Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

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DoneXY

Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von DoneXY »

Cybarb hat geschrieben:dass es in diesem Fach leider nach wie vor üblich ist, Vorträge abzulesen. Ein Grund dafür ist, dass solche Vorträge im Anschluss in Tagungsbänden publiziert werden und die Autoren dann halt den späteren Aufsatz bzw. eine Vorversion davon "vortragen".
Ich denke, dass es in allen Disziplinen üblich ist, dass aus Vorträgen Publikationen werden.

Davon den Text einer Publikation vorzulesen, kann ich nur abraten, da für die beiden Textgattungen, Vortrag und Print, völlig andere sprachliche Anforderungen gelten. Ein dröger Vortragstext kann unverändert eine spannende und erkenntsreiche Publikation sein. Ein interessanter, auch ruhig anekdotenhafter Vortrag kann in Printform unwissenschaftlich wirken.
Meggy

Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von Meggy »

Also, bei uns - NatWi/Informatik - ist es auch üblich, dass (die meisten) Vorträge nach Tagungen auch publiziert werden, aber bei uns käme (fast) nie einem in den Sinn, daher diese "Aufsätze" als Vortrag abzulesen :o Scheint aber echt auch fachspezifisch zu sein. Ich persönlich finde nichts schlimmer als abgelesene Vorträge, da einfach das Medium "Vortrag" und "Aufsatz/Schriftbeitrag" grundverschieden ist, und daher eins getarnt als das andere nie gut wirkt.
Selbst war ich anfangs auch unsicher was das freie reden angeht - nach ein paarmal "üben" auf Konferenzen und Doktorandenkolloquium ist es mittlerweile umgekehrt: sobald ich "zu viel" übe und zuviele Teile "zu festgefahren" sind oder ich sie auf bestimmte Weise formulieren "muss", desto nervöser werde ich und desto schlechter mein Talk. Für mich am besten: Eine Präsentation, mit Folien im Minimal (Presentation Zen) Design, dazu innerhalb der Software zu jeder Folie ein paar Anmerkungen (zB genauere Daten oder so, was ich halt NICHT alles immer korrekt im Hirn halten kann). Da gibts ja diverse Software, die mittels Splitscreen das getrennt zeigt (am Beamer: NUR Folien, am Laptop Folien + Notiz). Hab auch schon oft festgestellt dass ich diese Notizen letzlich auch nicht brauche, aber im Vorfeld beruhigt es einfach, bestimmte Kern-Zahlen/Daten auch schriftlich dabei zu haben, für den Notfall = Blackout.
Cybarb
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Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von Cybarb »

DoneXY hat geschrieben:
Cybarb hat geschrieben:dass es in diesem Fach leider nach wie vor üblich ist, Vorträge abzulesen. Ein Grund dafür ist, dass solche Vorträge im Anschluss in Tagungsbänden publiziert werden und die Autoren dann halt den späteren Aufsatz bzw. eine Vorversion davon "vortragen".
Ich denke, dass es in allen Disziplinen üblich ist, dass aus Vorträgen Publikationen werden.

Davon den Text einer Publikation vorzulesen, kann ich nur abraten, da für die beiden Textgattungen, Vortrag und Print, völlig andere sprachliche Anforderungen gelten. Ein dröger Vortragstext kann unverändert eine spannende und erkenntsreiche Publikation sein. Ein interessanter, auch ruhig anekdotenhafter Vortrag kann in Printform unwissenschaftlich wirken.
1) Deshalb schrieb ich auch "Tagungsbänden" und nicht "Publikationen".

2) Ich würde mich davor hüten, jemandem so pauschal diesen Rat zu erteilen. Wie erfolgreich ein abgelesener oder nicht abgelesener Vortrag ist, hängt von mehreren Faktoren ab, die wir nicht einschätzen können. Wie ist die Fachkultur? Wer wird den Vortrag hören? Wie werden die anderen Vorträge gehalten? Kann die betreffende Person überhaupt frei vortragen? Usw. Klar wäre ein frei gehaltener, anregender und fundierter Vortrag wünschenswert und im Interesse der Zuhörer. Aber wenn diese einen solchen Vortrag nicht zu würdigen wissen, hilft das der Vortragenden auch nicht (mal abgesehen davon, dass sie vielleicht selbstbewusst sagen kann: "Ich kann frei vortragen.")

Anekdotisch dazu: Ein Prof aus meinem Studium hielt eine Vorlesung so, dass er über zwei Semester verteilt seine Habil-Schrift vorlas. Soviel nur, damit man mal einschätzen kann, wie verbreitet diese Vorlesekultur noch zu sein scheint.
flip
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Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von flip »

Mal so eine allgemeine Frage, da ich weder das System von Tagungsbänden genauer kenne, noch je einen Doktoranden mit Kärtchen vortragen sehen habe:

Ist die einzige Motivation, dass ich später keinen separaten Text für den Band formulieren muss? Weil dann ist das ganze ja sehr negativ behaftet.
DoneXY

Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von DoneXY »

Cybarb hat geschrieben: Deshalb schrieb ich auch "Tagungsbänden" und nicht "Publikationen".
Ein Tagungsband ist keine Publikation?

