Krise – und danach? Will ich denn den Dr. (Erziehungswiss.)?

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Schreibtischheld

Krise – und danach? Will ich denn den Dr. (Erziehungswiss.)?

Beitrag von Schreibtischheld »

Liebes Forum,

ich stecke in einer (kleinen) Krise....
Zu meiner Situation:
ich habe im Sommer den Master in Bildungs- und Erziehungswissenschaft abgeschlossen. Die Masterarbeit wurde viel gelobt und es hat mir wirklich Spaß gemacht (es war eine quantitative Studie über suchtähnliche Internetnutzung Jugendlicher). Das gesamte Studium war sehr forschungslastig und irgendwie lag es dann so nah, auch zu promovieren. Also Exposé geschrieben und zum Prof. (der auch die Masterarbeit betreut hat) gegangen. Nun schreibe ich seit Beginn des Jahres (extern). Das Thema konnte ich frei wählen, weshalb ich es natürlich auch spannend finde. Das Schreiben macht Spaß und geht ganz gut.

Nun mein Problem (das vielleicht ganz schön blauäugig klingt):
Ich habe irgendwie Angst vor der Zukunft. Ich konnte mir gut vorstellen, in die Forschung zu gehen. Nun bin ich mir aber nicht mehr sicher, ob ich das möchte (und dem Profil entspräche). An der Uni bleiben wollte ich nie; Lehre oder allgemein vor großen Gruppen zu sprechen ist gar nicht mein Ding. Ich weiß nicht, ob ich all den Dingen, die mit einer Stelle als promovierter Erziehungs- bzw. Sozialwissenschaftler einhergehen (neben der wissenschaftlichen Forschung), gewachsen bin. Ich habe das Gefühl, ich kann nur das, was ich jetzt mache und in der Masterarbeit gemacht habe (also wissenschaftliche Fragen zu beantworten versuchen und Texte verfassen). Ich verspüre ständig den Druck, zu netzwerken, zu Veranstaltungen zu gehen, Workshops zu besuchen usw. (immer diese kleine Stimme). Da das allerdings nicht aus einer intrinsischen Motivation entspringt, sondern der Befürchtung geschuldet ist, mit anderen nicht mithalten zu können, habe ich noch nichts dergleichen gemacht. Dann denke ich aber: das wird ja vermutlich im späteren Arbeitsleben nicht anders aussehen. Wenn ich aber Konferenzen und Vorträge gar nicht toll finde, sollte ich eben vielleicht nicht promovieren.
Wenn ich mir Stellen für Erziehungswissenschaftler ohne Promotion anschaue, sind die erstens unglaublich rar, zweitens ganz und gar nicht meine Traumjobs und drittens wäre ich überqualifiziert oder "falsch" qualifiziert (ich weiß nicht, ob ich eine Beratungseinrichtung koordinieren könnte, gelernt hab ich es zumindest nicht, Forschungskenntnisse und -erfahrungen hingegen sind nicht gefragt). Stellen mit Promotion sind auch rar und übertreffen manches Mal meine Qualifikation.
Wenn die Promotion so weitergeht, wie begonnen, also im stillen Kämmerlein, verliere ich doch irgendwie den Anschluss....und hab auch keine Berufserfahrung.
Ich beschäftige mich jetzt in meiner Diss mit einem speziellen Problem der Jugenddelinquenz. Und ich möchte mich eigentlich auch später mit diesem Thema beschäftigen. Nur wo und wie? Ich habe schon daran gedacht, eine beraterische Zusatzqualifikation zu machen. Da das nicht nur zeit-, sondern auch kostenintensiv ist, will das auch gut abgewägt sein. Ständig lese ich, Erziehungswissenschaftler seien ja auch in der Kriminalprävention oder auch dem Strafvollzug tätig. Solch eine Stelle habe ich aber noch nicht gesehen...
Ich habe diese Woche einen Termin bei der Agentur für Arbeit zur Beratung, wovon ich mir jedoch nicht sehr viel erhoffe.

Nun ja, was sollt ihr mir auf diese diffuse Sinnkrise antworten? Ihr könnt mir schließlich nicht sagen, was ich wollen soll....
Ich hoffe, dass der ein oder andere doch etwas brauchbares weiß...

Vielen Dank schon einmal! Beste Grüße, Dori
MoniqueS

Re: Krise – und danach? Will ich denn den Dr. (Erziehungswis

Beitrag von MoniqueS »

Ich bin auch nicht aus deinem Fachbereich, brainstorme aber auch mal ein wenig (in der Hoffnung, dass es dir Impulse gibt):

