Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Mario3320
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Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von Mario3320 »

Hallo,

seit etwa einem halben Jahr arbeite ich an einer Industriepromotion, es ist ein technisch-mathematisches Fach, mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Das Thema der Promotion war von Anfang an sehr vage gefasst; vom Industriepartner gibt es keine genaue Problemstellung, es wurde lediglich ein Themengebiet vorgegeben, in dem ich irgendwelche Fortschritte erzielen soll. Doch es ist sehr schwierig, in diesem Gebiet neue Ideen zu entwickeln, an denen nicht schon andere Forschungsgruppen arbeiten. Schon mehr als einmal kamen mir andere Forschungsgruppen zuvor, noch bevor ich überhaupt mit der Umsetzung fertig war. Das Forschungsfeld ist sehr aktiv und hart umkämpft. Von meiner betreuenden Uni wird mir empfohlen, mich mit Problemstellungen aus anderen Gebieten zu beschäftigen, wo es noch mehr zu erforschen gibt. Die betreuende Uni teilt meine Bedenken größtenteils. Dies will jedoch mein Industriepartner nicht, denn diese anderen Gebiete liegen außerhalb ihrer Kompetenz. Von Seiten des Industriepartners gibt es wenig Verständnis für meine Bedenken und Schwierigkeiten. Ich habe auch schon versucht, ein klärendes Gespräch zu führen, aber die Welten klaffen einfach zu stark auseinander. Dort, wo ich promoviere, wird größtenteils produziert und man hat mit Forschung eigentlich wenig am Hut außer dass man natürlich die Forschungsergebnisse dann für die Produktion nutzen möchte. Deshalb gibt es hier auch wenig konkrete Hinweise, die ich tatsächlich für ein Forschungsprojekt verwenden könnte.

Ich habe eigentlich genug von diesen Problemen und es zerrt nicht unwesentlich an meinen Kräften, dass die Schwierigkeit nicht darin liegt, ein Problem zu lösen, sondern eines zu finden. Zumal mir das auch schon an der Uni nie leicht gefallen ist, selbst ein Thema für z.B. eine Abschlussarbeit zu finden. Hier konnte ich aber immer auf die Unterstützung erfahrener Betreuer bauen, die mir die richtige Inspiration mit auf den Weg gaben. Sobald ich einmal eine gute Problemstellung gefunden hatte, konnte ich diese auch immer sehr gut lösen, was immer zu sehr gutem Feedback seitens der Betreuer / Professoren führte. (Über die übliche Noteninflation bei Abschnlussarbeiten hinaus) Ich hatte mir aus genau diesem Grund eigentlich eine Industriepromotion gesucht, weil ich mir erhofft hatte, hier seitens des Industriepartners mehr Inspirationen für konkrete Problemstellungen zu erhalten.

Ist da noch was zu retten, oder sollte ich mich möglichst bald, solange noch nicht zu viel Zeit verschwendet habe (so jedenfalls mein Gedankengang), nach Alternativen umsehen?

Und wenn ja, wie bewerbe ich mich dann am besten weiter? Man liest mehrfach, dass man den (gescheiterten) Promotionsversuch einfach als normale HiWi-Tätigkeit verkaufen soll, aber da ich beim Industriepartner angestellt bin, wäre das keine Option. Ich möchte meine Tätigkeit auch ungern als normale Angestellten-Tätigkeit verkaufen. Spätestens wenn Zwischenzeugnisse verlangt werden, fällt das doch auf. Ich bin hier etwas ratlos, da man den Tipp, den Promotionsversuch gar nicht erst zu erwähnen, doch häufiger liest. Ich befürchte, wenn ich dies offen im Lebenslauf bzw. im Anschreiben erwähne, dass meine Chancen dann in den Keller gehen werden.
praktikum
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Re: Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von praktikum »

Die "betreuende Uni" ist wohl eher ein einzelner Prof., oder? Du musst aufpassen, dass Du nicht zwischen die Interessensfronten gerät. Was für eine Firma interessant sein kann, interessiert manchen Prof. vielleicht gar nicht ... und umgekehrt.