Das bloße Vorlesen eines Textes - unabhängig von "Fachkultur" und 'Deinem Prof' - ist eine Vortragsweise, die der Art, wie die überwiegende Zahl von Menschen Informationen aufnimmt, nicht entspricht. Aus gutem Grund ist der Frontalunterricht nicht mehr die vorherrschende Lehrform.

Anders als Du es darstellst, will ich keinen Menschen, der - aus welchen Gründen auch immer - keinen freien Vortrag halten kann, davon überzeugen, eben dies zu tun. Keines meiner Postings hat den Anspruch, jedem Einzelfall gerecht zu werden. Daher ist es durchaus erwünscht, beim Lesen mitzudenken und sich eine eigene Meinung zu bilden.
mantor
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Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von mantor »

Hallo zusammen,

wenn ich die Informationen noch einmal zusammenfassen darf: Die Fachkulturen sind da (wie so oft) vollkommen unterschiedlich – das sollte man einfach so akzeptieren und nicht versuchen, Präsentationsformen aus der eigenen Disziplin anderen als allgemein gültige (weil interessanter, unterhaltsamer, moderner ...) zu empfehlen.

Ich selber bin Germanist, habe selbst schon auf über zwanzig Tagungen vorgetragen (und noch einmal so viele erlebt) und es ist die gängige, vollkommen akzeptierte Praxis, dort Vorträge abzulesen (im Gegensatz übrigens zum Studium, wo einem auch beigebracht wird, möglichst frei zu sprechen). Wenn man also bei jedem abgelesenen Vortrag auf einer germanistischen Konferenz den Raum verlassen würde, müssten die meisten Referentinnen und Referenten vor einem leeren Saal sprechen … ;)

Über die Gründe kann man streiten: Sicherlich ist es nicht immer so, dass man abliest, weil man danach nichts mehr für die Publikation am Text machen muss. Die meisten Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, unterscheiden noch einmal sehr genau zwischen mündlichem Vortrag und schriftlicher Fassung für den (oftmals folgenden) Sammelband. Ein Beispiel: Beim Vorsingen ist mein "Konkurrent" nur auf den dritten Listenplatz gekommen, weil er – so die Kritik der Kommission – einen Schrifttext vorgetragen hat.

Ich selber formuliere meine Vortragstexte immer aus, weil ich damit meine Vortragszeit exakt timen kann. Mit der Zeit (und vielem Üben vor dem Badezimmerspiegel) weiß man genau, wie viel Seiten man mit Times New Roman für 15, 20, 30, 45 oder 120 Minuten braucht.
Aber – und damit stimme ich der Kritik der Nicht-Germanisten im Forum zu – ich baue immer Passagen ein, in denen ich frei spreche: um das bisher Gesagte noch einmal zusammenzufassen, um an einem Zitat auf der Folie etwas genauer zu erläutern, einen Bezug zu einem anderen Vortrag zu stiften, um eine ironische Bemerkung zu machen, etc. Gerade wenn man auf Konfrenzen den zwanzigsten Vortrag hört, ist man dankbar für jeden Moment, in dem die Rede etwas freier wird. Außerdem, auch das ist ein guter Tipp, lese ich den Text vorher mehrmals laut (!) durch, damit ich den Text wirklich "drauf" habe und oft genug ins Publikum schauen kann.

Mein Tipp also, wenn es Deine erste Konferenz ist: Ausformulieren! Dann kann man das Ganze auch noch einem Kolleginnen und Kollegen geben, um den Text auf terminologische Klarheit, Stringenz, exakte Formulierungen, etc. kontrollieren zu lassen. Denn – auch das ist wohl Germanisten-typisch – in der anschließenden Diskussion sind gerade solche Punkte (die bei einem absolut freien Vortrag schnell einmal 'danebengehen') klassische Einfallstore für Kritik und Totschlägerfragen wie etwa: "Erläutern Sie doch einmal Ihren Begriff von …
DoneXY

Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von DoneXY »

mantor hat geschrieben:wenn ich die Informationen noch einmal zusammenfassen darf: Die Fachkulturen sind da (wie so oft) vollkommen unterschiedlich – das sollte man einfach so akzeptieren und nicht versuchen, Präsentationsformen aus der eigenen Disziplin anderen als allgemein gültige (weil interessanter, unterhaltsamer, moderner ...) zu empfehlen.
Es ist möglicherweise ein völlig hoffnungsloses Unterfangen, sich in Foren dagegen verwahren zu wollen, dass einem Intentionen, Aussagen usw in den Mund gelegt werden, die einem selber fernliegen, aber ich versuch's mal:

Von "nicht akzeptieren", "allgemeingültig" und "moderner" hat kein Mensch etwas geschrieben. Warum also anderen solche dummen Aussagen in den Mund legen?

Nichts desto trotz sind Vortrag und Publikation unterschiedliche Textformen. Wer also aus welchen Gründen auch immer keinen freien Vortrag halten will, dem rate ich dazu, einen anderen Text vorzulesen, als den, der vielleicht für eine spätere Veröffentlichung vorgesehen ist.

