Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Irgendwann ist jeder fertig. Und dann darf er sich hier austoben :-)
Jucy

Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von Jucy »

Hallo Ihr Lieben,

ich bin zwar aktuell stellenmäßig ganz gut versorgt, lese aber hin und wieder aktuelle Stellenanzeigen und stoße immer wieder mal auf formale Anforderungen, die ich nicht erfülle. Mal bin ich schon zu lange beschäftigt, mal fehlt formal die nachzuweisende Praxis, mal habe ich nicht explizit genau den geforderten Stuiengang studiert. Wenn ich diese Problematik in meinem Kollegenkreis und insbesondere meinem Chef gegenüber anspreche, heißt es immer: "Ach, das wird nicht so eng gesehen" - "Wenn sie dich wirklich wollen, drücken sie ein Auge zu" - etc. Meine (bescheidene) eigene Erfahrng in Bewerbungsverfahren besagt aber etwas ganz anderes, nämlich dass formale Kriterien einen sehr hohen Stellenwert haben und eher bei inhaltlichen Aspekten ein Abstrich gemacht wird als bei Formalia.
Mich würde interessieren, wie da eure Erfahrungen sind:
- Erlebt ihr formale Voraussetzungen als Problem?
- Erlebt ihr diese als "muss"- oder eher als "kann"-Regelungen?
- Falls ihr Kriterien nicht erfüllt, geht ihr mit diesem Manko offensiv um oder verlasst ihr euch darauf, dass Unstimmigkeiten sich schon klären (oder auch unter den Tisch fallen...) wenn man erstmal "drin" ist?
Über Rückmeldungen würde ich mich freuen!
Liebe Grüße, jucy
Sapphirine

Re: Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von Sapphirine »

Liebe Jucy,

ob und inwieweit diese formalen Anforderungen die Bewerbung beeinflussen ist ja von sehr vielen Faktoren abhängig. Natürlich suchen die Arbeitgeber erst einmal einen "perfekten" Kandidaten und deshalb steht da manchmal auch sehr viel in den Anforderungen, die dann eventuell keiner der Bewerber erfüllt. Ich habe das Gefühl, dass die Anforderungen auch immer unrealistischer werden (am besten noch jung, dynamisch aber schon mit xy Publikationen und möglichst auch noch mindestens x Jahre Berufserfahrung und auf jeden Fall auch noch fächerübergreifend ....).
Sofern es Kandidaten gibt, die wirklich all diese Vorraussetzungen erfüllen, wird man dann natürlich eher keine Chance auf die Stelle haben aber das kann man ja vorher einfach nicht wissen. Letztendlich kann man auch alle Anforderungen erfüllen und die Stelle trotzdem nicht bekommen. Lustigerweise hatte ich mehr Einladungen zu Interviews für Stellen, bei denen ich nicht 100% alle Kriterien erfüllte als für diejenigen, bei denen alle formalen Voraussetzungen erfüllt waren.
Es kommt außerdem darauf an, welche dieser Vorraussetzungen man nicht erfüllt. Bei weniger oder mehr Berufserfahrung (wenn nicht extrem abweichend) würde ich trotzdem eine Bewerbung schicken. Wenn allerdings die fachliche Ausrichtung eher an meinem Fachbereich vorbei geht, dann würde ich es lieber lassen. Würde man sich 100% an alle Anforderungen halten, dann wäre die Anzahl der möglichen Bewerbungen radikal reduziert und man hat dann auch weniger Chancen eine Stelle zu bekommen. Deshalb: "muss" bei den wichtigen Kriterien und "kann" bei den eher nicht so wichtigen. Ein Versuch ist es allemal wert.
Zum letzten Punkt: normalerweise heißt es ja, dass man in einer Berwebung (Anschreiben) nur die Sachen auflisten soll, die man kann und warum man meint für die Stelle qualifiziert zu sein und nicht, welche Kriterien man nicht erfüllt. Wenn man da dann schon gleich mit der Tür ins Haus fällt und ihnen vorsetzt, was man alles nicht kann, wirkt man sehr unsicher (zumal die meisten anderen Kandidaten ihr Manko nicht erwähnen werden). Im Grunde genommen steht ja alles im Lebenslauf für die potentiellen Arbeitgeber sichtbar - man muß es ihnen dann aber doch nicht auf die Nase binden. Da handelt es sich dann nicht wirklich um "Unstimmigkeiten". Es könnte natürlich sein, dass es dann im Interview angesprochen wird und man sollte sich dann eine gute Antwort überlegen.
Letztendlich kann man nicht wirklich sagen, ob diese formalen Vorraussetzungen nun ein zusätzliches Problem sind oder nicht weil jeder Arbeitgeber anders damit umgehen wird, weil man nicht wissen kann, wer sich sonst noch für die Stelle bewirbt und weil man am Ende für jede Stelle eben doch noch das Quäntchen Glück braucht ;)
Jucy

