Gleichbehandlung von Doktorand_innen bzw. was ist fair?

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wer_wie_was

Gleichbehandlung von Doktorand_innen bzw. was ist fair?

Beitrag von wer_wie_was »

Hallo zusammen,
ich bin neu in diesem Forum und wuerde gerne von euch wissen, was ihr darueber denkt, wenn manche Doktorand_innen "gleicher" als andere behandelt werden, wieviel Fairness man vom Betreuer erwarten sollte und wie man dies kommunizieren kann.

Zunaechst zur Situation: Ich habe vor 1,5 Jahren mit meiner Diss angefangen und arbeite in einem internationalen Projekt. In meinem Team ist eine weitere Doktorandin, die zur selben Zeit anfing. Ich fing voller Eifer an und wurde fuer meine Leistungen von meiner Doktormutter gelobt. Da meine Kollegin eine Sehschwaeche hat und ich mich als generell leistungsfaehiger erwiesen habe, habe ich saemtliche Extra-Aufgaben, die im Projekt anfallen, uebertragen bekommen (ich pflege unsere Webseiten, schreibe Protokolle bei meetings, uebersetze Dokumente, und vertrete die Interessen der Doktorandinnen gegenueber der Unileitung, organisiere Betriebsausfluege), waehrend meine Kollegin keine Extra-Aufgaben hat. Meine Extra-Aufgaben sowie mein allgemeines Engagement am Institut nehmen ungefaehr 3 Tage/Woche in Anspruch.
Meine Kollegin hat ein 5-jaehriges Kind, dessen Erziehung der Vater im Ausland uebernommen hat. Nach einiger Zeit entschied sie sich jedoch dazu, vom Ausland aus zu arbeiten, um ihr Kind oefter zu sehen, das heisst, sie ist nicht mehr zu all den Seminaren und Kolloquien in unserem Institut gekommen. Ich hingegen, habe mich am Institut sehr eingebracht und ausgeholfen, soviel ich konnte (Arbeiten von anderen gelesen, Feedback gegeben). Bisher war das ok fuer mich, insbesondere weil mir Egalitaet wichtig ist. Wenn jemand eine (Seh-)Behinderung und/oder ein Kind hat, finde ich es richtig, dass dieser Person entgegengekommen wird. Nun stehe ich aber gerade im Konflikt mit meinen eigenen Werten. Obwohl ich es richtig finde, dass auf die Beduerfnisse und Faehigkeiten meiner Kollegin eingegangen wird, fuehle ich mich ueber die Zeit von meiner Doktormutter unfair behandelt im Vergleich zu meiner Kollegin. Nun ist es so, dass meine Chefin ein Buch herausbringt. Urspruenglich hiess es, dass ich auch ein Kapitel dafuer schreiben koenne und nun aufeinmal nicht (weil mein Thema nicht so gut passen wuerde), waehrend meine Kollegin zwei Kapitel schreiben darf. Grundsaetzlich glaube ich, dass ich es fachlich mehr drauf hab als meine Kollegin und generell motivierter bin als sie. Ausserdem ist mein Forschungsprojekt wesentlich anspruchsvoller aufgrund seiner thematischen Breite, Interdisziplinaritaet und dass ich in 7 Sprachen arbeite (+ Programmiersprachen). Meine Doktormutter hat keine Ahnung vom Thema (obwohl es ihre Idee war) und sonst auch niemand in meinem Institut, sodass ich thematisch sehr isoliert arbeite. Dadurch, dass meine Kollegin in diesem Buch publiziert, wird sie ja auch zusammen mit grossen Namen (meine Doktormutter und ihre Homies) in Erscheinung treten und dadurch von der wissenschaftlichen Community mehr beachtet werden.

