Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Irgendwann ist jeder fertig. Und dann darf er sich hier austoben :-)
donkeydoeshisphd
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Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von donkeydoeshisphd »

Liebe alle,

ich habe eine bwl-nahe sozialwissenschaftlichen Promotion im Januar abgeschlossen. Vor dem Studium hatte ich eine einschlägige handwerkliche Lehre gemacht, 2. Bildungsweg. Abgegeben hatte ich Ende Sept 2016 und bin gleich danach (sprichwörtlich am Tag nach der Abgabe) in ein kleines Unternehmen in einer ländlichen Gegend im Norden Deutschlands eingestiegen. Gehalt ist ok, unbefristeter Vertrag, Markt, auf dem das Unternehmen unterwegs ist, ist unglaublich spannend. Total familiärer Laden, jeder duzt sich, zum Teil ist man miteinander verwandt oder kennt sich seit jahrzehnten. Viel Wandel gibt es nicht, normal sind die Mitarbeiter viele Jahre dort, Unternehmenswachstum ist nicht überragend, aber solide, es kommen halt pro Jahr immer so 1 oder 2 neue Gesichter hinzu.

Beim Vorstellungsgespräch wurde mir damals gesagt, ich solle gleich ein größeres Projekt übernehmen, wo ich auch methodische Kenntnisse meiner Arbeit brauche, was mir sehr gut gefallen hat. Ich bin einem Team ("Abteilungsleiter", Stellvertreter, zwei Kolleginnen) zugeteilt worden, in dem niemand außer mir einen Studienabschluss geschweige denn eine Promotion besitzt. Abteilungsleiter ist seit 10 Jahren dabei und hat sich von der Pike auf hochgearbeitet. Nun bin ich dorthingekommen mit dem Auftrag, das Projekt zu übernehmen. Allerdings hat mein Abteilungsleiter überall intern kommunziert, dass es sein Projekt ist, mir ganz oft wesentliche Dinge nicht kommuniziert oder halt irgendwelche Eigenentwicklungen gemacht, in die ich überhaupt nicht involviert war und dementsprechend nicht darauf reagieren konnte.

Inzwischen bin ich fast vollständig losgeeist von dem Projekt, wenn Besprechungen mit anderen Unternehmen sind, die ebenfalls involviert sind, trägt sich mein Abteilungsleiter oft selbst bei Terminen ein, was die Geschäftsführer der anderen Unternehmen sehr wundert, die teilweise nur über mich kommunizieren. Dazu muss man sagen, dass die Branche eher konservativ ist, dass heißt, wir duzen uns zwar alle untereinander in der Firma, die Gesschäftsführer der anderen Unternehmen sprechen mich mit Titel an, was mir eher unangenehm ist, gerade wegen der Situation mit meinem Abteilungsleiter und auch, weil ich nie so der förmliche Mensch war und selbst am liebsten jede duze, außer natürlich, es erscheint mir als unangebracht. Dieser gibt mir inzwischen auch "eigene" Aufgaben, von denen bislang die anspruchsvollste war, dass ich einen Werbeflyer gestalten sollte - ich durfte sogar entscheiden, wie viel Text er haben sollte... Erschreckenderweise hat der Geschäftsführer mir mal nebenbei gesagt, dass ich fast so viel verdiene wie mein Abteilungsleiter. Was mich sehr geschockt hat - gerade angesichts meiner Aufgaben, die auch ein Praktikant gut hinbekommen könnte. Und weil ich erheblich weniger arbeite (38 Stunden mit Stempeln, mein Abteilungsleiter arbeitet oft bis spät am Abend und stempelt nicht mehr)

In einem Monat ist die Probezeit zu Ende, ich habe von meinem Abteilungsleiter nur Lob bekommen vom Geschäftsführer auch und bin schon für verschiedene Aufgaben und Termine im 3. und 4. Quartal eingeteilt worden (auch wieder nix anspruchsvolles). Ich verstehe die Welt nicht mehr.....

