sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verboten?!

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bbb

sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verboten?!

Beitrag von bbb »

Gerade habe ich in der ZEIT einen Artikel gelesen über einen neuen mutmaßlichen Plagiatsfall eines Politikers, der selbst Bildungsminister ist [dieser Satz ist eine wörtliche Kopie aus: viewtopic.php?f=31&t=2898&p=77449#p77449]:

http://www.zeit.de/2011/28/Althusmann-D ... ettansicht

Hier wird die von Althusmann angeblich häufig verwendete Form des "verschleiernden" Zitats ausführlich diskutiert, die schwer nachzuweisen ist, da die Inhalte der Quelle(n) umformuliert werden.

Ich frage mich mittlerweile:
gibt es in den verschiedenen Fachgebieten unterschiedliche strenge Vorgaben für das Zitieren?
Aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften ist mir aus Lehrbüchern etc. fast nur diese Zitierweise bekannt und sie wird sehr häufig angewandt.
Ich nehmen an, weil es hier weniger auf die wörtliche Formulierung ankommt als auf den Inhalt.

Dementsprechend enthalten auch alle Doktorarbeiten aus diesem Fachgebiet, die mir bekannt sind, solche "verschleiernden" Zitate.
Sind das nun alles "Plagiate"?
Oder muss hier unterschieden werden zwischen den Geisteswissenschaften, in denen es extrem auf die Formulierung ankommt und den Naturwissenschaften, wo Zahlen und Inhalte der Kern der wissenschaftlichen Leistung sind?

Natürlich ist (bzw. scheint mir) eigentlich nur eine Zitierweise mit Anführungszeichen dazu geeignet, um wirklich eindeutig klarzumachen, was von der Quelle übernommen ist und was nicht.
Dieses "sinngemäßge Zitieren" durch Umstellen und Umformulieren (was meiner Meinung nach nicht zwangsläufig in böser Absicht geschieht, sondern eher mangels besseren Wissens bzw. weil es in dem Fachgebiet so üblich zu sein scheint) - ist das verboten?


Vielleicht belehrt Ihr mich ja eines besseren und könnt auf Veröffentlichungen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften verweisen, die ausschließlich oder vorwiegend "transparente" wörtliche Zitate enthalten?!

Gruß

BBB
Laplace

Re: sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verbote

Beitrag von Laplace »

Bei Ingenieuren, Informatikern, Physikern und dergleichen ist es ja sogar noch "schlimmer". Besonders in Grundlagenkapiteln wird in der Einleitung ja gerne geschrieben "Es folgt eine Übersicht über die wesentlichen Grundlagen. Details finden sich in [1] [2] [3] oder auch [4]." (wobei hier [1]-[4] meistens Lehrbücher sind).
Dann folgen gerne mal mehrseitige Abschnitte, in denen wenig bis gar nicht genauer zitiert wird. Damit ist jedem (Fachmann) klar, dass der Autor nicht Urheber der folgenden.

Normlerweise wird ja auch viel "gröber" zitiert: Papers immer als ganzes, Lehrbücher höchstens Kapitelweise. Seiten- oder gar Zeilenangaben sind doch total unüblich. Im Einzelfall wird höchstens auf eine bestimmte Abbildung oder eine bestimmte Gleichung verwiesen, wenn es besonders zentrale Punkte sind.

Aber in diesen Themengebieten geht es ja fast immer um theoretische und/oder exprimentelle Ergebnisse. Die textuelle Ausarbeitung ist auch eine Leistung an sich, aber nur ein kleiner Teil der Gesamtleistung. Solche Ergebnisse als eigene auszugeben, wenn sie es nicht sind, oder (noch schlimmer!) einfach Ergebnisse mit Fantasie zu ergänzen oder zu erfinden sind die wesentlichen Verfehlungen, die man in diesem Fachgebiet machen kann.
bbb

Re: sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verbote

Beitrag von bbb »

@Laplace: das bestätigt meine Erfahrung.

Aber unabhängig davon, dass das offenbar üblich ist, ist es denn auch in Ordnung?
Ich habe es bisher genauso gemacht, weil ich es eben genau so kenne und mache mir mittlerweile Sorgen, dass sich die Maßstäbe in Zukunft verschieben könnten und ich dann mit einem Plagiatsvorwurf konfrontiert bin.

