Persönliche Meinung in der Diss?

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carmeli

Persönliche Meinung in der Diss?

Beitrag von carmeli »

Mich würde interessieren, wie Promovenden, insbesondere Geisteswissenschaftler, verfahren, wenn es in ihrer Diss auch um persönliche Wertungen bestimmter Entwicklungen und Sachverhalte gibt.
Dass kein "Ich finde, dass xyz gut - schlecht ist" enthalten sein darf, ist selbstredend. Aber doch enthält fast jeder Arbeit, sofern sie nicht rein statistisch ist, ausgesprochen oder unausgesprochen eine subjektive Wertung. Wie handhaben das andere?
Danke für eine Rückmeldung!
Bara
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Re: Persönliche Meinung in der Diss??

Beitrag von Bara »

Ich habe durchaus schon Arbeiten gelesen, in denen der Autor seine eigene Meinung in der Ichform ausdrückt. Das gefällt mir aber nicht.

Bei mir ist alles, was nicht mit Quellen belegt ist, meine eigene Meinung.

"Die Sache x ist so.(Fn) Die Sache y ist so.(Fn) Daraus folgt für z, dass ... usw. Dieses und jenes muss man deshalb so und so sehen. Unzutreffend ist dagegen, dass... weil..."

*eigene Meinung

Oder hab ich dich falsch verstanden?
musicus

Re: Persönliche Meinung in der Diss??

Beitrag von musicus »

Ah, mein Lieblingsthema (inzwischen). Ichform: ja, unbedingt, alles andere ist eine sprachliche Verschleierung und eine Vortäuschung von sogenannter Objektivität, die der post-moderne Forscher in einem Einleitungskapitel schon dekonstruiert haben sollte. :wink: Ich schreibe das Buch, ich habe Dinge gelesen, gesehen, eingeordnet, gewertet, wiedergegeben, verworfen, usw. Den locus observandi gibt es nicht, es ist immer(!) ein Subjekt, das forscht, oder anders: "Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne Beobachter gemacht werden." (v. Foerster).

Und das sollte man nicht verscheiern mit den üblichen rhetorischen Tricks ("man", Passiv-Konstruktionen, "wir", etc.). Zugegeben: wenn der DV ein "Objektivist" alter Schule ist, dann wirds problematisch damit.

Meinung <> Wertung! Eine Wertung ist sowieso immer subjektiv, persönlich. Einer Sache einen Wert beimessen. Wert für wen? Usw. Eine Wertung ist die Grundlage für Ethik, und die gehört m.E. (Meinung!) zu jeder wissenschaftlichen Tätigkeit unabdingbar dazu. Auch das dürften einige zwar anders sehen, aber ja, gerade die (gut oder nachvollziehbar begründete) Wertung in gut/schlecht (wieder: für wen?) muß zwingend gemacht werden.
barbershop

Re: Persönliche Meinung in der Diss??

Beitrag von barbershop »

Hallo carmeli,
Was ist "persönliche Meinung"? musicus hat schon recht, dass ja insofern fast alles persönliche Meinung ist, weil man nicht aus seiner subjektiven Sicht wirklich raus kann und sich immer für / gegen etwas entscheiden muss (Forschungsdesign, Methodik, ....). Man kann nur bereits vorhandenen Argumente darstellen, eigene aufstellen , abwägen usw.
Ich versuche an den Stellen, wo ich Entscheidungen begründe, die Argumente abzuwägen und es dann entsprechend zu formulieren (ohne "ich"). An Stellen, wo es wirklich um reine persönliche Meinungen geht, steht bei mir auch explizit "m.E." (sind nur ganz wenige Ausnahmen)
Ob man insgesamt die "Ich-Form" wählt, hängt, finde ich (!) doch sehr von Fachkonventionen und DV-Vorlieben ab. Ich würde nicht unterstellen, dass es ohne "Ich-Form" gar nicht geht.
Was sagt dein DV?
Wenn du nicht direkt fragen willst/kannst/keine klare Antwort kommt (kennt man ja...:-): Frag doch mal DV nach seiner/ihrer Ansicht vorbildlichen Dissertationen oder anderen Arbeiten. Vielleicht lässt sich darüber etwas rausfinden.
barbara
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Re: Persönliche Meinung in der Diss??

Beitrag von barbara »

Ich (!) stimme musicus zu.

Keine Ahnung, wie mein DV das gehandhabt möchte (ich werde ihn fragen, seine eigenen Texte fallen nicht durch komische Passivkonstruktionen auf) - für mich ergibt die verwendung von "ich" und "wir" noch einen weiteren Nutzen: Ich bin ich alleine. Wir sind die, die ich mit einbeziehe.

z.B. könnte es heissen " in den Feldversuchen auf Kuhweiden konnten wir (meine Kollegen Albert Einstein, Fred Feuerstein und ich) folgendes beobachten ....dagegen war habe ich (=alleine!) in den weiteren Versuchen auf Schafweiden diesen Effekt nicht mehr festgestellt....während er nach Pferdeflüsterer (2011) auf Pferdeweiden besonders deutlich war ...