Ist es normal nach dem Berufseinstieg, dass man so lange braucht, bis man anspruchsvolle Aufgaben bekommt? Hat jemand was ähnliches erlebt? Oder kommt irgendwann das Dicke Ende in Form einer Kündigung für mich? Wie lange soll ich denn da bleiben, bis ich mich auf eine anspruchvollere Stelle bewerben kann? Dachte da so an 1 - 1,5 Jahre, damit ich das als erste Berufserfahrung nach der Zeit am Lehrstuhl verkaufen kann. Ich habe ein super Verhältnis zu meinen Kollegen, mit denen ich auch privat Dinge unternehme und wie gesagt nur Lob von Chef und Geschäftsführer bekommen, die ich auch schonmal zur Hälfte der Probezeit um ein Feedback zu meiner Leistung gebeten habe.

Vielen Dank für eure Tipps und sry für Tippfehler, schreibe aus dem Zug
Donkey
flip
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Re: Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von flip »

Ist doch ganz einfach. Der Abteilungsleiter hat Angst um seinen Job bzw. Standing im Unternehmen.
Also wird er dir bei jeder sich bietenden Möglichkeit in die Parade fahren um seine Stellung bei den Gesellschaftern hevorzuheben.

Ein klärendes Gespräch mit letzteren ansetzen. Wenn sich nichts ändert, dann kündigen. In den Strukturen änderst du etwas am Anfang oder garnicht.
donkeydoeshisphd
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Re: Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von donkeydoeshisphd »

flip hat geschrieben:Ist doch ganz einfach. Der Abteilungsleiter hat Angst um seinen Job bzw. Standing im Unternehmen.
Also wird er dir bei jeder sich bietenden Möglichkeit in die Parade fahren um seine Stellung bei den Gesellschaftern hevorzuheben.

Ein klärendes Gespräch mit letzteren ansetzen. Wenn sich nichts ändert, dann kündigen. In den Strukturen änderst du etwas am Anfang oder garnicht.

Hallo Flip,

vielen Dank für deine Antwort. Ja, das wäre auch mein erster Impuls gewesen. Aber wenn ich mit dem Gesellschafter spreche (der mich auch eingestellt hat), dann übergehe ich den Abteilungsleiter, der den Gesellschafter seit 10 Jahren kennt und die Firma mit aufgebaut hat. Könnte für mich übel ausgehen. Aktuell spricht mein Abteilungsleiter ja lustigerweise in den höchsten Tönen von mir - auch nach oben.

Bewerben - klar, grundsätzlich gerne und ich sehe mich auch schon um. Aber sieht das nicht doof aus im Lebenslauf, also Promotion - Unternehmen und dann gleich nen Wechsel nach Ende der Probezeit oder nach einem Jahr? Wie sind denn da so die Erfahrungen.

Achja, falls relevant: Mittelfristig möchte ich in Richtung FH-Professur gehen. Aber ich will davor erstmal in Unternehmen Erfahrung sammeln, ein Gefühl dafür bekommen, wie der Markt "tickt", auch irgendwann mal Führungsverantwortung haben (wenigstens in Projekten) und mir ein Netzwerk aufbauen, das ich dann später auch für "meine" Studierenden nutzbar machen kann. Deshalb ist es für mir persönlich beruflich besonders wichtig, eine möglichst steile Lernkurve zu haben. Dementsprechend gefrustet bin ich. Bin derzeit 32 Jahre alt.
flip
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Re: Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von flip »

Also, warum spricht du nicht mit dem Abteilungsleiter direkt darüber?
Wierus
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Re: Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von Wierus »