In Forschungsgebieten kann man entscheidende Dinge ausbauen/verbessern, die erst einmal noch Kleinigkeiten aussehen. Das ist für so manchen Forscher an einer Uni aber uninteressant. Ich kenne genügend Forscher, die von irgendwelchen tollen Projekten sprechen und worauf das alles Tolles hinauslaufen soll. Das mag im Einzelfall inspirierend wirken. Am Ende kommt manchmal gar nichts raus, womit irgendjemand etwas sinnvolles machen kann bzw. was man nicht locker in einer Bachelorarbeit erledigt hätte.

Also kurzgefasst: mit der "Flucht" an die Uni tust Du Dir nicht unbedingt einen Gefallen, falls Du nachher in die Industrie zurück möchtest. Die Arbeitsweise ist eben eine andere.
FerdiFuchs
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Re: Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von FerdiFuchs »

Mario3320 hat geschrieben:Doch es ist sehr schwierig, in diesem Gebiet neue Ideen zu entwickeln, an denen nicht schon andere Forschungsgruppen arbeiten.
Das ist an sich ja erstmal keine große Sache. Dass ein Thema von mehreren Gruppen gleichzeitig bearbeitet wird, ist in praxisnahen Gebieten mehr oder weniger der Normalfall. Die Herangehensweisen, z.B. methodische Frameworks, sind dabei oft unterschiedlich genug um Publikationen von verschiedenen Gruppen zum gleichen Thema zu ermöglichen.
Schon mehr als einmal kamen mir andere Forschungsgruppen zuvor, noch bevor ich überhaupt mit der Umsetzung fertig war.
Da müsste ich nochmal genauer nachfragen: Was heißt in diesem Fall "zuvorkommen"? Haben sie schneller eine andere Umsetzung produziert, oder haben sie schneller eine Umsetzung produziert, die exakt gleich zu deiner geplanten Umsetzung ist? Wenn die Umsetzung sich weit genug von deiner unterscheidet, ist es evtl. kein Problem - im Zweifelsfall sogar ein Vorteil, da du dann eine Basis hast, um deine eigene Umsetzung zu vergleichen.

Dass es schon mehrere Male vorkam, relativiert auch deine ursprüngliche Aussage, dass dir die Themenfindung schwer fällt - demnach hast du ja schon mehrere Themen identifiziert und mit der Umsetzung begonnen. Dein Anspruch scheint zu sein, ein Thema zu finden, an dem kein anderer Mensch auf der Welt arbeitet. Solche Themen (sogenannte "kalte Themen") mag es auch geben, allerdings dann in der Tat wahrscheinlich in völlig anderen Gebieten.
Mario3320
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Re: Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von Mario3320 »

FerdiFuchs hat geschrieben:Da müsste ich nochmal genauer nachfragen: Was heißt in diesem Fall "zuvorkommen"? Haben sie schneller eine andere Umsetzung produziert, oder haben sie schneller eine Umsetzung produziert, die exakt gleich zu deiner geplanten Umsetzung ist? Wenn die Umsetzung sich weit genug von deiner unterscheidet, ist es evtl. kein Problem - im Zweifelsfall sogar ein Vorteil, da du dann eine Basis hast, um deine eigene Umsetzung zu vergleichen.

Dass es schon mehrere Male vorkam, relativiert auch deine ursprüngliche Aussage, dass dir die Themenfindung schwer fällt - demnach hast du ja schon mehrere Themen identifiziert und mit der Umsetzung begonnen. Dein Anspruch scheint zu sein, ein Thema zu finden, an dem kein anderer Mensch auf der Welt arbeitet. Solche Themen (sogenannte "kalte Themen") mag es auch geben, allerdings dann in der Tat wahrscheinlich in völlig anderen Gebieten.
Teils/teils. Es ist einerseits vorgekommen, dass meine Idee fast exakt dann so in einem Paper veröffentlicht wurde. Und andererseits kam es schon vor, dass andere Gruppen die Fragestellung mit einer deutlich besseren Idee lösten, sodass meine Idee zwar schon ein wenig anders war, aber im Nachhinein schlechtere Ergebnisse produzierte. Allerdings meinte mein Professor herzu, wenn ich etwas veröffentlichen wolle, müsse das schon in irgend einer Hinsicht eine Verbesserung gegenüber dem State-of-the-art sein. Einfach nur eine Methode, die es noch nicht gab, die aber keine Verbesserung darstellt, würde er nicht akzeptieren.

