Mit Doktorvater über Depression reden?

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Schnabeltasse

Mit Doktorvater über Depression reden?

Beitrag von Schnabeltasse »

Hallo zusammen,

ich promoviere seit gut drei Jahren extern und stipendienfinanziert in den Geisteswissenschaften. Ich leide bereits seit vielen Jahren an depressiven Episoden, habe eine Therapie hinter mir und bin mittlerweile recht stabil, kann meinen Alltag im Allgemeinen gut bewältigen und nehme keine Medikamente.

Meine Dissertation stellt mich allerdings immer wieder vor immense Probleme, ich komme viel langsamer voran als geplant, kann manchmal wochenlang nicht daran arbeiten und bin völlig blockiert. Ich habe schon mehrfach sehr ernsthaft über den Abbruch der Arbeit nachgedacht. Mein Studium habe ich zuvor -- von Außen betrachtet -- mühelos mit Bestnote abgeschlossen, in den Augen von Verwandten, Kommilitonen und meinem jetzigen DV war ich immer das "Golden Girl", das alle Aufgaben scheinbar problemlos bewältigt, ruhig, ausgeglichen, engagiert. Meinem DV habe ich bisher nie von meinen Schwierigkeiten erzählt, obwohl er eigentlich ein sehr freundlicher und aufgeschlossener Mensch ist.

Mittlerweile scheint ihm aber trotz meines beharrlichen Schweigens klarzuwerden, dass meine Diss nicht so reibungslos wie erhofft verläuft und er hat mehrfach nachgefragt, ob es Probleme gibt, er irgendwie helfen kann etc. Mich belastet die Situation sehr, ich würde ihn einerseits gerne ins Vertrauen ziehen, habe andererseits aber die Sorge, mich damit verletzlich und angreifbar zu machen. Habt ihr einen Rat für mich? Würdet ihr mit eurem DV über psychische Probleme sprechen?

Vielen Dank und liebe Grüße,
Schnabeltasse
Zwonk
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Re: Mit Doktorvater über Depression reden?

Beitrag von Zwonk »

Hallo Schnabeltasse,

eine allgemeingültige Antwort kann man da nicht geben, da es ja auch maßgeblich vom DV abhängt und den mußt Du selbst einschätzen. Ich persönlich hätte mit meinem DV darüber reden können. Und ich glaube, daß es durchaus vorteilhaft sein kann, wenn man da mit offenen Karten spielt. Erstens fällt dann ein Stück des psychischen Drucks wegen des "Doppellebens" weg und zweitens gibst Du dem DV ja überhaupt erst die Möglichkeit, Leistungsschwankungen von Dir richtig einzuordnen - was eindeutig in Deinem Interesse sein sollte.

Und ich hoffe, Du nimmst mir die Bemerkung nicht übel, weil sie mir eigentlich nicht zusteht: Aber, solltest Du es noch nicht getan haben, würde ich mich in jedem Fall (auch nach der Therapie) mit dem Hochschulpsychologen oder sonst einem Fachmann beraten, wie Du die Promotionszeit am besten durchstehst. Denn die ist ja schon unter gewöhnlichen Bedingungen oft belastend und diese Belastungen werden während der depressiven Episoden wohl nicht besser werden, im Gegenteil.

Wünsche Dir aber natürlich in jedem Fall viel Erfolg :blume:
12. Dec 2016;01. Feb 2017;f;zum neuen Job!
Giraffe
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Re: Mit Doktorvater über Depression reden?

Beitrag von Giraffe »