Im Prinzip wäre es ja einfach:
wenn das so "wissenschaftlich" nicht in Ordnung ist, müsste man einfach allen Dr.-Ing.'s und Dr. rer. nat.'s die Titel wieder aberkennen und die Fachzeitschriften der letzten 100 Jahre öffentlich verbrennen und schon wäre das Problem fast gelöst. :roll:
:stressed:
musicus

Re: sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verbote

Beitrag von musicus »

Die Maßstäbe müssen sich verändern, damit Anspruch und Wirklichkeit wieder besser in Einklang zu bringen sind. Mal ein paar allgemeine Überlegungen:

Ich denke, man muß sich den Zweck von Quellennachweisen vor Augen halten. Es soll am Ende klar werden, welche Inhalte (auch in den sog. Geisteswiss. kommt es auf die Inhalte an, während Zahlen wiederum nur eine spezielle Form und ein Ausdruck des geistigen Denkens sind) von dir stammen und welche von anderen übernommen wurden. Denn nur so kann man mit der Arbeit zeigen, daß man eigenständig neue Erkenntnisse gewinnen kann (oder gewonnen hat). Soweit die Theorie.

In der Praxis ist natürlich fast 100% unseres "Wissens" von anderen, der Rest durch "Erfahrung" erworben. Jetzt weiß man natürlich meistens nicht mehr, von wem man genau welches Wissen hat (das ist dann meist das sog. "Allgemeinwissen"). In diesem Fall braucht (kann) man die Quelle nicht angeben. In den anderen Fällen stützt man sich in seiner Argumentation auf andere, übernimmt deren Erkenntnisse, das muß man deutlich machen. Alles, was nicht belegt ist, ist folglich Allgemeinwissen oder eben die "selbständige Erkenntnis", auf die es ankommt.

Wie unterscheidet man nun beides? Es kommt ja erschwerend hinzu, daß es verpönt ist, vom Subjekt (also mir) zu sprechen. Eine (absichtlich-unabsichtliche) sprachliche Verschleierungstaktik: "geht man davon aus…" (= ich gehe davon aus), "kann angenommen werden…" (ich nehme an, daß). Die Wissenschaftssprache macht es also gerade besonders schwer, den eigenen Anteil von fremdem Anteil zu trennen.

Lösung? Wieder eine klare Sprache verwenden ("ich"), deutlich herausstellen, was eine Idee von mir ist und wo ich auf das "Wissen" von anderen zurückgreife.

Das alles gilt natürlich für den absichtlichen Täuscher nicht. Der wird einen möglichst langen Text zusammenbekommen wollen und es so aussehen lassen, als sei es von ihm (Bauernopfer, Verschleierung). Ich denke, daß ein einzelner Gutachter es immer schwer haben wird, diese Passagen als Plagiat zu identifizieren (Lösung: scientific crowd sourcing).
Zuleika

Re: sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verbote

Beitrag von Zuleika »

Laplace hat geschrieben:Bei Ingenieuren, Informatikern, Physikern und dergleichen ist es ja sogar noch "schlimmer". Besonders in Grundlagenkapiteln wird in der Einleitung ja gerne geschrieben "Es folgt eine Übersicht über die wesentlichen Grundlagen. Details finden sich in [1] [2] [3] oder auch [4]." (wobei hier [1]-[4] meistens Lehrbücher sind).
Dann folgen gerne mal mehrseitige Abschnitte, in denen wenig bis gar nicht genauer zitiert wird. Damit ist jedem (Fachmann) klar, dass der Autor nicht Urheber der folgenden.
Das wäre kein Fall von verschleierndem Zitat, eben weil allen klar ist, dass die gesamten Ausführungen entnommen sind. Beispiel für ein verschleierndes Zitat ist, wenn ich in einem Paper eine Hypothese finde und eine Begründung dafür und Konsequenzen, die sich daraus ergeben, auch aufgeführt werden, und dann die Hypothese korrekt zitiere, und die Begründung und Konsequenzen paraphrasiere, aber nicht mehr angebe, dass ich die auch übernommen habe. Bei Lehrbüchern werden dann die Regeln natürlich noch einmal anders sein als in einer wissenschaftlichen Arbeit. Grundsätzlich ist es ein wissenschaftliches Fehlverhalten, wenn der Eindruck erweckt wird, dass es sich um Eigenleistungen handelt. Ich denke, dass das in den Naturwissenschaften ähnlich ist. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass es für Biologen in Ordnung ist, die ganze Interpretation eines Mikroskopbildes abzuschreiben, aber nur das Bild als Übernahme zu kennzeichnen.
Zuletzt geändert von Zuleika am 06.07.2011, 14:27, insgesamt 1-mal geändert.
bbb

Re: sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verbote

Beitrag von bbb »

@musicus: "auch in den sog. Geisteswissenschaften kommt es auf die Inhalte an"

Natürlich, das wollte ich nicht in Abrede stellen - aber die Inhalte sind - denke ich - dort viel stärker mit der Wortwahl und Formulierung der Sachverhalte verknüpft als es in den Natur- und Ingenieurwissenschaften der Fall ist.