Schafe waren also mein Ding, Kühe gemeinsam mit anderen und von Pferden versteh ich nix, das hab ich nur gelesen.

Fakt ist doch, dass man das meiste des Textes alleine denkt, sich zusammenreimt, wertet......das ist Sinn einer Diss, das soll ja explizit die eigene Arbeit sein. Was aus der Literatur kommt, also nur "angelesen" ist, muss zitiert werden. Was ich allerdings gemeinsam mit anderen mache, die nichts veröffentlichen, die folglich nicht zitiert werden können, kann unter "wir (Personennamen) subsummiert werden. Praktisch und eindeutig!
18. apr 2011;31. Dec 2013;f;hoffentlich klüger!
SirJj

Re: Persönliche Meinung in der Diss??

Beitrag von SirJj »

@musicus: Um die Ich-Form nicht zu mögen, muss man kein Objektivist sein:
auch wenn der Postmoderne die Suche nach einer objektiven Bedeutung i.S.e. beständigen Wesentlichen aufgegeben hat, so stellt die Ichform aus dem aktuellen Empfängerhorizont heraus doch auch stets eine Herabstufung gegenüber der ohnehin bestehenden "Subjektivität" jeglichen Textes (oder "Werkes") dar. Wer sich als ernsthafte Stimme einbringt, tut es aber auf Augenhöhe: ohne das zusätzliche Ich.
Darüber hinaus wäre ein solches, typenfremdes Ich doch lediglich die Vortäuschung eines dekonstruktivistischen Verständnisses (wenn überhaupt). Denn hier wird nicht das notwendig gedachte Ich herausgestellt, sondern zu dem ohnehin gedachten ein weiteres hinzugestellt.

Daher, gemessen am herrschenden Leseverständnis an den Hochschulen, wie auch aus der postmodernen Position selbst heraus, ein eindeutiges Nein zur Ich-Form!
musicus

Re: Persönliche Meinung in der Diss??

Beitrag von musicus »

@SirJj: Das kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Verstehe ich deinen Einwand richtig: die Ich-Form setzt mich als Autor gegenüber dem Leser herab, und in Ich-Form kann ich nicht "ernsthaft" sprechen bzw. wahrgenommen werden? Tut mir leid, das erschließt sich mir auch nach mehrmaligem Überdenken überhaupt nicht.

2. Warum ist die Ich-Form eine Vortäuschung von (korrektem) Verständnis? Allemal besser als die Vortäuschung einer nicht vorhandenen unpersönlichen Beobachterposition durch Umgehung der Ich-Form.

3. Ich könnte auch noch das Ich selbst noch dekonstruieren, habe ich sogar versucht und es funktioniert auch (bzw. es gibt gängie Methoden dazu im nicht-westlichen Kontext), allerdings kann ich dann die Erklärung am Ende nicht mehr ruhigen Gewissens unterschreiben ("Ich habe ausschließlich in Eigenarbeit …" usw.). :lol:
BertaFrieda

Re: Persönliche Meinung in der Diss??

Beitrag von BertaFrieda »

Hej Ihr,

ich benutze – aus ähnlichen Gründen wie Musicus – die Ich-Form, wenn ich einen Text schreibe. Glücklicherweise muss ich mich damit aber auch nicht gegen irgendwelche Konventionen stellen; in meinem Fachbereich ist das einigermaßen üblich.

Das 'Ich' kann man ja in mindestens zwei unterschiedlichen Dimensionen einsetzen.
Einerseits nämlich, wenn man wie Barbara einen Versuchsaufbau erklärt oder eine Fragestellung konkretisiert oder Entscheidungen für oder gegen eine Methode darlegt. Ich kann mir vorstellen, dass sich hier viele Leute nicht so sehr schwertun mit dem 'Ich', weil es eben nicht um Wertungen und Interpretationen geht:
Ich habe zunächst festgelegt, dass ich mich für Hundebesitzer und nicht für Katzenbesitzer interessiere, ich habe 37 Hundebesitzer interviewt, ich habe narrative Interviews nach xy gewählt, weil das für meine Forschungsfrage so dermaßen naheliegend ist, ich habe die Interviews mit Maxqda nach dem Verfahren z kodiert, ....
Andererseits kann man das 'Ich' wertend oder interpretierend einsetzen; hier tun sich bestimmt viele Leute sehr schwer. Ich halte es aber für zwingend notwendig, um eben darzustellen, dass es sich um meine Interpretation handelt. Wenn man die Ich-Form nicht verwenden will, bleibt ja immer noch das schöne alte "m. E.".

@Carmeli:
Insgesamt kann man in den von mir produzierten Texten hoffentlich gut unterscheiden, was ich denke, meine und interpretiere und was ich von anderen referiere, allein durch die Nutzung des Konjunktivs und Formulierungen wie: Müller legt dar..., Meier unterstreicht den Aspekt blabla bei Müller und zieht daraus den Schluss blablablubb.