- Dein Begriff von Promotion und den damit einhergehenden 'Pflichten' erscheint mir (noch) sehr eng zu sein. Als Stichworte: wissenschaftliche Karriere, Lehrschularbeit, Zwang zu netzwerken ...... Ich persönlich bin keine Verfechterin des "promovieren soll nur, wer in der Uni arbeitet oder dauerhaft in die Forschung will". Was aber auch nicht heißt, dass man gar nicht an der scientific community teilnimmt. Nur eben mit anderer Ausrichtung und anderer Perspektive. Du musst doch nicht zu jeder Konferenz gehen und dort "vorturnen", sondern kannst gezielt gucken, ob es Veranstaltungen gibt, die deinem Interesse und deiner Ausrichtung entsprechen (und auch mal links und rechts gucken, z:b. an Fachhochschulen oder sowas, die manchmal berufsbezogenere Veranstaltungen anbieten). Man muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen (zumal, wenn du nicht dauerhaft in der Wissenschaft bleiebn willst und keinen "Sammelzwang" hast, was Teilnahmen angeht :wink: ). An der Uni gibt es manchmal so Karriere-Beratungen udn Workshops, wo man gezielt sien eigenes Vorgehen durchdenken und planen kann. zum Beispiel: neben der promotion jährlich zwei Konferenzen, eine Vorstellung der eigenen Arbeit, zwei Fachartikel (so als beispiel).
- Dein Dissthema scheint ja, so ist mein Eindruck, angebunden zu sein an ein "Alltagsproblem" (Jugenddelinquenz) und nicht ausschließlich für die scientific community interessant zu sein. Das erachte ich für eine gute Voraussetzung, um daraus etwas zu machen im Lebenslauf und bewerbugnsschreiben. Sicherlich kann man nochmal gucken (ohne dein genaues Forschungsdesign zu kennen), ob du das noch stärker einbinden kannst in deine Arbeit. Das kann u.U. auch Einstiegspforten in den Beruf öffnen, z.B. durch Kooperation mit Einrichtungen im Rahmen deiner Arbeit (wenn du z.B. (auch) empirisch arbeitest und Datenerhebn musst)
- Wenn du nicht dauerhaft in der Forschung tätig sein willst, ist es sinnvoll, bereits während der Promotionszeit entsprechende Erfahrungen zu sammeln. Wie finanzierst du deine Diss derzeit? Kannst du dir einen fachaffinen Nebenjob suchen (Beratungsstelle etc.), der dir praktische Berufserfahrung verschafft? Nebenbei hast du so die Möglichkeit, mal Bereiche deines Fachs anzutesten ohne gleich eien Vollzeit-Anstellung zu haben.
- Ebenso sehe ich das mit der Beratungsausbildung. Diese sind tatsächlich kostspielig - und daher gut zu überlegen. Wichtig finde ich es auch, dass du nicht bloß "Qualifikationen sammelst" (Diss und Beratungsausbildung ohne praktische Berufserfahrung dabei), sondern tatsächlich auch Praxis machst. Gerade bei einer Beratungsausbildung (just my 2 cents).
- Gibt es an der Uni oder der Argentur für Arbeit eine Beratung speziell für deinen Berufszweig?

Für mich ist wohl die wichtigste Frage, die es zu entscheiden gilt: Promotion mit dem Ziel der wissenschaftlichen Karriere oder Promotion mit Teilhabe an der S.C. mit Berufsziel außerhalb der Wissenschaft. Je nachdem entspringen andere Wege.... und ich gebe ja immer wieder gern den Tipp :wink: : Nimm eine Münze: Kopf ist Wissenschaft, Zahl ist Tätigkeit außerhalb der Wissenschaft. Und wirf... noch während sie fliegt, wirst du ein klareres Bauchgefühl haben, was oben liegen soll :)
Und was wichtig ist: du musst noch nicht alles sofort entscheiden, alles sofort wissen (und theoretisch durchzudenken): Der Weg entsteht beim Gehen....
Jucy

Re: Krise – und danach? Will ich denn den Dr. (Erziehungswis

Beitrag von Jucy »

Hey Schreibtischheld,

viele gute Ideen wurden hier schon genannt. Allerdings würde ich vor einem zu blauäugigen Umgang mit der Idee "dann geh ich halt in die Jugendhilfe/zu einem Fachverband" warnen - hier ist man mit einem Uni-Abschluss oftmals bereits überqualifiziert, mit einem Dr. dementsprechend noch mehr. Mir geht es gerade so - auf manche praxisnahen Stellen werde ich trotz Berufserfahrung und fachlicher Schwerpunkte etc. nicht mehr eingeladen, seit ich den Titel führen darf.

Prüfen würde ich an deiner Stelle, welche Vorausstzungen du für bestimmte Fortbildungen brauchst (therapeutische Weiterbildungen sind ja oft Psychologen vorbehalten) und was da an Kosten auf dich zukommt.

Ich würde darüber hinaus evtl. mal schauen, welche außeruniversitären Forschungseinrichtungen es so gibt, die für deinen Bereich spannend sein könnten (z.B. das Kriminologische Forschungsinstitut Nidersachsen u.ä.). Vielleicht kannst du hier ja Kooperationen jenseits der "großen" Tagungen aufbauen? Und weitere Ideen entwickeln, wohin die Reise gehen soll?

Viele Grüße, jucy
Schreibtischheld

Re: Krise – und danach? Will ich denn den Dr. (Erziehungswis

Beitrag von Schreibtischheld »

Hallo!

Vielen Dank für die Zeit und Mühe aus dem Brainstorming!
Wie ich festgestellt habe, ist das mit den Zusatzqualifikationen so eine Sache. Zertifizierte Beratungsweiterbildungen sind zwar auch für Erziehungswissenschaftler offen, erfordern jedoch meist als Zulassungsvoraussetzung Berufserfahrung und sind so teuer, dass ich es mir während der Diss wohl nicht leisten kann (staatliche Unterstützung für Weiterbildung reicht hier nicht aus).
Die Beratung vom Arbeitsamt ist allgemein für akademische Berufe und an der Uni... ich bin gespannt. Ansonsten berühigt mich gerade der Gedanke, dass ich ja noch gar nicht lang dabei bin und schaue mal nach Workshops, die auf mich passen.

@MoniqueS: Die Münzmethode empfehle ich selbst gern weiter ;)

@Jucy: Du bringst auf den Punkt, was mir Sorge bereitet: Praxisnahe Arbeit ist schwierig, weil man überqualifiziert ist. Das KFN ist für mich natürlich eine spannende Sache, an die hatte ich auch schon gedacht.

Ich denke, der nächste Schritt ist mal nach Workshops Ausschau zu halten und auch mich mit anderen aus meinem Bereich auszutauschen (das ist dann der Nachteil einer externen Promotion. Man bekommt nichts mit, wenn man sich nicht selbst um alles kümmert....).

Viele Grüße und danke!
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