Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

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DerKleineText
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Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

Beitrag von DerKleineText »

Hallo,

tatsächlich habe ich das Unmögliche für mich geschafft und bin an eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter (70 %) gekommen. Parallel dazu werde ich promovieren. Nach der großen Euphorie kommt aber nun die Ernüchterung: ich habe einfach extreme Angst. Was ist, wenn ich den Aufgaben nicht gewachsen bin? Viel empirisch habe ich beispielsweise noch nicht gearbeitet. Was ist, wenn der Prof. das nun bemerkt und mich gleich wieder rauswirft? Oder ich nicht sofort in den ersten Wochen alles so beherrsche, wie er sich das vorgestellt hat?

Zusätzlich hat mir eine Bekannte erzählt, dass sie immer anstatt ihrer vorgesehenen 30 Stunden mindestens 40 gearbeitet hat und dafür nie irgendeinen Ausgleich erhielt. Sie hat mich davor gewarnt, die Stelle anzunehmen. Das hilft mir in meiner momentanen Lage irgendwie auch nicht viel weiter :shock: .

Für mich persönlich ist es einfach die Chance, weil ich das Themengebiet interessant finde, aber diese Ängste sind irgendwie sehr belastend.

Daher wollte ich hier einfach mal nach euren Erfahrungen fragen. Wie waren eure ersten Tage so als wissenschaftlicher Mitarbeiter? Wie sahen die Arbeitsbedingungen insgesamt aus und was waren eure alltäglichen Aufgaben.
donkeydoeshisphd
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Re: Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

Beitrag von donkeydoeshisphd »

Meiner Erfahrung nach ist das sehr unterschiedlich ob du auf einer Landes- oder einer Projektstelle bist. Ich selbst hatte eine Landesstelle - anfangs 70%, später dann 100%.

Workload:
Die Promotionszeit war ganz klar die arbeitsintensivste Zeit meines bisherigen Lebens - die Zahl der Stunden hat keinen interessiert, es war auch selbstverständlich mal ad hoc was am Wochenende fertigzumachen etc. Also mit Überstunden ausgleichen oder so wäre man da nicht weit gekommen. Ein - für mich extrem hilfreicher Tipp - hat mir am Anfang ein Postdoc gegeben: Versuche in deiner regulären Arbeitszeit so gut du kannst Aufgaben zu bekommen/selbst zu erledigen, die dir auch für die Diss etwas nutzen. Ich habe also -soweit ich konnte- z.B. bei der Betreuung von Abschlussarbeiten oder auch bei der Lehre immer thematische Überschneidungen mit Diss-Themen gesucht. Denn ob ich etwas für die Lehre lese oder die Diss ist ja letztlich egal.

Lernkurve:
Bei mir war es so, dass ich nicht von Anfang an alleine Lehre musste, sondern ich habe zuerst zusammen mit einem erfahrenen Doktoranden und einem Postdoc unterrichtet und dann nach und nach selbständiger gearbeitet - eigentlich wie in jedem anderen Job auch. Bzgl. methodische Kenntnisse: Es gibt keine bessere Situation um richtig tief in die Methodik einzusteigen als in der WiMa Zeit, viel besser als im Studium - gibt kostenlose Seminare an fast jeder Uni - Literatur ist besser verfügbar als in der Studienzeit und man ist umgeben von methodisch starken Leuten. Dass du selbst siehst, dass du da noch viel lernen musst, ist sicher schonmal eine gute Erkenntnis - vllt. kannst du dich da von Anfang an besonders reinhängen. Für die Diss ist Methodenwissen ja auch immer zentral. Habe bestimmt 70% meines Methodenwissens während der Promotion und nicht während des Studium gelernt und auch selbst die Erfahrung gemacht, dass Promovierte methodisch eigentlich immer viel stärker sind als Unpromovierte - was eben an diesen einmaligen Lerngelegenheiten besonders bei diesen Themen liegt.
DerKleineText
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Re: Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

Beitrag von DerKleineText »

Das beruhigt mich schon einmal. Bei mir ist es eine Projektstelle. Hast Du noch Tipps, was ich mir vorher anschauen könnte bzw. bringt es etwas, sich in Literatur für empirische Forschung einzulesen, oder würdest Du das einfach auf Dich alles zukommen lassen? Möchte einfach nicht wie der letzte Trottel ausschauen :lol: .
daherrdoggda
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Re: Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