donkeydoeshisphd hat geschrieben:Mittelfristig möchte ich in Richtung FH-Professur gehen. Aber ich will davor erstmal in Unternehmen Erfahrung sammeln, ein Gefühl dafür bekommen, wie der Markt "tickt", auch irgendwann mal Führungsverantwortung haben (wenigstens in Projekten) und mir ein Netzwerk aufbauen, das ich dann später auch für "meine" Studierenden nutzbar machen kann. Deshalb ist es für mir persönlich beruflich besonders wichtig, eine möglichst steile Lernkurve zu haben. Dementsprechend gefrustet bin ich. Bin derzeit 32 Jahre alt.
Du musst dich vielleicht auch ein bisschen von Außen betrachten: studiert, promoviert und schon ganz heiß darauf, die nächste Sprosse im Lebenslauf zu erklimmen, die nächste harte Nuß zu knacken? Das funktioniert vielleicht in den wirklich großen Unternehmen, aber ich denke in deinem jetzigen (Klein-)Betrieb wird das alles eben nicht so laufen. Vielleicht solltest du dich damit anfreunden, dass du nur ganz langsam wirst Verantwortung übernehmen dürfen und vielleicht sollst du den Abteilungsleiter erst ersetzen, wenn er irgendwann in Rente geht?

Deine Schilderung könnte man auch so lesen, dass man dir gutmeinend ein bisschen den Wind aus den Segeln nehmen will, weil die alle schon ahnen, dass du "leistungsgeil" bist. Wenn alle deine Kollegen nicht-studierte Provinzler sind, dann ticken die Uhren dort mit großer Sicherheit anders. Du schreibst es doch selbst: "Total familiärer Laden", "konservativ", "viel Wandel gibt es nicht", "kennen sich seit Jahrzehnten"... klingt nicht danach, als ob du den Laden in fünf Jahren übernimmst und startklar für den Börsengang machst. :mrgreen:
oclock
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Re: Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von oclock »

Du klingst ein wenig wie ich vor einigen Jahren. Da habe ich mir auch ständig Gedanken darüber gemacht, wie irgendwas in meinem Lebenslauf aussieht etc. Vergiss diesen Quatsch. Lebe und arbeite nicht für Deinen Lebenslauf, sondern nur für Dich alleine. Verfolge Deine Ziele und bleib Dir selbst treu und lerne aus Fehlentscheidungen.

Den anderen gebe ich übrigens Recht. In Deiner Firma wirst Du nicht viel Spaß haben. Da wird nicht viel passieren. Beförderungen kannst Du vergessen und die Aufgaben werden selten herausfordernd sein. Such Dir was anderes. Jetzt. Nicht später. Das Leben ist zu kurz, um es mit Dingen zu füllen, die Dich nicht erfüllen.

Und vergiß das Geschwätz von Personalern, das man überall liest. Denn das führt zu so einer Situation in der Du gerade bist: Du hast Angst etwas in Deinem Leben zu verändern, weil sie z.B. sagen, dass das die Einstellungschancen minimiert, wenn der Lebenslauf nicht gradlinig ist. Angst ist der denkbar schlechteste Ratgeber im Leben.
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Re: Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von donkeydoeshisphd »

Hallo zusammen,

vielen lieben Dank für die Antworten und auch einfach fürs "Auskotzen dürfen"
Also, warum spricht du nicht mit dem Abteilungsleiter direkt darüber?
Habe ich schon gemacht. Sehr vorsichtig natürlich, weil ich ja noch in der Probezeit bin. Ich bin das so angegangen, dass ich mit einem konkreten Vorschlag für ein Projekt zu ihm gegangen bin und einen Entwurf gemacht habe, wie ich das angehen würde mit der Hoffnung, dass ich das machen darf. Er ist daraufhin zum Geschäftsführer gegangen und das Projekt findet jetzt auch tatsächlich statt. Allerdings unter Leitung des stellvertretenden Abteilungsleiters. Man muss dazu sagen, dass es da auch um Datenanalysen geht, die natürlich ich machen darf, da ich diese kann.
Du musst dich vielleicht auch ein bisschen von Außen betrachten: studiert, promoviert und schon ganz heiß darauf, die nächste Sprosse im Lebenslauf zu erklimmen, die nächste harte Nuß zu knacken? Das funktioniert vielleicht in den wirklich großen Unternehmen, aber ich denke in deinem jetzigen (Klein-)Betrieb wird das alles eben nicht so laufen. Vielleicht solltest du dich damit anfreunden, dass du nur ganz langsam wirst Verantwortung übernehmen dürfen und vielleicht sollst du den Abteilungsleiter erst ersetzen, wenn er irgendwann in Rente geht?
Klar, da ist schon was dran. Ersetzen will ich aber in dem jetzigen Laden niemanden, ich habe dort angefangen, um einfach erste Berufserfahrung nach der Unizeit zu bekommen, um diese dann bei künftigen Bewerbungen nutzen zu können. Bin also echt keine Konkurrenz für irgendjemand.
Du klingst ein wenig wie ich vor einigen Jahren. Da habe ich mir auch ständig Gedanken darüber gemacht, wie irgendwas in meinem Lebenslauf aussieht etc. Vergiss diesen Quatsch. Lebe und arbeite nicht für Deinen Lebenslauf, sondern nur für Dich alleine. Verfolge Deine Ziele und bleib Dir selbst treu und lerne aus Fehlentscheidungen.