Ich hatte tatsächlich schon einige Ideen, die man umsetzten könnte, aber häufig waren diese "zu offensichtlich". Sie basierten meist darauf, eine Methode aus der Literatur weiterzuentwickeln. Dann ist es kein Wunder, wenn mir da andere ständig zuvorkommen, denn offensichtliche Ideen werden meist ein paar Wochen oder Monate später von jemand anderem veröffentlicht. Was fehlt sind tatsächlich etwas "kühlerer" Problemstellungen, die nicht so offensichtlich sind. Hier kann mir leider weder der Industriepartner helfen noch der betreuende Professor, der mein Themenfeld eigentlich schon für beinahe abschlossen hält.
praktikum hat geschrieben:In Forschungsgebieten kann man entscheidende Dinge ausbauen/verbessern, die erst einmal noch Kleinigkeiten aussehen. Das ist für so manchen Forscher an einer Uni aber uninteressant.
Genau das habe ich mir am Anfang auch gedacht, dass man bei einer Industriepromotion vielleicht mehr seine Ruhe hat, weil man an Problemstellungen arbeitet, die zwar etwas uninteressanter / langweiliger aus der Wissenschaftsperspektive sind, aber für das Unternehmen eine große Bedeutung haben.
Allerdings der Plan geht so definitiv nicht auf, da hier die Forschung sehr stark auf die Industrie abgestimmt zu sein scheint, sprich: Was für das Unternehmen interessant ist, ist häufig auch das, an dem andere Forschungsgruppen arbeiten / gearbeitet haben. Das heißt ich bin voll in den Mainstream rein geraten und soll nun mehr oder weniger in eigener Regie etwas verbessern und anderen Forschungsgruppen an der Universität sowie den Forschungsabteilungen großer Unternehmen (die ebenfalls sehr aktiv auf diesem Gebiet sind) zuvorkommen.

Ich bin an einem Punkt angelangt wo ich mich frage, welchen Sinn dann die Promotion überhaupt hat. Wenn mein Beitrag darin bestehen soll, dass ich das erforschen soll, woran auch alle anderen forschen, nur schneller als die anderen, dann ist dies für mich kein wertvoller Beitrag, den ich da leiste. Dann gehe ich lieber in die freie Wirtschaft, wo ich zwar auch Termindruck habe, wo ich dann aber nicht alles stehen und liegen lassen muss, nur weil irgendwo ein anderer Mensch auf der Welt die gleiche Idee schon veröffentlicht hat.
FerdiFuchs
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Re: Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von FerdiFuchs »

Mario3320 hat geschrieben:Teils/teils. Es ist einerseits vorgekommen, dass meine Idee fast exakt dann so in einem Paper veröffentlicht wurde. Und andererseits kam es schon vor, dass andere Gruppen die Fragestellung mit einer deutlich besseren Idee lösten, sodass meine Idee zwar schon ein wenig anders war, aber im Nachhinein schlechtere Ergebnisse produzierte. Allerdings meinte mein Professor herzu, wenn ich etwas veröffentlichen wolle, müsse das schon in irgend einer Hinsicht eine Verbesserung gegenüber dem State-of-the-art sein. Einfach nur eine Methode, die es noch nicht gab, die aber keine Verbesserung darstellt, würde er nicht akzeptieren.
OK, das leuchtet ein.

Eine Richtung, in die man manchmal gehen kann, besteht darin, die Verbesserung an einer anderen Stelle zu suchen. Wenn z.B. die veröffentlichte Methode A schneller zu Ergebnissen führt, sind die Ergebnisse deiner neuen Methode B dafür vielleicht ausführlicher, genauer, einfacher zu interpretieren oder lassen sich auf zusätzliche Fälle anwenden, die von Methode A nicht unterstützt werden - oder genau umgekehrt.

