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Re: Keine Stelle & zu alt -> Promotion vergessen?

Verfasst: 20.02.2018, 08:46
von Paulchen
Wie viele deutsche kennst du denn, die tatsächlich hier in Deutschland verhungert sind, weil sie sich kein Essen leisten konnten?
Tatsächlich niemanden. Aber das ist auch nicht der Punkt: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es überhaupt keinen Spaß macht, wenn man bei der Arge als "Kunde" sitzt. Das ist eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet hätte. Ich habe dann nach sieben Monaten eine halbe Post-Doc-Stelle (natürlich wurde da trotzdem 40-50 Stunden pro Woche gearbeitet) gefunden und seitdem - gerade nach meinem Ausstieg aus der Wissenschaft - kam dann auch berufliche Sicherheit (da schläft man nachts einfach sehr viel besser). Ich will dir auch deine Promotion nicht ausreden: Ich war nur damals als junger, motivierter Doktorand so, dass ich auch dachte: Ich besiege dieses System und werde den Rest meines Lebens aus Liebe zu meinem Fach forschen. Spätestens als ich frisch promoviert als "Kunde" bei der Arge saß, war mir klar: das wird so nichts. Im Übrigen habe ich mir um's Verhungern nie Sorgen gemacht. Aber wenn man promoviert ist und studiert hat, sollte "ich habe gerade genug Geld zum Essen" eigentlich nicht das Lebensziel sein. Insofern warne ich nur aus eigener Erfahrung vor dem System Uni und rate drigend zu einem soliden Plan B.
Was die freie Themen- und Interessenwahl angeht: Klar, da hast du schon recht. Aber bei uns in der Sprachwissenschaft gilt das nicht. Wenn ich zum Beispiel gerne theoretische Linguistik machen möchte, muss ich dazu auch eine passende Stelle haben. Ansonsten muss man da an Stellen nehmen, was man bekommen kann. Die erwähnte halbe Post-Doc-Stelle war meilenweit von dem weg, was ich gerne gemacht hätte. Nach sieben Monaten ohne Job ist man da eben nicht wählerisch und im Nachhinein hat mir diese Stelle auch die "Karriere" versaut, weil es natürlich voll auf die zwölf Jahre angerechnet wird und mir die Sache dann zu heikel wurde.

Re: Keine Stelle & zu alt -> Promotion vergessen?

Verfasst: 20.02.2018, 11:27
von Agriwis
Meine Naivität habe ich tatsächlich schon im 3. Semester abgelegt. Ich sehe das schon lange nicht mehr so rosig wie früher!
Und genau deswegen habe ich mit einem Thema, welches mich 1. interessiert, 2. sehr industrienah ist und 3. an dem viele Gruppen forschen, sicher bessere Chancen in der Wissenschaft als auch der Industrie, als wenn ich mich auf stellen bewerbe, die mich nur am Rande interessieren und von der Wirtschaft so weit weg sind wie es nur geht. Die stellen in der Wirtschaft liegen ja auch nicht auf der Straße und gute Noten hat ja auch jeder.

Da es auf die anderen Doktorandenstellen auch Bewerbungen gibt und in der Regel eine thematisch passende Masterarbeit vorgeschrieben wird, bezweifel ich auch, dass man mich nehmen würde, wenn man stattdessen auch 3 Bewerber mit entsprechender Erfahrung hat. Das wird bei Post doc stellen ähnlich sein. Aber wie es dann nach der Promotion weitergeht entscheide ich mich wenn es so weit ist. Im Moment versuche ich mir so viele Möglichkeiten wie möglich offen zu halten. Mit wirtschaftsferner Grundlagenforschung sieht das schon schwieriger aus. Dasss das jetzt halt erstmal auf einem Stipendium geschieht ist blöd aber sicher nicht das Ende der Welt. Und vielleicht habe ich ja Glück und es wird schon bald eine richtige Stelle.