Meine Frage an euch ist nun: Kann ich von meiner Doktormutter erwarten, dass sie zum Ausgleich fuer mein Engagement, mit mir auch eine gemeinsame Publikation anstrebt (eine Reduzierung der Extra-Aufgaben scheint schwierig, da ich diese vermutlich 10mal schneller und zuverlaessiger als meine Kollegin ausfuehren werde)? Bin ich einfach zu naiv, weil ich davon ausging, dass Doktorandinnen innerhalb desselben Projektes gleich/fair behandelt werden sollten, weil scheinbar das einzige, was zaehlt, der Output (Publikationen) ist? (Uebrigens habe ich schon 4 Paper in Journals veroeffentlicht (3 mal als Alleinautorin), waehrend meine Kollegin keins veroeffentlicht hat). Wie kann ich mit meiner Doktormutter darueber reden ohne dass es so aussieht als wuerde ich schlecht ueber meine Kollegin reden? Zudem hab ich leider das Gefuehl, dass ich meiner Doktormutter mittlerweile egal bin und sie mich als eine Art Bauernopfer betrachtet, was ich von frueheren Chefs nicht gewohnt bin, die gerne mit mir zusammen gearbeitet haben. Aber wie kann ich sie fragen, wie sie zu mir steht und eine ehrliche Antwort erhalten? Oder sollte es mir egal sein, ob meine Doktormutter mir gegenueber loyal ist? Meine Motivation fuer den Doktortitel ist eigentlich eine wissenschaftliche Karriere, aber ohne Unterstuetzung von meiner Doktormutter wird dies wohl schwierig...vielen Dank im Voraus fuer eure Antworten!
LG
MastaofDissasta

Re: Gleichbehandlung von Doktorand_innen bzw. was ist fair?

Beitrag von MastaofDissasta »

wer_wie_was hat geschrieben: Bin ich einfach zu naiv, weil ich davon ausging, dass Doktorandinnen innerhalb desselben Projektes gleich/fair behandelt werden sollten, weil scheinbar das einzige, was zaehlt, der Output (Publikationen) ist? ... Wie kann ich mit meiner Doktormutter darueber reden ohne dass es so aussieht als wuerde ich schlecht ueber meine Kollegin reden?
Hallo wer_wie_was,

erstmal: Ich kann dich soooo gut verstehen, denn ich stecke in einer ähnlich verfahrerenen, von mir als sehr ungerecht empfundenen Situation und scheren, Geschwätz, gestern, ich bin deutlich besser darin, knackige Empfehlungen für andere zu formulieren, als sie in der Situation selbst umzusetzen.

Aber: So ganz ohne Kritik kommst du mir nicht davon. Gehe ich richtig in der Annahme, dass du eine Frau bist? Falls nicht, dann trifft das Folgende trotzdem zu (und zeigt, dass Genderstereotype eben nur Stereotype sind): Du steckst in der Mädelsfalle. Protokolle schreiben, Betriebsausflüge organisieren, auf Ausgleich bedacht sein - du willst keine Brownie Points sammeln, sondern in einem hoch kompetitiven Umfeld bestehen. Ohne den Rat wirklich selbst beherzigen zu können, rate ich grundsätzlich sich bei der Übernahme von Aufgaben eine einfache Frage zu stellen: Habe ich dafür studiert? Sind die in vier bis sechs Jahre steuerlich finanziertem Hochschulstudium erworbenen Kenntnisse notwendig, um diese Aufgabe zu bewältigen? Nein? Dann soll es jemand anders machen. Egal, ob das gerechter ist, es ist einfach effizienter.

