Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

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yxcvasdfqwer

Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von yxcvasdfqwer »

Hallo,

dieser Thread enthält eigentlich zwei Fragen, die jedoch miteinander eng verknüpft sind:
Frage A: Wie kann ich das Wesentliche in meiner Arbeit für den Leser herausarbeiten?
Frage B: Wie kann ich das Ergebnis objektiv überprüfen, dass das, was ich geschrieben habe für andere auch nachvollziehbar ist?

Vorgeschichte:
Ich bin im Bereich der Ingenieurswissenschaften an einem Logistik-Lehrstuhl beschäftigt. In einen Treffen mit meinem Professor hat er mir gesagt, dass ich meine Gedanken anderen nicht verständlich machen kann. Er meinte meine Ideen sind fragmentartig und ergeben kein Ganzes. Ich muss ihm recht geben. Meine introvertierte Art macht es schwer mit anderen Leuten zu kommunizieren.

Er sieht meine Promotion in Gefahr aufgrund folgender Punkte:
1. ich muss aufgrund meiner unterdurchschnittlichen Studienleistungen noch eine fachfremde Veröffentlichung schreiben und Prüfungen mit einer überdurchschnittlichen Note ablegen.
2. meine Kommunikationsweise und meine Gedankengänge sind nicht nachvollziehbar

Er sieht bereits eines dieser Punkte für mich als "fast unüberwindbare Hürde". Er hat mir damals noch 6 Monate (jetzt verbleiben noch 5 Monate) am Lehrstuhl gegeben. Ich würde ihm gerne vom Gegenteil überzeugen, um in dieser Zeit noch auf die Promotionsliste zu kommen und nach meinem Ausscheiden an der Promotion zu arbeiten.

Bei dem 1. Punkt muss ich selber klarkommen. Beim 2. Punkt habe ich meinem LK (Lenkungskreis/ Abteilungsleiter) gefragt, wo er meine größte Schwäche sieht. Er sagte: Ich bearbeite ein Thema zu sehr ins Detail. Ich bearbeite Dinge, die zwar zur Fragestellung gehören, jedoch nicht das Wesentliche sind. Dass ich so tief Bohre und zu sehr Detailverliebt bin. Das was ich schreibe will sich kein Leser antun. Mir fehle der "Blick von außen" und ich sollte unnötigen Ballast aus dem Schreiben weglassen.

Zu Frage A:
Das ist jetzt zwar eine sehr allgemeine Frage, aber wie erkenne ich welche Dinge das Wesentliche sind? Wann kann ich sagen, "Stop, das ist hier schon zu tief/ zu weit weg vom Thema/ nicht mehr relevant/ bringt kein Mehrnutzen, wenn ich es noch anführe"? Welche Kriterien habt ihr oder welche Fragen stellt ihr euch selbst, um dies zu entscheiden? Wie geht ihr vor, wenn ihr z. B. ein Paper schreibt oder die Gliederung für eure Diss erstellt? Gibt es ein besonders schnellen Weg seine Gedanken zu gliedern (ich habe zum Schreiben des gesamten Threads ca. 35 Minuten gebraucht, um es so zu gliedern, wie ihr es hier vorfindet)?

Zu Frage B:
Ich dachte immer ich könnte logisch und nachvollziehbar schreiben, aber nun weiß ich es selbst nicht. Es kann aber sein, dass die Leute hier von meinen unterdurchschnittlichen Noten wissen und mich daher "vorverurteilen", nach dem Motto "Wenn er keine gute Studienleistung hatte, dann wird er auch nichts anständiges abliefern.". Ich habe mir daher überlegt, ob ich evtl. einen Fachkollegen aus einen anderen Lehrstuhl oder einen pensionierten Professor, der Zeit hat, das vorzeige, was ich geschrieben habe. Aber kennt ihr noch andere Möglichkeiten, wo ich objektiv überprüfen kann, ob ich auch verständlich und nachvollziehbar schreibe?