Auch dieser Rat beansprucht keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, Coolness oder Hass auf Andersgläubige. Gerne darf die Threadstarterin einen Text 45min. vom Blatt ablesen. Alles völlig OK!
Zwonk
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Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von Zwonk »

Meine (nicht geprüfte) These, wieso Germanisten eher vorlesen als andere: Deutschland hat traditionell keine besonders ausgeprägte Redekultur, Amerika etwa hingegen schon. Da Germanistik das Fach sein dürfte, das mit am wenigsten nach US-amerikanischen Standards betrieben wird, konnte sich (in diesem Fall leider) die deutsche Unsitte, unsäglich öde und unverständliche Vorträge zu halten, dort bis heute festsetzen. Meiner Erfahrung nach nimmt das stundenlage Vorlesen in dem Maße ab, wie die entsprechende Forschung auch international betrieben wird. Aber, das ist nur meine persönliche Erfahrung - wer Lust hat, kann ja eine Diss in der Hochschulforschung zum Thema schreiben und das verifizieren (oder eben nicht).

Ansonsten halte ich DoneXYs Anmerkung zu unterschiedlichen Kommunikationsformen für wichtig. Nach einem Vortrag gibt es ja immer Fragen. Ich stelle mir Vorträge daher immer als Gespräch vor - nur halt als eins, wo zu Beginn einer (d.h. ich) etwas länger redet. Im persönlichen Gespräch würden die Leute auch seltsam gucken, wenn ich mit einem Zettel ankäme, um den vorzulesen. Außerdem hilft mir das, die Nervosität zu bekämpfen, wenn ich die innere Haltung einnehme, ich wäre gerade in einer gewöhnlichen Gesprächssituation, in der ich versuche, jemandem meine These zu erklären.
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
mantor
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Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von mantor »

[quote="DoneXY"][quote="mantor"]wenn ich die Informationen noch einmal zusammenfassen darf: Die Fachkulturen sind da (wie so oft) vollkommen unterschiedlich – das sollte man einfach so akzeptieren und nicht versuchen, Präsentationsformen aus der eigenen Disziplin anderen als allgemein gültige (weil interessanter, unterhaltsamer, moderner ...) zu empfehlen.[/quote]

Es ist möglicherweise ein völlig hoffnungsloses Unterfangen, sich in Foren dagegen verwahren zu wollen, dass einem Intentionen, Aussagen usw in den Mund gelegt werden, die einem selber fernliegen, aber ich versuch's mal:

Von "nicht akzeptieren", "allgemeingültig" und "moderner" hat kein Mensch etwas geschrieben. Warum also anderen solche dummen Aussagen in den Mund legen?

Nichts desto trotz sind Vortrag und Publikation unterschiedliche Textformen. Wer also aus welchen Gründen auch immer keinen freien Vortrag halten will, dem rate ich dazu, einen anderen Text vorzulesen, als den, der vielleicht für eine spätere Veröffentlichung vorgesehen ist.

Auch dieser Rat beansprucht keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, Coolness oder Hass auf Andersgläubige. Gerne darf die Threadstarterin einen Text 45min. vom Blatt ablesen. Alles völlig OK![/quote]


Sorry, unsere Postings hatten sich einfach überschnitten und mein Beitrag war gar nicht als Antwort auf Deinen gedacht, denn ich schließe mich Dir ja vollkommen an: Vortrag und Aufsatz sind (auch wenn ersterer ausformuliert ist) vollkommen unterschiedliche Genres – das sollte man bei der Arbeit am Text beachten und entsprechend auch die Performance 'üben'. In den Mund legen wollte ich Dir also gar nichts und es tut mir leid, dass das bei Dir falsch angekommen ist.

Insgesamt war mir nur der Hinweis wichtig – auch das sind wir ja vollkommen d'accord –, dass es einfach Fachtraditionen gibt, auf die man Rücksicht nehmen sollte und die manchen, die vielleicht nicht aus diesem Fach kommen, fremd sind. Auf einer germanistischen Konferenz mit Stichwortzetteln aufzutreten oder nur vor einer Power-Point-Präsentation zu stehen ist – entgegen all dem, was man im Studium lernt und gemeinhin (durchaus zurecht) als 'gute' Präsentationsform gilt – sehr seltsam und eher etwas für alte Hasen, die zu Ihrem Standardforschungsgebiet noch einmal eine Zusammenfassung geben. Bei einem ersten 'Auftritt' würde ich von so etwas abraten …
mantor
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Re: Tagungsvortrag: Freie Rede oder ablesen?

Beitrag von mantor »

PS: Übrigens habe ich, auch das ist wahrscheinlich eine Germanistenkrankheit, aus "Literaturwissenschaft", die ja als Fachgebiet der TE genannt ist, einfach Germanistik gemacht. Sorry! Und außerdem noch der Hinweis: Sollte es sich um einen Vortrag auf einer sprachwissenschaftlichen Tagung handeln, gilt alles, was ich geschrieben habe, nur mit Einschränkung. Die germanistische Linguistik orientiert sich, das würde Zwonks These stützen, eher an amerikanischen Vortragsstilen.
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