Wie wichtig sind Ruf und Wissen des Doktorvaters?

Jahresarchiv
Gesperrt
Photon

Wie wichtig sind Ruf und Wissen des Doktorvaters?

Beitrag von Photon »

Hallo zusammen,

nach ausgiebigem Durchforsten des (tollen!) Forums beschäftigen mich nun zwei Fragen:
Wie relevant, auch im Hinblick auf eine evtl. angepeilte akademische Karriere, ist die Reputation des Betreuers innerhalb der "Scientific Community"? Ich vermute mal, wenn man danach in die "freie" Wirtschaft einsteigt, dürfte der Betreuer absolut niemanden interessieren.

Mein jetziger Betreuer ist "nur" apl. Prof. und darüber hinaus kein ausgewiesener Experte für das Thema meiner Diss.; er ist halt Prof. für meinen Lehrbereich (Politische Philosophie). Ab einem gewissen Punkt meiner Diss. dürfte somit die inhaltliche Betreuung seitens meines DV deutlich dünner werden. Er hat ganz zweifellos ein immenses Fachwissen, aber gerade in meinem Bereich fehlt eben ein bis in die Tiefe reichendes "Expertenwissen". Ich habe ihn zu großen Teilen deshalb angesprochen, da er sympathisch ist, einem die größtmögliche Freiheit gibt und jederzeit per Mail/Telefon erreichbar und für ein Treffen zu haben ist. Ich maß somit der "menschlichen" Betreuung mehr Gewicht zu als der fachlichen/inhaltlichen. War das die richtige Entscheidung oder sollte ich lieber umdenken?
Da ich noch ganz am Anfang stehe (Stichwort Projektskizze) fällt es mir schwer, das Angesprochene richtig einzuschätzen.

Besten Dank für Eure Unterstützung! :)

Gute Nacht wünscht
Photon
Zwonk
Beiträge: 10512
Registriert: 28.04.2013, 14:13
Status: Dr. Zwonk
Hat sich bedankt: 2 Mal
Danksagung erhalten: 8 Mal

Re: Wie wichtig sind Ruf und Wissen des Doktorvaters?

Beitrag von Zwonk »

Du solltest zwei Sachen auseinanderhalten, die nicht zwingend miteinander zusammenhängen. Grundsätzlich gilt tatsächlich, daß Doktorväter, die wirklich anerkannte Koryphäen in ihrem Bereich sind, ihre Doktoranden öfter irgendwo an der Uni unterbringen können. Das liegt aber nicht daran, daß die so viel wissen, dieses Wissen an die Doktoranden weitergeben und die dann durch Kompetenz die Lehrstühle entern.

Der Vorteil bei jemandem zu promovieren, der zu den Top-Leuten in Deinem Bereich gehört ist, daß der sehr wahrscheinlich außergewöhnlich gut vernetzt ist. Das ist in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen. Was aber die Betreuung betrifft - auf deren Qualität kannst Du vom Namen des Professors nicht schließen. Es gibt genug Fälle, wo gerade die Doktoranden von Top-Leuten ihren DV kaum jemals zu sehen zu bekommen. Eben weil der so gut vernetzt ist, sitzt er dann u.U. in 43 verschiedenen Projekten und Hochschulgremien drin. Und nur selten stehen bei solchen Leuten ihre Doktoranden an erster Stelle. Also nur kurz ein paar Gedanken in ungeordneter Reihenfolge:

1. Solltest Du eine akademische Karriere anstreben, könnte Dir eine Koryphäe helfen. Das könnte aber durchaus heißen, daß die Betreuung nur sehr sporadisch erfolgt.

2. Solltest Du eine gut betreute Dissertation schreiben wollen, könnte jemand, der eben nicht so unglaublich gefragt ist, die bessere Wahl sein.

3. Grundsätzlich würde ich Dir aber abraten, Dich zu sehr auf eine akademische Karriere zu versteifen. Abgesehen von ganz wenigen Fällen, wo Deine Person zufällig mit allen politischen, fachlichen, thematischen und persönlichen Anforderungen zusammenfällt, die von einer Stellenbesetzung erfüllt werden sollen (und die Du meistens nie erfährst), kann Dir auch ein Top-Betreuer keine Anstellung garantieren. Wenn man sagt, die Chancen auf eine Professur seien von Doktoranden der Koryphäen besser, dann heißt das noch lange nicht, daß die gut wären. Zumindest in Deutschland sind die Chancen auf eine akademische Daueranstellung schlecht und die zu erfüllenden Kriterien alles andere als transparent.

4. Ob Du unter diesen Umständen die Betreuung durch einen Professor aufgeben willst, mit dem Du menschlich gut klarkommst, mußt Du wissen. Du findest hier im Forum genug Beispiele, wie ein richtig mieses Betreuungsverhältnis aussehen kann.

5. Du sagst, Dein Betreuer wäre kein Experte für Dein Thema. Das macht nichts. Du wirst Dich am Ende mit Deinem Thema sowieso besser auskennen als Dein Betreuer. Das ist ja der Sinn der Dissertation. Und Betreuung heißt nicht, daß der DV die ganze Zeit inhaltlich hinter Dir her korrigiert, sondern daß er eher aus einer allgemeineren Perspektive die Entstehung der Dissertation mit begleitet. Mein DV ist beileibe kein Fachmann für mein spezielles Thema, und trotzdem habe ich von seiner Betreuung durchaus profitiert.

