ZEIT: "Schafft den Doktortitel ab!"

Irgendwann ist jeder fertig. Und dann darf er sich hier austoben :-)
flip
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Re: ZEIT: "Schafft den Doktortitel ab!"

Beitrag von flip »

Wierus hat geschrieben: ↑18.01.2021, 16:37 Warum? Weil ich den "Paper"-Zwang erstmal völlig neutral, ähnlich wie im Fall des Bologna-Systems, als die Übernahme angelsächsischer und vor allem US-amerikanischer Traditionen wahrnehme. Allerdings eine viel zu wenig reflektierte: Denn in den USA ist es nämlich so, dass die meisten Doktoranden direkt nach dem Bachelor promovieren.

Deren obligat zu verfassende sogenannte "Papers" sind nichts anderes als die verordneten 8-10 Hausarbeiten, die man hierzulande während des gesamten Diplom- und Magisterstudiums verfassen musste und jetzt (hoffentlich weiterhin) im Masterstudium abliefern muss. In Übersee hat man jedoch vor der Dissertation noch nicht einmal eine klassische Masterarbeit von 80-100 Seiten verfasst, bestenfalls eine üppige Bachelor Thesis von 60 Seiten.

Aber weil das UNi-System in den USA stark privatisiert ist und wirtschaftlich hocheffizient arbeiten will, wird dort eben jede solche Hausarbeit auf Biegen und Brechen zu einem "Paper" bzw. Artikel verwurstet und irgendwo & irgendwie veröffentlicht. Was also bei uns hierzulande nach Erhalt des Scheins meist in einer dunklen Schublade landete, sieht dort regelmäßig als offizieller Artikel das Licht der Welt.
Also, als ich in den USA studiert habe (Public Ivy), hat man zwar direkt nach dem Bachelor mit dem PhD begonnen, man hat aber das erste Jahr reine Methodenlehre durch Seminare und Vorlesungen gehabt, welche direkt auf die Publikationsphase vorbereitet haben. Hinzu kam eine Masterarbeit im zweiten der fünf-sechs Jahre.
Erst danach begann die reine Forschungsphase, ebenfalls begleitet durch Mentoren und Seminare. Ob das jetzt so viel anderes/schlechter zum deutschen System ist, mag ich mal bezweifeln. Das rein akademische Level war jedenfalls höher im Verglich zu meinen deutschen Unis.

Es ist aber in der Tat traurig, dass man auf der einen Seite so einen Aufwand betreibt und auf der anderen Seite das System durch externe Promotionen so stark aufgeweicht wird. Von daher hat der Artikel schon eine gewisse Relevanz.
Wierus
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Re: ZEIT: "Schafft den Doktortitel ab!"

Beitrag von Wierus »

flip hat geschrieben: ↑19.01.2021, 17:38Also, als ich in den USA studiert habe (Public Ivy), hat man zwar direkt nach dem Bachelor mit dem PhD begonnen, man hat aber das erste Jahr reine Methodenlehre durch Seminare und Vorlesungen gehabt, welche direkt auf die Publikationsphase vorbereitet haben. Hinzu kam eine Masterarbeit im zweiten der fünf-sechs Jahre.
Wenn ich mir die ganzen Youtube-Videos von US-Akademikern so ansehe, die über die Wahl zwischen PhD oder Master aufklären, sieht es aber eher so aus, als wenn einem -wenn überhaupt- die Masterarbeit im Verlauf des PhD-Studiums nur dann angeboten wird, wenn man seine Promotion nach dem 'Course-Work' abzubrechen gedenkt.

flip hat geschrieben: ↑19.01.2021, 17:38Erst danach begann die reine Forschungsphase, ebenfalls begleitet durch Mentoren und Seminare. Ob das jetzt so viel anderes/schlechter zum deutschen System ist, mag ich mal bezweifeln. Das rein akademische Level war jedenfalls höher im Verglich zu meinen deutschen Unis.
"Reine Forschungsphase" zusammen mit "Mentoren und Seminaren", das reibt sich in meinen Augen irgendwie. Egal.
Aber es bleibt für mich die Frage: Wie steht es denn mit meiner These, dass in Übersee MA-Hausarbeiten zu Artikeln verwurstet werden? Stimmt das also nicht?

flip hat geschrieben: ↑19.01.2021, 17:38Es ist aber in der Tat traurig, dass man auf der einen Seite so einen Aufwand betreibt und auf der anderen Seite das System durch externe Promotionen so stark aufgeweicht wird.
Sehe ich eher anders herum: Das traditionelle mitteleuropäische (und englische) System der rigorosen Forschungs- bzw. Individualpromotion wurde zugunsten von Gradschools, kurzfristiger bildungspolitischer Trends, der Kommerzialisierung des Wissenschaftsbetriebs und nicht zuletzt der institutionellen Ausbeutung aufgeweicht. Auch inhaltlich.
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Re: ZEIT: "Schafft den Doktortitel ab!"

Beitrag von johndoe »

flip hat geschrieben: ↑19.01.2021, 17:38
Es ist aber in der Tat traurig, dass man auf der einen Seite so einen Aufwand betreibt und auf der anderen Seite das System durch externe Promotionen so stark aufgeweicht wird. Von daher hat der Artikel schon eine gewisse Relevanz.
Sicher, die vielen Plagiat-Skandale beruhten vorrangig auf extern angefertigten Dissertationen. Aber extern heißt nicht automatisch Schmalspur und Fake. Meine externe Arbeit (UK) musste dieselben Standards erfüllen, wie es die internen mussten. Dieselben Kurse zu Beginn, dieselben Seminararbeiten, dieselben Anforderungen für den Forschungsantrag und dieselbe Form der Viva Voce. Nur dauerte es bei mir 6 Jahre, bei internen vll auch mal nur 3. Also m.E. hängt es an der Uni, wie ernsthaft sie externe Doktoranden in die Abläufe einbindet - dann wird auch nix aufgeweicht.
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Re: ZEIT: "Schafft den Doktortitel ab!"

Beitrag von MelchiorC »

daherrdoggda hat geschrieben: ↑19.01.2021, 05:34 Es scheint von Fachbereich zu Fachbereich gewaltige Unterschiede zu geben, was ein "paper" ist... Bei uns garantiert ein paper in Nature/Science quasi schon den Rest der Karriere. Viele schliessen mit einem paper in einem journal mit IF 3-7 ab, und das ist oft die Voraussetzung fuer ein summa. Bei einem paper in einem journal mit IF >10 ist ein Promotionspreis sehr wahrscheinlich.
Es ist sowieso komisch, wie unterschiedlich das gehandhabt wird in den versch. Fachbereichen.
Bei mir zählte allein die Diss. Die wurde eingereicht, begutachtet, benotet. Fertig. Dass ich zu dem Zeitpunkt auch schon etliches in Fachzeitschriften (darunter auch 3 peer reviews) publiziert hatte, hat fürs Promotionsverfahren niemanden gejuckt. Ich glaube, man musste damals nicht mal ein Publikationsverzeichnis mit einreichen...

In den Geisteswissenschaften gehts da etwas easier zu, hab ich den Eindruck. Wäre Klasse, wenn da die Karriere mit einem "Paper" schon safe ist :D Aber mittlerweile zählen sowieso nur noch Drittmittel-Sachen... Vieles andre ist da eher zweitrangig geworden.
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