Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

RustinCohle

Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von RustinCohle »

Hallo liebe Forumsmitglieder,

ich lese hier schon eine Weile als stiller Beobachter mit und habe mich nun aus gegebenem Anlass entschlossen, mich anzumelden und selbst einen Beitrag zu verfassen. Ich möchte mich bereits im Vorhinein die Länge des Textes entschuldigen, ich habe zum besseren Verständnis meiner Situation etwas weiter ausgeholt und möchte Euch einfach mal um eine Meinung zu meinem Problem bitten.

Ich, 24 Jahre alt, habe direkt nach dem Abitur studiert und meinen Bachelor sowie meinen Master direkt hintereinander an derselben Uni abgeschlossen, an der ich seit November letzten Jahres nun auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig bin. Es handelt sich hier um eine auf 2 Jahre befristete 50% Qualifikationsstelle aus Berufungsmitteln, sprich ich soll zur Weiterfinanzierung im Rahmen meiner Diss ein eigenes Drittmittelprojekt akquirieren, der Rest ist Lehre und Verwaltungsarbeit.

Die Stelle bekam ich schon vor meinem Abschluss, ich wurde über einen befreundeten Mitarbeiter darauf aufmerksam, habe mich beworben und wurde angenommen. Im letzten Jahr gab es in meinem Privatleben einige schwerwiegende Einschnitte und ich musste meine Masterarbeit in sehr kurzer Zeit fertigstellen, daher kam mir diese unkomplizierte Lösung sehr gelegen. Ich habe mich gar nicht anderweitig umgesehen oder beworben, sondern direkt nachdem ich mein Zeugnis in der Hand hielt als WiMi angefangen. Als Student war es schon mein Wunsch, an der Uni beruflich zu bleiben, hauptsächlich weil mir meine Arbeit als Tutor und HiWi Spaß gemacht hat.

Ich hatte vor meinem Stellenantritt bereits ein Promotionsthema, wobei ich dazu auch so ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde kam. Ich habe als studentischer Mitarbeiter in einem Projekt an der Uni gearbeitet und darüber quasi eine Art Tochterprojekt angeboten bekommen, das derzeit auch den Inhalt meiner bisherigen Vorarbeiten für die Diss darstellt, angemeldet habe ich sie noch nicht. Während meines Studiums habe ich mich aber in meinen Haus- und Abschlussarbeiten mit anderen Themen beschäftigt. So richtig passt es auch eigentlich nicht zu der inhaltlichen Ausrichtung des Lehrstuhls an dem ich arbeite, aber mit viel Argumentation und Kooperationen wird eben versucht, es irgendwie passend zu machen.

Der Lehrstuhl ist sehr klein und auch noch recht neu hier, unser Büro ist deshalb nur von mir, einem Kollegen aus einem anderen Projekt, unserer Professorin und den HiWis besetzt. Zwischenmenschlich komme ich soweit mit den anderen klar, aber so richtig „warm“ werden wir irgendwie nicht. Der Austausch beschränkt sich auf das Nötigste und ich fühle mich oft mit meinen Aufgaben, mit denen ich wenig Erfahrung habe, alleine gelassen. Dadurch, dass ich in keinem Projekt eingebunden bin, nehme ich mich schon thematisch häufig als Außenseiter wahr.

