Was soll das alles? Sinnkrise!

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Photon

Was soll das alles? Sinnkrise!

Beitrag von Photon »

Servus zusammen,
ich stecke noch mitten in den allerersten Zügen meiner Promotion (bin Sozialwissenschaftler), genauer gesagt arbeite ich gerade an der dazugehörigen Projektskizze (Betreuer gibt's bereits), welche bis Ende nächster Woche fertig werden soll.
Doch bereits hier, am Beginn der Reise, stelle ich selbige bereits massiv infrage! Folge Fragen beschäftigen mich dabei besonders:
- Ist das Thema wirklich von Interesse/Relevanz? Oder wandert die Arbeit nicht viel wahrscheinlicher am Ende in die Unibib., wo sie verstaubt und vorher nur von mir und meinen Betreuern gelesen wurde...
- Werde ich der ganzen Sache überhaupt gerecht?
- "Wieso überhaupt willst du promovieren? Schau doch mal dein näheres Umfeld an, die meisten arbeiten! Du wirst schließlich nicht jünger, geh' endlich Geld verdienen! Willst du das WIRKLICH?!" Erst vor Kurzem ist ein befreundetes Pärchen ins Berufsleben gestartet: ~ 40 Std./Woche, mehr als ausrechende Entlohung, neue Wohnung etc... Normalerweise orientiere ich mich nicht an anderen, aber es gibt einem doch zu denken.

Mir ist klar, dass sich die Richtigkeit einer Entscheidung oftmals nur in der Rückschau zweifelsohne beurteilen lässt und das kritische Hinterfragen der eigenen Handlungen nichts Ungewöhnliches ist. Aber der Zeitpunkt meiner Zweifel, bereits bevor die erste Seite der Diss. steht, lässt mir keine Ruhe! Wie soll ich das Projekt erfolgreich zu Ende bringen, wenn ich bereits jetzt zweifle? Ich weiß, aller Anfang ist schwer und auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt, aber solche "schlauen Sprüche" helfen mir gerade nicht weiter. Ich würde mich daher sehr über Rückmeldungen von Euch freuen, von Leuten, die vielleicht gerade eine ähnliche Phase durchmachen oder bereits erfolgreich durchgestanden haben.

Herzlichen Dank im Voraus! :)
Beste Grüße
Photon
Photon

Re: Was soll das alles? Sinnkrise!

Beitrag von Photon »

Noch ein kleiner, aber entscheidender Nachtrag:
Zu promovieren war ein großer Wunsch/Traum von mir, gerade da ich bisher einen sehr ungewöhnlichen Lebenslauf hinter mir hab'. Des Weiteren konnte ich vor Kurzem zwei sehr spannende Stellen ergattern, jeweils als wissenschaftliche Hilfskraft und je zehn Std./Woche. Eigentlich läuft alles so, wie ich es mir die letzten Wochen & Monate gewünscht/erhofft habe... und dennoch sind da diese bohrenden Zweifel!
Eva
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Re: Was soll das alles? Sinnkrise!

Beitrag von Eva »

Hallo Photon!

Hm, ja, solche Zweifel schon ganz zu Beginn sind natürlich nicht schön. :( Bei mir gabs die auch, immer mal wieder, zwischendrin, wenn auch vielleicht nicht schon ganz so früh wie bei dir, dafür aber noch nach der Abgabe während der endlos scheinenden Überarbeitung... Promovieren ganz ohne Sinnkrise gibt's m.E. nicht (oder nur sehr selten). Das Schielen auf andere und Vergleichen lässt sich leider auch nicht ganz abstellen, denn da wird einem ja einiges Verlockende geboten: Karriere, Hauskauf, Kinder etc., während man selbst als Doktorand (meistens) in einer Fortsetzung des Studentendaseins verharrt und größere Lebensentscheidungen auf danach verschiebt. Und wirklich gelesen werden Dissertationen auch eher selten. Gehört also wohl alles dazu zum Promovieren.

Die Frage ist halt, was für dich persönlich auf der anderen Waagschale liegt? Es sollte schon gewichtig genug sein, um diese Nachteile aufzuwiegen. Der eine gute Grund, oder eine Mischung aus verschiedenen, die dich zusammen in jeder Sinnkrise ausreichend motivieren können, um dranzubleiben.

Mein Vorschlag, da du ja eigentlich von der Promotion geträumt hast und jetzt ganz gute Rahmenbedingungen hast: Setz dir selbst ein zeitliches Limit, bis zu dem du mit ganzer Kraft auf das Ziel Promotion hinarbeitest, z.B. 6 Monate oder 1 Jahr. In dieser Zeit verbietest du dir ständiges Infragestellen, registrierst aber, wie es dir in der Situation so geht. Wenn die Zeit um ist, wägst du ab - weitermachen oder umorientieren? Du hättest noch nicht allzu viel Zeit "verschwendet", könntest aber besser als jetzt einschätzen, ob dir das Doktorandendasein wirklich nicht entspricht oder ob du nur kalte Füße am Anfang hast.

Alles Gute! :blume:
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Re: Was soll das alles? Sinnkrise!

Beitrag von Zwonk »

Ich würde Dir auch Evas Vorschlag ans Herz legen. Setz Dir einen festen Termin in einem halben Jahr, arbeite bis dahin konsequent und dann guckst Du, ob Du das weitermachen willst. Um eventuelle Durststrecken zu überstehen, die wahrscheinlich in der einen oder anderen Form kommen werden, ist es am besten, eine hohe intrinsische Motivation zu haben. Die extrinsische Motivation bei den meisten Promotionen ist relativ gering (zumindest in den meisten Geistes- und Sozialwissenschaften). Man sieht, wie die Freunde anfangen Geld zu verdienen. Man merkt immer mehr, wie schwierig es wird, überhaupt mit jemandem über sein Thema zu sprechen, da man sich oft mit zunehmender Bearbeitungszeit immer mehr von dem Punkt entfernt, wo man die Relevanz noch irgendwem vermitteln kann. Geld gibts erstmal auch nicht dafür und oft fangen im Laufe der Zeit noch Verwandte und Bekannte an zu nerven.

