Entscheidungshilfe: Stelle wechseln?

[futureDoc]

Hallo,

ich bin sehr an eurer Meinung zu meinem folgenden Problem interessiert: Ich habe vor wenigen Monaten einen Doktorandenstelle am Lehrstuhl angetreten. Im Prinzip habe ich keinen Grund mich zu beschweren. Die Kollegen sind sehr nett, mit meinem Doktorvater verstehe ich mich gut, er bietet mir auch immer Beratung an. Mit Arbeit werde ich auch nicht überschüttet, es scheint sich wirklich auf die 2 SWS Lehre und ein paar kleine Lehrstuhlverwaltungsaufgaben zu beschränken. Das einzige, was mir Bauchschmerzen bereitet, ist das Thema der Dissertation. Mein DV arbeitet zu 2 verschiedenen Themenschwerpunkten und ich werde innerhalb des einen Schwerpunkts promovieren. Bei der genauen Fragestellung habe ich jedoch freie Wahl. Die inhaltliche Ausrichtung war mir von Anfang an klar und im Vorstellungsgespräch musste ich auch schon Themenvorschläge für die Diss unterbreiten.
Doch nun sitze ich hier und merke, dass ich mich für das ganze Themengebiet nicht richtig begeistern kann. Mein Herzblut schlägt für einen anderen Themenbereich meines Fachs. Nun ist gerade eine Projektstelle an einem anderen Institut der Uni ausgeschrieben, die mich thematisch mehr reizen würde. Ich hatte überlegt, mich auf diese Stelle zu bewerben.
Nur sehe ich hier ernste Schwierigkeiten, die durch die Bewerbung auf mich zukommen könnten. Erstens möchte ich nicht, dass mein Prof etwas von der Bewerbung erfährt, bevor ich nicht die eventuelle Zusage habe. Aber ob der Verantwortliche der neuen Stelle die Bewerbung wirklich vertraulich behandeln wird - zumal sich beide Profs kennen? Zweitens besteht dann natürlich das Problem, meinem jetzigen Prof meine Kündigung nahe zu bringen, was mir aber noch taktvoll gelingen würde, denke ich. Ich habe halt ernste Bedenken, wenn mein jetziger Prof von der Bewerbung erfährt, ich dort nicht angenommen werde und sich durch diese Geschichte unser Verhältnis stark verschlechtert. Denn bis auf diese eine andere Stelle sehe ich momentan nicht viele Alternativen zu wechseln.
Jetzt stehe ich vor der Entscheidung mich zu bewerben oder nicht, obwohl ich bis auf das Thema bei meiner jetzigen WiMi-Stelle eigentlich mehr Vorteile als bei der ausgeschriebenen Projekt-Stelle sehe. Was denkt ihr dazu?

[bbb]

Klingt verzwickt.

Dass Deine (erfolglose) Bewerbung absolut geheim bleiben würde, ist unwahrscheinlich - zumal, wenn sich die Profs kennen.
Und dass das Verhältnis zu Deinem DV nach einem "Fluchtversuch" nachhaltig gestört sein könnte, ist durchaus denkbar wenn nicht sogar wahrscheinlich.

Letztlich musst Du Chance und Risiko gegeneinander abwägen.

Schwarz-weiße Darstellung der möglichen Ausgänge:

Chance a) Traum-Diss am neuen Lehrstuhl
Chance b) Du bleibst bei der alten Diss, aber Dein DV ist nicht "nachtragend"
Risiko a) Traum-Diss am neuen Lehrstuhl ist gar nicht traumhaft
Risiko b) Dein DV ist nachtragend -> entweder mehrere Jahre Hölle bis zum oder gar ein Abbruch und Du musst Dir entweder ganz was anderes suchen oder die Pläne mit der Diss aufgeben.

[bbb]

<Doppelposting, Entschuldigung!>

[algol]

Wenn Dein Prof so nett ist, kannst Du dann nicht offen mit ihm reden?
Letztlich hat er auch nichts davon, wenn Du in eine thematische Sackgasse gerätst.

[futureDoc]

Ich weiß nicht so recht, welchen Nutzen jetzt so ein Vorabgespräch hätte. Selbst im Arbeitsvertrag steht, dass ich die Promotionsarbeit im Themengebiet x anfertige. Hier am Lehrstuhl kann ich also nicht zu jedem beliebigen Thema arbeiten. Zumal das Themengebiet des Professors für die Entwicklung des Hochschulprofils bedeutend zu sein scheint und er jemanden haben möchte, der idealerweise in diesem Bereich noch ein Drittmittelprojekt anwirbt. (Die Idee ist, dass ich mir zusätzlich zu der halben Institutsstelle eine weitere halbe Stelle über einen Forschungsantrag organisiere -> finanziell ist das Jobangebot hier also sehr vorteilhaft).
Wenn ich mit ihm rede, dass ich mit dem Thema einfach nicht warm werde, muss darauf dann auch eine Handlung in Form eines Stellenwechsels erfolgen. Ich kann mir schwer vorstellen, ihm meine Abneigung mitzuteilen, aber dann hier doch zu bleiben, ohne dass sich dieses Gespräch auf die spätere Zusammenarbeit auswirkt. Daher fand ich es bisher sinnvoller, erst ein Alternativangebot zu finden, bevor ich ihm die Situation schildere.