Hallo Schnabeltasse,
Meine Dissertation stellt mich allerdings immer wieder vor immense Probleme, ich komme viel langsamer voran als geplant, kann manchmal wochenlang nicht daran arbeiten und bin völlig blockiert. Ich habe schon mehrfach sehr ernsthaft über den Abbruch der Arbeit nachgedacht. Mein Studium habe ich zuvor -- von Außen betrachtet -- mühelos mit Bestnote abgeschlossen, in den Augen von Verwandten, Kommilitonen und meinem jetzigen DV war ich immer das "Golden Girl", das alle Aufgaben scheinbar problemlos bewältigt, ruhig, ausgeglichen, engagiert.
es liegt mir fern psychische Erkrankungen runter zu spielen, aber diese Aussage habe ich schon von vielen Mitdoktoranden gehört und auch ich kann mich da nicht herausnehmen. Dafür braucht man in der Vorgeschichte keine depressiven Episoden gehabt zu haben, die Diss kann einem, gerade bei pefektionistischer Veranlagung, schonmal an die Nerven gehen.
Von daher kann ich mir kaum vorstellen, dass ein DV, der nicht völlig weltfern ist, ernsthaft glaubt, dass eine Diss dem Doktoranden nicht auch mal Mühe machen kann. Warum also nicht einräumen im Gespräch, dass auch du nicht immer so gut vorankommst und dabei auch manchmal an deine Grenzen stößt. Ob deine Krankheitsgeschichte da wirklich eine Rolle spielt, ist eine andere Frage, aber ich sehe keinen Grund das mit dem DV zu diskutieren. Wenn es dir aber hilft, warum nicht. :blume:
itsme

Re: Mit Doktorvater über Depression reden?

Beitrag von itsme »

Schnabeltasse hat geschrieben:Würdet ihr mit eurem DV über psychische Probleme sprechen?
Mit meinem: Nein, auf gar keinen Fall, unter gar keinen Umständen, niemalsnicht!
Mit einem "normalen" Menschen, d.h. mit einem Menschen mit den üblichen eigenen Unsicherheiten und ggf. auch "normalen" narzisstischen und antisozialen Persönlichkeitseigenschaften: Ja, würde ich.

Wie Zwonk schon sagt: Es hängt stark von deiner Einschätzung zu deinem DV ab. Ein gutes Zeichen ist m.E., dass er fragt und Hilfe anbietet. Das drückt in einem gewissen Ausmaß die Fähigkeit zu emotionaler und kognitiver Empathie aus. Und eine Auskunft darüber, dass du unter einer psychischen Krankheit leidest, bedeutet ja nicht zwingend, dass du vollkommen die Verantwortung abgibst. Du kannst zugeben, dass du mit Depressionen zu kämpfen hast und gleichzeitig benennen, was du selbst tust, um die Krankheit zu bekämpfen (z.B. psychotherapeutische Unterstützung) und wie man dich unterstützen kann (z.B. eine etwas engmaschigere Betreuung, häufigerer Austausch über die Arbeit, ...). Meiner Erfahrung nach sind Kollegen und Angehörige eigentlich immer ganz froh, wenn man ihnen die Möglichkeit etwas zu tun, besonders wenn man dann darauf achtet, das Entgegenkommen nicht zu mißbrauchen und die Depression einzusetzen, um sich unangenehmen Tätigkeiten oder "normal" belastenden Erfahrungen zu entziehen (denn wie Giraffe schon geschrieben hat: die Diss ist eine solche Ausnahmeerfahrung, dass sie auch Menschen ohne Disposition zu psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen an ihre Grenzen bringt).

Aber alles das was ich hier schreibe, setzt voraus, dass du deinem DV vertraust und ihn als "normal" empathisch begabt einschätzt. Wenn du Anhaltspunkte dazu hast, dass er selbst sehr unreif oder ich-bezogen ist, dann: RENN! In meinem ersten Semester an der Uni hat ein Kollege eine Psychose bekommen. Das war eigentlich für das ganze Team sehr traumatisch und natürlich eine Katastrophe für den Betroffenen - allerdings nicht, wenn man meinen DV fragt. In seiner Welt ist er derjenige, der irgendwie ständig von schlechten, unmotivierten oder psychisch kranken Doktoranden geschlagen wird - und aus dieser verqueren Überzeugung, dass wir eigentlich alle immer nur krank geworden sind, um ihn zu ärgern, folgt auch, dass er nicht menschlich mit den Betroffenen umgehen kann. Als ich mich wegen einer depressiven Episode von den sozialen Teamaktivitäten zurückgezogen habe und versucht habe, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, hat mir das Schnuckelchen erklärt, dass er doch merken würde, dass er dabei "langsam aggressiv" werden würde und weniger geneigt ist, mich weiter zu beschäftigen. Ein Sonnenschein vor dem Herrn. Aber eben auch ein ziemlicher Ausnahmefall, der nicht zwingend aussagekräftig für die Gesamtheit der Hochschullehrer ist. Alles Gute! :blume:
Matilda

Re: Mit Doktorvater über Depression reden?

