Sozialwissenschaftliche Diss | Qualitatives Vorgehen laugt mich aus...

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lenusbaum

Sozialwissenschaftliche Diss | Qualitatives Vorgehen laugt mich aus...

Beitrag von lenusbaum »

Liebe Leute,

ich bin seit anderthalb Jahren mit meiner (sozialwissenschaftlichen) Diss beschäftigt und erhoffe mir hier heute ein paar aufmunternde oder hilfreiche Worte.

Ende letzten Jahres habe ich die ersten Interviews geführt, transkribiert und sitze nun seit etwa vier Monaten an der Auswertung. Es handelt sich um themenzentrierte Interviews mit narrativen Anteilen (50-90 min Länge), die ich hermeneutisch analysiere. Hinzu kommt, dass ich eine bewährte Auswertungsmethode nutze, diese aber um eine neue Analyseebene erweitere, die es bisher so nicht gab, um meine Forschungsfrage zu beantworten. Ich kann mich also auf diese Methode stützen, betrete gleichzeitig aber auch methodologisches Neuland.

Vom Rahmen her habe ich ausreichend Zeit für die Analyse eingeplant - bis Ende 2017 möchte ich ca. 6 Interviews ausgewertet haben. Pro Woche arbeite ich ca. 15h an der Diss - aber auch mal weniger, je nachdem was mir meine halbe Stelle + Lehre gerade abverlangen. Meiner Betreuung habe ich schon eine Zwischenprodukt meiner Analyse geschickt und eine positive Rückmeldung erhalten - ich sei auf dem richtigen Weg.

Ich habe also 'eigentlich' keinen Zeitdruck und auch sonst keinen Grund an meinem Vorgehen zu zweifeln, konstruiere diesen Druck aber selbst und stehe mir so selbst im Weg. Immer wieder kommt es vor, dass ich Schlussfolgerungen 'zu schnell beschließe' und mir selbst den Blick auf andere/weiterführende Interpretationen verwehre - schließlich will ich ja "endlich" ein Ergebnis zum ersten Fall, "endlich" eine abgeschlossene Fallstudie, "endlich" eine erste Antwort auf meine Forschungsfrage. Ich weiß, das ist total kontraproduktiv - Hermeneutik und Ungeduld sind echt unpassende Schwestern :evil: - und unnötig. Aber wenn ich nun den vierten Monat an meinem ersten Interview sitze und nichts tue außer analysieren, interpretieren, Fragen aufstellen, Hypothesen aufstellen, wieder ins Material schauen usw. - komme ich mir total unproduktiv vor. Das führt dann dazu, dass mich ich an manchen Tagen nach nur 3 Stunden Materialanalyse mich nicht mehr konzentrieren kann und mit einer anderen Arbeit weitermache (Literaturarbeit z.B.).

Kurzum meine Frage: Kennt das jemand von euch? "Verzweifeln" am qualitativen (oder gar hermeneutischen) Forschungsprozess? Ungeduldig werden, zu effizient denken, sich selbst unter Zeitdruck setzen? Wenn ja: Wie geht ihr damit um? Vielleicht gibt es ja ein gedankliches Mantra oder eine hilfreiche Einstellung, die ich mir zulegen könnte, damit ich mir nicht immer wieder selbst im Weg stehe. Die Pomodorotechnik hilft mir normalerweise bei vielen Arbeitsschritten - aber eine hermeneutische Analyse kann ich doch nicht in 25-Minuten-Päckchen aufteilen :( :o

Ich danke euch für ein paar Tipps oder Gedanken dazu!!! :tomate:
flip
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Re: Sozialwissenschaftliche Diss | Qualitatives Vorgehen laugt mich aus...

Beitrag von flip »

Ich habe jetzt gefühlt zehnmal irgendwas mit "hermeneutisch" gelesen und frage mich die ganze Zeit, was du damit ausdrücken willst.