Vielen Dank im Voraus für etwaige Antworten.
Zwonk
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Re: Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von Zwonk »

Zu Frage A: Ich stelle mir eine Vortragssituation vor, eine Vortragssituation mit strengen Regeln, wo mir nach 20 Minuten der Saft abgedreht wird. Dann überlege ich: Muß der Gedanke in den Vortrag, damit man den Rest verstehen kann? Wenn nicht, fliegt er raus. Das heißt übrigens nicht, daß der Gedanke falsch oder unwichtig ist - es bedeutet nur, daß er kein zentraler Gedanke ist. Grob gesagt kann man sich da an der Idee Saint-Exupérys orientieren: "Ein Werk ist nicht dann vollkommen, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern dann, wenn man nichts mehr weglassen kann."

Zu Frage B: Eine objektive Entscheidung gibts da wohl kaum - Texte werden von menschlichen Subjekten gelesen. Die einzige Chance, die ich sehe ist, tatsächlich, die Texte, oder wenigstens Ausschnitte davon, immer mal wieder anderen zum Lesen zu geben. Ich habe das auch regelmäßig gemacht. Ich glaube sogar, es ist ganz normal, daß man kein besonders sicheres Urteil hat, wie verständlich der eigene Text ist. Man hat ja viel zu seinem Thema gelesen und da erscheinen einem Sachen in einem ganz klaren Zusammenhang, den jemand ohne den entsprechenden Hintergrund nicht sieht. Der kann einen aber drauf aufmerksam machen, wo man gegebenenfalls noch nacharbeiten und verdeutlichen muß.

Eine dritte Sache: Nimm es nicht persönlich, es ist nur gut gemeint - aber 35 Minuten Strukturarbeit für einen Forenbeitrag sind definitiv zu lang. Da stimmt was mit Deiner Herangehensweise ans Schreiben nicht. Ein Text sollte ein kohärentes Ganzes sein und kein Schachtelwerk aus Gliederungsebenen. Klar, Struktur ist wichtig, aber die Struktur ist zur Hilfe für den Leser gedacht, die ist nicht das Primäre. Es ist keine gute Herangehensweise, eine über zig Gliederungsebenen eine detaillierte Struktur zu entwerfen und sich dann zu überlegen, was man eigentlich zu den eigentlichen Punkten schreiben soll.

An Deiner Stelle würde ich zumindest mal bei kurzen Texten den umgekehrten Versuch wagen: Erstmal Fließtext schreiben und dann im zweiten Schritt formal strukturieren. So belastest Du den Text auch mit weniger Gedanken. Gliederungspunkte sind schnell eingefügt, wenn Du aber Fließtext schreibst bist Du erstmal gezwungen, bei einem Gedanken zu bleiben.
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
yxcvasdfqwer

Re: Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von yxcvasdfqwer »

Nein, Kritik ist kein Problem. Ich habe die Zahl extra angegeben, um Feedback zu erhalten.

[quote="Zwonk"]Ein Text sollte ein kohärentes Ganzes sein und kein Schachtelwerk aus Gliederungsebenen. Klar, Struktur ist wichtig, aber die Struktur ist zur Hilfe für den Leser gedacht, die ist nicht das Primäre. Es ist keine gute Herangehensweise, eine über zig Gliederungsebenen eine detaillierte Struktur zu entwerfen und sich dann zu überlegen, was man eigentlich zu den eigentlichen Punkten schreiben soll.[/quote]

Habe ich dich richtig verstanden? Es ist ein Schachtelwerk geworden? Ist das dein Eindruck, den dir mein Text gelassen hat?
Zwonk
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Re: Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von Zwonk »

Bei so einem kurzen Text wäre es übertrieben, von "Schachtelwerk" zu sprechen. Ich habe mich nur an Deiner Aussage gestoßen, Du hättest 35 Minuten zur Gliederung dieses Textes, der kaum mehr als eine halbe Bildschirmseite lang ist (auf meinem großen Bildschirm) gebraucht. Angesichts dessen denke ich, daß das eine falsche Herangehensweise ans Schreiben ist und Du vielleicht der formalen Gliederung zu viel, dafür aber dem eigentlichen Text zu wenig Aufmerksamkeit schenkst.