Klingt vielleicht nicht motivierend, aber ich denke, man sollte zu Beginn der Dissertation nicht quasi schon eine Stelle als Professor eingeplant haben und mit dieser sehr vagen Perspektive eine gute Betreuungssituation ohne Not über Bord werfen.
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
algol
Beiträge: 8761
Registriert: 09.06.2009, 22:15
Status: mittendrin?
Hat sich bedankt: 1 Mal
Danksagung erhalten: 1 Mal

Re: Wie wichtig sind Ruf und Wissen des Doktorvaters?

Beitrag von algol »

Ich stimme zu. Dein Prof klingt wirklich super für eine Betreuung. und diese sogegannte Experterei, das ist alles sehr relativ. Die Diss bringt so viele Hochs und Tiefs, da ist eine Betreuung viel wert.
Während der Diss-Zeit kannst Du selbst auch an einer Vernetzung arbeiten. Du kannst Dich auf Konferenzen rumtreiben, publizieren, in Berufsverbänden irgendwelche Sprecherfunktionen übernehmen, Dich an Deiner Fakultät einbringen.
dann kannst Du auch insgesamt sehen, ob es wirklich die akademische Welt sein soll und wenn ja, wie Du da weitergehst.
flip
Beiträge: 1166
Registriert: 02.11.2012, 02:50
Hat sich bedankt: 2 Mal
Danksagung erhalten: 46 Mal

Re: Wie wichtig sind Ruf und Wissen des Doktorvaters?

Beitrag von flip »

Stimme meinen Vorrednern zu 100% zu. Die Betreuung ist wesentlich wichtiger als der "Ruf". Letzteres ist natürlich auch nicht zu verkennen, aber was bringt es dir, wenn du die Koryphäe nur einmal im Semester siehst? Erhältst du die angemessene Unterstützung, auch für Tagungen, Workshops, Seminare, usw. ist Netzwerken wesentlich einfacher, als wenn du als einer von 20 Doktoranden auf deine Chance wartest. Um es mal überspitzt zu formulieren.

Gerade wenn man während der Diss auch Publikationsvorhaben durchsetzen will, kann dies sehr hinderlich sein und nach hinten losgehen, weil man einfach nicht vorran kommt. Und dass dein Betreuer sich auf deinem Gebiet nicht so auskennt, ist ja normal. Du sollst ja schließlich der Experte werden! ;)
myfunnyvalentine

Re: Wie wichtig sind Ruf und Wissen des Doktorvaters?

Beitrag von myfunnyvalentine »

Hallo zusamamen,

Photon, in Deinem anderen Thread schreibst Du, dass Du Sozialwissenschaftler bist, während Dein Prof. für Politische Philosophie zuständig ist.

Vielleicht verstehe ich Dich auch falsch, aber ein Ansatzpunkt – für beide Threads! – könnte auch sein, noch einmal zu überlegen, in welchem akademischen Bereich Du re­üs­sie­ren möchtest.

Grüße

MFV

[Edit:]PS Zur Erklärung: Ich habe bei ‘Sozialwissenschaftler’ spontan an Soziologe gedacht. Wenn das falsch ist, dann ist mein Hinweis natürlich kaum noch zu gebrauchen. Sorry *blush*
Photon

Re: Wie wichtig sind Ruf und Wissen des Doktorvaters?

Beitrag von Photon »

Vielen Dank an alle für das sehr hilfreiche Feedback, vieles war mir so gar nicht bewusst! :)

@MFV
Ich hab' mein Diplom von unserer sozialwissenschaftlichen Fakultät erhalten, genauer gesagt bin ich Diplom-Politologe (allgemein gesprochen Sozialwissenschaftler). Die Diss. ist allerdings im Bereich Politische Philosophie verortet, daher auch die entsprechende Wahl meines Betreuers.
Sapphirine

Re: Wie wichtig sind Ruf und Wissen des Doktorvaters?

Beitrag von Sapphirine »

Ich hatte zwei DVs ... der erste war nie erreichtbar (auch nicht per Mail) und der zweite wollte zwar regelmäßige Treffen aber hat Schreikrämpfe bekommen und seine Doktoranden beleidigt, wenn sie nicht geschrieben haben, was er wollte. Beide waren wissenschaftlich relativ gut bekannt aber die Jahre meiner Diss waren die schlimmste Zeit in meinem Leben. Allerdings habe ich mir keinen der beiden wegen des Rufs ausgesucht (der erste kam eben mit der Doktorandenstelle und der zweite wurde mir aufgedrängt nachdem DV1 sich verdünnisiert hatte).
Deshalb kann ich den Kollegen nur zustimmen. Ruf hin oder her ... das hier:
"Ich habe ihn zu großen Teilen deshalb angesprochen, da er sympathisch ist, einem die größtmögliche Freiheit gibt und jederzeit per Mail/Telefon erreichbar und für ein Treffen zu haben ist. "
ist nicht nur das Wichtigste sondern auch ein Privileg, das vielen Doktoranden leider nicht vergönnt ist.
Probleme wird man während einer Diss so oder so haben (auch die ein oder andere Sinnkrise wie Du ja auch schon erlebt hast), da ist es wirklich schön, den Betreuer auf seiner Seite zu haben oder wenigstens Neutralität zu bewahren und nicht auch noch gegen diesen kämpfen zu müssen.
Ich hoffe, dass die Betreuung seinerseits auch so bleibt und wünsche Dir viel Erfolg.
Gesperrt
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag