Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

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adb

Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von adb »

Hallo zusammen,

ich forsche im Bereich der Wirtschaftswissenschaften und führe hierzu mehrere Fallstudien durch. Zur Datenerhebung wurden knapp 20 Interviews durchgeführt, die jedoch zum Großteil aufgrund sehr vertraulicher Aspekte nicht auf Tonband festgehalten werden durften.

Wie kann ich nun in der Diss doch auf die Interviews verweisen? Meine Idee war, statt wörtliche Zitate eben "Aussagen" darzustellen. Vorher würde ich klarstellen, dass es sich dabei um Aussagen handelt, die im Rahmen von Gedächtnisprotokollen festgehalten wurden.

Ich weiß, das klingt sher "hemdsärmlig", daher meine Frage, ob das generell durchgehen kann. Mein DV findet das so i.O., ich habe aber mehr Bammel vor dem Zweitgutachter, etc..

Dank für eure Rückmeldung!
algol
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Re: Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von algol »

Was hast Du anstelle von Transkripten? Gedächnisprotokolle, Notizen, ...? Das ist auch Material 2. Ordnung.
Daishima

Re: Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von Daishima »

Auch wenn es sicher keine Hilfe sein wird, möchte ich meine Bedenken bei diesem Vorgehen äußern. An unserer Fakultät werden regelmäßig große Interviewmengen ausgewertet. Da kann es vorkommen, dass ein Interview aus ethischen Gründen nicht verschriftlicht wird und trotzdem über Gedächtnisprotokolle oder methodisch einwandfreie Notizen verwendet wird. Als empirische Methode würde dies aber bei 20 Interviews hier niemals durchgehen. Spätestens in der Disputation (2 Gutachter + 4 Fakultätsangehörige) würden die methodischen Mängel angesprochen werden (selbst erlebt).
Wie "adb" richtig anmerkt, ist das Material 2. Ordnung und wäre in Ordnung, wenn es nicht das für die Arbeit grundlegende empirische Material darstellt.

Aber das kann natürlich bei einer wiwi Fakultät anders sein - die vertraulichen Aspekte vermute ich da weniger in der sexueller Orientierung sondern eher im Bereich "Steuerflexibilität" ;-) Dann würde ich auf den rechtlichen Aspekt eingehen, womit die Sachlage eventuell anders betrachtet werden kann. Hier würde dann aber sicher die Frage gestellt werden, warum kein anderes Material generiert, bzw. keine andere empirische Methode genutzt wurde.

Trotzdem alles Gute für die weitere Auswertung!
DoneXY

Re: Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von DoneXY »

Das generelle Problem wird sein, dass in den WiWi i.d.R. überhaupt nicht mit qualitativ erhobene Daten gearbeitet wird, da diese nicht als 'exakt' gelten. Die empirische Methode der WiWis fusst auf quantitativen Daten, die wiederum überwiegend von renommierten Organisationen wie Stat. Bundesamt, IWF, Deutsche Bundesbank usw. kommen.

Zur Illustration (oder Abduktion) sind die Interviews sicher verwertbar, doch das sie die empirische Basis einer Diss bieten können, kann ich mir angesichts der quantitativen Orientierung der WiWi nicht vorstellen.

Interessant in diesem Zusammenhang:
Richard T. Carson. 2011. Contingent valuation : a comprehensive bibliography and history.
Es geht zwar um die Contingent valuation, doch beschreiben die ersten Seiten allgemein die eindeutige Orientierung der economics auf 'exakte' Daten.
adb

Re: Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von adb »

Vielen Dank für eure ersten Rückmeldungen.

Zu den Interviews wurden umfangreiche Gedächtnisprotokolle angefertigt. Außerdem wurden von den Studienteilnehmern weitere Dokumente zur Verfügung gestellt, die auch analysiert werden.

Generell ist es meines Wissens schon üblich, dass auch in den Wiwi Dissertationen auf ausschließlich qualitativen Daten/Interviews basieren.

Ich denke schon, dass ich ggü. den weiteren gutachtern das methodische Vorgehen begründen kann, da es sich wirklich um vertrauliche Infos handelt (der Hinweis von Daishima war schon gar nicht so schlecht ;) ).