In irgendeinem Buch (ich habe gerade vergessen, in welchem) wirft der Autor der Gegenposition vor, die würden sich benehmen, wie Leute, die immer nur ihre Messer schärfen, aber niemals damit was schneiden. So kann einem das auch bei Gliederungsarbeiten gehen. Letztendlich ist es immer noch der Text, der gegliedert werden soll und nicht die Gliederung, für die man einen Text finden will. Vielleicht denke ich als Geisteswissenschaftler assoziativer als Du als Ingenieur - das ist gut möglich. Aber trotzdem wäre es einen Versuch wert, einfach mal eine halbe Stunde "free writing" einzulegen, einen Gedankengang so zu formulieren, wie er einem gerade in den Sinn kommt und den dann in einem zweiten Schritt formal zu gliedern.

Es gibt nämlich mehrere Möglichkeiten, unlesbaren Text zu produzieren: Eine davon ist sicherlich, dem Text keine erkennbare Gliederung zu geben. Die Gefahr besteht bei Dir nicht. Die andere Gefahr besteht bei Dir aber durchaus: Dir eben so viel Gedanken über das "Wie" des Schreibens zu machen, daß dabei der Inhalt, das "Was", entweder hinten runter fällt oder zumindest gezwungenermaßen in immer kleinere Details gestückelt wird, damit er den formalen Kriterien der Gliederung entspricht. Und das entspricht eher den Lesegewohnheiten eines Parsers einer Programmiersprache als denen von menschlichen Lesern.
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
yxcvasdfqwer

Re: Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von yxcvasdfqwer »

Zwonk hat geschrieben:Ich habe mich nur an Deiner Aussage gestoßen, Du hättest 35 Minuten zur Gliederung dieses Textes, der kaum mehr als eine halbe Bildschirmseite lang ist (auf meinem großen Bildschirm) gebraucht.
Nein, ich meinte ich habe 35 Minuten gebraucht, um den Text so gegliedert zu schreiben, wie ihr ihn vor euch seht. Die 35 Minuten beziehen sich also auf das Schreiben *und* die Gliederung. Nicht die Gleiderung alleine.
Sogi

Re: Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von Sogi »

Ich finde 35 min nicht zu lang für einen längeren Forenbeitrag. Ich habe mal den Satz gehört: Entweder es quält sich der Leser zu Tode oder der Autor.
Gut Ding will Weile habe, ob im Forum oder in der Diss. ;)
yxcvasdfqwer

Re: Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von yxcvasdfqwer »

Du findest also, dass der Eingangspost gut strukturiert ist?
histosowi
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Registriert: 25.02.2014, 16:50
Status: Fertig

Re: Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von histosowi »

Hallo und guten Morgen,

ich habe mal den Eingangsthread entschlackt und bin zur folgender Darstellung gelangt:

- Begrüßung
- Frage A
- Frage B
- Vorgeschichte; enthält:
- Punkt 1
- Punkt 2; dann:
- Statement zu Punkt 1
- zu Frage A
- zu Frage B

Kein Wunder, daß du dafür 35 Minuten gebraucht hast. Das ist ziemlich "ausführlich". Du hättest zum Beispiel die Vorgeschichte komplett weglassen oder ganz kurz zusammenfassen können, á la "Mein DV ist der Meinung, ich schreibe zu elaboriert... ". Für die eigentlich Frage, zum Verständnis, wäre die Vorgeschichte sogar nicht nötig gewesen.

Weißt du, wie ich das meine? Du hast alles minutiös dargelegt - aber eben auch Infos reingepackt, die nicht unbedingt notwendig sind. Wenn du in der Art deine Diss fertigstellen willst, wirst du ewig brauchen. Ich empfehle dir auch mal einen kurzen Aufsatz zu schreiben. Begrenze den Umfang auf zwei Seiten; schreibe zu einem Topic, zu dem du viel weißt. Und dann schau bei jedem Satz, den du schreibst, auf deine Ausgangsfragestellung und überlege, ob das, was du gerade im Begriff bist zu schreiben, wirklich für das Verständnis des Kontextes notwendig ist.