Beitrag von Matilda »

Hallo Schnabeltasse,

das Wichtigste wurde ja eigentlich schon gesagt, aber ich möchte Dir trotzdem zuraten, auf deinen Prof zuzugehen. Wenn er bereits gemerkt hat, dass etwas nicht stimmt, dann ist Schweigen meines Erachtens die schlechteste Option. Ich hatte auch mal eine Phase, wo ich sehr an meiner Entscheidung, eine Diss zu schreiben, gezweifelt habe. Ich habe das mit meinem Prof offen besprochen und das fand er sehr positiv, weil er meine Zweifel schon lange bemerkt hatte und nur noch auf mein "Auftauen" gewartet hat. Mein Bruder schreibt auch grade an seiner Diss und bekam vor einem Jahr eine Psychose ( hatte nichts mit der Diss zu tun). Sein Prof unterstützt ihn immer noch und hat ihn nicht aufgegeben obwohl er nach wie vor nicht an der Diss arbeiten kann. Allerdings hat mein Bruder sehr offen mit dem DV gesprochen. Profs sind ja in der Regel auch normale Menschen :twisted: und wollen einfach wissen was Sache ist.
epikur
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Status: Dr. phil.

Re: Mit Doktorvater über Depression reden?

Beitrag von epikur »

Hallo Schnabeltasse!

Da Du offenbar ein gutes Verhältnis zu Deinem DV zu haben scheinst und ihn als freundlich, hilfsbereit und verständnisvoll beschreibst, kann auch ich Dir nur raten, ihn über Deine Probleme zu informieren! Er hat ohnehin gemerkt, dass etwas nicht stimmt, bzw. dass Du mit Deiner Diss nicht in zu erwartender Weise voran kommt. Nur, wenn Du ihm "reinen Wein einschenkst", kann er die Situation richtig einschätzen und Dich entsprechend unterstützen! So, wie Du ihn beschreibst, brauchst Du auf keinen Fall zu befürchten, dass er diese Information gegen Dich verwendet. Allenfalls könnte es sinnvoll sein, ihn um Vertraulichkeit zu bitten, damit das nicht im Institut die Runde macht.
Andererseits frage ich mich, warum Du Dich mit Deiner depressiven Erkrankung verstecken musst :?:
Die ist weder eine Katastrophe, noch eine Schande!!!
Ein Herzpatient macht aus seiner Erkrankung i.d.R. auch kein Staatsgeheimnis. Dabei hätte er, falls er seine Herzerkrankung durch Kettenrauchen verursacht hat, vielleicht sogar noch eher einen Grund, sich dafür zu schämen, als ein psychisch Kranker... :wink:
Ich habe die Beobachtung gemacht, dass diejenigen, die mit ihrer psychischen Erkrankung Angehörigen, Freunden, Vorgesetzten und Arbeitskollegen gegenüber offen umgehen, damit in aller Regel besser fahren, als, die, die sich damit verstecken!

Dass Du oft wochenlang nicht an Deiner Diss arbeiten kannst und Dich dabei "völlig blockiert" fühlst, erachte ich allerdings als bedenklich. Das zeigt m.E., dass Du Deine Depression noch nicht richtig überwunden hast, diese noch nicht "austherapiert" ist. Bist Du noch in psychotherapeutischer Behandlung? Du solltest wenigstens noch sporadisch Sitzungen in Anspruch nehmen, zumindest, um Deine Arbeitsprobleme zu bearbeiten und einen Rückfall zu verhindern!
Eine Promotion birgt sicher zeitweise besondere Belastungen. Andererseits kann sie auch, richtig dosiert, eine positive, antidepressive Wirkung entfalten! Auch und gerade zur Überwindung einer Depression ist es wichtig, im Rahmen des Möglichen, einer sinnvollen und kreativen Aufgabe nachzugehen, durch die man beschäftigt und abgelenkt ist, aus negativen Grübeleien herausgerissen wird und Bestätigung erfährt :wink:

Alles Gute wünscht

epikur
Schnabeltasse

Re: Mit Doktorvater über Depression reden?