[Mathilda]

Hallo futuredoc,

sobald Du die Bewerbung an den anderen LS schickst, wird der zuständige WMA oder auch der Prof selbst mit 99,999% Wahrscheinlichkeit mal eben kurz nachfragen, was denn da bei Euch schief läuft, Dein DV weiß von nix, fühlt sich hintergangen, und schon hast Du ein Problem. Zwei Dinge halte ich für praktikabel, wenn Du wirklich dringend das Gebiet wechseln möchtest:
1) sprich mit Deinem DV, schildere ihm das Problem. Vielleicht unterstützt er Dich sogar beim Wechsel oder hat eine Idee, wie Du die Themen verbinden kannst. Zumindest gibt es kein böses Blut, weil er sich hintergangen fühlt.
2) Bewirb Dich an eine ganz andere Uni, sage das aber auch vorher Deinem DV, um Hindernisse von vornherein auszuräumen. Viele Profs kennen sich untereinander, es kommt nicht gut, etwas hinter dem Rücken Deines DVs zu machen.

Zusammengefasst: Während Du bei einem LS angestellt bist, eine Bewerbung an einen anderen zu schicken, OHNE vorher mit Deinem DV Rücksprache zu halten, halte ich für eine ausgesprochen schlechte Idee.

Ich vermute, Du möchtest Dir ein Hintertürchen offen halten, da Du ja eine Promotionsmöglichkeit hast. Kann ich verstehen, ich denke aber, das ist kontraproduktiv. Entscheide Dich und handle konsequent, wäre mein Tipp. Kann nach hinten losgehen, schon klar. Die Wahrscheinlichkeit halte ich persönlich bei offenen Karten aber für geringer.

Alles Gute
Mathilda

[Wissbegierige]

Hallo auch von mir,
ich würde, wenn du dich woanders bewirbst auch empfehlen, vorher mit deinen Chef zu reden.
Aber: ich würde an deiner Stelle sehr genau prüfen, ob das andere Thema wirklich dein 'Traumthema' ist und das momentane nur lästig.
Kleiner Exkurs zu meinen Erfahrungen mit dem Dissthema: Ich bin auch zu meinem Thema wie die Jungfrau zum Kinde gekommen. Ich hätte mir das auch nicht unbedingt ausgewählt, es ist jetzt aber ok. Oft stellen sich Themen bei näherer Betrachtung als viel toller oder viel uninteressanter heraus, als man das vorab dachte.
Ich will damit nicht dafür plädieren, dass du etwas machst, woran du überhaupt kein Interesse hast. Aber manchmal scheint das Gras im Garten des Nachbarn grüner zu sein...
Von Belang ist ja auch, inwiefern dich dein Dissthema im Blick auf deine Zukunft festlegt. Bei mir ist das eher nicht der Fall, deshalb kann ich auch mit einem Thema promovieren, an dem nicht so viel Herzblut hängt. Nur mal so als andere Überlegung.

[mastermind]

Ich hatte bereits zweimal vergleichbare Situationen und für mich hat sich folgende Lösung am Besten erwiesen:
- zwei, drei Nächte drüber schlafen
- mal ganz informell den anderen LST abklopfen (Mitarbeiter, ggf. auch Chef), und auf den Zahn fühlen: Gerade an der Uni gibt es oft eine Diskrepanz zwischen Ausschreibung und Realität. Und es kann auch sein, dass die Stelle unter der Hand schon vergeben ist oder jemand extrem spezielles gesucht wird
- danach zügiges, offenes Gespräch mit meinem Chef

Okay, letzteres würde ich nicht mit jedem machen, das musst du letztlich selbst einschätzen. Ich bin dann zweimal nach einem sehr gutem Gespräch doch geblieben - und hatte bis jetzt keinerlei Nachteile.

[futureDoc]

Erstmal vielen lieben Dank für eure ausführlichen Kommentare!

Ich sehe es leider auch so, dass eine Fremdbewerbung vor dem Doktorvater höchstwahrscheinlich nicht geheim bleiben würde. Wobei man dem neuen Arbeitgeber ja gleich erklären kann, weshalb man die Stelle wechseln möchte.
Bei dem Vorabgespräch sehe ich jedoch das Problem, dass der jetzige DV solche Auswärtsbewerbungen boykottieren und mich gegenüber den anderen schlecht machen könnte, um mich an seinem Lehrstuhl zu halten. Denn wer keine andere Stelle bekommt, kann auch nicht wechseln. Wobei ich ihn eigentlich nicht so einschätze.
Zum Thema der Diss: Ich bin mir sehr sicher, dass mir die andere Stelle thematisch deutlich besser gefallen würde. Ich hatte mich schon im Studium auf diesen Themenbereich spezialisiert und zu verwandten Themen Seminararbeiten und meine Abschlussarbeit geschrieben. Beruflich mag das Promotionsthema bei mir auch zweitrangig sein, weil ich nicht in der Wissenschaft bleiben möchte. Aber ich habe schon relativ konkrete Vorstellungen über meine spätere berufliche Richtung und da ist mein jetziges Thema weder besonders förderlich noch hinderlich.
@ mastermind: Habe ich es richtig verstanden, dass du auch ursprünglich wechseln wolltest, das deinem DV mitgeteilt hast, dann doch geblieben bist und keine Probleme aus deiner "Fluchtneigung" entstanden sind? Da scheint dein DV aber wirklich einen guten Charakter zu haben.

[mastermind]

Es ist noch besser: Mir wurde zweimal in einem ausführlichen Gesapräch erläutert, warum es perspektivisch die bessere Lösung wäre zu bleiben. Und das hat sich zweimal als vollkommen richtig erwiesen. Mein DV ist in dieser Richtung absolut vorbildlich - leider aber nicht in allen Bereichen.