Motivation am Boden ... Abbruch?

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Motivation am Boden ... Abbruch?

Beitrag von Netzwerker »

Hallo liebe Leidensgenossinnen und Leidensgenossen,

wahrscheinlich lest ihr Posts wie diese drei mal am Tag, daher schonmal im vorraus Danke, wenn ihr euch damit beschäftigt. Wie der Betreff schon andeutet, bin ich derzeit in einer Sinnkrise. Zu meinem Hintergrund: Ich promoviere seit 2 Jahren im Bereich Netzwerke an der Schnittstelle von Mathematik, Informatik und Elektrotechnik. Mein anfänglichen Beweggründe, die Stelle anzutreten, waren die Folgenden.

1) Ich habe vorher einen sehr guten Abschluss gemacht und zuvor ein spannendes Diplomarbeitsthema in einem anderen Bereich bearbeitet. Die DA hat mir bis auf eine Krise wegen meiner eigenen Ansprüche kurz vor der Abgabe Spaß gemacht und ich wusste, dass ich wissenschaftlich arbeiten wollte. Für mich heißt das vor Allem: neue Techniken und Methoden auszuprobieren. Als Informatiker wollte ich vor allem selbst auch die Hände auf dem Code haben.

2) Die Stelle kam mir auf Grund ihrer Rahmenbedingungen entgegen ... . Ich pendle zwar eine gute Stunde, was zugegeben auch belastend aber erträglich ist, aber ich konnte mit meiner Freundin, jetzigen Frau, zusammen wohnen bleiben. Mein Privatleben ist mir wichtig und ich möchte auch Kinderwünsche nicht hintenanstellen (werde demnächst Vater). Dazu bietet die Stelle, wie ich damals fand, gute Rahmenbedingungen (100%-ige Bezahlung, 80% Forschung in der Stellenbeschreibung). Privat war und bin ich im Übrigen sehr glücklich.

Von Zeit zu Zeit versuche ich, stehen zu bleiben und zu überprüfen, ob meine Prioritäten noch richtig gesetzt sind. Dabei hat sich meine anfängliche rosige Sicht auf die Wissenschaft doch sehr entzaubert. Es kommen mehrere Faktoren zusammen:

1) Mein Forschungsthema ist in der Community auf dem absteigenden Ast und mein Professor, der mich anfänglich unterstützt hat, scheint in letzter Zeit das Interesse daran verloren zu haben. Auch ich habe größeren Frust mit dem Thema, denn man bekommt keinerlei Feedback (weder positiv, noch negativ, also ein "who cares"). Ich treffe mich zwar alle 2 Wochen mit meinem DV, aber er versucht mich in eine andere Ecke zu drücken, was bedeuten würde, dass ich wieder von vorne anfangen darf.

2) Die Rahmenbedingungen entsprechen nicht dem, was ich mir vorgestellt hatte. Forschungsarbeit machen eigentlich meine Masterstudenten, ich selbst habe kaum Zeit mal selbst in den Code zu sehen, geschweige denn zu simulieren. Ich bin im Endeffekt nur der, der die Idee hineingibt und anschließend die Ergebnisse der Arbeiten zu einer Publikation verwurstet. Zudem sind die Arbeitsbedingungen an sich grauenhaft. Unter 50 Stunden komme ich nie aus dem Büro und dann ist noch nichts für die Diss getan. Ich bearbeite ein großes Projekt (inklusive 4 inner europäischen Dienstreisen im Jahr) und ein DFG Projekt, an dessen Projektierung ich schon mitwirken durfte, was mich fast das ganze erste Jahr gekostet hat. Dazu kommen Lehre und ab und an mal ein Konferenzbesuch. Zudem ist mein DV sehr jung und ehrgeizig und erwartet von uns Doktoranden den gleichen Einsatz, den er für den Aufbau seines Lehrstuhls zeigt, was oft in Meetings bis weit in den Feierabend hinein mündet, den er nicht zu kennen scheint und anderen auch nicht zu gönnen scheint. Die Arbeitsbedingungen führen bei mir momentan zu depressiven Episoden, die sich manchmal mehrere Wochen hinziehen. Der extreme Druck von allen Seiten (Projektpartner befriedigen, publizieren, Lehrevaluation, ...) ist dafür wohl der Aslöser. Zudem bin ich der Typ, der sich gerne selber Druck macht, denn ich habe einen gewissen Ehrgeiz und auch Anspruch an meine Arbeit, ohne dessen Erfüllung ich keine Befriedigung aus meiner Arbeit ziehe. Momentan kann ich aber alle Ansprüche nur zu 80 % erfüllen, da einfach zu viel Arbeit da ist.

Auslöser meiner momentanen Sinnkrise ist die Arbeit eines sehr guten Masterstudenten am Kernthema meiner Diss, die aber leider nicht die gewünschten Resultate gebracht hat. Ich habe das Gefühl, ein Jahr lang in die falsche Richtung gerannt zu sein. Damit verbindet sich natürlich gleich die Angst, es nie zu schaffen, etc. etc.. Trotzdem wird von mir erwartet, dass ich daraus eine Publikation mache, was mir eigentlich zuwider ist (siehe Stichpunkt Anspruch).

Momentan bin ich am Überlegen, ob ich nicht in der Industrie besser aufgehoben wäre. Ich habe die Angst, nach 5 Jahren ohne Titel dazustehen, weil ich die Reißleine nicht rechtzeitig gezogen habe. Als Informatiker hätte ich wohl keine Probleme, eine ordentliche Stelle zu bekommen. Auf den Titel bin ich dafür nicht angewiesen. Ich wäre dann wieder Berufseinsteiger und müsste wahrscheinlich ein Traineeprogramm absolvieren, hätte dann aber vielleicht auch wieder mehr mit Softwareentwicklung zu tun. Auch die Aussicht auf eine bessere Work-Life Balance (ohne wochenlange Schlafstörungen) ist verlockend. Der Abbruch wäre aber wahrscheinlich mit einem Wegzug von meinem Wohnort verbunden, an dem ich mich sehr wohl fühle. In der Tat ist das der einzige Punkt, der mich momentan noch vom Schreiben von Bewerbungen abhält.