Am meisten macht mir jedoch die Tätigkeit selbst zu schaffen, an der ich einfach keine Freude finden kann. Ich habe oft das Gefühl, als würde ich nach wie vor studieren und sehe oft keinen Mehrwert in dem, was ich tue. Von allen Seiten wird mir nahegelegt, dass Reputation das A und O wissenschaftlichen Arbeitens ist: so viel und so oft wie möglich publizieren, auf Tagungen und Kongressen anwesend sein und die eigene Arbeit präsentieren. Aus meiner subjektiven Perspektive heraus, ohne dabei jemanden angreifen zu wollen, heißt das meist Selbstbeweihräucherung, Schaulaufen, permanente Rechtfertigung und der Versuch, auch den redundantesten Themen Bedeutung zuzuschreiben. Das mag vielleicht auch darin begründet sein, dass ich nicht aus einem akademischen Milieu komme und zum Teil auch während des Studiums bereits Probleme damit hatte. Das führt wiederum dazu, dass ich mich nicht richtig für meine Arbeit außerhalb der Lehre, die mir immer noch sehr viel Spaß macht, motivieren kann. Wenn ich nach Hause komme habe ich nicht den Eindruck, etwas „geleistet“ zu haben und wenn ich meine eigene Zukunft antizipiere, sehe ich nicht, wo ich mit diesem Job in ein paar Jahren stehe und was mir auch die mir irgendwie fremde Diss eigentlich außer einem Titel und einem Buch wirklich persönlich bringt. Mal abgesehen davon bieten die Befristung und der Druck angesichts des Projektantrages auch nicht wirklich die angenehmsten Voraussetzungen für meine Arbeit. Zudem habe ich auch einfach meine Uni satt, ich habe wie gesagt hier studiert und sehne mich nach einer neuen Umgebung mit neuen Menschen und neuen Inhalten.

Ich habe lange über meine Lage nachgedacht und war am Anfang noch überzeugt, dass dies eine normale Phase während der Promotion ist, die von Zweifeln und Unsicherheit geprägt sein kann. Aber ich arbeite nun seit fast einem Jahr hier und mein Empfinden hat sich nicht verändert. Ich bin sehr unglücklich mit meiner Stelle und möchte einmal die Fühler ausstrecken, welche Möglichkeiten sich eigentlich außerhalb der Wissenschaft noch für mich ergeben. Ich hoffe, dass es hierbei Wege gibt, die ich bisher schlicht nicht auf meinem Radar hatte, weil ich gar nicht mal nach links und rechts geschaut habe. Die Lehre könnte ich ja über einen Lehrauftrag noch behalten, für die Diss ist es glaube ich für alle Beteiligten das Beste, abzubrechen bevor es überhaupt richtig begonnen hat. Deshalb habe ich bereits einige Stellenangebote, die für mich infrage kommen, herausgesucht und möchte mich dort bewerben. Sollte etwas Geeignetes dabei sein, kann ich mir vorstellen hier zu kündigen und etwas Neues anzufangen. Ich muss ehrlicherweise gestehen, dass ich bisher noch kein Gespräch mit meiner Vorgesetzten diesbezüglich gesucht habe. Das liegt zum einen daran, dass ich mir die ohnehin eher bescheidene Arbeitsatmosphäre bis zu einer potenziellen Kündigung nicht verderben möchte, zum anderen weil ich mir davon keine Klärung verspreche, denn an dem System und der eigentlichen Arbeit kann auch meine Chefin nichts ändern.

Nun würde es mich freuen, von Euch als anonymen/weitestgehend objektiven Lesern eine Rückmeldung zu bekommen. Wie schätzt Ihr die Situation anhand meiner Schilderung ein? Habt Ihr vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht und wie habt Ihr das Problem gelöst? Hat jemand Tipps für die Bewerbung (wie formuliert man bspw. geschickt, dass man derzeit noch bei einem anderen Arbeitgeber ist) bzw. für den Umgang mit Vorgesetzten? Ich bin dankbar für jeden konstruktiven Beitrag und hoffe auf Antworten.

Viele Grüße,
R.
Smelvo

Re: Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von Smelvo »

Hallo RustinCohle,
Habt Ihr vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht und wie habt Ihr das Problem gelöst?
Ja! Ich finde mich in vielen Punkten deiner Schilderung wieder. Auch ich habe die Freude an meinem Promotionsvorhaben verloren. Ich habe damit vor knapp zwei Jahren aus völlig falschen Gründen begonnen und kann das Promotionsvorhaben mittlerweile nicht mehr vor mir selbst rechtfertigen. Wie du, habe auch ich einfach genug von der Uni und sehne mich danach, endlich auch Erfahrungen "in der Welt da draußen" zu sammeln. Mit deinem Satz
Wenn ich nach Hause komme habe ich nicht den Eindruck, etwas „geleistet“ zu haben und wenn ich meine eigene Zukunft antizipiere, sehe ich nicht, wo ich mit diesem Job in ein paar Jahren stehe und was mir auch die mir irgendwie fremde Diss eigentlich außer einem Titel und einem Buch wirklich persönlich bringt.
sprichst du mir aus der Seele...