Kommen wir zu konkreten Fall, dem Sammelband. Und auch hier kann ich dich wieder sehr gut verstehen. Das tut höllisch weh. Und du wirst dich darauf einstellen müssen, dass du in den Sammelband nicht aufgenommen wirst, denn deine DM kann immer damit argumentieren, dass es thematisch nicht passt. Wenn du aber schon eigene Paper auf den Weg gebracht hast, dann ist das so viel mehr wert - ggf. lässt sich die gewonnene Zeit viel effektiver nutzen. Es gibt aber Möglichkeiten, die Sache mit der DM zu thematisieren. Versuch dir mal vorzustellen, es ginge nicht um eine Publikation, sondern um Geld. Innerliches Unbehagen, denn über Geld spricht man nicht und überhaupt, du bist nicht des Geldes wegen in die Wissenschaft gegangen, wenn du gute Arbeit leistest, dann wird das schon irgendwann man jemandem auffallen? FALSCH!!! Du leistest gute Arbeit und verdienst dafür eine angemessene Bezahlung. In der Wissenschaft sind Publikationen die Währung. Den eigenen Namen gedruckt sehen wollen, ist hier nicht narzisstisch, sondern unsere Art der Gratifikation. Du kannst also gegenüber deiner DM ganz ähnlich wie bei einer Gehaltsverhandlung argumentieren und es gelten die gleichen Regeln: Darlegen, warum du wo gute Arbeit geleistet hast und warum der Sammelband mit dir besser ist, als ohne dich. Damit leben können, wenn es nichts wird. Wenn sie sagt, dass es nichts wird, sofort fragen, was sie dir stattdessen anbieten kann. Ob die Kollegin drin ist oder nicht, ist egal - wichtig ist, dass du drin bist. Du kannst "publish or perish" explizit thematisieren, du kannst darauf hinweisen, dass Publikationen in der Wissenschaft die Währung sind. Du kannst deutlich machen, dass du darin einen verdienten Vorteil für deine eigene Laufbahn siehst. Wichtig ist, dass du dir selbst (und dann der DM) klarmachst, dass du nicht gnadenhalber in den Sammelband (weil du die ganze Schokolade verkauft hast und alle kleinen Pfadfinderinnen jetzt nach Disneyland fahren können...) aufgenommen werden möchtest, sondern, weil deine Arbeit passt.

Alles Gute. :wink:
DoneXY

Re: Gleichbehandlung von Doktorand_innen bzw. was ist fair?

Beitrag von DoneXY »

Es kann durchaus sein, dass MastaofDissasta den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Ich hätte es etwas weniger dem 'ökonomischen Ansatz' entsprechend formuliert, doch dem Kern ihrer Aussagen stimme ich zu.

Trotzdem möchte ich einen Perspektivwechsel anregen: Wir wissen nicht, was Deine DM motiviert. Das macht Ratschläge etwas müßig. Vielleicht sieht sich Deine DM in einer 'moralischen' Pflicht, Deiner Kollegin das Leben zu erleichtern. Vielleicht auch nicht. Eventuell ist Deine DM auch der Überzeugung, Du gehst Deinen Weg und brauchst daher wenig(er) Unterstützung und kannst dabei noch einiges an Arbeit am Lehrstuhl schultern.

Es ist für uns auch überhaupt nicht zu beurteilen, ob Dein Kapitel tatsächlich thematisch nicht in das Buch gepasst hätte. Auch nicht, warum es nicht passender hätte gemacht werden können.

Ich fürchte, es führt kein Weg an einem klärenden Gespräch vorbei. Du solltest die Enttäuschung über das 'verlorene Kapitel' deutlich machen, denn Du wolltest Dich ja fachlich qualifizieren, siehst aber am Lehrstuhl vor allem die Gelegenheit, Dich mit nichtfachlichen Extraaufgaben zu qualifizieren und fändest das schade.

Bei uns am Lehrstuhl wurde übrigens der mit Arbeit überschüttet, dem das größte Potenzail für eine akademische Karriere zugetraut wurde.
Elenor

Re: Gleichbehandlung von Doktorand_innen bzw. was ist fair?

Beitrag von Elenor »

Ganz ehrlich: nein, du kannst keinen Ausgleich verlangen, denn Engagement ist nun mal Engagement - von der Natur her eine Geste, die ohne Erwartung auf Gegenleistung erfuellt wird. Dieses Engagement musst du nicht leisten, du kannst dich jederzeit zurueckziehen. Was du bestimmt nicht machen moechtest, denn darunter leidet als erstes ja deine Kollegin, die von ihrer Situation her anscheinend wirklich Hilfe braucht.

Wenn du dich ungerecht behandelt fuehlst, solltest du das ausserhalb des Kontexts "Gegenleistung" betrachten. Denkst du, dass dein Thema gut gepasst haette in das Buch und das deiner Kollegin weniger? Ist es das erste mal?