Halbe Post-doc stelle ist natürlich richtig beschissen, sowas habe ich in meinem Fach noch nicht gesehen, halbe Stelle ist ja selbst bei Doktorandenstellen bei uns nicht die Regel, sondern 65-75% (wenn man denn mehr Glück hat als ich und eine erwischt hat). Ich kenne mich mit Linguistik nicht aus, aber ich könnte mir vorstellen, dass in Sprachwissenschaften die Situation (leider) noch mal beschissener ist als in MINT-Fächern, auch in der freien Wirtschaft.

Ich wollte den TE auch sicher nicht überreden auf einem Stipendium zu promovieren. Aber die Möglichkeit gibt es, also wollte ich sie erwähnen. Zumal ich ja auch geschrieben habe, dass es dann vielleicht später noch die Möglichkeit gibt auf einer Stelle zu landen. Dem TE zu sagen: Pech gehabt, du kannst nicht mehr promovieren und musst jetzt zwingend in die Wirtschaft wäre gelogen. Ob es ihm das wert ist, ist alleine seine Entscheidung.

Re: Keine Stelle & zu alt -> Promotion vergessen?

Verfasst: 20.02.2018, 12:20
von Wierus
flip hat geschrieben:
Ich lebe in Deutschland, nicht in einem 3. Weltland in dem ich Sorgen über mein tägliches Brot habe. Ich finde ich darf mir den Luxus gönnen, meinem Herzenswunsch nachzugehen und auch über ein Thema zu promovieren, das ich wirklich will (und nicht dem nächstbesten zu dem gerade eine Stelle frei war).
Nein, du willst nicht nur promovieren, du willst in die Wissenschaft. Und das heißt eben nicht, dass du im stillen Kämmerlein für drei Jahre vor dich hinsinierst.
Wer in die Wissenschaft will, braucht vor allen Dingen eine fertige und für Anschlussforschungen brauchbare Dissertation. Was nützen einem Netzwerke, Konferenzen und Erfahrungen im Schreiben von Anträgen, wenn die Dissertation am Ende eher mau ist, oder man aufgrund von Überlastung abbricht (oder gar einen Guttenberg hinlegt)? Die Wege zur Promotion sind unterschiedlich: von der Individualpromotion im stillen Kämmerlein bis hin zum strukturierten Graduiertenkolleg. Das muss hier auch mal festgehalten werden, weil manch einer so kategorisch urteilt, von wegen: "Was? Du willst dich als DoktorandIn allen Ernstes hauptsächlich mit deiner Doktorarbeit beschäftigen!?"

Re: Keine Stelle & zu alt -> Promotion vergessen?

Verfasst: 20.02.2018, 12:37
von SR-71
Stipendium fällt aus mehreren Gründen schon mal raus, allen voran wegen dem geringen Zuschuss und die fehlenden Sozialversicherungsbeiträgen, etc..

Ein Kommilitone meiner Schwester stand vor ein paar Jahren vor demselben Problem: Wunsch zu Promovieren, aber keine Stellen vorhanden. Er wurde damals ebenfalls mit der Rat in ein paar Jahren wieder zukommen in die freie Wirtschaft geschickt. In der Zwischenzeit ist er Vater geworden und da im ein deutlich höheres Gehalt gezahlt wurde als am Lehrstuhl, hat er die Promotion letztendlich über den Haufen geworfen.

Eine Industriepromotion wäre natürlich auch eine Möglichkeit, nur leider habe ich bis nicht als zu Rosiges gehört. Viel Stress, viel Arbeit, wenig Zeit und kaum Freizeit. Zusätzliche bietet nicht jedes Unternehmen eine Promotionsmöglichkeit an. Hier heißt es ebenfalls: das passende Unternehmen finden.

Re: Keine Stelle & zu alt -> Promotion vergessen?

