jetzt "FH-Personal" und tatsächlich gibt es Ausgestaltungen bei denen der Hochschulteil eine W1-Professur beinhaltet. Wie gesagt klingt attraktiv und das Ziel ist die volle Berufungsfähigkeit.
Wenn ich vom klassischen Karriereweg einer FH-Professorin ausgehe, also Promotion und anschließend Industriekarriere mit Leitungsfunktion - dann wird hier doch ein neuer Typus geschaffen, nämlich forschungsorientiert und mit vergleichsweise wenig Industrieerfahrung aber dafür wahrscheinlich deutlich jünger.
Einen großen Einfluß hat dabei wohl die konkrete Ausgestaltung des Industrieanteils. Im Idealfall erkennt das Unternehmen die Chance und bildet den Professor aus, der ihnen in Zukunft die Berufseinsteiger schickt. Im schlechtesten Fall wird man als nicht besonders förderungswürdig eingestuft da klar ist, dass nach 3 Jahren Schluß ist - eine Führungsposition wird man in dieser Konstellation sicher nicht erlangen.
johndoe
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Re: Tandem Professur

Beitrag von johndoe »

DrNo hat geschrieben: ↑13.02.2022, 04:37 ...dann wird hier doch ein neuer Typus geschaffen, nämlich forschungsorientiert und mit vergleichsweise wenig Industrieerfahrung aber dafür wahrscheinlich deutlich jünger.
Ich kenne das Konstrukt nicht, aber "forschungsorientiert" ist m.E. keine korrekte Abgrenzung vom gewöhnlichen FH-Prof, denn der/die hat in aller Regel ebenfalls promoviert. Und recht viel mehr Forschung sehe ich nicht, zumindest so wie du es beschrieben hast. Klar, man ist zu 50% an der FH, aber diese Zeit dürfte dann mit 9SWS Lehre schon ziemlich voll sein. Also als Forscher wird man sich da nicht profilieren können.

Ich weiß nicht, ob es ein Trend ist, aber mir begegnen immer mehr jüngere Profs mit immer weniger Praxiserfahrung. Wenn Praxiserfahrung, Führungserfahrung und Erfahrung in anwendungsorientierten Entwicklungsprojekten mal Kriterien waren, welche die Profs an FHs von den Unis unterschieden, welche dagegen umfangreiche Publikationslisten, Habilitation und am besten internationale PostDoc-Erfahrung erwarten, dann ist diese Qualifikations-Reduktion m.E. ein Weg in die Sackgasse. Im Prinzip formt man sich so das Minimum aus beiden Kategorien: akademische Dünnbrettbohrer im Elfenbeinturm.
DrNo
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Re: Tandem Professur

Beitrag von DrNo »

johndoe hat geschrieben: ↑14.02.2022, 13:38 Im Prinzip formt man sich so das Minimum aus beiden Kategorien: akademische Dünnbrettbohrer im Elfenbeinturm.
Okay diese Einschätzung find ich zu krass. Meiner Meinung nach ist mit dem Erreichen der Berufungsvoraussetzungen im Bereich wissenschaftliche Arbeit und Lehre bereits ein ordentlicher Abstand zum Dünnbrettbohren erreicht.
Du sprichst von einer Qualifikations-Reduktion. Was sind denn Deine Erfahrungen oder Befürchtungen worin sich diese äussern wird?

Ich hatte ich es bislang so verstanden, dass die Anwendungsorientierung der Lehre die Besonderheit der FH ist. Das wäre dann ja eher ein Qualitäts- als Quantitätsmerkmal. Die Frage danach, wieviel Quantität zum Entwickeln von Qualität notwendig ist möchte ich nicht stelllen. Stattdessen würde ich gerne erfahren, welche Qualitäten durch die Praxiserfahrung entwickelt werden (gerne anekdotische Aussagen eurerseits) und welche Rolle diese im Professor*innenalltag spielen.

Der erste Reflex der sich bei mir einstellt, ist die Möglichkeit aus dem Nähkästchen zu plaudern und in der Lehre auf Praxisbeispiele zurück greifen zu können um die berühmte Verbindung zwischen Theorie und Praxis herzustellen.
Wenn ich an mein Bachelor-Studium im Bereich Maschinenbau an der FH zurückdenke, dann kam das aber in Grundlagenfächern wie Mathe, Thermodynamik, Mechanik etc. nicht vor. Trotzdem erinnere ich mich noch heute gerne an diese Vorlesungen zurück und denke, dass sie sehr gut waren.
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Re: Tandem Professur

Beitrag von johndoe »