Es war gut und richtig, sich nach Stellenangeboten außerhalb der Uni umzusehen. So wie du deine Situation schilderst, scheinst du bereits mit dem Promotionsvorhaben innerlich abgeschlossen zu haben. Es ist sehr wichtig, für sich selbst diese Entscheidung definitiv und absolut zu treffen, bevor man in ein Bewerbungsgespräch mit einem potentiellen zukünftigen Arbeitgeber geht. Schöpfe aus deiner Unzufriedenheit die Motivation und Energie für einen Neustart und kommuniziere diese Motivation auch in deinen Vorstellungsgesprächen.
Hat jemand Tipps für die Bewerbung (wie formuliert man bspw. geschickt, dass man derzeit noch bei einem anderen Arbeitgeber ist)
Auch ich habe mich vor kurzem auf zwei Stellen außerhalb der Universität beworben, bereits Bewerbungsgespräche geführt und eine sehr attraktive Stelle zugesagt bekommen. Deine Möglichkeiten kannst du erweitern, wenn du dich nicht nur auf ausgeschriebene Stellen, sondern auch initiativ bei interessanten Firmen bewirbst. Ein heikles Thema dabei ist, wie du mit deinem Promotionsabbruch umgehst, was im Lebenslauf den Ersteindruck des "Scheiterns" hervorruft. Ich habe bei meinen Bewerbungen das Thema Promotion komplett unter den Tisch fallen lassen und meine Zeit an der Uni nach dem Studium einfach nur als wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Unterstützung der Forschung in meiner Arbeitsgruppe und der Lehre angegeben. Im Bewerbungsgespräch kam vom neuen Arbeitsgeber auch das Thema Promotion auf den Tisch. Ich habe meine Zeit an der Uni nach meinem Masterabschluss dabei vor allem als Orientierungsphase und Phase der Vorarbeit dargestellt, in der ich für mich ausloten wollte, ob eine Promotion und ein weiterer akademischer Berufsweg für mich in Frage kommen. Meine Empfehlung: Stelle hier nachvollziehbar dar, weshalb du dich gegen eine wissenschaftliche Laufbahn entschieden hast. Um hier überzeugen zu können, ist wie schon gesagt wichtig, dass du dich auf jeden Fall schon definitiv entschieden hast.

Die Tatsache, dass du momentan in ungekündigter Stellung bei einem anderen Arbeitsgeber und nicht arbeitslos bist, würde ich eher positiv sehen. Der anstehende Stellenwechsel erfolgt aus deiner eigenen Motivation heraus und nicht, weil dein Arbeitgeber dich los werden will. Überlege vor einem anstehenden Vorstellungsgespräch auf jeden Fall gute Gründe, die dich zu deinem Stellenwechsel motiviert haben. Wichtig dabei: Immer positiv formulieren (aus den spannenden neuen Aufgaben / Anforderungen der anvisierten Stelle heraus argumentieren) und auf gar keinen Fall übertrieben negativ über deine Arbeit an der Uni auslassen! Stelle die Zeit auch nicht als "verlorene Lebenszeit" dar, sondern betone, was du dort noch alles lernen konntest (übertreibe wenn nötig ein wenig - jedoch nicht maßlos) und hebe vor allem den Aspekt der Lehre hervor, die dir ja am meisten Freude macht.