Besprech es mit deiner Doktormutter, aber lasse mal aussen vor, dein Engagement anzusprechen.
Elenor

Re: Gleichbehandlung von Doktorand_innen bzw. was ist fair?

Beitrag von Elenor »

[quote="Elenor"]Ganz ehrlich: nein, du kannst keinen Ausgleich verlangen, denn Engagement ist nun mal Engagement - von der Natur her eine Geste, die ohne Erwartung auf Gegenleistung erfuellt wird. Dieses Engagement musst du nicht leisten, du kannst dich jederzeit zurueckziehen. Was du bestimmt nicht machen moechtest, denn darunter leidet als erstes ja deine Kollegin, die von ihrer Situation her anscheinend wirklich Hilfe braucht.

Wenn du dich ungerecht behandelt fuehlst, solltest du das ausserhalb des Kontexts "Gegenleistung" betrachten. Denkst du, dass dein Thema gut gepasst haette in das Buch und das deiner Kollegin weniger? Ist es das erste mal?

Besprech es mit deiner Doktormutter, aber lasse mal aussen vor, dein Engagement anzusprechen.[/quote]


Vielleicht muss ich es nochmal in Perspektive setzen, ich bin selbst ebenfalls alleinerziehende Mutter eines Babies, promoviere Vollzeit und arbeite am Lehrstuhl. Ich bin sehr oft auf Hilfe angewiesen und meine Dankbarkeit gegenueber meinen Kollegen, die schon mal ein Seminar fuer mich uebernehmen, wenn mein Kindermaedchen ausfaellt, oder die mich frueher nach Hause schicken, um das Paper letztlich in einer Nachtschicht selbst fertig zu schreiben, geht ins Unermaessliche :D Ich waere sehr ueberrascht und auch traurig, wuerde einer davon auf mich zukommen und sagen, er fuehle sich ungerecht behandelt.
Cybarb
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Re: Gleichbehandlung von Doktorand_innen bzw. was ist fair?

Beitrag von Cybarb »

Ich denke, in solchen Situationen würde ich mich ebenfalls selbst um meine Publikationen kümmern. Wie andere schon geschrieben haben, ist es nicht zu beurteilen, was die Chefin dazu bewogen hat, deine Arbeit nicht in den Sammelband aufzunehmen. Aber es ist halt auch nur ein Sammelband. Stecke die Energie lieber in Zeitschriftenartikel, die sind wesentlich wertvoller (jedenfalls in meiner Fachkultur). Es sei denn, dieser Sammelband ist sehr prestigeträchtig, allerdings sagst du ja selbst, dass die Arbeit deiner Kollegin schlechter ist als deine. Was sagt das also über den Sammelband aus, in dem sie 2 Kapitel verfasst?

Überhaupt sehe ich die Situation mit der Kollegin kritisch. Es ist zwar sehr nett von dir, dass du es der Kollegin leichter machst, indem du Zusatzaufgaben übernimmst, aber das darf doch nicht zu deinem Nachteil sein. Niemand hat die Kollegin gezwungen, eine Doktorarbeit zu schreiben, ein Kind zu bekommen oder ins Ausland zu ziehen und von dort zu arbeiten. Das waren ihre eigenen Entscheidungen. Wieso solltest du Nachteile durch die Lebensentscheidungen dieser Kollegin in Kauf nehmen müssen? Das sind Nettigkeiten von dir, auf die die Kollegin keinen Anspruch hat, und es hat auch sonst keiner einen Anspruch darauf, dass du sämtliche Zusatzaufgaben an diesem Institut übernimmt (sofern es nicht arbeitsrechtlich geregelt ist, versteht sich). Wenn die Kollegin oder deine Chefin das anders sehen, geben zumindest viel von ihrem Charakter preis. Ich würde empfehlen, dass du mit Hinweis auf deine Arbeitsbelastung darum bittest, die Zusatzaufgaben sinnvoll unter euch aufzuteilen. Vielleicht gibt es einige, die sie aufgrund ihrer Sehbehinderung nicht ausführen kann, aber mir kann niemand erzählen, dass diese Kollegin keine von den Zusatzaufgaben übernehmen kann, die du beschrieben hast.
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