Thema langsam überholt und verbleibender Forschungsbeitrag

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lordhelmchen

Thema langsam überholt und verbleibender Forschungsbeitrag

Beitrag von lordhelmchen »

Hallo,

ich schreibe nebenberuflich jetzt seit ca. 5 Jahren an meiner Diss in Informatik. Ich möchte langsam zum Ende kommen, aber mein Problem ist, dass ich das Gefühl habe, dass sich mein Thema in den letzten 5 Jahren überholt hat. Meiner Meinung nach, war der Fortschritt so schnell, dass meine Auswertungen zwar so nirgends vorliegen, aber deren Erstellung mit den heutigen technischen Mitteln eher trivial ist (es geht um die Verarbeitung von großen Datenmengen).

Mein Doktorvater hat nur bedingt Ahnung von dem Thema im technischen Sinne. Er gibt zwar Hinweise zum Verfassen einer Diss, aber inhaltich kommen fast keine Anregungen, wenn's mal hakt.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass er meine Diss mit den vorhandenen Ergebnissen akzeptiert, aber für mich persönlich hab ich nicht mehr das Gefühl, hier etwas Relevantes gemacht zu haben.

Ich grüble darüber auch vor dem Hintergrund, da es in jeder Promotionsordnung heißt, man müsse einen "wesentlichen Forschungsbeitrag" in seiner Disseration leisten. Aber was macht man, wenn sich das Thema in Luft auflöst?

Wie sind daher Eure Erfahrung damit, wenn das Thema quasi langsam "irrelevant" wird?

Und wie ist das mit dem "wesentlichen Forschungsbeitrag" einer Diss in der Realiltät Eurer Erfahrung nach? Es können ja nicht alle Dissen einen Wissenschaftspreis bekommen. Daher denke ich, dass sich eine Diss in der Realität oft auf das eigenständige Erzeugen von wissenschaftlichen Ergebnissen beschränkt. Oder wie seht Ihr das?

Danke!
FlimBeam
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Re: Thema langsam überholt und verbleibender Forschungsbeitr

Beitrag von FlimBeam »

Hi Lord,

ich würde mich an Deiner Stelle nicht einen solchen Kopf darum machen wenn du die Befürchtung hast, dass es in deinem Fall das Promotionsverfahren gefährdet wäre. Gerade heute habe ich eine Dissertation gelesen, die etwa 250 Seiten eine gut geschriebene Zusammenfassung von diversen Ansätzen enthält, aber nur etwa 22 Seiten an "eigenem Betrag". Kommt wohl sehr häufig vor... Und bevor jemand den Einspruch erhebt, dass auch 22 Seiten genial sein können, stimme ich dem zu, aber sicherlich nicht in diesem Fall...

Wenn du allerdings abgesehen von der formalen Durchführbarkeit des Verfahrens an dessen Sinnhaftigkeit zweifelst, so ist das eine andere Frage. Da Du die Diss nebenberuflich schreibst, gehe ich davon aus, dass Du keine Karriere in der Wissenschaft anstrebst. In diesem Fall gibt es also keine "berufliche" Relevanz der Forschung. Da Du die Arbeit 5 Jahre lang geschrieben hast, gehe ich davon aus, dass die Arbeit zumindest für dich persönlich relevant war. Da sprichst du jetzt wohl auch mit einer Art Überdrüssigkeit.

Ich habe eine Kollegin, die seit 8 Jahren an ihrer Diss schreibt. Die Arbeit verzögert sich seit zwei Jahren stets weiter, da die Autorin immer wieder das Gefühl hat, dass ihr Thema "aktualisiert" werden muss um relevant zu bleiben. In meinen Augen ein aussichtsloses Unterfangen. Irgendwann muss man eben zum Schluss kommen... Ich denke, dass die Freude über den Abschluss die Sinnfrage wieder etwas in den Hintergrund rücken wird!

Alles Gute!
Sogi

Re: Thema langsam überholt und verbleibender Forschungsbeitr

Beitrag von Sogi »

Hallo lord,

du sprichst da ein höchst relevantes Thema an.
Unveröffentlichte Forschungsarbeiten haben nämlich die Eigenschaft, mit der Zeit schlechter zu werden, d.h. zu veralten.

Deswegen ist es in schnelllebigen Fächern wie der Informatik relativ üblich, Zwischenergebnisse aus der Dissertation vorab zu publizieren.
Dann kann man nämlich immer argumentieren: Zum Datum X war Y ein hochaktuelles Thema.
Neuere Ergebnisse braucht man dann in der Diss nur kurz referenzieren, indem man anmerkt, dass nach Erarbeitung der eigenen Erkenntnisse zu Thema Y diverse Verbesserungen Z gezeigt werden konnten.