Beitrag von daherrdoggda »

Das kommt wohl sehr auf die Fachrichtung und v.a. auf die jeweiligen Vorgesetzten an.
Bei uns wurde schon in der ersten Woche Druck gemacht, bloss keine Zeit mit sowas irrelevantem wie Nachrichten und privaten emails zu vergeuden, und man musste sich schnell in alle neuen Methoden einarbeiten. Der Chef wollte alle Ergebnisse sehen, sobald sie da waren, und es gab mindestens ein meeting pro Woche, bei dem man neue Daten zum Besprechen haben sollte. Nach ein paar Wochen hat sich das dann beruhigt, aber erst nach den ersten Publikationen wurde man weniger kontrolliert (vermutlich wurde einem dann endlich 'vertraut'). Wer 40 h die Woche da war, hat mit 1-2 Publikationen und durchschnittlicher Note abgeschlossen; wer 60 h da war, war am Ende besser dran. Wer zu viele Freizeitaktivitaeten hatte, wurde aufgefordert, mehr Zeit fuer die Arbeit zu nutzen, und ein paar unangepasste wurden nach ein paar Monaten entlassen.
Kollegen hatten fast das komplette Gegenteil: Ab und zu mal ein meeting, normale Mittagspausen, wenig Druck, solange was rauskommt. Erst bei offensichtlichem Faulenzen oder vermeidbaren Fehlern wurde natuerlich dort auch Druck gemacht.
Letztendlich wird es wohl ueberall verschieden sein. Einfach sein bestes zu geben und entsprechend der Rueckmeldungen Nachjustieren waere sicher ein guter Plan.
Dell
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Re: Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

Beitrag von Dell »

Keiner erwartet, dass du von Anfang an alles weißt, kannst und produktiv bist. Du hast den Job bekommen, weil du qualifiziert bist und man dir zutraut das Thema zu bearbeiten.
Kapsel dich nicht ab und versuche auch nicht das Rad neu zu erfinden. Die Kollegen helfen gerne, solange du deren Rat auch aufnimmst.
Was die wiss. Tätigkeit angeht, werfe die Ängste über Bord und freu dich auf die neue Herausforderung!


Zum Thema Stunden: das mag in verschiedenen Fachbereichen unterschiedlich gehandhabt werden. Ich kenne es nur so, dass man ungeachtet der vertraglichen Stunden als Doktorand über 100% arbeitet. Da wäre es an der Zeit, dass sich der TV-L ehrlich macht und mehr außertarifliche Verträge schließt, die dem Doktorandengehalt (50%, 65%, 100% E13) 100% Wochenarbeitszeit gegenüberstellen.
Es gibt wenige Überflieger, die so effizient und produktiv sind, dass die reguläre Wochenarbeitszeit ausreicht.
Also Ja, gehe davon aus, dass du ohne Zeitausgleich über 30 Stunden arbeiten wirst.
dr_superman
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Re: Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

Beitrag von dr_superman »

Also ich kam in meiner diss Zeit mit Lehre und Projekt immer auf circa 55 Stunden die Woche, wobei ich davon aber viel zu Hause arbeiten konnte oder auch mal einen Tag nichts machen und dafuer halt dann am Wochenende rein holen.
30 fuer lehre, Forschung und diss ist eigentlich unrealistisch, darauf setzt der Lehrstuhlimhaber wohl auch, dass du trotzdem mehr machst, einfach, weil Arbeit da
Alleine fuer die Lehre kannst du circa das doppelte an Aufwand pro gehaltener Stunde rechnen. Plus Sprechstunden, Email.
caipirinha11085
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Re: Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

Beitrag von caipirinha11085 »

Ich habe immer deutlich mehr gearbeitet, als ich bezahlt wurde, aber dafür auch einiges zurück bekommen. Zum einen habe ich fast ausschließlich auf dem Fachgebiet meiner Diss gearbeitet. Zum anderen hat unser Institutsleiter denselben Einsatz, den er von uns gefordert auch immer umgekehrt gezeigt, sei es indem er immer gut erreichbar war, oder sich für uns und unsere Forschung eingesetzt hat. Außerdem hatten wir sehr viele Freiheiten in der Urlaubsplanung oder mit flexiblen Home Office-Regelungen.

