Karriere in der Wissenschaft - ein Erfahrungsbericht
Verfasst: 15.06.2016, 21:31
Hallo allerseits,
ich habe hier bisher immer nur (teilweise auch aus wissenschaftlichem Interesse) mitgelesen. Kurz zu meiner Person: Ich bin promovierter Geisteswissenschaftler (die genaue Fachzuordnung lasse ich aus Gründen der Anonymität allerdings weg). Ich habe vor zehn Jahren mein Studium beendet und bin seitdem mehr oder weniger im universitären Bereich tätig, werde allerdings jetzt in die Wirtschaft wechseln. Bei meiner Entscheidungsfindung, in der Wissenschaft zu bleiben oder den Absprung zu wagen, haben mich gerade auch hier einzelne Erfahrungsberichte oder Diskussionen aus diesem Forum interessiert und beeinflusst (z.B. viewtopic.php?f=34&t=5729). Vielen Dank an alle, die hier etwas über ihr Schicksal geschrieben haben. Da ich selber eigentlich ein Vollblutwissenschaftler bin, möchte ich vielleicht einige (teilweise polemische) Denkanstöße geben für diejenigen, die in die Wissenschaft wollen, drin sind und sich fragen, ob sie weitermachen wollen oder nicht. Ich werde jetzt keine großen Fragen stellen, sondern einfach nur meine Eindrücke zum System Wissenschaft wiedergeben. Wer will, kann sich gerne beteiligen. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass mein Bericht hier ganz versandet.
Mir war relativ schnell während meines Studiums klar, dass ich in die Wissenschaft gehen möchte. Ich habe mein Studium schnell und sehr zielgerichtet durchgezogen. Mit Mitte 20 hatte ich dann meinen Magisterabschluss. Ich war damals extrem ehrgeizig, überaus motiviert und fand den Weg in die Wissenschaft zwar riskant, liebte aber irgendwie Herausforderungen. Ich habe mir damals meinen Plan genau zurechtgelegt: drei bis vier Jahre dann sollte die Diss. fertig sind, nochmal vier bis fünf Jahre und dann wollte ich natürlich habilitiert sein. "Mit Anfang 40 Professor, ach was, ich schaffe es mit Mitte 30." Ich bin damals auch davon ausgegangen, dass Leistung das einzig wichtige Kriterium in der Wissenschaft ist (ist es übrigens nicht). Würde ich mein damaliges Ich heute treffen, wüsste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Solche Dinge wie das WissZeitVG haben mich damals nicht interessiert. Man war ja arrogant und naiv genug, um an die unbefristete Stelle zu glauben. Es war mir auch vollkommen egal, was mit Mitte oder Ende 30 sein wird.
Warum schreibe ich das jetzt so offen? Ich habe während der vergangenen Jahre immer wieder junge motivierte Leute erlebt, die mich sehr stark an mich mit Mitte 20 erinnert haben. Ich glaube, dass ich diese Zeilen hier für die jungen hoch motivierten Doktoranden schreibe, die von einer Karriere in der Wissenschaft träumen und vielleicht etwas naiv an die Sache gehen. Man hört ja immer von Kollegen, denen dann doch das WissZeitVG irgendwann um die Ohren geflogen ist und denkt sich: "Passiert mir schon nicht." Aber die Uhr tickt. Ich habe, glaube ich, noch drei oder vier Jahre, bevor meine wissenschaftliche Uhr abläuft. Das wäre genug Zeit, die Habil weiterzuverfolgen, ein paar Aufsätze zu schreiben und noch mehr Drittmittel einzuwerben. Aber ich habe mich ständig gefragt: Was dann? Kommt dann endlich die Dauerstelle und wenn sie nicht kommt, was machst du dann bloß? Ich habe für mich festgestellt, dass Unsicherheit kein guter Begleiter ist.
Wie dem auch sei: Man sollte Folgendes bedenken, wenn man in die Wissenschaft geht: Man steigt in ein feudales System ein. An den deutschen Universitäten gibt es die letzten absoluten Herrscher (die Professorinnen und Professoren). Von denen ist man als Nachwuchswissenschaftler vollkommen abhängig. Die Person, die meine Doktorarbeit betreut hat, war in Personalunion mein Dienstvorgesetzter. Es gibt keinerlei Standards in diesem Land, wie eine gute Betreuung aussehen sollte. Insofern kann das zwischen einer extrem guten Betreuung und gar keiner Betreuung schwanken. Die Person, die meine Arbeit begleitet hat, war als Betreuer de facto nicht vorhanden. Das muss man aushalten können. Besagte Person hat die Fertigstellung meiner Arbeit etwa um 2,5 Jahr verzögert. Ich habe allerdings auch schon für sehr nette und engegierte ProfessorInnen gearbeitet.