Re: Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von Jucy »

Liebe_r Sapphirine,

vielen Dank für deine Rückmeldung! Ja, die Erfahrung bzgl. Menge an Berufserfahrung, xy Publikationen, fachlicher Passung etc. habe ich auch gemacht, dass das letztendlich für die Stellenbesetzer immer ein Abwägungsprozess ist und sicherlich auch davon abhängt, wer sich letztendlich noch so beworben hat und mit wem man da quasi konkurriert.
Mir ging es bei meiner Frage mehr um die formalen Voraussetzungen, die auch rechtlich geregelt sind, wie z.B. die 3 Jahre Berufserfahrung außerhalb der Hochschule bei Bewerbungen auf FH-Professuren (das wurde in dem Thread viewtopic.php?f=34&t=5882 "FH-Professur und Arbeitserfahrung - Forschungsinstitute?" auch diskutiert) oder die Höchstbeschäftigung von 6 Jahren vor und nach der Promotion und deren Berechnung bei Juniorprofessuren, Altershöchstgrenzen generell oder die Unterrichtserfahrung an Schulen bei Ausschreibungen im pädagogischen Bereich - also das, was weniger von der konkreten Stelle abhängt, sondern formal geregelt ist (und manchmal in den Ausschreibungen gar nicht explizit erwähnt wird, sondern mit einem Verweis auf §XY abgehandelt wird). Da bekomme ich immer wieder die Rückmeldung, das würde doch nicht so eng gesehen; mich verunsichert es aber schon, da es sich da ja um gesetzliche Regelungen handelt. Ich frage mich, ob die Rückmeldungen aus meinem beruflichen Umfeld da nicht eher zu meiner Beruhigung dienen, damit ich hier brav meinen Forschungsteil weiter leiste, ich aber beruflich eigentlich in eine Perspektivlosigkeit steuere. Daher würde mich interessieren, ob andere Post-Docs auch solche Rückmeldungen bekommen oder welche Erfahrungen ihr da so gemacht habt. Oder bin ich die einzige, die da irgendwie nicht recht reinpasst :shock:
Oder meintest du deine Antwort mit der Abwägungssache und dem Quäntchen Glück auch für diese rechtliche Dimension? Das würde ja beruhigen :wink:
Liebe Grüße, jucy
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Re: Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von abc82 »

Ich habe ein ähnliches Problem:

Ich stehe nach meiner Diss eigentlich ganz gut da, nicht super erfahren aber auch nicht unerfahren und würde mich gerne auf eine Professur bewerben, die Praxiserfahrungen vorsieht. Die habe ich nicht.

Und hinzu kommt: Es ist eine W2.

Der Aufwand ist riesig und ich frage mich, ob es sich lohnt? Ich weiß, ihr könnt keine pauschalen Antworten geben aber wir ist eure Einschätzung? Fliege ich da sowieso schon raus weil ich keine Juni-Professorin war oder eine Habil geschrieben habe?

:heart:
Jucy

Re: Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von Jucy »

Das klingt so nach FH?
abc82
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Re: Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von abc82 »

Jucy hat geschrieben:Das klingt so nach FH?
Korrekt...
Sebastian
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Re: Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von Sebastian »

abc82 hat geschrieben:Der Aufwand ist riesig und ich frage mich, ob es sich lohnt?
Ist er so riesig, weil es die erste Bewerbung seit längerem ist (das zählt m.E. nicht), oder weil wirklich irgendwelche Spezialitäten vorgelegt werden müssen, die Du nur einmalig nutzen könntest?
Ansonsten: Man weiß m.E. nie, wer sich gerade noch so bewirbt und mit welchen Anforderungen. Die hohen Bewerberzahlen kommen nicht zuletzt dadurch zustande, dass sich nicht wenige Menschen auch auf Stellen bewerben, bei denen sie nach der Papierform eher nicht so große Chancen hätten. Aber wenn die Konkurrenz gerade mal schläft, wendet sich u.U. das Blatt, sofern man sich nicht als völlig ungeeignet erweist (der Arbeitgeber will ja die Stelle auch besetzt haben, weil er das Personal braucht).

Zum älteren Thema, was die Bedeutung der Formalien angeht: H
ier möchte ich noch darauf hinweisen, dass es u.U. einen größeren Unterschied zwischen den Ablehnungsgründen, die dem Bewerber genannt werden und den tatsächlichen Gründen gibt. Üblicherweise ist es nämlich menschlich und rechtlich einfacher, eine Ablehnung auf die Nichterfüllung irgendeines formalen Kriteriums zu stützen als auf die präsentierte Tagesform im Bewerbungsgespräch. Ob das dann wirklich der ausschlaggebende Grund war, wird man als Bewerber vermutlich nicht erfahren.

Nur Mut - und viel Erfolg!