Wie gesagt, daß man Selbstzweifel hegt ist nur natürlich - ich fände das Gegenteil besorgniserregend. Das könnte eher auf ein Sendungsbewußtsein hindeuten, das mitunter der Arbeit nicht gut tut. Trotzdem würde ich ein halbes Jahr gucken, ob genug intrinsische Motivation vorhanden ist. Wenn nicht, ist ein Abbruch dann kein Beinbruch, da hat jeder Verständnis für. Das ist allemal besser, als unter Umständen jahrelang weder richtig an der Diss, noch im Leben draußen was zu machen und das Projekt dann irgendwann versanden zu lassen.
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Re: Was soll das alles? Sinnkrise!

Beitrag von Cybarb »

Hallo,

auch ich finde Evas Vorschlag sehr gut und praktikabel. Noch einige Anmerkungen:

- Du zweifelst jetzt schon an der Relevanz deiner Arbeit bzw. dem Interesse der scientific community daran: Man muss sich meines Erachtens bewusst sein, dass Dissertationen nun einmal für Spezialisten geschrieben und entsprechend auch von jenen gelesen werden. Vielleicht hast du dir ein Thema rausgesucht, wo eine bereits wahrgenommene Forschungslücke besteht. Wenn du eine gute Arbeit dazu schreibst, wird sie auch auf Interesse stoßen. Aber das muss eben nicht der Fall sein, und vielleicht endet deine Arbeit tatsächlich in Bibliotheksregalen, wo sie nie ausgeliehen werden. Ich denke, damit muss man einfach rechnen, und man darf sich da keine Eitelkeiten erlauben.

- Selbstzweifel halte ich - im Gegensatz zu Zwonk - für schädlich. Vielleicht ist das auch nur ein Streit um Worte, aber ich würde dir eher eine gesunde Reflexionsfähigkeit ans Herz legen, aber keine Selbstzweifel. Das heißt, du solltest dir deiner Grenzen, aber auch deiner Stärken bewusst sein, dich aber nicht ständig fragen, ob du überhaupt zu einem Promotionsvorhaben fähig bist. So würde ich die Unterschiede zwischen Selbstzweifeln und Reflexionsfähigkeit umschreiben. Wenn man promoviert werden will, braucht man das, was Olli Kahn mal als "Eier" bezeichnet hat, sonst dümpelt man meiner Erfahrung nach dahin und kriegt nur wenig auf die Reihe bzw. in einem ziemlichen Schneckentempo.

- Noch eine Empfehlung: Nutze die 6-12 Monate, die du dir nach Evas Vorschlag vielleicht nimmst, auf jeden Fall dazu, etwas zu produzieren, das du deinem Betreuer und ggf. anderen Personen mit der Bitte um Kommentare vorlegen kannst. Wenn die Rückmeldung eher negativ ausfällt, kannst du das zumindest zum Anlass nehmen, um noch einmal über dein Vorhaben nachzudenken. (Solltest du bis dahin aber davon überzeugt sein und weitermachen wollen, dann tu das auch, nimm dir aber die sachlichen Kommentare zu Herzen und arbeite sie ein.) Es kann aber auch sein, dass du sehr positive Rückmeldungen erhältst, und das kann einen enormen Motivationsschub auslösen.


Gruß
Cyb
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Re: Was soll das alles? Sinnkrise!

Beitrag von Zwonk »

@cybarb: Vielleicht ist das eine Definitionsfrage. Ich denke auch, man sollte sich zutrauen, zu promovieren. Ich habe aber mal bei einem entfernten Bekannten eine oberflächliche Korrektur vorgenommen und der gute Mann schrieb in der Einleitung (vages Gedächtniszitat): "Diese Dissertation erhebt nicht nur den Anspruch, die noch offenen Fragen im Feld der politischen Philosophie zu lösen, sondern will vielmehr das Ganze der internationalen politischen Beziehungen auf eine neue Grundlage stellen." Und ich bleibe dabei - das ist keine empfehlenswerte Haltung, wenn man promovieren will.
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Re: Was soll das alles? Sinnkrise!

Beitrag von Cybarb »

@Zwonk: Angesichts dieses Zitats stimme ich voll zu. Das sind ja schon Wittgensteinsche Dimensionen (aus dem Kopf zitiert: "Ich gehe also davon aus, die Probleme im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben."). Da braucht es m. E. aber keine Selbstzweifel, sondern eben genau das, was ich mit "Reflexionsfähigkeit" bezeichne. Bei Selbstzweifeln denke ich an jemanden, der, die Stirn in die Handflächen gestützt, am Tisch sitzt und den Kopf schüttelt, und das nicht ein- oder zweimal, sondern regelmäßig.
Ich denke aber, wir haben sehr ähnliche Vorstellungen davon, was der Promotion dient und was eher nicht.
Photon

Re: Was soll das alles? Sinnkrise!

Beitrag von Photon »

Vielen Dank an alle für Eure Worte! :)

Ich werde Evas Tipp beherzigen und die nächsten sechs Monate beherzt an die Sache rangehen, versuchen etwas Lesbares zu produzieren (thx cybarb!), mir Feedback dazu einholen und dann innehalten und schauen, wie zufrieden ich mit der ganzen Situation bin.
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