Man sollte sich auch mit dem Gedanken vertraut machen, dass man Phasen von Arbeitslosigkeit erleben könnte. Es war für mich eine tiefgreifende Erfahrung, frisch promoviert nicht mehr in einem Seminarraum zu stehen, sondern vor einem Sachbearbeiter in der Arge (60% von TV-L EG 13 (halbe Stelle), Stufe 3 netto als Arbeitslosengeld sind schon hart). Bei der Arge können sie mit einem übrigens nichts anfangen. Man kann sich da nur selber helfen.
Man sollte sich als Nachwuchswissenschaftler auch flexibel zeigen, was den Wohnort angeht. Ich arbeite mittlerweile an meiner vierten Universität. Diese ist etwa 200 km von meinem Wohnort entfernt. Ich verbringe etwa 16 bis 20 Stunden pro Woche im Zug. Umziehen kommt aus familiären Gründen für mich nicht infrage. Familie und wissenschaftliche Karriere sind übrigens auch so ein Thema für sich...
Und noch etwas zur Arbeitszeit: Eine halbe Stelle hat bei mir stets bedeutet: 40 bis 60 Stunden pro Woche arbeiten und halb bezahlt werden (besonders interessant ist eine halbe Stelle in einem DFG-Projekt). Ich habe mittlerweile eine volle Stelle. Es ist das erste Mal in meiner "Karriere", dass ich für 40 Stunden bezahlt werde. Im Vergleich zu meinen halben Stellen hat sich die Arbeitsmasse aber nicht verringert. Man sollte übrigens auch damit leben, dass sonntags auf dem Sofa neben einem eine Gestalt namens schlechtes Gewissen sitzt und einem ins Ohr flüstert: "Denk an den Aufsatz, den du jetzt weiterschreiben solltest. Da ist auch noch deine Lehrveranstaltung und denk an den Drittmittelantrag." (ich meine übrigens damit nicht meine Frau )
Wenn man sich dann letztendlich durch das System Nachwuchswissenschaftler gequält hat, was wartet dann auf einen? Zumindest keine Garantie auf eine Dauerstelle. Wenn man in die Wissenschaft geht, sollte man sich vorher das Verhältnis zwischen zur Verfügung stehenden Dauerstellen und der potentiellen Anzahl an Bewerbern ansehen. Bei Stellenausschreibungen kann man übrigens auch immer schonmal gucken, welcher interne Kandidat denn zur Verfügung für die Stelle steht.
Mein wichtigster Tipp an alle angehenden Nachwuchswissenschaftler ist: Fragt euch, wo ihr euch mit Mitte / Ende 30 sehen wollt. Das ist die wichtigste Frage, die man sich stellen kann. Wem Sicherheit, eine guter Arbeits-Freizeit-Ausgleich und ein Familienleben wichtig sind, der sollte über eine Karriere in der Wissenschaft nochmal nachdenken.
Ich gebe zu, dass ich jetzt sehr viel schlechtes über das System Wissenschaft geschrieben habe. Ich möchte klarstellen, dass ich mein Fach liebe, ich liebe seine Methodik und ich liebe es wissenschaftlich zu arbeiten, zu lehren und zu forschen. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man erwachsen werden muss und dann steht man als Nachwuchswissenschaftler vor der Wahl: a) wissenschaftliche Karriere (Dauerstelle oder Privatdozent) oder eine sichereres Leben ohne WissZeitVG und dafür vielleicht eine weniger aufregende Beschäftigung. Jeder muss letztlich für sich selbst den richtigen (?) Weg wählen. Ich habe mich jetzt zehn Jahre durch das System gekämpft und mich dann für die unbefristete Stelle in der Wirtschaft entschieden. Das hängt einfach auch damit zusammen, dass ich müde und ausgelaugt bin. Natürlich frage ich mich, ob ich jetzt in der Wissenschaft gescheitert bin. Aber: Ich gehe da selber raus. Ich höre tatsächlich in der schönsten Phase meiner Karriere auf. Mir ist es wichtig, dass ich selbstbestimmt aus der Uni rausgehe und man mich nicht von Hof jagt, weil ich die Zeit um ist.
Ich hatte nun das Glück, dass eine für mich passende außeruniversitäre Stelle ausgeschrieben wurde und ich sie auch noch bekommen habe. Wer sein Glück an der Uni versuchen möchte, dem kann ich nur raten, sich frühzeitig einen guten Plan B zu überlegen.
So viel nun dazu. Falls jemand bis hier durchgehalten hat: Herzlichen Glückwunsch!
ich habe hier bisher immer nur (teilweise auch aus wissenschaftlichem Interesse) mitgelesen. Kurz zu meiner Person: Ich bin promovierter Geisteswissenschaftler (die genaue Fachzuordnung lasse ich aus Gründen der Anonymität allerdings weg). Ich habe vor zehn Jahren mein Studium beendet und bin seitdem mehr oder weniger im universitären Bereich tätig, werde allerdings jetzt in die Wirtschaft wechseln. Bei meiner Entscheidungsfindung, in der Wissenschaft zu bleiben oder den Absprung zu wagen, haben mich gerade auch hier einzelne Erfahrungsberichte oder Diskussionen aus diesem Forum interessiert und beeinflusst (z.B. viewtopic.php?f=34&t=5729). Vielen Dank an alle, die hier etwas über ihr Schicksal geschrieben haben. Da ich selber eigentlich ein Vollblutwissenschaftler bin, möchte ich vielleicht einige (teilweise polemische) Denkanstöße geben für diejenigen, die in die Wissenschaft wollen, drin sind und sich fragen, ob sie weitermachen wollen oder nicht. Ich werde jetzt keine großen Fragen stellen, sondern einfach nur meine Eindrücke zum System Wissenschaft wiedergeben. Wer will, kann sich gerne beteiligen. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass mein Bericht hier ganz versandet.
Mir war relativ schnell während meines Studiums klar, dass ich in die Wissenschaft gehen möchte. Ich habe mein Studium schnell und sehr zielgerichtet durchgezogen. Mit Mitte 20 hatte ich dann meinen Magisterabschluss. Ich war damals extrem ehrgeizig, überaus motiviert und fand den Weg in die Wissenschaft zwar riskant, liebte aber irgendwie Herausforderungen. Ich habe mir damals meinen Plan genau zurechtgelegt: drei bis vier Jahre dann sollte die Diss. fertig sind, nochmal vier bis fünf Jahre und dann wollte ich natürlich habilitiert sein. "Mit Anfang 40 Professor, ach was, ich schaffe es mit Mitte 30." Ich bin damals auch davon ausgegangen, dass Leistung das einzig wichtige Kriterium in der Wissenschaft ist (ist es übrigens nicht). Würde ich mein damaliges Ich heute treffen, wüsste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Solche Dinge wie das WissZeitVG haben mich damals nicht interessiert. Man war ja arrogant und naiv genug, um an die unbefristete Stelle zu glauben. Es war mir auch vollkommen egal, was mit Mitte oder Ende 30 sein wird.
Warum schreibe ich das jetzt so offen? Ich habe während der vergangenen Jahre immer wieder junge motivierte Leute erlebt, die mich sehr stark an mich mit Mitte 20 erinnert haben. Ich glaube, dass ich diese Zeilen hier für die jungen hoch motivierten Doktoranden schreibe, die von einer Karriere in der Wissenschaft träumen und vielleicht etwas naiv an die Sache gehen. Man hört ja immer von Kollegen, denen dann doch das WissZeitVG irgendwann um die Ohren geflogen ist und denkt sich: "Passiert mir schon nicht." Aber die Uhr tickt. Ich habe, glaube ich, noch drei oder vier Jahre, bevor meine wissenschaftliche Uhr abläuft. Das wäre genug Zeit, die Habil weiterzuverfolgen, ein paar Aufsätze zu schreiben und noch mehr Drittmittel einzuwerben. Aber ich habe mich ständig gefragt: Was dann? Kommt dann endlich die Dauerstelle und wenn sie nicht kommt, was machst du dann bloß? Ich habe für mich festgestellt, dass Unsicherheit kein guter Begleiter ist.
Wie dem auch sei: Man sollte Folgendes bedenken, wenn man in die Wissenschaft geht: Man steigt in ein feudales System ein. An den deutschen Universitäten gibt es die letzten absoluten Herrscher (die Professorinnen und Professoren). Von denen ist man als Nachwuchswissenschaftler vollkommen abhängig. Die Person, die meine Doktorarbeit betreut hat, war in Personalunion mein Dienstvorgesetzter. Es gibt keinerlei Standards in diesem Land, wie eine gute Betreuung aussehen sollte. Insofern kann das zwischen einer extrem guten Betreuung und gar keiner Betreuung schwanken. Die Person, die meine Arbeit begleitet hat, war als Betreuer de facto nicht vorhanden. Das muss man aushalten können. Besagte Person hat die Fertigstellung meiner Arbeit etwa um 2,5 Jahr verzögert. Ich habe allerdings auch schon für sehr nette und engegierte ProfessorInnen gearbeitet.