Wenn du an deinem Lehrstuhl Arbeiten machst, die deine eigene Forschung weiterbringen, und du dich gut mit deinem DV verstehst, hast du sicher deinen Spaß. :)
dr_superman
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Re: Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

Beitrag von dr_superman »

Es muss sich fuer einen selbst irgendwie lohnen.
Habe letztes Jahr eine ratsstelle abgelehnt, da Arbeitszeit auch in der vlfz in Präsenz gefordert worden ist
Ich arbeite gerne mehr, aber projekt-, nicht stempeluhrorientiert
spirograph
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Re: Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter-Eure Erfahrungen

Beitrag von spirograph »

Hi,

gerade den letzten Post kann ich vollends verstehen. Ich mache auch gern mehr, bin erreichbar und kenne keine Tages- und Nacht- oder weekend-vacation-Zeiten (hab sogar Whatsapp-Gruppen mit meinen Studies teilweise), aber nicht immer vor Ort in nem Raum, erst recht nicht in der vorlesungsfreien Zeit. Wenn sowas gefordert wird, gerade wenn man zu der Stelle pendeln muss, hell no.

Meine Zeit als wiMa, ja, war durchwachsen, an manchen Tagen würde ich das Alles gern tatsächlich ungeschehen machen, wünschte ich hätte nur in meinem Beruf (Lehramt) gearbeitet, statt mir 6 Jahre und 4 Befristungen zu geben. Teilweise lag ich Nachts wach und dachte mir: Wie-gehts-weiter-Wie-gehts-weiter-Gehts weiter!? DAS hätte ich mit einer schnöden Unterrichtstätigkeit nicht derart gehabt. Auch mit 15-20 Unterrichtsstunden kann man nebenbei ne Diss machen. Naja, Erfahrungswerte. Ja, sicher, nun sieht der "Lebenslauf" nice aus und so, ey, kein Mensch weiß, was das fürn Aufriss war in da back, Bewerbungstingeltangel, Umzug, Neuorientierung, sich selbst Einarbeiten, 4-5 Seminare teilweise, Kollegen, die einen schneiden, weil man weiter in der Diss ist und ansonsten och nich verbissen.

Was ich mir jetzt - meine Zeit als wiMa endet vorerst; ich gehe zurück in den Schuldienst (und das ist auch gut so) - bis jetzt bewahrt habe, ist das ich mir nie iwelche Fallhöhe angeeignet habe. WiMa und so, habe ich nur gemacht, als Teil meiner Arbeit/Tätigkeit/Berufsausübung angesehen, nicht mehr, nicht weniger. Gefeiert und/oder mich gefeiert habe ich das nie. Ganz im Gegenteil eigentlich. Vieles, was ich mitbekommen habe (Korruption, Mobbing, Vetternwirtschaft, Kettenhunde-vom-Chef, Intransparenz, Mauschelei und Absprachen, Ausbeutung - wahrscheinlich wie überall), hätte ich lieber nie - zumindest eher nicht an der Uni - mitgeschnitten.

Heute - und das sind die inneren Dinge, die ich mitgenommen habe - habe ich Souveränität und Deutungshoheit entwickelt und auch Abgrenzung. Ich muss nur durchs Leben kommen. Wir machen hier alle ein Rennen, der eine kommt früher ans Ziel, der andere später - ans Ziel kommen wir alle aber allemale.

In diesem Sinne: Stürz Dich ins Abenteuer hin zum Licht! Freue Dich auf deine Tätigkeit!

Ah: vllt gut zum Einlesen in qual/quant Methoden: Bort/Döring, Forschungsmethoden; und dann einfach mal ans Regal gehen an deiner Bibo und nach nem Büchlein schauen, was die Methoden aufgreift, die in deinem Projekt gefordert werden; vieles gibts auch als Online-link schon (bspw. von Springer). Einlesen, ist alles doch kein Hexenwerk; und gut mit Büchern aufgearbeitet, mit laufenden Metern an Regalen hast Du Literatur zur eigenen Schulung; ferner gibt es auch Methoden-Workshops: http://www.zsm.ovgu.de/Methodenworkshop.html; https://www.sarah-weber.net/trainings/m ... workshops/ (Dr. Sarah Weber macht das wirklich fantastisch; ich war auch schon bei ihr wegen der Qualit. Inhaltsanalyse....). :-)

Dir alles Gute!!!

spiro

100% pappnase
200% action
Wie groß ist das Wort Claudels: „La vie, c’est une grande aventure vers la lumiere“ (Das Leben ist ein großes Abenteuer zum Lichte hin)
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