An unserer Universität gibt es eine Beratungsstelle zur Berufsorientierung, Stellensuche, Praktikum und Bewerbungsmappencheck. Das habe ich in Anspruch genommen und fand es sehr hilfreich. Falls deine Universität einen ähnlichen Service bietet, würde ich dir aus meiner Erfahrung heraus empfehlen, diesen zu nutzen.
Hat jemand Tipps für den Umgang mit Vorgesetzten?
Darüber mache ich mir auch gerade auf meine Situation bezogen Gedanken. Ich habe wie gesagt die Zusage zu einer Stelle und der Arbeitsvertrag flattert in den nächsten Wochen herein. Ich werde dann zum ersten Oktober kündigen und habe mir trotz meines Drückebergertums vorgenommen, meinen Vorgesetzten in der Uni heute darüber zu informieren. Ich denke, man sollte rechtzeitig Bescheid geben, damit beide Seiten wissen, woran sie sind. Ich finde es wichtig, keine verbrannte Erde zu hinterlassen, sondern im Guten auseinander zu gehen, da man sich im Leben immer zweimal trifft. Auch in Hinblick auf ein eventuell auszustellendes möglichst positives Arbeitszeugnis sollte man um einen sanften Abgang bemüht sein. Ich würde auch vollständig darauf verzichten, äußere Umstände wie schlechte Betreuung, für dich gefühlt sinnloses Thema usw. anzuführen, sondern dir empfehlen, statt dessen selbstkritisch aufzutreten und deine Entscheidung mit deinem inneren Wandel und deiner fehlenden persönlichen Motivation zu begründen. Zeige dich dabei auch kritisch bezüglich deiner damaligen Entscheidung, die Promotion zu beginnen und lege deinen inneren Wandel überzeugend dar - allerdings ohne in eine (gefühlte) Rechtfertigungsspirale zu kommen. Stelle dabei aber auch positiv heraus, was du alles in deiner Zeit dort lernen konntest. Wenn man sich auf diese Art dankbar zeigt und gleichzeitig seine Entscheidung aus sich selbst heraus und nicht aus den äußeren Umständen motiviert darlegt, sollte der Abschied doch glatt laufen. Das ist zumindest das, was ich mir dazu so gedacht habe. Da genau dieser Schritt auch bei mir heute ansteht, kann ich dir später mehr dazu sagen, wie diese Taktik tatsächlich ankam :-)

Ich hoffe, ich konnte dir mit meiner Meinung zu deiner Situation und den aufgezeigten Parallelen zu meiner Lage (man ist tatsächlich nie der Einzige, dem es so geht) etwas weiterhelfen.

VG
RustinCohle

Re: Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von RustinCohle »

Hallo Smelvo,

zunächst einmal vielen, vielen Dank für Deine ausführliche und aufbauende Antwort! Ich bin sehr froh, dass Du Dich traust, auch Deine eigenen Erfahrungen zu schildern. Es tut wirklich gut zu lesen, dass ich nicht gänzlich alleine mit meiner Situation dastehe... ich kann gar nicht ausdrücken, wie unendlich erleichtert ich war, als ich gerade den Post gelesen habe.
Als sich diese Gedanken zum ersten Mal bei mir manifestierten, habe ich mich sehr schlecht gefühlt, nicht nur weil ich mir dann ein Scheitern eingestehen musste, sondern auch, weil ich ich mich lange gefragt habe, wie ich das eigentlich vor meiner Familie und allen anderen ansprechen kann. Aber ich habe mich vor einiger Zeit auch ihnen anvertraut und bekomme von dieser Seite viel Rückhalt, der mich innerlich stärkt und mir Zuversicht schenkt.
So wie du deine Situation schilderst, scheinst du bereits mit dem Promotionsvorhaben innerlich abgeschlossen zu haben.
Ich habe innerlich bereits mit all dem abgeschlossen, das merke ich u.a. daran, dass ich wenig motiviert bin, überhaupt noch ins Büro zu kommen und ich ständig auf die Uhr schaue. Ich bin überzeugt, dass ich mein Potenzial mit der derzeitigen Stelle nicht voll ausschöpfen kann und dass ich neue Herausforderungen suche ist tatsächlich keine Phrase. Insofern freue ich mich richtig auf die Bewerbungen, auch wenn sich das irgendwie komisch anhört.
Deine Möglichkeiten kannst du erweitern, wenn du dich nicht nur auf ausgeschriebene Stellen, sondern auch initiativ bei interessanten Firmen bewirbst.
Dein Tipp mit der Initativbewerbung ist sehr gut, daran hatte ich im ersten Moment gar nicht gedacht. Ich denke, dadurch dass ich die Promotion ja noch gar nicht angemeldet habe, kann ich sie beim Schreiben und dem Lebenslauf auch erst einmal außen vor lassen. Ich will gar nicht ausschließen, dass ich vielleicht in ein paar Jahren doch noch promoviere, aber hier und jetzt unter diesen Umständen kann und möchte ich es einfach nicht.
Vielen Dank auch für Deine Empfehlungen für die Formulierung bzw. Argumentation. Ich hatte mir das so ähnlich auch schon zurecht gelegt, denn trotz meiner Situation ist es nicht so, dass ich meine Arbeit oder meine Kollegen/ meine Chefin verteufle. Es gab zwischen uns nie ein böses Wort, aber es passt eben auch nicht so richtig.
An unserer Universität gibt es eine Beratungsstelle zur Berufsorientierung, Stellensuche, Praktikum und Bewerbungsmappencheck.
An meiner Uni gibt es ebenfalls einen Beratungsservice, den ich bereits per Mail kontaktiert habe, nächste Woche habe ich einen Termin dort. Super, dass Du an dieser Stelle darauf hingewiesen hast!
Ich denke, man sollte rechtzeitig Bescheid geben, damit beide Seiten wissen, woran sie sind. Ich finde es wichtig, keine verbrannte Erde zu hinterlassen, sondern im Guten auseinander zu gehen, da man sich im Leben immer zweimal trifft.
Das sehe ich auch so, vor allem, wenn man ein normales Verhältnis zueinander hatte. Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Kraft für das bevorstehende Gespräch und hoffe, dass es nach Deinen Vorstellungen verläuft!