Wem von euch ging es schon ähnlich? Wie habt ihr eure Wahl getroffen, bzw. was hat euch geholfen, es durchzustehen?

Viele Grüße und vielen Dank, dass ich hier mal meinen Frust ( :( ) abladen kann
der Netzwerker
Eva
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Re: Motivation am Boden ... Abbruch?

Beitrag von Eva »

Hallo Netzwerker,

das klingt ja in der Tat ziemlich frustrierend bei dir. :trost: Mein spontaner Rat: Bewirb dich erstmal auf ein paar Stellen und schau, wie es sich für dich anfühlt, wenn dieser Plan B konkretere Züge annimmt. Vom Stellenanzeige-Finden übers Bewerbung-Schreiben bis zu ggf. einer Einladung zu einem Gespräch und einer evtl. Zusage können ja leicht einige Wochen ins Land ziehen; in dieser Zeit kannst du weiter deine jetzige Arbeit machen, hast aber das (vielleicht bessere) Gefühl, dem Ganzen nicht mehr so ausgeliefert zu sein. Im Moment scheint mir dein Plan B noch viel zu vage, um das vernünftig gegen das Bestehende aufzurechnen. Ein Umzug ist ja ein großer Kraftakt, zumal wenn ihr gerade eine Familie gründet und dann vielleicht euer familiäres Netzwerk zurücklassen müsst; ich verstehe, dass dich das abschreckt (deshalb eben: mehr Klarheit!). Gibt's denn gar keine Möglichkeiten bei dir in der Region?
was hat euch geholfen, es durchzustehen?
Bei mir ganz eindeutig: keine Möglichkeit eines Plan B ohne Dr.-Titel zu haben! Hätte ich den gehabt, wäre ich spätestens bei der 3. oder 4. größeren Krise ausgestiegen, so wie die meisten in meinem Umfeld, die eine Alternative hatten. Mir war aber immer klar, dass ich auf meinem Arbeitsmarkt ohne den Titel keine echten Chancen habe. Irgendwann hatte ich dann auch schon so viel Zeit und Mühe investiert, dass ich einfach mit Titel ins Ziel kommen wollte, statt nach drei Viertel des Wegs aufzugeben. Im Nachhinein hätte ich aber lieber, wie du jetzt, in regelmäßigen Abständen (und viel früher!) meine Situation und meine Fortschritte mit der Diss evaluieren, hinterfragen und mir die ehrliche Möglichkeit des Aufhörens geben sollen.

Und noch ein Gedanke: Wolltest du ursprünglich mit der Promotion in der Wissenschaft bleiben? Oder nur ein paar Jahre dranhängen, weil es dir Spaß gemacht hat, wissenschaftlich zu arbeiten, um dich dann mit der höheren Qualifikation in der Industrie zu bewerben? Das ist ja eine ganz grundsätzliche Entscheidung. Falls du für dich keine Zukunft in der Wissenschaft siehst und eben gute Jobalternativen ohne Doktortitel hast, würde ich mir gut überlegen, wie viel Frust ich bereit bin, noch 2-3 weitere Jahre zu ertragen.

Alles Gute! :blume:
Netzwerker

Re: Motivation am Boden ... Abbruch?

Beitrag von Netzwerker »

Liebe Eva,

vielen Dank für deine klaren Worte. Ich denke, dein Vorschlag ist ganz vernünftig ... erst bewerben und dann entscheiden. Die Region in der ich wohne ist leider strukturschwach, so dass ich keine Hoffnung habe, hier einen halbwegs vernünftigen Job zu bekommen.

Zu derine zweiten Frage: Am Anfang habe ich mir ernsthaft überlegt, ob ich in der Wissenschaft bleiben könnte, habe das aber mittlerweile verworfen. In der Etage über mir gibt es einfach zu viele schlechte Beispiele mit kaputten Ehen und ohne Privatleben (IMHO mag das Grund und Auswirkung der Arbeitsbedingungen zugleich sein). Von daher wäre die Entscheidung mit dem Umzug spätestend mit Abschluss der Promotion auf dem Plan gestanden.

Viele Grüße
Netzwerker
Anne78
Beiträge: 4970
Registriert: 07.06.2012, 13:19
Status: Fertsch!
Hat sich bedankt: 2 Mal

Re: Motivation am Boden ... Abbruch?

Beitrag von Anne78 »

Hallo Netzwerker,

Das hört sich nicht so an, als würde es Lust auf mehr machen…
Zwei Fragen hätte ich:
- Gäbe es aus Deiner Sicht die Alternative, die Uni und die Betreuung zu wechseln? Oder geht das grundsätzlich nicht?
- Überlegst Du, Elternzeit zu nehmen? Für Frau und Kind wäre das mit Sicherheit toll, für Dich auch. Und es verschafft etwas Abstand. Ich würde auf keinen Fall empfehlen, Elternzeit einfach als Fluchtmöglichkeit aus dem Job und/ oder ausschließlich als Möglichkeit zu nutzen, um mal Zeit für das Vorantreiben der Diss zu bekommen. Aber wenn Du grundsätzlich sowieso gern die EZ in Anspruch nehmen würdest, wäre es vielleicht eine Überlegung wert, das auch als Puffer/ Phase der Neuorientierung zu nutzen.

Alles Gute für die Entscheidungsfindung!
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