Oft gibt es einen klaren Trade-Off zwischen unterschiedlichen Qualitätseigenschaften (z.B. Effizienz vs. Korrektheit), der allein schon eine eigenständige Untersuchung wert ist.
flip
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Re: Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von flip »

Ne, das leuchtet mal gerade überhaupt nicht ein, was hier geschrieben wird.
Und zwar aus folgendem Grund:

1.
Teils/teils. Es ist einerseits vorgekommen, dass meine Idee fast exakt dann so in einem Paper veröffentlicht wurde
2.
Ich hatte tatsächlich schon einige Ideen, die man umsetzten könnte, aber häufig waren diese "zu offensichtlich". Sie basierten meist darauf, eine Methode aus der Literatur weiterzuentwickeln. Dann ist es kein Wunder, wenn mir da andere ständig zuvorkommen, denn offensichtliche Ideen werden meist ein paar Wochen oder Monate später von jemand anderem veröffentlicht. Was fehlt sind tatsächlich etwas "kühlerer" Problemstellungen, die nicht so offensichtlich sind. Hier kann mir leider weder der Industriepartner helfen noch der betreuende Professor, der mein Themenfeld eigentlich schon für beinahe abschlossen hält.
:shock:
...seit etwa einem halben Jahr arbeite ich...
Wenn mir das obige jemand nach zwei, drei Jahren schreibt, dann hat er ein Anrechtsauer zu sein. Was du beschreibst, sind doch die typischen Startschwieirigkeiten, mit denen hier alle Konfrontiert sind. Man fängt an, man hat erste Ideen und nach und nach realisiert man, dass es schon Leute gab, die schneller waren. Das heißt aber nicht, dass man dann aufhört, sondern so lange weiter macht, bis man eine Niesche findet. Das nennt sich Forschung. ;) Der Prozess, dahinzukommen, dauert aber. Wenn mir jemand nach sechs Monaten sagt, dass er schon mehrere Artikel hätte schreiben können, es zu den Themen aber schon etwas gibt, dann verbleibt mir nur zu sagen "herzlichen Glückwunsch, willkommen in der Realität." :D :blume:

Denn dann fehlt dir noch schlicht der Literaturüberblick über dein Forschungsfeld. Es ist verständlich, dass dein Industriepartner Druck ausübt (darum geht es doch im Kern, oder?), ergo ist das erste, was du vor Ort erklären solltest, dass so etwas Zeit benötigt.
Mario3320
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Re: Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von Mario3320 »

flip hat geschrieben:Wenn mir jemand nach sechs Monaten sagt, dass er schon mehrere Artikel hätte schreiben können, es zu den Themen aber schon etwas gibt, dann verbleibt mir nur zu sagen "herzlichen Glückwunsch [...]
Da hast du nicht ganz unrecht... Eigentlich ist es doch ein gutes Zeichen, wenn ich die Ideen habe, die dann auch die anderen haben, da die Ideen dann grundsätzlich schon einmal richtig waren.
Aber mir ist das ganze viel zu schnelllebig. Dank Internet und Preprint-Server gibt es neue Publikationen im Tagesrythmus, und die Follow-up-Papers kommen in der Regel schon nach einigen Monaten, manchmal noch bevor das eigentliche Paper auf der Konferenz vorgestellt wurde.
Ich mache mir in letzter Zeit ständig Gedanken darüber wie es weiter geht, wenn da auch zukünftig nichts bei rauskommt. Und das lenkt mich dann von meiner eigentlichen Arbeit ab, ein Teufelskreis.

flip hat geschrieben:dass dein Industriepartner Druck ausübt (darum geht es doch im Kern, oder?)
Mehr als drei Jahre hat man halt nicht. Wenn man es bis dahin nicht geschafft hat, kann man in seiner Freizeit weiter schreiben oder es halt sein lassen. Es gibt feste Zeitpläne, in welchem Jahr der Doktorarbeit man in welcher Phase sein sollte. Nach einem Jahr sollten schon die ersten Paper erschienen sein, das heißt inklusive Vorlaufzeit und Reviewprozess sollte ich jetzt so langsam mit dem Schreiben von Papern anfangen...