Verfasst: 20.02.2018, 17:58
von FerdiFuchs
Wierus hat geschrieben:
flip hat geschrieben:
Ich lebe in Deutschland, nicht in einem 3. Weltland in dem ich Sorgen über mein tägliches Brot habe. Ich finde ich darf mir den Luxus gönnen, meinem Herzenswunsch nachzugehen und auch über ein Thema zu promovieren, das ich wirklich will (und nicht dem nächstbesten zu dem gerade eine Stelle frei war).
Nein, du willst nicht nur promovieren, du willst in die Wissenschaft. Und das heißt eben nicht, dass du im stillen Kämmerlein für drei Jahre vor dich hinsinierst.
Wer in die Wissenschaft will, braucht vor allen Dingen eine fertige und für Anschlussforschungen brauchbare Dissertation. [...] Das muss hier auch mal festgehalten werden, weil manch einer so kategorisch urteilt, von wegen: "Was? Du willst dich als DoktorandIn allen Ernstes hauptsächlich mit deiner Doktorarbeit beschäftigen!?"
Bei diesem Thema sind fachspezifische Unterschiede ganz maßgeblich. Soweit ich weiß sind bei euch Geisteswissenschaftlern Bücher der Goldstandard für Wissenserzeugung und -weitergabe, worunter dann insbesondere auch Dissertationen fallen. Bei uns in der Informatik z.B. nehmen diese Rolle Veröffentlichungen in hochwertigen Konferenzbänden und Journals ein. Die Diss wird oft aus vorhandenen Veröffentlichungen zusammengekloppt und spielt bei Bewerbungen eine ungeordnete Rolle. Für hochwertige Veröffentlichungen wiederum sind Kollaborationen zuträglich, die dann oft ihren Anfang bei einer Konferenz nehmen.

Re: Keine Stelle & zu alt -> Promotion vergessen?

Verfasst: 20.02.2018, 19:57
von Agriwis
Jetzt bleibt nur noch die Frage was das jetzt mit der Finanzierung einer Promotion zu tun hat. Ich jedenfalls plane durchaus auch Konferenzen zu besuchen und kumulativ zu promovieren ist ebenfalls geplant (bei uns Standard), übernehmen möchte ich mich mit Konferenzen natürlich trotzdem nicht. Den Spagat haben auch schon Leute vor mir hingekriegt, das sehe ich als das kleinste Problem. Aber wo konnte man aus meinem Beitrag rauslesen, dass das nicht geplant wäre?

Re: Keine Stelle & zu alt -> Promotion vergessen?

Verfasst: 21.02.2018, 15:45
von SR-71
Stipendium fällt aus mehreren Gründen schon mal raus, allen voran wegen dem geringen Zuschuss und die fehlenden Sozialversicherungsbeiträgen, etc..

Ein Kommilitone meiner Schwester stand vor ein paar Jahren vor demselben Problem: Wunsch zu Promovieren, aber keine Stellen vorhanden. Er wurde damals ebenfalls mit der Rat in ein paar Jahren wieder zukommen in die freie Wirtschaft geschickt. In der Zwischenzeit ist er Vater geworden und da im ein deutlich höheres Gehalt gezahlt wurde als am Lehrstuhl, hat er die Promotion letztendlich über den Haufen geworfen.

Eine Industriepromotion wäre natürlich auch eine Möglichkeit, nur leider habe ich bis nicht als zu Rosiges gehört. Viel Stress, viel Arbeit, wenig Zeit und kaum Freizeit. Zusätzliche bietet nicht jedes Unternehmen eine Promotionsmöglichkeit an. Hier heißt es ebenfalls: das passende Unternehmen finden.

Re: Keine Stelle & zu alt -> Promotion vergessen?

Verfasst: 22.02.2018, 08:13
von Sebastian
In diesem Thread ist es zu einem Durcheinander zu den Beiträgen gekommen, weil ich SR-71's Beiträge der letzten zwei Tage erst heute freigeschaltet habe. Ich hatte meine E-Mail-Clients an PC und Smartphone falsch konfiguriert. Tut mir leid!

Sebastian