@Zuleika:
Ich sehe es auch so, dass diese von Laplace dargestellte Zitierform weniger verschleiernd ist in dem Sinne, dass der Autor versucht, eine Eigenleistung vorzutäuschen (zumal dies ja meist in einem Kapitel "Stand der Forschung" oder "Grundlagen" geschieht, wo meiner Meinung nach der Leser ohnehin davon ausgehen sollte (muss?), dass es sich nicht um zitierte Inhalte handelt.

Problematisch ist aber (und das erkenne ich auch in meiner Arbeit - zumindest den Teilen der Literaturrecherche, die ich vor längerer Zeit formuliert habe, dass es oft nicht 100% klar ist, welche Aussage aus welcher Quelle stammt, da wie in Laplace's Beispiel mehrere Quellen genannt sind mit "vgl. [5-8]" oder so.
Bei Büchern zitiere ich grundsätzlich mit Seitenzahlangaben (was aber auch viele nicht tun), aber trotzdem muss dann der Leser ggf. in der Quelle nachsehen, was dort "wirklich" steht...

Die Frage ist (nach wie vor):
ist dieses sagen wir "unscharfe" Zitieren in Ordnung (natürlich im Gegensatz zum "verschleiernden", wie es Zuleika dargestellt hat) oder eigentlich auch nicht?

Gruß

BBB
Zuleika

Re: sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verbote

Beitrag von Zuleika »

@bbb

Also Massenverweise finde ich in Ordnung. Da schreibt man aber nicht nur "Vgl. [1]-[5]", sondern "Erste Vorschläge zu dieser Theorie finden sich bei [3] Einen Überblick liefert [1]. Der neueste Forschungsstand ist in [2] zu finden" oder so. Wenn es um eine konkrete Aussage geht, dann sollte schon eine genauere Aussage zu der Herkunft getroffen werden. Von Zitieren ohne Seitenzahlen habe ich noch nie gehört und finde es sehr schlampig, wenn das irgendwo gemacht wird. Bei Verweisen kann man das ja machen, wenn man sich auf das ganze Buch bezieht. Ich würde sagen, solange ich es ohne weiteres nachprüfen kann, was woher kommt ist es in Ordnung. Also man muss sich irgendwie vorstellen, ob ein extrem kritischer Leser, der alles nachprüfen will, dies schnell und einfach könnte.
algol
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Re: sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verbote

Beitrag von algol »

@zuleika: Also zitieren ohne Seitenzahlen (meist in der "Vgl"-Form) gibt es leider massig. Da kann man dann suchen, wo der Gedanke wohl war oder nicht. Auf ein ganzes Buch oder einen kompletten ARtikel verweise ich nur so pauschal, wenn es auch pauschal gemeint ist.
z.B. Zum Aspekt XY liegen verschiedene Untersuchungen vor. (vgl. Meyer 2000; vgl. Müller 2001)
Aber leider, leider machen das nicht alle.

Nett ist auch immer: ...blablaabl "große Aufregung" (vgl. Müller 2005) blablabla ...
Da kann man dann lange suchen, v.a. wenn Müller nicht digital vorliegt.
Zuleika

Re: sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verbote

Beitrag von Zuleika »

"Also zitieren ohne Seitenzahlen (meist in der "Vgl"-Form) gibt es leider massig". In Vgl.-Vergleichen mag das mitunter gemacht werden, obwohl es auch dann ziemlich schlampig ist. Bei einem Zitat (WÖRTLICHE Übernahme) ist es klar falsch!
"...blablaabl "große Aufregung" (vgl. Müller 2005) blablabla ... " - man schreibt nicht "vgl." wenn man (wörtlich) zitiert! und bei der wörtlichen Übernahme MUSS eine Seitenzahl dastehen. Würde ich von einem Studenten niemals in der Form annehmen... Nun gut, vielleicht sind die Geisteswissenschaften wirklich strenger.
musicus

Re: sinngemäße, "verschleiernde" Zitate - üblich und verbote

Beitrag von musicus »

algol hat geschrieben:z.B. Zum Aspekt XY liegen verschiedene Untersuchungen vor. (vgl. Meyer 2000; vgl. Müller 2001)
Finde ich nicht ganz so eindeutig formuliert, denn Meyer und Müller könnten auch die beiden (verschiedenen) Untersuchungen sein, oder? :P Wobei dann wahrscheinlich kein vgl. stünde. Alternative Deutung: In Meyer und Müller steht drin, daß es zum Aspekt XY verschiedene Untersuchungen gibt (im Idealfall sind sie auch alle genannt). Aber dann fehlt bei beiden die Seitenangabe, wo das steht. Vielleicht habt ihr noch andere konkrete Beispiele, dann wird es viell. klarer.
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