Bei Interpretationen empirischer Ergebnisse (oder Wertungen von Schlüssen anderer Leute) versuche ich oft, auch andere Interpretations-/Wertungsmöglichkeiten darzustellen, die ich dann begründet verwerfe: Naheliegend sind die Interpretationen x, y und z. X und z sind m. E. aus den und den Gründen auszuschließen. Für y spricht aus meiner Perspektive das und das. Usw.

@SirJj:
Ich für meinen Teil kann nicht ganz nachvollziehen, warum die Verwendung von 'Ich' die vorhandene "'Subjektivität' [eines] jeglichen Textes" noch herabstuft. Wir erkennen also an, dass eine vertextlichte Äußerung eine subjektive Äußerung darstellt, die widerlegt werden kann, und nur insofern wahr ist, dass sie intersubjektiv nachvollziehbar und methodisch gesichert produziert wurde. Was ist das Ergebnis dieser "Herabstufung"? Gibt es denn eine untersubjektive Form von Subjektivität?

Mir ist außerdem noch nicht klar, wie dieser Herabstufungsprozess durch den lesenden Empfänger hergestellt wird; dein "doch auch stets" müsstest du für mich daher noch einmal aufdröseln. So verschleiert es (für mich), was du ganz konkret sagen willst: Wie funktioniert die Herabstufung? Und wodurch?

Und dann habe ich noch eine kleine Verständnisfrage, weil ich mir darunter nichts vorstellen kann: Was genau ist ein "typenfremdes Ich"?

Wenn ich 'gut' arbeite, dann ist meine Arbeit intersubjektiv nachvollziehbar; das schreibende Ich erkennt das lesende, andere Ich an, indem es so argumentiert, dass das Gegenüber folgen kann. Das lesende Ich erkennt das schreibende Ich an, indem es sich auf die Argumentation einlässt. Das wird meiner Meinung nach durch ein auch verwendetes 'Ich' unterstützt und nicht vorgetäuscht.

Plädierst du für eine Wir-Form, die Schreibenden und Lesenden umfasst?

Gruß
Frieda.
Bara
Beiträge: 399
Registriert: 25.08.2012, 20:37
Status: Dr. jur. Bara

Re: Persönliche Meinung in der Diss?

Beitrag von Bara »

Juristen scheinen hier besonders konservativ zu sein... :)
DoneXY

Re: Persönliche Meinung in der Diss?

Beitrag von DoneXY »

Bara hat geschrieben:Juristen scheinen hier besonders konservativ zu sein... :)
Du irrst Dich. Im allgemeinen habe ich den Eindruck, dass Juristen durchaus konservativ sind, aber 'hier' (= Konstruktivismus) sind sie es nicht. Zumindest nicht in dem Bereich, den ich überschaue.

Ein Mindestmaß an konstruktivistischer Reflektion ist bei (auch) sozialwissenschaftlich arbeitenden Juristen (also Wissenschaftler - keine Praktiker) eine Grundvoraussetzung, überhaupt ernst genommen zu werden. Wer den Eindruck erweckt, bspw. Gesetze fielen von den Bäumen und seien kein Menschenwerk, macht sich zum Gespött. Den Labeling Approach haben alle Juristen, die ich kenne und die wissenschaftlich arbeiten, verinnerlicht.

Das Problem vor dem eine konsequent konstruktivistische Perspektive steht, ist, dass nun auch Verbrechen, von denen man annimmt, sie verletzen elementare Menschenrechte aufs Brutalste, nichts als ein Label sind, das ebenso gut nicht vergeben werden könnte. Das nimmt den Juristen - auch, wenn sie von der Bedeutung konstruktivsticher Perspektiven überzeugt sind - schlicht ihre Arbeitsgrundlage.

Ein Problem, dass nich nur die Juristen haben:
musicus hat geschrieben:Eine Wertung ist die Grundlage für Ethik, und die gehört m.E. (Meinung!) zu jeder wissenschaftlichen Tätigkeit unabdingbar dazu.
Es ist unmöglich, sinnvoll von Ethik zu reden und gleichzeitig, jede Rede ausschließlich auf ein Subjekt bezogen zu verstehen. Ethik ist per definitionem ein verallgemeinertes Regelwerk, das eben nicht nur für das gerade 'redende Subjekt' Gültigkeit beansprucht, sondern für die Allgemeinheit. Nur vom 'Ich' zu reden, aber allgemeine Gültigkeit zu beanspruchen, scheint mir eine Mogelpackung zu sein.

Ähnlich ist es in der Wissenschaft: Entweder es werden Aussagen gemacht, die innerhalb eines definierten Rahmens eine allgemeine Plausibilität beanspruchen (= nicht haben!) - und auf ihre Falsifikation warten - oder es sind rein subjektive Aussagen, die wiederum wissenschaftlich nicht interessant ist. Die Aussage, mir fallen die Apfel immer auf den Boden, unterscheidet sich doch deutlich von einem Postulat über die Schwerkraft.

Auch gibt es stark theorielastige Sozialwissenschaften, in denen Aussgen oftmals auf eine lange Theorietradition zurückzugreifen. Hier legt eine Betonung des Autoren-ichs m.E. irreführend nahe, es handele sich um einen deus ex machina.
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