Auch wenn du jetzt noch nichts publiziert hast, kannst du das noch nachholen, bevor die Ergebnisse noch mehr altern.
Wenn du Zweifel an deinen Ergebnissen hast, dann suche dir einen kleineren Workshop (In der Informatik sind Tagungen ähnlich wichtig wie Journalbeiträge), bei dem nicht nur der neuste Schrei von auserwählten Kreisen diskutiert wird. Dann kannst du immerhin sagen, dass zum Zeitpunkt des Workshops dein Beitrag als relevant betrachtet wurde und kriegst auch etwas Feedback. Nur so kannst du dir im Endeffekt deinen bisherigen Arbeitsstand "sichern". Auch den wesentlichen Beitrag zur Wissenschaft kannst du mit der Publikation erreichen und nachweisen.
Zwonk
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Re: Thema langsam überholt und verbleibender Forschungsbeitr

Beitrag von Zwonk »

Seid gegrüßt, Mylord,

jetzt mal unabhängig davon, ob Dein Vorgehen die optimale Publikationsstrategie für die Informatik ist: Ich denke, daß Du beruhigt sein kannst, was den "wesentlichen Forschungsbeitrag" betrifft. Bei der Anzahl der Promotionen in Deutschland ist es schlichtweg nicht vorstellbar, daß jede Dissertation ihre Wissenschaft quasi radikal umkrempelt. Das solls zwar geben, aber zunehmend weniger. Und zwar nicht, weil die Doktoranden dümmer würden, sondern weil die Wissenschaft sich in allen Bereichen soweit aufspaltet und verästelt, daß die meisten Dissertationen eben nur in relativ kleinen Detailaspekten Fortschritt bringen können.

Ob selbst das allen Dissertationen gelingt, ist nochmal eine andere Frage, aber die durchschnittliche Qualität der Dissertationen hängt neben dem eigenen Fleiß und Talent auch von vielen Dingen ab, die sich der eigenen Einflußnahme schlichtweg entziehen - von der Art des Fortschritts in den Wissenschaften und von der allgemeinen Struktur des Promotionswesens, z.B. Du mußt also nicht den Anspruch erheben, mit Deiner Diss ein Standardwerk für die nächsten 50 Jahre zu schaffen.
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
Meggy

Re: Thema langsam überholt und verbleibender Forschungsbeitr

Beitrag von Meggy »

Hallo lordhelmchen
hier spricht noch eine Informatikerin die das 5. Jahr fast voll hat :)
Zum einen: Du sagst Deine Auswertungen liegen noch nirgends vor. Das ist doch gut! Dann nichts wie ran und veröffentlichen um den aktuellen Status Quo zu sichern (Tips wurden schon gegeben - Workshops, nationale/kleine intern. Konferenzen... oder eben gleich die Diss). Mag sein dass das mit "heutigen Mitteln" einfacher zu erreichen wäre als mit Deinen "damaligen" - aber, es hat halt noch keiner getan, insofern nimmt das anderen die Arbeit - trivial oder nicht - ab und ist damit doch auch Beitrag.
Vom Prinzip her geht es mir ähnlich - meine "Entwicklung" wäre mit heutigen "Bordmitteln" vermutlich anders - evtl. einfacher - zu erreichen als mit den "damals gewählten". Aber: es macht eben bis heute keiner, und die Theorie, auf dem meine Arbeit fußt, hat so auch noch keiner angefasst. Insofern bin ich da relativ zuversichtlich, dass das schon passt. Allerdings muss ich sagen, dass ich tatsächlich jedes Jahr bestimmte "Meilensteine" veröffentlicht habe und da nun eben drauf verweisen kann.
Das verhindert im übrigen nicht, dass ich regelmäßig selbst die Krise kriege und denke, das ist alles viel zu trivial und viel zu wenig Beitrag zur Wissenschaft. Allerdings denke ich, dass da viel eine allgemeine Endspurt-Müdigkeit und Thema-Übersättigung reinspielt als dass es wirklich wissenschaftlich uninteressant wäre. Zumindest DV und Zweitgutachter sind sich da einig dass das schon ziemlich cool und relevant ist 8) So eine gewisse "Überdrüssigkeit" des eigenen Themas bleibt glaube ich bei so langer Zeit gerade gegen Ende hin, wenn alles "rund" wird, nicht aus. :blume:
lordhelmchen

Re: Thema langsam überholt und verbleibender Forschungsbeitr

Beitrag von lordhelmchen »

Hallo,

Danke für die Kommentare :) Fand ich sehr hilfreich und bestätigt meine eigene Vorstellungen.

So ganz ist das ungute Gefühl zwar nicht verschwunden, da es im Moment schon heftig ist, was alles mit großen Datenmengen gemacht werden kann und das eigene Tun dabei dann doch sehr bescheiden wirkt, aber damit muss man wohl leben. Ich glaub in der Informatik würden 3,4 Leute bei IBM, Google oder der NSA :) die Ergebnisse der meisten Dissen (außer ganz krasse Sachen in theoretischer Informatik) auf 2-3 Wochen fertig kriegen würden.

Ich hab die Jahre über schon was veröffentlicht. Zwar wurde es bei den ACM Konferenzen abgelehnt (eine Nummer kleiner wäre wohl besser gewesen ;)), aber hab's dann halt auf arxiv.org gestellt. Aber damit hat man zumindest einen "Zeitstempel" auf seine Gedanken :)

Also dann noch viel Glück für alle Leidensgenossen :)
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