flip hat geschrieben:Eine Richtung, in die man manchmal gehen kann, besteht darin, die Verbesserung an einer anderen Stelle zu suchen. Wenn z.B. die veröffentlichte Methode A schneller zu Ergebnissen führt, sind die Ergebnisse deiner neuen Methode B dafür vielleicht ausführlicher, genauer, einfacher zu interpretieren oder lassen sich auf zusätzliche Fälle anwenden, die von Methode A nicht unterstützt werden - oder genau umgekehrt.
Das ist ein guter Tipp, das wären noch Möglichkeiten, da muss ich mit meinem Prof mal drüber sprechen.
FerdiFuchs
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Re: Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von FerdiFuchs »

flip hat geschrieben:Wenn mir das obige jemand nach zwei, drei Jahren schreibt, dann hat er ein Anrechtsauer zu sein. Was du beschreibst, sind doch die typischen Startschwieirigkeiten, mit denen hier alle Konfrontiert sind.
[...]
Denn dann fehlt dir noch schlicht der Literaturüberblick über dein Forschungsfeld. Es ist verständlich, dass dein Industriepartner Druck ausübt (darum geht es doch im Kern, oder?), ergo ist das erste, was du vor Ort erklären solltest, dass so etwas Zeit benötigt.
Jein. Tatsächlich ist es nicht weiter ungewöhnlich, dass man zu Beginn des Diss auf Vorarbeiten stößt, die bedenklich nah an der eigenen Idee angesiedelt sind - das geht als "gewöhnliche Startschwierigkeiten" durch und ist schon demotivierend genug. Das Besondere hier ist allerdings, dass die Vorarbeiten erst erschienen sind, während Mario3320 selbst an der jeweiligen Idee gearbeitet hat, und dass diese Situation nun schon mehrfach aufgetreten ist. Die Ursache würde ich hier weniger beim fehlenden Literaturüberblick suchen als beim besonders heiß umkämpften Thema.

Was die Lösungsstrategie angeht (Nische bzw. "kälteres Thema im Thema" identifizieren), sehe ich die Sache aber genauso.
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Re: Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von Mario3320 »

Ich muss mir hier wieder einmal von der Seele reden. Auch, um mal anderen Leuten einen Einblick zu geben, was so eine Industriepromotion genau bedeutet. Ich wusste das vorher nicht. Vielleicht wird es dem ein oder anderen nützlich sein.

Ich habe leider nicht mehr zurück zum Pfad des Erfolges gefunden.
Die Anforderungen des Doktorvaters werden immer stärker. Er will natürlich nur auf den High-Impact-konferenzen publizieren, die mit 20% Acceptance-Rate. Also ausnahmslos, vom ersten bis zum letzten Paper in der Promotion. Nationale Konferenzen die da ein bisschen drunter liegen sieht er schon als nicht mehr sinnvoll an. Also da kann ich schon veröffentlichen aber das zähle dann nicht mehr so wirklich in die Promotion mit rein, damit würde ich nur meine Zeit verschwenden und die Chance auf ein besseres Paper vergeben, von denen dann in etwa 3 Stück am Ende der Promotion stehen sollen. Von meinen Mit-Doktoranden am Standort haben alle gesagt, das ist utopisch und nicht machbar. Man könne froh sein, wenn man am Ende der Promotion so ein Top-Paper hinlegt. Ich soll hier exzellente Grundlagenforschung an einem Industriestandort betreiben? Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes im dunklen Kämmerlein, abgeschottet vom Rest der Gruppe (ich hielt das immer für eine Metapher bei Industriepromotionen, aber meine räumliche Position sieht tatsächlich so aus. "Fensterplatz" mit Tageslicht gibt's nur für die Festangestellten.) Ja, vielleicht wenn ich der nächste Einstein wär', könnt ich das unter diesen Bedingungen schaffen. Aber das bin ich nicht. Ich bin da ganz anders gestrickt.
Ich bin im weitesten Sinne im Ingenieurbereich tätig und bezeichne mich als Problemlöser. Deshalb habe ich das Studium auch so überzeugend abgeschlossen. Ich konnte jedes Problem, das man mir stellte, lösen. Doch jetzt ist alles ganz anders. Ich bin "Problemfinder". Ich hatte gehofft, der Industriepartner würde diesen für mich lästigen Teil übernehmen. Pustekuchen.

