Leitfaden Wissenschaftliches Zitieren

Fragen aus der laufenden Arbeit an der Dissertation.
Literatursuche, Motivationsprobleme, Lehrtätigkeit, Ärger mit dem Prof u.v.m.
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basilfawlty

Leitfaden Wissenschaftliches Zitieren

Beitrag von basilfawlty »

Hallo
Der Liebe Herr Guttenberg hat es sicherlich übertrieben, und bei Frau Koch-Mehrin ist man jetzt so ein bisschen an der Grenze, aber mittlerweile finde ich das ganze von einer etwas anderen Warte etwas bedenklich.
Nüchtern betrachtet, ist ja jede Promotion zu geschätzt 50 % erstmal "Werk von anderen", und damit meine ich erstmal die Ideen etc. D.h. man paraphrasiert hier ein bisschen, zitiert hier ein bisschen, und irgendwann hat man dann den aktuellen Stand dargestellt und darf endlich mit seinem "eigenen Teil" loslegen. Mit ein bisschen Pech gibt es dann noch 30 Unitextbücher, die ebenfalls Reviews etc. zu dem Gebiet anbieten (Beispiel man promoviert in Corporate Finance zur optimalen Kapitalstruktur). Da gibt es so in etwa 20 Papers, die man selber nicht umgehen sollte, weil sie halt die Basis bilden, von denen aber 10 dann wiederum in ungefähr jedem der angeführten Bücher mehr oder minder ausführlich paraphrasiert / analysiert wiedergegeben werden.
Ehrlich wäre evtl. die Phrase "Zwecks Literaturreview wende man sich bitte an Seiten 11-15 von Copeland, 223 -225 von Titman, und 177 von Brealy Marcus" und wir fangen direkt in der Mitte an. Einen wirklichen Wertbeitrag leiste ich mit dem erneuten Wiederkäuen nicht.
Wohl aber dann mit dem darauf aufbauenden Teil. Das macht natürlich keiner, und somit sind dann die ersten 60 Seiten das nächste völlig überflüssige Review.
Ich hätte überhaupt kein Problem damit, eine Promotion einzuhändigen mit dem Disclaimer - "ja, die ersten 60 Seiten sind - ordentlich zitiert - aber defakto per Ctrl+C Ctrl+V" aus Standardwerken zusammengefügt. Damit ist dann das Fundament dargestellt, und ab jetzt fängt der "originelle" Teil, d.h. die Modellierung an, die dann auch wirklich von mir kommt. Die Modellierung muss dann natürlich noch ausreichend Wissenschaftlichen Fortschritt bedeuten, aber das ist dann ein anderes Thema.

Es geht natürlich gar nicht, wenn man die Quellenangabe weglässt, aber irgendwo hier gab es den Satz mit den dicken Pinguinen. Jetzt mal angenommen man hat einen Absatz aus einem Paper, paraphrasiert diesen, nutzt natürlich noch die gleichen Fachbegriffe, und voila irgendwann sagt ein Programm "Wortabdeckung 40 %, kopiert, Plagiator".

Gibt es bei dieser Debatte mittlerweile einen anerkannten Maßstab "Tut dies, und dann seid ihr auf der sicheren Seite." Ich finde nämlich auf der anderen Seite juristische und teilweise auch die wirtschaftlichen Promotionen fast unlesbar eben wegen der abertausenden Fußnoten, mit denen jeder Teilsatz noch belegt ist. Mathematische Promotionen sind da deutlich enstpannter, wobei hierbei anerkannt werden muss, dass der intellektuelle Eigenbeitrag hier recht gut auch ohne tausend Fussnoten abtrennbar ist.

Ich befürchte nur, dass nun aufgrund der ganzen Debatte in Zukunft mehr Zeit auf die korrekte juristische Zitierform denn wirklich lesbare und zielführende Argumentation abgestellt wird.
musicus

Re: Leitfaden Wissenschaftliches Zitieren

Beitrag von musicus »

Das Problem ist ja nicht, daß man paraphrasiert, sondern daß man dann nicht angibt, welchen Text man paraphrasiert hat. Oder man verwendet die ganzen Tricks ("Bauernopfer", u.a.), die suggerieren sollen, daß man den Text selbst geschrieben hat. Ich überlege aber auch schon etwas länger, ob man nicht eine Collage auch als wissenschaftliche Form anerkennen könnte.

Könnte es nicht in einigen Fächern tatsächlich so sein, daß Texte aus "Handbüchern", "Lexika" und ähnlicher sogenannter "nicht-zitierwürdiger" Publikationen einfach kopiert werden, und man jetzt ganz überrascht ist, daß andere das nicht ok finden? Die Grenze ist da m.E. nicht eindeutig zu ziehen, auch ich habe gelernt, daß man sogenanntes "Allgemeinwissen" nicht belegen muß. Aber wenn man dieses Wissen wortgleich irgendwo abschreibt, geht das natürlich nicht. Aber was ist schon Allgemeinwissen?

Auf der anderen Seite kommt man bei fünf Paraphrasierungen irgendwann ja auch mal wieder beim Originaltext an. :P Inzwischen denke ich, daß einfach zu viel publiziert wird, zu wenig davon ist "neu" (was immer das heißt, neu für wen?). Und vieles, was wir für neu halten, ist in Wirklichkeit gar nicht neu, sondern wir haben die alten Autoren nur vergessen.

Meine These: wir sind gar nicht in der Lage, neues Wissen aus dem Nichts zu erschaffen. 99% von dem, was wir wissen, wissen wir von anderen, 1% aus eigener Erfahrung. Nur durch das Neuverknüpfen von dem Wissen anderer mit unserer Erfahrung könnte man zu neuen Erkenntnissen kommen, wenn man Glück hat. Aber wie oft passiert das schon?
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