Beitrag von Schnabeltasse »

Hallo zusammen,

erst einmal vielen Dank für eure hilfreichen Antworten.

@Zwonk: Du hast Recht, das "Doppelleben" selbst verursacht auch Druck und es würde mir sicher guttun, etwas offener mit meinen Problemen umzugehen. Leider sind psychische Erkrankungen (und auch einige körperliche) in unserer Gesellschaft häufig immer noch schambesetzt. Und obwohl ich eigentlich weiß, dass ich nicht selber Schuld bin, bleibt ein unangenehmes Gefühl bei der Vorstellung, mich zu "offenbaren".

@Epikur: Über eine erneute Therapie habe ich auch nachgedacht, aber den Gedanken erst einmal wieder weggeschoben. Eine Therapie wühlt auch vieles wieder auf und führt unter Umständen kurzfristig dazu, dass man noch schlechter als üblich funktioniert. Sporadische Sitzungen, die eher den Charakter eines Coachings haben, könnten aber sicher hilfreich sein.

Ich nehme mir noch ein paar Tage Zeit, um mir eure Anregungen noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und zu überlegen, wie ich mein Anliegen an den DV formulieren soll.

Schnabeltasse
Traudel
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Re: Mit Doktorvater über Depression reden?

Beitrag von Traudel »

Hallo Schnabeltasse,

na? Sind Deine Überlegungen gereift? Auch ich möchte Dich ermutigen, Dich vor Deinem DV zu "outen" - sofern Du ihm tatsächlich vertraust. Wie meine Vorredner schon schrieben: Dir wird sicher eine Last von den Schultern genommen, und Dein DV wird Dich und Dein Verhalten besser einordnen können.
Ich glaube, ich habe in den vielen, vielen Jahren der Promotion etliche Male vor meiner DM geheult (u.a. auch durch depressive Episoden ausgelöst), und sie hat meist sehr mitfühlend reagiert.

Vielleich magst Du uns berichten, wie Du Dich entschieden hast?
Liebe Grüße und alles Gute :blume:
Traudel
Kelvin

Re: Mit Doktorvater über Depression reden?

Beitrag von Kelvin »

Was ein Zufall. Ich war heute bei meinem (zukünftigen) Doktorvater und habe den "Start" der Diss mit ihm klar gemacht. Er war auch schon Betreuer meiner MA und ich habe ein sehr persönliches Verhältnis zu ihm (Er "besteht" darauf von mir mit seinem Vornamen angeredet zu werden :P ). Ich habe ihm vorhin auch erst mal meine persönliche (psychische) Verfassung geschildert. Neben einer jahrelangen merkwürdigen Depression schleppe ich noch seit Kurzem offiziell ADS und Hochbegabung mit mir rum. Genie und Wahnsinn liegen nah bei mir beieinander, aber das merkt man mir auch nicht an. Meine Arbeitsweise ist chaotisch und manchmal geht gar nichts und dann kommt aber wieder meine leichte Wahnsinnsphase die durchaus produktiv und erkenntnissreich ist. "Exploratory
Research" wäre wohl meine primäre Methode, die dann aber auch zahlreiche andere Betrachtungsweisen mit einbezieht.
Nun ja, man kann sich in etwa vorstellen, dass es bei mir auch ziemlich wild zugeht....
Jedenfalls war es mir wichtig das direkt anzusprechen. Wie erwartet hat er es in keinster Weise negativ aufgenommen, sondern meinte dass viele geniale Sachen durch ungewöhnliches Denken und etwas Wahnsinn entstehen. :mrgreen:

Nun ja, tendenziell bin ich schon der Meinung, dass man sich mit Depression oder was auch immer durchaus "outen" sollte. Nicht bei allen, aber bei Menschen wie einem Doktorvater, der (zumindest für mich) ein wichtiger Bestandteil der Diss ist. Ich habe größten Respekt vor Leuten die sich nicht verstecken. Die Allgemeinheit hat ein völlig falsches Bild von Depression, da finde ich es gut wenn man da offensiv ran geht.
Meine Meinung ;)
Gesperrt
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