Ich komme mir unheimlich naiv vor, wie ich geglaubt habe, man könne an einem Industriestandort an spannenden Projekten "forschen" und nebenbei seinen Doktor machen. Nix da. Spannende Projekte werden schon deshalb nicht an Doktoranden vergeben, weil sie dann darüber ein Paper schreiben müssten und man eher so auf Abschottung und auf "Überlegenheit durch Geheimhaltung" setzt in dem Konzern wo ich bin. Wobei man dann aber nicht wirklich überlegen ist. Ich bin im Prinzip derjenige, der wissenstechnisch am weitesten ist von allen Kollegen an meinem Standort, ich bin der einzige, der noch Zeit hat, den Anschluss an die Forschung zu behalten bei der unglaublichen Flut an Papern die da über uns hereingeschwemmt kommt. Und ich muss demzufolge auch komplett in Eigenregie meine Forschung planen und eine Lücke finden, nicht gerade einfach.

Der Ausstieg ist alles andere als einfach. Trotz angeblichem Fachkräftemangel hagelt es dort, wo es eine sinnvolle Tätigkeit gibt für Leute mit überzeugend abgeschlossenem Studium nur Absagen. Einzig bei den Leiharbeitern, die laden einem in der Regel nach 2 Tagen schon zum Telefoninterview, da bekommt man was zugesagt. Dort, wo man belanglose Tätigkeiten macht, die jeder Bachelor mit 3er-Schnitt genauso gut hinbekommt. Deutschland ist halt das Land der Ängstlichen und Risikolosen. Wer sich mal was traut, das vielleicht schief gehen kann, da wird dann nicht gesagt "super, der traut sich was, der hat dann sogar noch die Größe dazu zu stehen, dass das nichts für ihn ist", sondern "Der hat versagt, der ist schlecht". Ich habe das hier gefunden. Und von der Antwort war ich geschockt. Wie deutlich der Experte (?) vom VDI hier ansagt, wer ne Promotion abbricht, der habe "viel weniger erreicht als wenn Sie das Projekt nie angefangen hätten" und nennt Zeitarbeit als einzigen realistischen Ausweg.
Ich denke die einzige Chance auf eine vernünftige Tätigkeit, die man in so einer Situation hätte, ist nochmal eine andere Promotionsstelle zu suchen mit besseren, realistischeren Bedingungen. Aber ob ich es nochmal schaffen werde, mich aufzurappeln, ob ich meine Begeisterung wiederfinden kann? Ich denke nicht... Das wäre dann total erzwungen. Ich müsste dann was machen, was ich eigentlich nicht will, und es müsste auf Teufel-komm-raus ein Erfolg werden. Ich habe zu große Angst davor, dass es vielleicht wieder schief gehen könnte. Dann wäre ich endgültig im Aus. Auch wenn das Risiko vielleicht nur 10% beträgt, aber auch ein Erwartungswert, der 10% Mal minus Unendlich enthält, gibt letztlich minus Unendlich aus. Also besser nicht machen.

Es ist unheimlich deprimierend. So einer Erfahrung raubt einem jeglichen Lebensmut. Die Psyche darf man hier nicht unterschätzen, die ist nicht beliebig dehnbar. Irgendwann diktiert dir deine Psyche den Handlungsspielraum und nicht umgekehrt. Mit der "ich kann alles schaffen"-Mentalität gerät man irgendwann in den Burnout. Da muss man sich rechtzeitig vor schützen. Auch deswegen ist es vielleicht keine gute Idee, immer nach den Sternen greifen zu wollen, sondern man sollte von vornherein bei dem bleiben, was man weiß, dass man es gut kann.