Man sollte sich auch mit dem Gedanken vertraut machen, dass man Phasen von Arbeitslosigkeit erleben könnte. Es war für mich eine tiefgreifende Erfahrung, frisch promoviert nicht mehr in einem Seminarraum zu stehen, sondern vor einem Sachbearbeiter in der Arge (60% von TV-L EG 13 (halbe Stelle), Stufe 3 netto als Arbeitslosengeld sind schon hart). Bei der Arge können sie mit einem übrigens nichts anfangen. Man kann sich da nur selber helfen.
Man sollte sich als Nachwuchswissenschaftler auch flexibel zeigen, was den Wohnort angeht. Ich arbeite mittlerweile an meiner vierten Universität. Diese ist etwa 200 km von meinem Wohnort entfernt. Ich verbringe etwa 16 bis 20 Stunden pro Woche im Zug. Umziehen kommt aus familiären Gründen für mich nicht infrage. Familie und wissenschaftliche Karriere sind übrigens auch so ein Thema für sich...
Und noch etwas zur Arbeitszeit: Eine halbe Stelle hat bei mir stets bedeutet: 40 bis 60 Stunden pro Woche arbeiten und halb bezahlt werden (besonders interessant ist eine halbe Stelle in einem DFG-Projekt). Ich habe mittlerweile eine volle Stelle. Es ist das erste Mal in meiner "Karriere", dass ich für 40 Stunden bezahlt werde. Im Vergleich zu meinen halben Stellen hat sich die Arbeitsmasse aber nicht verringert. Man sollte übrigens auch damit leben, dass sonntags auf dem Sofa neben einem eine Gestalt namens schlechtes Gewissen sitzt und einem ins Ohr flüstert: "Denk an den Aufsatz, den du jetzt weiterschreiben solltest. Da ist auch noch deine Lehrveranstaltung und denk an den Drittmittelantrag." (ich meine übrigens damit nicht meine Frau )
Wenn man sich dann letztendlich durch das System Nachwuchswissenschaftler gequält hat, was wartet dann auf einen? Zumindest keine Garantie auf eine Dauerstelle. Wenn man in die Wissenschaft geht, sollte man sich vorher das Verhältnis zwischen zur Verfügung stehenden Dauerstellen und der potentiellen Anzahl an Bewerbern ansehen. Bei Stellenausschreibungen kann man übrigens auch immer schonmal gucken, welcher interne Kandidat denn zur Verfügung für die Stelle steht.
Mein wichtigster Tipp an alle angehenden Nachwuchswissenschaftler ist: Fragt euch, wo ihr euch mit Mitte / Ende 30 sehen wollt. Das ist die wichtigste Frage, die man sich stellen kann. Wem Sicherheit, eine guter Arbeits-Freizeit-Ausgleich und ein Familienleben wichtig sind, der sollte über eine Karriere in der Wissenschaft nochmal nachdenken.
Ich gebe zu, dass ich jetzt sehr viel schlechtes über das System Wissenschaft geschrieben habe. Ich möchte klarstellen, dass ich mein Fach liebe, ich liebe seine Methodik und ich liebe es wissenschaftlich zu arbeiten, zu lehren und zu forschen. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man erwachsen werden muss und dann steht man als Nachwuchswissenschaftler vor der Wahl: a) wissenschaftliche Karriere (Dauerstelle oder Privatdozent) oder eine sichereres Leben ohne WissZeitVG und dafür vielleicht eine weniger aufregende Beschäftigung. Jeder muss letztlich für sich selbst den richtigen (?) Weg wählen. Ich habe mich jetzt zehn Jahre durch das System gekämpft und mich dann für die unbefristete Stelle in der Wirtschaft entschieden. Das hängt einfach auch damit zusammen, dass ich müde und ausgelaugt bin. Natürlich frage ich mich, ob ich jetzt in der Wissenschaft gescheitert bin. Aber: Ich gehe da selber raus. Ich höre tatsächlich in der schönsten Phase meiner Karriere auf. Mir ist es wichtig, dass ich selbstbestimmt aus der Uni rausgehe und man mich nicht von Hof jagt, weil ich die Zeit um ist.
Ich hatte nun das Glück, dass eine für mich passende außeruniversitäre Stelle ausgeschrieben wurde und ich sie auch noch bekommen habe. Wer sein Glück an der Uni versuchen möchte, dem kann ich nur raten, sich frühzeitig einen guten Plan B zu überlegen.
So viel nun dazu. Falls jemand bis hier durchgehalten hat: Herzlichen Glückwunsch!