Sebastian
Amalia

Re: Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von Amalia »

Ich persönlich würde bei Unistellen mit ihrem sehr aufwendigen und speziellen Bewerbungsverfahren ein eigentliches Bewerber-No-Go begehen und mich auch mit einer unvollständigen oder schnell gestrickten Bewerbungsmappe bewerben.

Was kann passieren?
A) Es gibt einen Traumkandidaten oder sehr, sehr viele qualifizierte Bewerben. Dann landet man sofort auf dem Absage-Stapel und kann sich freuen, dass man nur wenig Lebenszeit in ein aussichtsloses Unterfangen investiert hat.

B) Es gibt keinen Traumkandidaten und nur wenige Bewerber. Dann fängt die Kommission an, Abstriche bei den Anforderungen zu machen und schon hat man eine Chance, obwohl man die Kriterien nicht alle erfüllt. (Ich habe schon mehrfach Geschichte der Art gehört: Viel zu wenig Zeit das Exposé zu schreiben / nicht alle Anforderungen erfüllt, trotzdem beworben --> Absage --> wenige Wochen später ein Anruf, könnten Sie vielleicht doch zum Vorstellungsgespräch vorbei kommen? (Der Traumkandidat hat doch noch abgesagt) –-> Stelle bekommen

Einfach mal was wagen!
Viel Glück!
A.
flip
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Re: Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von flip »

abc82 hat geschrieben:Ich habe ein ähnliches Problem:

Ich stehe nach meiner Diss eigentlich ganz gut da, nicht super erfahren aber auch nicht unerfahren und würde mich gerne auf eine Professur bewerben, die Praxiserfahrungen vorsieht. Die habe ich nicht.

Und hinzu kommt: Es ist eine W2.

Der Aufwand ist riesig und ich frage mich, ob es sich lohnt? Ich weiß, ihr könnt keine pauschalen Antworten geben aber wir ist eure Einschätzung? Fliege ich da sowieso schon raus weil ich keine Juni-Professorin war oder eine Habil geschrieben habe?

:heart:
Ich wiederhole dein Problem noch mal:

Du erfüllst die Mindestanforderungen an die Professur (Berufserfahrung) nicht, machst dir aber Gedanken, über akademische Anfoderungen, die garnicht gefordert sind (Habil). Sehe ich das richtig?

Deiner Beitragshistorie entnehme ich, dass du bis vor kurzem nicht wusstest, was du überhaupt mit der Diss anfangen sollst. Und jetzt also gleich eine Bewerbung direkt nach Abgabe auf eine W2-Professur?! Ich frage mich gerade, warum du überhaupt über eine Bewerbung nachdenkst. Um das mal klar zu sagen.
Jucy

Re: Formale Voraussetzungen - eure Erfahrungen?

Beitrag von Jucy »

Hallo,
genau um diese Erfahrungen geht es mir:
Dann fängt die Kommission an, Abstriche bei den Anforderungen zu machen und schon hat man eine Chance, obwohl man die Kriterien nicht alle erfüllt.
Wo sind Abstriche möglich? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Abstriche zum Einen auf inhaltlicher Ebene durchaus denkbar sind - z.B. wenn man nicht genau den gewünschten inhaltlichen/methodischen Schwerpunkt hat, zum Anderen auch bei "dehnbaren Begriffen", z.B. bei der Menge an Lehrerfahrungen.
Bei konkreten formalen Forderungen dagegen wie z.B. der typischen "gewünschten Berufspraxis von 5 Jahren, davon 3 ausserhalb der Hochschule" bei FH-Professuren wird es anscheinend kniffliger. Vielleicht ist das aber auch vom Fach oder auch von der einzelnen Hochschule nochmal abhängig?

Code: Alles auswählen

Üblicherweise ist es nämlich menschlich und rechtlich einfacher, eine Ablehnung auf die Nichterfüllung irgendeines formalen Kriteriums zu stützen als auf die präsentierte Tagesform im Bewerbungsgespräch.
Mir wurde in persönlichen Gesprächen verschiedener Kommissionsmitglieder ausführlich erklärt, warum dieses formale Kriterium, welches ich nicht erfüllt habe, nicht umgangen werden kann. Die Stelle ist seit zwei Jahren nicht besetzt.
Mich würde sehr interessieren, um welche Anforderungen es in den hier erwähnten Geschichten ging:
Ich habe schon mehrfach Geschichte der Art gehört: Viel zu wenig Zeit das Exposé zu schreiben / nicht alle Anforderungen erfüllt, trotzdem beworben --> Absage --> wenige Wochen später ein Anruf, könnten Sie vielleicht doch zum Vorstellungsgespräch vorbei kommen? (Der Traumkandidat hat doch noch abgesagt) –-> Stelle bekommen
Vielleicht magst du das nochmal ausführen, Amalia?
Auf meinem jetzigen Wissensstand wäre ich bei den Bewerbungschancen von abc2 eher skeptisch...
Liebe Grüße, jucy
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