Den anderen gebe ich übrigens Recht. In Deiner Firma wirst Du nicht viel Spaß haben. Da wird nicht viel passieren. Beförderungen kannst Du vergessen und die Aufgaben werden selten herausfordernd sein. Such Dir was anderes. Jetzt. Nicht später. Das Leben ist zu kurz, um es mit Dingen zu füllen, die Dich nicht erfüllen.
Ja, du bringst da ziemlich viel auf den Punkt. Bin auch grade dabei sehr vorsichtig meine "Fühler" über einen ehemaligen Mitdoktoranden in Richtung einer einschlägigen Unternehmensberatung auszustrecken. Aber ja, ich habe schon echt keine Lust sprunghaft auszusehen vom CV her. 6 Monate halte ich das aus jeden Fall noch durch, aber 1,5 Jahre Langeweile kann ich mir grad nicht vorstellen.
Dell
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Re: Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von Dell »

Ich denke du musst dich erst dran gewöhnen die Hierarchie zu respektierten und dich unterzuordnen. Natürlich ist der (stv.) Abteilungsleiter für alles Verantwortlich und leitet die Projekte (gerade bei so wenigen Mitarbeitern).
Damit du mehr 'Freilauf' bekommst, müssen die ALs vertrauen in dich haben; nicht in dem Sinne, dass du die nötige Kompetenz hast sondern dass du ihnen nicht in die Parade fährst und brav die Credits bei ihnen lässt.
Da der AL dich zum Teil nicht einbezieht hört sich das für mich eher so an als ob du vielleicht etwas zu forsch aufgetreten bist und Dinge an dich gezogen hast anstatt dich eher als unterstützende Kraft zu verkaufen.
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Re: Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von FerdiFuchs »

Dell hat geschrieben:Ich denke du musst dich erst dran gewöhnen die Hierarchie zu respektierten und dich unterzuordnen. Natürlich ist der (stv.) Abteilungsleiter für alles Verantwortlich und leitet die Projekte (gerade bei so wenigen Mitarbeitern).
Das würde dann aber nicht zu folgender Aussage aus dem Eingangsbeitrag passen: "Nun bin ich dorthingekommen mit dem Auftrag, das Projekt zu übernehmen. " Hier ist irgendwas schiefgelaufen, entweder auf Seiten der Geschäftsführung oder auf Seiten des Abteilungsleiters: Möglicherweise hat die Geschäftsführung die Verantwortungszuweisung für das Projekt nicht allen Beteiligten klar und eindeutig kommunizert, oder der Abteilungsleiter setzt sich illegitimerweise über die kommunizierte Verantwortungszuweisung hinweg.
Dell
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Re: Erfahrungen beim ersten Job im Unternehmen nach der Promotion - verstehe die Welt nicht mehr

Beitrag von Dell »

Nur weil man eine Aufgabe angetragen bekommt bedeutet das nicht, dass damit die Hierarchie ausser Kraft gesetzt wird. Wenn die GL eine eigenverantwortliche Ausführung und Leitung durch den TE gewünscht hätte, wäre dieser nicht in der Abteilung eingeordnet worden.
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