Mein Fazit: du holst zu weit aus.Mit der Strukturierung und dem Aufbau der Arbeit hingegen solltest du überhaupt kein Problem haben. Meide gedankliche Verschachtelungen, schreib erst mal kurze Sätze und gliedere Inhalte nicht zu stark. Bei deiner Gewissenhaftigkeit kann das dann echt eine gute Arbeit werden. Manchmal ist weniger eben mehr :-)

Ich hoffe, du nimmst mir meine Kritik nicht übel!
Ein schönes Wochenende!
Histosowi
yxcvasdfqwer

Re: Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von yxcvasdfqwer »

Hallo histosowi,

ich nehme die Kritik gar nicht übel.

Aber ist das nicht wichtig die Hintergründe (Fachbereich; wo das Problem liegt; was andere dazu gesagt haben = quasi Stand der Forschung/ Technik) zu wissen, um die Situation in einen Kontext einzuordnen? Denn die Hintergründe beeinflussen evtl. die Antowrt. Ich kann mir schwer vorstellen, dass es zu dieser Frage eine über jeden Fachbereich gültige Antwort gibt. Auch kann es sein, dass die Ursachen woanders liegen könnten, als ich es vermute. Aber das kann man nur erkennen, wenn man die Vorgeschichte kennt. Oder?

vg
Eva
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Re: Wie das Wesentliche für den Leser herausarbeiten?

Beitrag von Eva »

Diagnose war: Du holst zu weit aus. Du kommst nicht zum Punkt.

Dein Post und deine Rückfragen sind der beste Beweis dafür, dass dir selbst der Blick fürs Wesentliche fehlt, deshalb fällt es dir auch schwer, dieses Wesentliche für den Leser zusammenzustellen. Zum Beispiel ist es für deine Frage ans Forum eben tatsächlich völlig unerheblich, ob du nun Ingenieur, Mediziner, Philosoph, Jurist oder Historiker bist - du kommst nicht zum Punkt. Welcher Punkt das ist, ist nebensächlich.

Gibt es vielleicht an deiner Uni/in deiner Nähe Kurse zum wissenschaftlichen Schreiben? Ich denke, dass du dein Problem nur durch praktisches Üben und Rückmeldungen eines Lektors gelöst bekommst. Im Moment fehlt dir selbst der Blick für das eigentliche Problem (Wie finde ich heraus, was das Wesentliche ist? und nicht: Wie vermittle ich dem Leser das Wesentliche? - Letzteres kommt dann von alleine, wenn dir Ersteres mal klar ist.), also wirst du das vermutlich nicht alleine wegbekommen.

Mir ging es übrigens im ersten Entwurf meiner Kapitel wie dir - alles war spannend, alles war wichtig, alles, was ich mühevoll recherchiert hatte, sollte in den Text. ABER: In einem zweiten Durchgang habe ich meinen Text selbst um all diese unwichtigen Aspekte und Absätze entschlackt und auf das Wesentliche zusammengekürzt! Manches muss man vielleicht erstmal hinschreiben, um sich das Phänomen in seiner Ganzheit klar zu machen. Es ist aber nicht nötig, den späteren Leser an all dem teilhaben zu lassen. Meist ist es besser, dem Leser nur die Ergebnisse der eigenen Überlegungen mitzuteilen (mit passenden Belegen) und ihm das Drumherum (wie bin ich darauf gekommen? was habe ich mir bei Schritt B gedacht, wenn F der letzte und eigentlich entscheidende Schritt war? etc.) zu ersparen. Zu dicht sollte es natürlich auch nicht sein, das macht die Lektüre sehr anstrengend, wenn jeder Satz Egebnisse präsentiert, statt auch mal einen Sachverhalt in ein paar Sätzen anschaulich zu beschreiben.

Den zweiten Entwurf habe ich dann anderen zu lesen gegeben; aufgrund von deren Rückmeldungen ist dann oft noch Weiteres rausgeflogen.
Gesperrt