Ich frage mich nur, ob ich Zitate/Aussagen aus meinen Gedächtnisprotokollen in der Diss darstellen kann, und wenn ja, wie (ich beabsichtige derzeit keine Anführungszeichen zu setzen, damit mir kein Strick daraus gedreht werden kann...)?
Poppy

Re: Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von Poppy »

Audio-Aufnahmen sind natürlich immer schöner, aber machbar ist das natürlich auch ohne, wenn du dir gute Protokolle geschrieben hast. Wichtig ist in meinen Augen, in deinem Methodenteil darauf einzugehen und natürlich auch die Nachteile anzusprechen.
In ethnografischen Untersuchungen ist es bspw. auch häufig so, dass die Forscherin stundenlang als teilnehmende Beobachterin irgendwo ist, und sich dann erst zurückzieht um sich Notizen zu machen. Vielleicht wirst du da in der Literatur ja fündig, um noch besser argumentieren zu können, warum du trotzdem gute Ergebnisse hast.

Zu deiner eigentlichen Frage: Kannst du deine Protokolle als Zitate verwenden. Ich würde sagen, ja. Letztlich ist das dein Interpretationsmaterial, genauso wie eine Transkription ein Material ist. Also, warum solltest du das nicht zitieren bzw. als Materialaussagen benutzen können?
algol
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Re: Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von algol »

Ich stimme Poppy zu. In der ethnographischen Feldforschung ist das der Weg. Man muss es halt in der Methodenbeschreibung erklären, was hier zitiert wird, nämlich Material 2. Ordnung.
Natalia

Re: Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von Natalia »

Die Transkripte sind nicht immer nötig, wie Poppy sagte, aber selbst Ethnologen müssen sehr vorsichtig mit wortwörtlichen Zitate umgehen. So dürfte man nichts als Aussage in 1. Person wiedergeben, was man nicht O-Ton im Notizbuch festgehalten hat. Deshalb würde ich das nur empfehlen, wenn Du bei den Interviews tatsächlich die Aussagen so aufgeschrieben hast, wie sie gesagt wurden. Paraphrasierungen sind dagegen grundätzlich i.O. und ich sehe nicht warum das ein Problem sein soll, wenn Du die Interviews gut protokolliert hast :wink:
adb

Re: Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von adb »

Nochmals vielen Dank für eure Hinweise.

Kennt jemand eine Quelle, in der hervorgeht, dass auch Gedächtnisprotokolle zur Auswertung qualitativer Daten herangezogen werden dürfen? ...Evtl. sogar, dass man Zitate/Interviewaussagen in der Diss nennen kann, die jedoch nur während der Interviews handschriftlich notiert wurden bzw. somit aus Gedächtnisprotokollen stammen?
Bisher finde ich immer nur Quellen, die angeben, dass Transkripte notwendig sind.
Anne78
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Re: Auswertung Interviews ohne richtige Transkripte

Beitrag von Anne78 »

Ich weiß leider kein konkretes Buch - aber schau Dich doch mal bei Methoden-Einführungen für ethnologische Forschung um, vielleicht wirst Du da fündig? Ansonsten würde ich im Teil zum Vorgehen schildern, warum Du nicht aufgenommen hast, wie Du protokolliert hast und wie sichergestellt, dass sich dort so wenig Fehler wie möglich einschleichen. Grundsätzlich sind auch aufgenommene, transkribierte Interviews anfällig für Übertragungsfehler, ebenso wie jede Form der Interpretation. Die Nachvollziehbarkeit ist nur eine etwas andere, wenn man das Gespräch auf Band hat, da liegt der Knackpunkt. Bei ganz zentralen Dingen könntest Du überlegen, ob Du noch einmal (unter Zusicherung absoluter Anonymität) Rückfragen machst bei den Interviewten, ob Du das richtig verstanden hast. Kann aber auch ein Eigentor werden, wenn die das inzwischen anders sehen oder nicht mehr bestätigen wollen. AUf jeden Fall viel Erfolg!
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