Ich kann nur empfehlen, versucht den Direkteinstieg, wenn ihr ein geborener Problemlöser seid. Und wenn ihr schon immer ein Visionär wart, einer, der genau weiß, auf welche Erfindung die Welt schon immer gewartet hat, es aber nur nicht wusste, dann macht ne ordentliche Promotion an der Uni. Aber ihr müsst euch komplett sicher sein, dass ihr eine Promotion machen wollt. Lasst euch das nicht aufquatschen, nur weil ihr so einen guten Master gemacht habt. Ihr müsst da 100% ganz dahinter stehen. Eine Promotion ist nicht einfach nur die Fortführung des Masters. Es ist was komplett anderes. Letztlich ist es wie beim Peter-Prinzip. Nur weil ihr für die aktuelle Stufe gut geeignet wart, heißt das nicht, dass ihr in der nächst höheren Stufe ganz genauso erfolgreich sein werdet. Und fragt nicht fertig promovierte um Rat, ob es toll ist, zu promovieren. Denkt an den Survival Bias.

So, der Text ist nun doch ein wenig länger geworden, aber ich musste mir das einfach mal von der Seele tippen... :(
Zuletzt geändert von Mario3320 am 22.09.2018, 13:36, insgesamt 1-mal geändert.
spirograph
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Re: Industriepromotion gerät in eine Sackgasse - wie geht es weiter?

Beitrag von spirograph »

Hi,

duje, das klingt nich gut. Bei solchen (psychischen) Extremsituationen ist es erstmal gut in den "Falkenflug"-Modus zu schalten. Anzuhalten, hochzufliegen und sich de eigenen Situation von mglst weit oben, so wie man das eben selbst kann, anzugucken. Haste gemacht. Is bitter. Aber Du siehst auch, das Selbstschutz und Prävention vor Erschöpfungs(-depression = BurnOut) hier erstmal das Wichtigste ist. Wenn DAS weg ist, Lebensschwung, Du schreibst sogar (!) Lebensmut, dann wird es noch dunkler als dein schlimmer Fensterplatz. Ich komme aus nem ganz anderen Bereich, Lehramt, nu Uni, Seminare geben, Diss auch; beim Lesen deiner Nachricht dachte ich mir: "Boah, ist denn das SO krass bei denen?", "Ich mein, die sind Naturwissenschaftler, haben n BA, MA gemacht, haben voll das Brain, warum wird das denen so schwer gemacht?"....so mein innerer Monolog. Mensch, Du hast doch "noch" deine vielen Uni-Abschlüsse, kannst Du nicht irgendwo unter kommen, wo Du deine skillz angstfrei und freudvoll einsetzen kannst? Geld verdienen? Dir ein fröhliches Leben machen wie jeder Brenner auch? Also wenn es mit massiver Anstrengung nicht gehen "darf", also dort, dann geh da weg. Verkauf die Zeit dort als etwas, "was es schon auch war", aber gleichzeitig getreu des Mottos "Nicht jeder muss zu jeder Zeit alles vollständig von Dir wissen!". Bring Dich und dein Potenzial in Sicherheit, herrje. Wäre das sooo schlimm, irgendwo anders hinzugehen, wo Du, ja, gut drauf sein kannst, wo normale Verhältnisse herrschen? Ich meine, das ist alles deine Lebenszeit. Die ist kurz, unbezahlbar, wertvoll und unwiederbringlich. Du gestaltest Deine Dir gegebene, einmalig vllt gegebene, Lebenszeit. In den USA sagt man "fathered time", also vom Kollegen da oben Dir zugestanden.

Ich weiß, dass es hier in Germany hart ist. Hart für Probierer, hart für ich-habe-eine-Idee; wir sind hier ne Köterrasse. Almans, Kartoffeln eben. Es IST so. Treten, jaulen und selbst treten, folgen, loyal, treu und der ganze Bums. Aber Köter kommen halt nich auf Ideen, mal was Neues oder agieren anders, im Sinne von, dasse nich treten, wennse getreten werden. Wenn n Köter anfängt zu denken, da kommt "da wohlmer aber erstmal sehen, OB ers packt!". Wenn ich, um das zu verdeutlichen, hier in n Radladen gehe und sage, mein Reifen is platt, sagt der Typ hinterm Schalter, "Naja, is schon n Rosthobel, ob das noch geht!?", ich: "Nur der Reifen, der Rest reicht für mich schon, steht oft am Bahnhof, das klaut keiner!", "Nächste Woche, naja, aber ich kann nichts versprechen!". In den USA würde der Ladentyp sagen: "Oh, no problem, we fix it." Eben nicht problemorientiert, sondern motivierend, pragmatisch. Und diese Mentalität von dem Experten: "Alles gewagt und alles verloren": entspricht dem. Dieses Totale! Alles, das große Ganze. Entweder Freude schöner Götterfunken oder den Dank begehre ich nicht, beides Schiller btw. Und auch dieses sich-freuen-wenn-ein-anderer-taumeld, ist für mich typisch Kartoffeldeutsch. Kein Wunder, dass der Experte das SO fasst. ALLES verloren. Man hat dann nix mehr quasi in der Diktion: kein Hirn mehr, keine Zertifikate. Und wenn man irgendeine Arbeit dann hat, wo man glücklich mit ist, dann is das "nur" dies und das, "hats eben nich jepackt", "hat versagt". Aber ich sage Dir: all das verlebt sich. Mit der Zeit. Gehe dahin, wo Du gut Du sein kannst mit allen skillz. "Lass Dich nicht verführen, zu Frohn und Ausgezehr", sagt Brecht (https://www.deutschelyrik.de/index.php/ ... hrung.html). Lies das ruhig mal. Jenau, und der Köter, wenner "versagt" hat, also nicht taugt, ist dann auch scheiße, genau so! Aber ich sage Dir: Lebe dein Leben. Arbeite und sei tätig für die tollen Sachen, die Du gelernt hast, wenn nich dort, dann dort. Ein Platz ist wie der andere. Ein Brot das Gleiche wie ein Ziegelstein! Werde wieder fröhlich und leicht und gut drauf, gucke in die Sonne und finde zu Dir zurück. Lass die dort sich verdunkeln in ihren Kellern und sich papers abmelken. Es gibt einen Platz für Dich, wo Du genau hinpasst und Dich einbringen kannst. Wo Synergie ist und nicht schwindender "Lebensmut".


Ich habe auch mal n Studium in den Sand gesetzt. Jaja, das war damals relevent, heute ist das verlebt. Ich habe bestimmt 3 Jahre Lücke im Lebenslauf. Fragt mich heute einer, was ich da gemacht habe: "work and travel". Im weitesten Sinen war es so. Mein Leben, meine Entscheidung. Deutungshochheit und Empowerment! Aber ich schwöre es Dir: es hat nie einer gefragt!!!! Nu, mit fünf Anstellungen später fragt erst recht keiner. Es hat sich verlebt. Wenn man weitergeht. Versuche das bei Dir auch. Lass Dich von solchen zersetzenden Kommentaren und Fremddeutungen nicht verunsichern. Dein Leben, deine Gestaltung. Am Ende steht keiner aufm Gang und gibt Dir Applaus für die tollen papers und deine Diss und deine vielen Opfer. Niemand sieht deine Anstrengungen. Und wennde n tausi mehr verdienst, pfff, war es das wert? Guckt Euch die Narrative an, diese Einflüsterungen in eure Köpfe, diese Tretmühlen, diese Fremddeutungen EURER Lebenszeit!!! Passt auf eure geistigen Portale auf, was da zu Euch dringt, wer was sagt und warum.

Wärst Du n Kumpel von mir, würde ich Dich heute mitm Rad abholen, Kasten Bier offn Gepäckträger. Erstmal n Suffdöner, dann am Badestrand schön einen rinntingeln und quatschen. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus. Abgrenzung und Distanzierungsfähigkeit von den ganzen downpressorn hier.

Dir alles Gute!!!! Echt ma!!!

spiro
Zuletzt geändert von spirograph am 18.08.2018, 16:12, insgesamt 1-mal geändert.
Wie groß ist das Wort Claudels: „La vie, c’est une grande aventure vers la lumiere“ (Das Leben ist ein großes Abenteuer zum Lichte hin)
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