Hast Du denn auch schon negative Resonanz zu Deiner Entscheidung bzw. Deinem Empfinden bekommen, bspw. durch Menschen, die Dir keinerlei Verständnis entgegengebracht haben? Wenn ja, wie bist Du damit umgegangen?

Ich habe momentan das Gefühl, dass der Promotionsabbruch eher ein Tabuthema ist, das hat auch meine bisherige Recherche bestätigt. Es ist klar, dass das keine leichtfertige Entscheidung sein sollte, die man von heute auf morgen trifft, aber die Probleme werden aus meiner Sicht häufig bagatellisiert. Sätze wie "Das wusstest Du doch vorher" oder "So läuft halt Wissenschaft" helfen einem ja nicht unbedingt weiter.

Viele Grüße,
R.
Paulchen
Beiträge: 62
Registriert: 15.06.2016, 18:44
Status: Postdoc
Danksagung erhalten: 4 Mal

Re: Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von Paulchen »

Hallo ihr beiden,

ich kann natürlich zu euren genauen Hintergründen gar nichts sagen und will jetzt auch eigentlich (!) keinen Ratschlag geben. Aber ich glaube, dass ihr beide das richtige tut. Natürlich ist ein Abbruch der Promotion ein gewaltiger Schritt und man denkt sich vielleicht, man hätte in irgendeiner Form versagt. Aber das denke ich ganz und gar nicht. Zum einen muss / sollte eine Dissertation einem Spaß machen. Man muss schon für ein Thema glühen, weil man während der Promotionsphase viele frustrierende Phasen überstehen muss. Wenn man aber eigentlich gar kein Interesse an einer Promotion oder der Arbeit in der Wissenschaft hat, sollte man das tun, was jeder in einer vergleichbaren Situation tut: Man sollte etwas ändern. Es gibt nichts schlimmeres als Dinge zu machen, die einem überhaupt keinen Spaß machen. Ich hatte während meiner "Karriere" auch viele Phasen, in denen es mir kein Spaß gemacht hat und in denen ich sofort aufgehört hätte, hätte ich was anderes gefunden. Aber bei mir war zumindest immer dieses freudige Interesse an meinem Fachgebiet (ob dieses freudige interesse alleine reicht, um sich den Job Wissenschaft anzutun...hmmm, ich weiß nicht).
Und dieses ganze Gerede vom Scheitern: Ich habe vor jedem höchsten Respekt, der sagt: Ja, da habe ich mich mal verrannt. Das war nicht das richtige. Jetzt probiere ich eben was anderes. Ich glaube übrigens auch, dass man dann auch gestärkt daraus hervorgeht. Dieses Gerede vom Scheitern stammt vermutlich auch von denen, die immer alles straightforward alles durchgezogen haben und irgendwas im Leben vermissen. Aber: Sich verlaufen gehört im Leben dazu.
Also: Wenn einem die Arbeit in der Wissenschaft überhaupt keinen Spaß macht und einem nichts bringt, sollte man etwas anderes machen. Was irgendwelche Professoren dann dazu sagen, tja, freundlich und standhaft bleiben. Professoren erinnern sich manchmal nicht mehr daran, wie kompliziert das Leben vor ihrer Berufung doch gewesen ist (gibt aber zum Glück auch Ausnahmen).