DrNo hat geschrieben: ↑14.02.2022, 22:47
johndoe hat geschrieben: ↑14.02.2022, 13:38 Im Prinzip formt man sich so das Minimum aus beiden Kategorien: akademische Dünnbrettbohrer im Elfenbeinturm.
Okay diese Einschätzung find ich zu krass. Meiner Meinung nach ist mit dem Erreichen der Berufungsvoraussetzungen im Bereich wissenschaftliche Arbeit und Lehre bereits ein ordentlicher Abstand zum Dünnbrettbohren erreicht.
Du sprichst von einer Qualifikations-Reduktion. Was sind denn Deine Erfahrungen oder Befürchtungen worin sich diese äussern wird?
Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass einem eine Uni-Professur auch nicht hinterhergeschmissen wird. Ein W1 Jun.-Prof. qualifiziert sich bspw. für eine anschließende W3-Professur, indem er ordentlich Forschungs-Output generiert, Doktoranden betreut und - auch wenn weniger gewichtig - gut evaluiert wird in der Lehre. Wie genau qualifiziert sich der Tandem-W1-FH-Prof für seine Anschlussstelle? Indem er als "Trainee" in netto 1,5 Jahren verschiedene Bereiche des Unternehmens beschnuppert? Für ne richtige Projektleitung (insb. komplexe Großprojekte) ist man zu wenig verfügbar, zum Eintauchen in die Facetten einer bestimmten Branche ist man zu kurz dabei, als Teilzeit-Führungskraft kann man sich nur wenig profilieren. Wenn wir den Wert der Berufserfahrung für eine FH-Professur derart runterschrauben, können wir sie auch gleich skippen und direkt eine forschungsorientierte W1-Professur analog zur Uni an der FH aufziehen.
DrNo hat geschrieben: ↑14.02.2022, 22:47 Der erste Reflex der sich bei mir einstellt, ist die Möglichkeit aus dem Nähkästchen zu plaudern und in der Lehre auf Praxisbeispiele zurück greifen zu können um die berühmte Verbindung zwischen Theorie und Praxis herzustellen.
Wenn ich an mein Bachelor-Studium im Bereich Maschinenbau an der FH zurückdenke, dann kam das aber in Grundlagenfächern wie Mathe, Thermodynamik, Mechanik etc. nicht vor. Trotzdem erinnere ich mich noch heute gerne an diese Vorlesungen zurück und denke, dass sie sehr gut waren.
Ja, man sollte den Wert anschaulicher Beispiele in der Lehre nicht unterschätzen. Klar, die kann man sich auch zusammen"klauen" und mit etwas Übung als eigene Erfahrung ausgeben... aber ich fand das eigentlich immer ganz spannend. Aber das wäre gar nicht mein Argument. Ich denke, eine "anwendungsorientierte" Vorlesung zieht man anders auf als eine Uni-Vorlesung - ich spare mir mal den Begriff forschungsorientiert, denn das sind sie oft nicht. Ich möchte mal auf das Beispiel Datenbank-Vorlesungen verweisen: da kenne ich Skripte zu Uni-Vorlesungen, die ganz selbstverständlich zum Einstieg (und wer weiß wie lange) die Studierenden mit Problemstellungen der relationalen Algebra plagen - kann man machen, hat nur mit den realen Problemen der Datenbankentwicklung in Unternehmen nichts zu tun. Ich will nicht sagen, dass man das zwangsläufig komplett vergessen kann, aber a) wäre meine Gewichtung eine andere und b) würde ich nicht mit dieser theoretischen Schlonze starten, sondern mit einer praktischen Problemstellung möglichst interaktiv am IT-System - und wenn es Klick gemacht hat, kann man die mathematischen Hintergründe erörtern.

War jetzt aus der Hüfte geschossen ohne Didaktik-Konzept ;) aber das wäre grundsätzlich mein Anspruch an meine eigene FH-Lehre. Ich denke, auch Grundlagenfächer haben das Potential für anwendungsbezogene Lehre - nur schafft man das nur, wenn man als Dozent die nötige praktische Erfahrung hat. Ein Kollege von mir ist Mathematiker - was der in den letzten 10+x Jahren bei uns im Konzern schon alles auf die Beine gestellt hat, ist beachtlich. Ich gehe schwer davon aus, dass dieser eine Mathe-Grundlagen-Vorlesung ganz anders aufziehen könnte (als ich bspw.), weil er nicht nur auf die berüchtigte Frage "wofür brauch ich das mal?" ausschweifend antworten könnte, sondern - sofern er didaktisch veranlagt wäre :) - das Fach von der Anwendungsperspektive her aufziehen könnte.
mashdoc
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Re: Tandem Professur

Beitrag von mashdoc »

@john bzgl. Wert der Berufserfahrung herunterschrauben: das passiert doch bereits unabhängig von der Tandem-Professur und ist für alle sichtbar. Einfach mal die monatliche Berufungsliste beim hlb per Stichprobe checken. Ich kenne zwei Professorinnen in einem Bereich, bei dem Führungserfahrung durchaus relevant ist, die Projektmitarbeiterinnen (eine sogar in einem Feld, das es bereits damals in kaum einem modernen Unternehmen mehr gab) waren und dann berufen wurden (mit Kontakten zu den FH). Mehrwert für die Studierenden?
johndoe
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Re: Tandem Professur

Beitrag von johndoe »

mashdoc hat geschrieben: ↑16.02.2022, 07:43 @john bzgl. Wert der Berufserfahrung herunterschrauben: das passiert doch bereits unabhängig von der Tandem-Professur und ist für alle sichtbar.
Absolut. Darüber hatte ich in meinem vorigen Post bereits meinen Frust abgeladen. Daher sehe ich die Notwendigkeit nicht, die Anforderungen noch weiter zu senken über Tandem-Profs, denn man kann die Kriterien bereits jetzt easy umgehen, sofern die BK einen haben will.
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