Was du beschreibst, sind alltägliche Dinge, mit denen jeder hier zu kämpfen hat. Das ist nicht spezifisch. Sicher, man möchte gerne früher als später fertig werden. Dazu bedarf es aber Zeit. Du musst lernen, langsamer zu Arbeit, dafür genau. Und nicht "effizient". Genau das tust du damit nämlich nicht.
lenusbaum

Re: Sozialwissenschaftliche Diss | Qualitatives Vorgehen laugt mich aus...

Beitrag von lenusbaum »

Hallo flip,

danke für deine Antwort. Mit "hermeneutisch" beziehe ich mich auf die Objektive Hermeneutik nach Oevermann, sorry, das hätte ich wohl einmal ausschreiben sollen. Falls dir das etwas sagt, fällt dir sicher auch auf, dass meine Beschreibungen schon 'spezifisch" sind und nicht so allgemein wie es ohne den Bezug zur Methode auf dich gewirkt hat. In der Objektiven Hermeneutik geht man ja bspw. das Interviewmaterial Zeile für Zeile, Wort für Wort durch, ohne vorgreifen zu dürfen, analysiert jede einzelne Äußerung, jedes Ähm und jede Regung anhand bestimmter Regeln. Das unterscheidet sich schon von vielen anderen qualitativen Methoden - bspw. der qualitativen Inhaltsanalyse (ich will damit nicht sagen, dass das hermeneutische Vorgehen anspruchsvoller ist, aber man braucht dafür eben noch mehr Geduld).

Dein Hinweis, ich solle mir mehr Zeit für die Arbeit nehmen bzw. langsamer arbeiten, hilft mir leider nicht. Das weiß ich ja schon (s. Originalbeitrag), ich habe ja nach Tipps gefragt, WIE ich das machen kann (Methoden, Haltung, Techniken...). Danke trotzdem!
algol
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Re: Sozialwissenschaftliche Diss | Qualitatives Vorgehen laugt mich aus...

Beitrag von algol »

Von Bekannten, die ähnlich arbeiten wie Du, weiß ich, dass sie Auswertungsgruppen gebildet haben, wo sie sich jede Woche oder alle 2 Wochen getroffen haben.
Eine andere Bekannte erzählte, dass sie festgestellt hat, dass sie an einer solchen Auswertung nur eine bestimmte Stundenzahl am Tag arbeiten kann, weil es zwar dauert aber auch anstrengt. Sie hat das für sich akezptiert und die Zeit für andere Dinge genutzt, um trotzdem was zu schaffen, aber sich nicht zu überfordern.
kittenexpress
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Re: Sozialwissenschaftliche Diss | Qualitatives Vorgehen laugt mich aus...

Beitrag von kittenexpress »

Ich würde dir bei der Objektiven Hermeneutik definitiv auch dazu raten, dich in einer Gruppe zu treffen und gemeinsam verschiedene Lesarten zu bilden. Das schöne an der OH ist ja, dass das Kontextwissen ausgeblendet werden soll, heißt also, du müsstest die Gruppe gar nicht groß vorbereiten, sondern sie einfach ans Material gehen lassen.
Vielleicht gibt dir das neue Impulse und ein bisschen Zuversicht?
lenusbaum

Re: Sozialwissenschaftliche Diss | Qualitatives Vorgehen laugt mich aus...

Beitrag von lenusbaum »

Hallo algol und kittenexpress,

danke für eure Rückmeldungen - die helfen mir tatsächlich!
Diese gute Erfahrung mit Auswertungsgruppen habe ich tatsächlich schon gemacht; leider hat sich meine primäre Auswertungsgruppe vor kurzem aufgelöst und meine anderen beiden treffe ich nur unregelmäßig. Mir fällt jetzt erst auf, dass mein "Analyse-Problem" sicher auch dadurch verschärft wurde... Ich höre mich einmal um, ob ich eine regelmäßigere Gruppe zusammenbekomme.

Und den anderen Hinweis, algol, werde bzw. muss ich wohl auch beherzigen, wie es deine Bekannte schon erlebt hat: Vielleicht kann man manche Aufgaben eben nicht länger als wenige Stunden machen. In Kombination mit einer neuen Auswertungsgruppe... gibt mir das wirklich einen guten Licht blick :) .

Danke euch!
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