In diesem Sinne,
alles Gute,
Paulchen
RustinCohle

Re: Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von RustinCohle »

Hallo Paulchen,

auch an Dich ein großes Dankeschön für den Beitrag! Ich finde es toll dass Du Dich, obwohl Du eine ganz andere Perspektive bei diesem Thema einnimmst, so reflektierend dazu äußerst und es außerhalb der eigenen Erfahrung nochmal auf eine andere gedankliche Ebene hebst.
Es gibt nichts schlimmeres als Dinge zu machen, die einem überhaupt keinen Spaß machen.
Die Frage, die sich mir auch die ganze Zeit stellte, ist: kann ich überhaupt die Qualität abliefern, die ich von mir selbst und andere von mir erwarten, wenn ich mich mit der Diss und der akademischen Welt gar nicht richtig identifizieren kann? Denn das Eine ist ja, sich selbst zu verwirklichen und Freude am eigenen Tun zu haben, das Andere aber, welchen "Impact" es für andere Menschen hat und was man sozusagen bewirken kann.
Und dieses ganze Gerede vom Scheitern: Ich habe vor jedem höchsten Respekt, der sagt: Ja, da habe ich mich mal verrannt. Das war nicht das richtige. Jetzt probiere ich eben was anderes. Ich glaube übrigens auch, dass man dann auch gestärkt daraus hervorgeht. Dieses Gerede vom Scheitern stammt vermutlich auch von denen, die immer alles straightforward alles durchgezogen haben und irgendwas im Leben vermissen. Aber: Sich verlaufen gehört im Leben dazu.
Das Verrückte dabei ist, dass es mir genauso geht: ich finde es wahnsinnig bewundernswert, wenn Menschen in der Lage sind, ihr Leben in die Hand zu nehmen und aktiv eine Entscheidung auch gegen einen eingeschlagenen Weg zu treffen. Es fällt mir nur manchmal schwer, das auch bei mir selbst so zu sehen, weil ich Angst habe, mich dann vor einer Rechtfertigung zu verstecken ("Das machen andere doch auch, warum also nicht Du?"). Aber für mich gibt es in solchen Situationen nur zwei Optionen: entweder man sitzt es aus und lebt weiter damit oder man ändert eben etwas daran. Und für mich kommt ersteres auf gar keinen Fall in Frage. Von daher: vielen Dank für diese mutmachenden Worte!

Und natürlich herzlichen Glückwunsch an Dich zur bestandenen Promotion (wenn ich das richtig gelesen habe)!

Viele Grüße,

R.
praktikum
Beiträge: 317
Registriert: 13.02.2016, 05:35
Status: abgeschlossen
Hat sich bedankt: 1 Mal
Danksagung erhalten: 3 Mal

Re: Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von praktikum »

Gedanklich scheinst Du schon halb dort weg zu sein.

Mir ist nicht klar, wie weit Du wirklich mit der Diss bist. Stelle Dir die folgende Frage: ist es realistisch möglich die Promotion zeitnah abzuschließen? Das bedeutet finales Einreichen innerhalb der nächsten 12 Monate. Danach kommen etliche Monate für Korrektur und Verteidigung, also wirst Du Dich noch danach damit befassen müssen.

Dann kann man sich dort vielleicht noch durchbeißen, ansonsten hat das wenig Sinn.
RustinCohle

Re: Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von RustinCohle »

Hallo praktikum,
praktikum hat geschrieben:Mir ist nicht klar, wie weit Du wirklich mit der Diss bist. Stelle Dir die folgende Frage: ist es realistisch möglich die Promotion zeitnah abzuschließen?
Ich bin wie gesagt seit November angestellt und arbeite seit diesem Zeitpunkt auch an der Diss, also ein knappes dreiviertel Jahr. Dementsprechend waren das bisher hauptsächlich Vorarbeiten/ Recherche zum Thema und ich habe ein ausführliches Exposé erstellt. Angemeldet habe ich sie aber noch nicht. Ein zeitnaher Abschluss wäre für mich daher nicht möglich, zumal ich auch vorhatte, eigene Daten zu erheben.
Insofern wäre denke ich jetzt der beste Zeitpunkt, um aufzuhören.

Grüße,
R.
flip
Beiträge: 1166
Registriert: 02.11.2012, 02:50
Hat sich bedankt: 2 Mal
Danksagung erhalten: 46 Mal

Re: Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von flip »

Also erst einmal hat die Anmeldung nichts mit der Dauer der Diss zu tun. Außerdem sollte dich mit deinen 24 Jahren die Zeit als letztes interessieren!

Dann lese ich in deinen Texten nicht, warum du überhaupt angefangen hast? Du hast dich jetzt ein dreiviertel Jahr mit dem Thema auseinander gesetzt. Du solltest also jetzt in der Lage sein, zu beurteilen, ob du dich auch weitere drei, vier Jahre damit beschäftigen möchtest, oder nicht.

Das ist es, was eine Dissertation ausmacht. Das Leben in der Wissenschaft, die Selbstbeweihräucherung und auch das ständige Aufarbeiten bestehender Ergebnisse gehört dazu. Das muss man nicht unbedingt mögen. Ich hasse das auch. :) Das hat aber nichts mit der Befähigung zur Promotion zu tun.
praktikum
Beiträge: 317
Registriert: 13.02.2016, 05:35
Status: abgeschlossen
Hat sich bedankt: 1 Mal
Danksagung erhalten: 3 Mal

Re: Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von praktikum »

flip hat geschrieben:Also erst einmal hat die Anmeldung nichts mit der Dauer der Diss zu tun. Außerdem sollte dich mit deinen 24 Jahren die Zeit als letztes interessieren!
Bevor wir aneinander vorbeireden:
Der Threadhersteller fühlt sich mit der aktuellen Situation anscheinend nicht wohl. Daher die Frage, ob er vor Ort zeitnah noch einen Milestone schaffen kann. Promovieren ist damit nicht generell ausgeschlossen.
RustinCohle

Re: Quo vadis? Gedanken zum Promotionsabbruch

Beitrag von RustinCohle »

Hallo flip,
flip hat geschrieben:Dann lese ich in deinen Texten nicht, warum du überhaupt angefangen hast?
Ich habe, wie oben geschrieben, angefangen, weil die Stelle für mich "bequem" war. Ich bekam sie frühzeitig (bereits ein halbes Jahr vor meinem Abschluss) zugesagt, die Bewerbung war rein formal und ich musste weder umziehen noch mich an ein neues Arbeitsumfeld gewöhnen - im Hinblick auf meine bereits erwähnten privaten Probleme kam mir das damals sehr gelegen. Zudem hatte ich das Thema auch "vorgegeben"- eigentlich ein recht günstige Konstellation.
flip hat geschrieben:Du hast dich jetzt ein dreiviertel Jahr mit dem Thema auseinander gesetzt. Du solltest also jetzt in der Lage sein, zu beurteilen, ob du dich auch weitere drei, vier Jahre damit beschäftigen möchtest, oder nicht.
Auch das habe ich bereits oben beschrieben, ich möchte mich weder weiter mit dem Thema auseinandersetzen noch in der Wissenschaft arbeiten. Der Thread und meine Fragen stellen auch kein "soll ich weitermachen oder aufhören?" dar, tut mir Leid, wenn das missverständlich war. Mich interessierte lediglich die Einschätzung der Situation, ob es Menschen mit ähnlichen Erfahrungen gibt und diese Tipps zu den genannten Problemen haben.

Grüße,
R.
Gesperrt
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag